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Zwanzigster Brief

Mit den hiesigen Hotels, lieber Baron, sieht es jetzt sehr kläglich aus. Der ›blaue Engel‹ ist aufgehoben, das ›Joachimstal‹ seinem Ersterben sehr nahe, das ›Hôtel de Bavière‹ nur für solche zu empfehlen, die schlecht bedient sein und sich prellen lassen wollen; die ›Stadt Berlin‹ kaum einer vorübergehenden Erwähnung wert und das ›Hôtel de Saxe‹ fast das einzige noch, das man wirklich respektabel nennen könnte.

Die Periode, in welcher die Emigrierten vor einigen Jahren haufenweis zu uns herausströmten, gab allen hiesigen Gasthäusern und namentlich dem ›Hôtel de Saxe‹ einen ganz neuen ungewohnten Schwung, und die feisten Äbte trugen das Ihrige nicht minder dazu bei, daß die Wirte ihre alten Schulden tilgten. Die geistlichen Herren liebten die Ruhe, und da eben damals sehr wenig Ruhe in Leipzig war, so mußten sie, um nicht aus der Routine zu kommen, die ihrige sehr teuer erkaufen. Manchem frommen Abbé kostete daher die Ruhe eines Tages und einer Nacht oft mehr noch, als jetzt das ganze Beichtgeld ausmacht, das ein Leipziger Honoratior seinem Seelsorger jährlich entrichtet, und unter einem Dukaten kam wenigstens keiner davon. Mit wieviel bangen Seufzern wünschen die hiesigen Hotelisten diese goldene Periode zurück.

Vor allen andern aber hatte das ›Hôtel de Saxe‹ das öftere Glück eines unter diesen Umständen nicht seltenen vornehmen Besuchs, und Fürsten, Kurfürsten und Grafen nahmen meistenteils in diesem Hause ihr Quartier. Die Summen, welche dadurch gewonnen worden sind, müssen beträchtlich sein; dies beweisen so manche ganz unverkennbare Dinge.

Allein ich wüßte auch weit und breit unter den öffentlichen Häusern keines, in welchem man so bequem, so reinlich und kommode wohnen könnte und in welchem man in jeder Hinsicht eleganter, angemessener und prächtiger bedient würde als eben in diesem. Die Stuben sind geräumig, schön ausmöbliert und zu jeder Bequemlichkeit ganz vortrefflich angelegt. Die Markörs und Lohnbedienten sind abgerichtet wie die Jagdhunde, und es ist, als witterten sie schon den entferntesten unserer Wünsche.

Die Messen über wimmelt dieses Haus von vornehmen Herrschaften, und des Abends wird auf dem Saale offne Tafel mit Musik gehalten – ein Vergnügen, dem selbst viel hiesige Kaufleute beiwohnen und das ich jedem empfehle, der Lust hat, ungeniert zu speisen. Alles ist heiter und vergnügt, von steifem Wesen sieht man hier gar nichts, und oft werden ein adeliger Baron und ein armer Student bei dieser Gelegenheit die innigsten Freunde. Dies Vergnügen verdankt man lediglich dem Geiste des Wirts.

Die Mittagstafel ist schon etwas steifer, doch nirgends kann man kostbarer speisen als hier, und am Weine wird selbst der Rheinländer zum Zweifler, wo er ihn besser getrunken habe, ob in seinem Vaterlande oder in Leipzig bei Ernsten.

Das einzige will ich noch zur Empfehlung dieses Ortes hinzufügen, daß man sich durchaus nicht über Prellereien beklagen darf.

Auch wurden hier zuweilen des Winters Bälle gegeben; da sie aber meistens sehr unruhig abgelaufen sind und sich gar bisweilen mit Prügeleien geendiget haben, so werden sie vermutlich in der Folge unterbleiben.

Das einzige, was dem ›Hôtel de Saxe‹ noch abgeht, ist die wenige Stallung, ein Hindernis, woran so manche durchreisende Herrschaft sich stößt. Das ›Hôtel de Bavière‹ ist in dieser Hinsicht besser bedacht.

Nie habe ich einen feinern und artigern, nie einen offenern, aufgeklärtern und gefälligern, nie einen aufgewecktern Mann, nie einen hellern Kopf gefunden, als wirklich der Wirt dieses Gasthofes, Herr Ernst, ist. Ganz ist dieser geschmeidige Mann zum Wirte geboren, und vergebens wird man in halb Deutschland noch seinesgleichen suchen. Durch ihn kam dies Hotel in Aufnahme, und ob er gleich nur mit sehr wenigem anfing, so hat er doch jetzt fast alle seine Schulden getilgt, macht ein ansehnliches Haus und zeigt sich seinen Gästen beim Frühstück als den heitersten und unterhaltendesten Mann. In dem Streben nach Verbesserung hat ihn zugleich seine vortreffliche Gattin auf das tätigste unterstützt, und ihr verdankt er die Aufrechterhaltung seiner Wirtschaft.

Ernst war von jeher ein großer Kenner und Liebhaber des Carnes femininae, weibliches Fleisch. und das Studium desselben kostet ihm manchen schönen Kremnitzer und – manche schöne Stunde, die er seiner Wirtschaft raubte.

Dame Obermann war diejenige Glückliche, in welcher sich zuerst Ernsts sämtliche Wünsche vereinigten; er sparte weder Kosten noch Zeit, um sich seiner Huldin so gefällig als möglich zu machen, und sie – beschenkte ihn zuweilen mit Verlagsartikeln ihres Mannes, mit seidenen Westen und Strümpfen. Der Tod trennte dies festgeknüpfte Band der innigsten Freundschaft, und als Ernst die Trauerpost vernahm, sah ich seine hochroten Wangen zur Farbe des Leilachs Bettuch, Leintuch. erblassen!

Die Zeit gießt lindernden Balsam in jede unserer Wunden, und diesmal war die Destillateur Kreischin bestimmt, Mitgehülfin an diesem beglückenden Werke zu werden. Zum Schauplatze der ersten Ergießungen wurde die bekannte Milchinsel erwählt, in der Folge aber glaubte man ein verstecktes Agieren schon weniger nötig zu haben und ließ sich's daher auch auf dem heimischen Sofa gefallen. Die Dankbarkeit reichte der Schwarzmacherin Matins und Saloppen.

Allein unter allen schien es dennoch einem Schokoladen-Mädchen vorzüglich aufbehalten zu sein, Ernsts fernerweitigen Progressen auf dem Felde der Liebe ein förmliches Garaus zu machen, und daß das Schicksal ihr diese Rolle wirklich übertragen habe, beweist das immerwährende Achselzucken der Ärzte, die, wie Ernst sagt, auf hämorrhoische Anfälle kurieren. Allein Sachkundige schütteln mit dem Kopfe und wollen von einem Geschenke Witterung haben, womit die gerühmte Schokoladen-Schöne ihren Anbeter beehrt hätte und welches denn auf dem Empfänger alle die Übeln Wirkungen gemacht habe, die sich jetzt am Patrimonio Zeugungsorgane. und an der Urinblase äußern.

Auch spricht man schon von garstigen Kathetern, und da wir wohl schwerlich hienieden jemals eine Flasche wieder miteinander werden leeren können, so nehme ich mir die Freiheit, dir gute Nacht zu wünschen, lieber Ernst! Ach, gäbe es doch jenseits auch noch liebende Dirnen wie hier! Mit diesem sehnlichsten aller Wünsche beschließe ich gegenwärtigen Brief.

v. N. N.


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