Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebzehnter Brief

Das kleine niedrige Ställchen, das man gemeinhin ›Place de Repos‹ nennt, liegt am Eingange eines fünf Schuh breiten Gartens, dicht an der Pleiße, für die Damen also sehr bequem, welche, wie man in proverbio zu sagen pflegt, gern ins Wasser gehen; noch weit gelegener aber für so manchen hierherkommenden Kaufmann, dessen Kredit so beschaffen ist, daß er zu jeder Minute vom Lombertische aufstehen und ohne weitere Umstände zum Schrecken der betrogenen Gläubiger sich untertauchen könnte.

Die Anlagen im Garten sowohl als das eigentliche Gebäude selbst bestehen ohngefähr erst seit zehn Jahren und verdanken ihre Existenz dem erfinderischen Genie eines raffinierenden Wirtes, der aus einem Treugeplatze so artige Partien hervorrief und dadurch (wiewohl ganz ohne seine Schuld) Gelegenheit gab, daß man plötzlich auf ein Kontrarium fiel und jetzt diesen Fleck zum Naßmachen gebraucht, statt daß man ihn ehedem zum trocknen benutzte.

Vor allen andern Sehenswürdigkeiten (?) des Gartens selbst verdient eine Statue erwähnt zu werden, deren Eigentümlichkeiten jedem auffallen müssen, der da weiß, daß Damen aus gebildeten Ständen hierherkommen.

Vermutlich soll diese Statue unsern entnervten Männern Stoff geben, sich ihrer Schwäche zu schämen und in die erhabenen Urzeiten sich zu versetzen, wo noch deutsche Sitte war, wo man Männer noch Männer nennen konnte und wo die Liebhaber noch mit Präsentations- und Empfehlungsschreiben herumliefen, die tüchtiger und schneller rekommandierten als das Winseln und Schmelzen unserer heutigen Schäfer.

Allein das Empfehlungsschreiben obiger Statue (welche, unter uns gesagt, einen nervösen Kraftmann in puris naturalibus in ungeschminkter Natur, nackt. darstellt) ist denn aber diesmal freilich so korpulent ausgefallen, daß unsere jetzigen empfindsamen zarten Weiberformen es nur nach vielen Krächzen und langem Sperren erst ad protocollum würden bringen lassen; inzwischen aber beneiden sie doch im süßen Anschaun desselben ihre Vormütter, die bei so göttlichen Adspekten unmöglich anders als höchst entzückt und selig leben konnten.

Dann soll aber auch vielleicht eben diese Statue (eine Vermutung, die mir um vieles natürlicher zu sein scheint) ein warnendes Beispiel für so manche unserer vorwitzigen Süßlinge sein, die sich nicht entblöden, mit ihren dünnen, schwachen, kurzen, abgelebten oder gar nur halben Traktätchen sich keck unter brünstige Damen zu wagen, die aber von Errichtung jener exemplarischen Statue an nun nicht mehr so nachsichtig und leichtgläubig wie ehedem sind, sondern ihren Sklaven zuvor etwas genauer untersuchen und dann gewiß den zu einem ewig vergeblichen Schmachten verdammen, dessen mitgebrachte Empfehlungen nach angestellter Okularinspektion durchaus nicht so befunden werden, wie sie à la Statue eigentlich sein müssen. Dann würde es nun freilich um so manchen gar übel aussehen, und die armen Damen dürften vielleicht ein ganzes halbes Jahrhundert hindurch suchen, ehe sie den Mann fänden, der da wäre, wie er sein soll und – doch leider keiner mehr ist.

Darf ich daher der Lästerzunge Glauben beimessen, welche ehedem so indiskret war, unsere guten Place-de-Repos-Damen als Erfinderinnen einer so schändlichen Statue verschreien, die du, um keine leeren Kirchenstühle mehr zu sehen, nur hier in Leipzig in die Gotteshäuser setzen dürftest, um Jungfrauen und Weiber in Scharen zu versammeln, über die aber auch vielleicht jede Nicht-Leipzigerin schamrot werden würde?

Ähnlichen und fast gleichen Geschmack findest du auch in den Gemälden des Saales. Die wollüstigsten Darstellungen wechseln mit den niedrigsten, nur für Verworfene etwa noch Reiz habenden Schweinereien. In der Tat: der Maler muß sie ganz eigentlich für ein ›Place de Repos‹ bestimmt haben; seine Mühe, glaube ich, würde ihm sonst kaum zur Hälfte bezahlt worden sein. Tugend und Scham wenden errötend ihr verabscheuendes Auge von diesen üppigen Gruppen der viehischen Wollust hinweg, und nur etwa ein Leipziger Mädchen kann stundenlang davortreten und ihr Herz vergiften, das ohnehin schon halb verpestet ist.

Und ein Mann kann seine Frau zu solchen Bildern der Unzucht hinführen – ihre Triebe, ihr Auge lüstern machen und so vollends jeden noch glimmenden Funken der ehelichen Treue in ihrem Herzen ersticken.

