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Siebenter Brief

Glaubst du wohl, lieber Baron, daß weniger schöne Blumen in ihrer Blüte erstickt, weniger unschuldige Mädchen die Mörder ihrer Tugend einst in grauer Nacht verfluchen würden, wo ihr erwachter Geist trostlos an den Abgründen der Verzweiflung ringt und die Sünderin den Vater der Barmherzigkeit tränend um Gnade und Vergebung fleht; glaubst du wohl, daß weniger graue wankende Greise ein Ach über die gefallene verführte Tochter schreien und früher noch von Schande und Tränen gebeugt dahinsinken würden in der ewigen Nacht kaltes Grausen, wenn die feile Dirne nicht durch zuviel schon bekannte Prellereien dem reichen Wüstling jede Hoffnung zu der Gewißheit vergällt hätte, ohne Besorgnis für künftige Geldschneiderei in ihrer Mitte seine aufstrebende Wollust stillen zu können?

Und wunderst du dich nun noch, lieber Baron, wenn ich dir versichere, daß die Hälfte solcher Geschöpfe in Leipzig aus Mädchen besteht, die in einer unglücklichen Stunde durch Verführung und vielleicht auch durch eigenen Reiz, nicht aber aus Geldgier gelockt, ihre Unschuld verloren, dann zu schwach waren, weiteren Versuchungen zu widerstehen, der Eitelkeit (denn ein Laster führt ja getreulich die übrigen alle herbei!) und schmeichelnden Täuschung Gehör gaben, und so endlich das wurden, was sie jetzt sind – unglückliche, zu beweinende Mädchen!

Was gewinnen aber nun diese betrügerischen Dirnen bei all den Prellereien?

Ihr Gewerbe wird nur zu bald kund – der Reichere hütet sich vor ihrem Umgange, eben daraus entsteht denn das Ereignis, das ich soeben schilderte; ihre Verehrer bleiben weg, die Nahrung kommt ins Stocken; um ferneren Unterhalt zu haben, müssen sie nun auf Eroberungen ausgehen, wo man sonst seine Gaben unangelockt ihnen ins Haus trug; die Kleidung und Garderobe wird schofler, höchstens etwa ein Student oder Thomasschüler zollt ihr noch seine vier Groschen, und ist sie erst herabgesunken bis zur Knechtschaft letzterer Art Menschen, dann gute Nacht allen Aussichten zu einem jemaligen Wiederaufkommen, dann gute Nacht, Leipzig, und – willkommen du, geliebtes Jena oder Halle.

Sieh, lieber Baron, das wären denn zwei unglückliche Folgen, die schon allein zureichend sind, das betrügerische Verfahren obenerwähnter Dirnen sowohl als die Einmischung ihrer rechtlichen Beisteher doppelt strafbar und ahndungswert zu machen; allein das Heer der Folgen, die alle noch eben hieraus entspringen, ist unübersehbar, und ich könnte in der Tat noch eine ganze Reihe von Briefen recht vollständig damit ausfüllen, wüßte ich nicht, daß dir ein solches Räsonnement höchst uninteressant, ja langweilig und unangenehm wäre; – überdem gestehe ich gern, daß es mir selbst sehr wenig Freude macht, immer nur bei Gegenständen des Unglücks zu verweilen, und es ein weit angenehmeres Geschäft ist, in Sphären des Vergnügens herumzuschweifen; ich will also den Faden wieder anknüpfen, da wo ich ihn verließ, und dies um so lieber und schneller, da du gewiß längst schon auf den Verfolg weiterer Nachrichten über das Gebiet der Liebe mit Sehnsucht gehofft hast.

v. N. N.


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