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Einundzwanzigster Brief

Was eigentlich ein Kaffeehaus sein sollte und was es sein kann, bewies vor Zeiten das bekannte Richterische; allein seit dem Ersterben desselben ist keines in diesem Geiste wieder aufgestanden, und die meisten, die wir jetzt noch unter diesem Namen kennen, verdienen kaum jene Benennung.

Ehedem gingen die angesehensten Männer der Stadt auf Kaffeehäuser und besprachen sich daselbst über die interessantesten Dinge. Seit man aber angefangen hat, sich in lauter geschlossene Zirkel zu drängen, seitdem eine seichtere Unterhaltung die interessante verdrängt hat, seitdem der soliden Männer täglich weniger werden, seit die Natur vor der Konvenienz entflohen ist und der Mann lächerlich wird, der es wagt, ein Herz zu haben, seitdem man von lauter Rücksichten spricht, indes kein Mensch mehr vor sich sieht; und dann – seit die Freigeister (homunculi, quanti estis?) Menschlein, was für welche seid ihr? überall den Ton angeben – seit dieser traurigen Periode haben auch jene Orte, von denen ich eben jetzt spreche, alles Interesse verloren und besitzen nur für einige wenige noch – anziehende Kraft.

Kaffeehäuser sind nicht mehr die Plätze, wo der ernstere Mann Erholung suchen kann – sie sind herabgesunken zu den elendesten Spiellöchern. Wo sich der rohere Mensch erst vergnügt, da vergeht schon dem gebildeteren alle Lust, seinen Geist zu erheitern!

In den einsamen, stillen Zimmern, wo man sonst sich über die wichtigsten Angelegenheiten des menschlichen Lebens besprach, brüllt jetzt der rüde Musensohn sein wildes Gaudeamus. An dem Tische, an welchem sonst eine Gesellschaft der angesehensten Kaufleute die wichtigsten Betrachtungen über politische oder Handelsverhältnisse machte, sitzen jetzt vier jubelnde Ladendiener und spielen Solo. In der einen Ecke flegelt sich ein Dreiblatt der ekelhaftesten Zotenreißer, und in der andern machen vier ein Mecklenburgisches Wappen, dampfen aus ungeheuren Ulmern Pfeifen. und – gähnen!

Unter allen Leipziger Kaffeehäusern ist das Klassigsche noch immer das respektabelste, und wär's auch nur an Größe. Allein von dem Richterischen bleibt es doch nur ein ganz schwacher Schatten und kommt mir gerade vor wie eine etwas mehr als gewöhnlich große Bierkneipe.

Dem, der hier Unterhaltung sucht, wird die Zeit lang, denn wer nicht selbst spielt (und deren sind leider nur wenige hier), sieht doch wenigstens dem Spiele zu. Man setzt sich hin, schluckt ein, zwei Bouteillen Bier, einer nimmt dem andern das Geld ab, und nach elf Uhr geht man wieder zu Hause.

In der Messe hält Signor Lange Anmerkung des Herausgebers: Jammerschade um diesen sonst wirklich edeln Mann, daß er immer noch von einem Gewerbe leben muß, das ihm zur Schande gereicht! Lange hat schon einigemal um ein öffentliches Amt sich beworben, allein man schlug jedesmal dies ehrenvolle Gesuch unter allerlei nichtigen Vorspiegelungen ab und zog ihm vielleicht einen Kerl vor, der von seiten des Herzens und Kopfs kaum verdiente, Langes Schuhriemen zu lösen! Wenn wird man doch endlich einmal anfangen, dem unglücklich geleiteten Genie aufzuhelfen; und wenn wird der Staat weniger verblendet für sein eigenes Interesse – sich Männer verbinden, denen die Natur so viel schöne himmlische Anlagen gab und die man leider darum für so gefährlich hält, weil sie in einer Pflanzschule kultiviert wurden, in welcher Spekulation und Raffinerie die Edukationsräte sind. Allein man reiße nur diese Menschen (besonders wenn sie wie Lange ihr Geschäft nur gezwungen noch und aus Not treiben) aus ihrem Strudel und gebe ihnen durch ein kümmerliches Amt nicht aufs neue Veranlassung zu neuen Spekulationen, und ich wette hundert gegen eins, der Staat hat an ihnen die vortrefflichsten, nützlichsten, tätigsten und treuesten Glieder! Oder sehen dergleichen Männer euch etwa gar zu helle, ihr Edeln und Hochweisen? hier Bank, und dann wird es noch lebhafter.

Umsonst würde der Wirt sich bemühen, bessere Gesellschaft und bessern Ton einzuführen; es gibt zuviel räudige Schafe unter der Herde, und Klassig läßt daher das Werk in seinem alten Gleise.

Bleib in Berlin, lieber Baron, und geh in ein Bordell – du wirst dich in dem schlechtesten angenehmer divertieren als in Leipzig in dem besten Kaffeehause. Leb wohl.

v. N. N.


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