Ein Vater kann seine noch unschuldige Tochter sorglos einem Platze anvertrauen, wo Greuel- und Schandszenen des Mädchens Phantasie erhitzen und wo der geile Wollüstling, diesen Augenblick des Taumels und der süßen Verlorenheit nutzend, sie früher noch zum Sturze führt, sie früher noch an Leib und Seele vergiftet und früher noch eine kaum knospende Rose entblättert.

Pfui der Schande für Männer und Väter! Pfui der Gewissenlosigkeit für Mütter und Erzieherinnen! Pfui des Scheusals und der Verdorbenheit des Leipziger vornehmern Auswurfs! Ich möchte weinen; und wahrlich eine mitleidsvolle Träne zittert in meinem Auge, sooft ich vorübergehen muß vor diesem Orte der Üppigkeit, der Wollust, der Unzucht und – der Verführung.

›Ergo vivamus, dum licet esse bene‹, Also laßt uns leben, solange es gut zu gehen vermag. sind die letzten vortrefflichen Worte der Überschrift über diesem Gebäude des Lasters; und jammerschade, daß sie hier so schrecklich, so abscheulich entweiht werden. Verdient wohl der Ort ›Sitz der Ruhe‹ (Place de Repos) genannt zu werden, wo ein Asyl für Verbrechen jeder Art, jeder Gattung, jeden Grades, jeder Stufe ist? Sollte man daher sich nicht im Innersten schämen, Männer dahin zu führen, die solche Vergnügungen, wie sie hier im Gange sind, verachten – verabscheuen? Sollte man nicht Lieber seine Schande in ewige Nacht und Dunkelheit vergraben, statt daß man sich nicht entblödet, sie Männern aufzudecken, die die Stunde verfluchen möchten, in der sie eine Menschheit erblickten, vor der man erbebt, – ach, eine Menschheit, die wohl noch nie so tief gefallen war?

O verewigter Wedag! Auch du sahst diese Greuel; auch dir zeigten sich jene Gesunkenen in ihrer ganzen Nacktheit und Blöße; dein Herz blutete – dein ganzes besseres Wesen entrüstete sich ob dieser Schande unseres Jahrhunderts; aber du sprachst auch laut, – laut, wie der Edle spricht, wenn er den bessern Menschen unter Meuchelmördern und Dolchspitzen erblickt!

Oh, hättet ihr's doch hören wollen; hättet ihr's doch fühlen können, ihr, die ihr der bessere, der aufgeklärtere Teil Leipzigs sein wollt und doch so ganz unter den verworfensten Pöbel euch verliert. Hättet ihr Wedags strafende Worte gehört, wahrlich, euer Bubenherz hätte zittern müssen, und ihr, verworfene Weiber, wärt vielleicht wieder zur verlassenen Tugend gekehrt.

Doch eben fühle ich, daß man mir für meine heftige De- und Exklamation nur wenig oder sehr schlechten Dank wissen möchte; ich gehe daher desto schneller zu Beschreibungen und Tatsachen über.

Das ›Place de Repos‹ ist im strengsten Sinne kein öffentlicher Ort, das heißt, für jedermann zugänglich, sondern bloß eine eigne geschlossene Gesellschaft hält daselbst ihre Versammlungen. Die eigentliche Größe und Stärke derselben kann ich so ganz genau nicht mit Gewißheit bestimmen, doch soll sie sich jetzt auf über 200 Mitglieder belaufen.

Die Namen sämtlicher Interessenten, Rädelsführer und Sekretäre, Oberältester und übriger Beisitzer paradieren in einer eigens dazu verfertigten, mit Glas überzogenen Tafel, in nett geschriebener Kanzeleischrift an den Wänden, und wer per vota das Consilium abeundi Aufforderung zu verschwinden. erhält oder auf dem natürlichen Wege alles Fleisches mit Ehren abgeht, wird vermittelst eines schwarzen Kreuzes markiert – Orden pour le merit hat man hier nicht!

Um nach dem Abgange eines dergleichen Subjekts das Institut durch ein neues wieder vollzählig zu machen und zu komplettieren, wird, wie billig, wahlmäßig verfahren, und derjenige von den zahlreichen Kompetenten, welcher sich genugsam empfohlen hat oder die meisten Freunde unter den altern Mitgliedern zählt, wird, wäre es auch der bekannteste Schurke, zum Ritter des Ordens geschlagen, sein Eintritt beim nächsten Schmaus solenniter zelebriert, und lediglich von seinem Betragen gegen die Damen hängt es ab, ob man über die neue Wahl sich freuen oder dieselbe nicht vielmehr verwünschen soll.

Bei den Versammlungen steht es jedem Mitgliede frei, einen Gast auf seine Unkosten mit sich zu bringen; doch soll es allemal ein Mann oder ein Weib ›von reinen Sitten und unbescholtenem Wandel‹ sein. Das also, was die Mitglieder an sich selbst so sehr vermissen, soll doch durchaus dem fremden Gaste nicht fehlen! Wie streng!

Meistens erscheinen Herren und Damen an solchen feierlichen Tagen in größter Gala, doch ist bei letztern das ehemalige steife Wesen gänzlich verbannt – man hat sich auf einen äußerst ungenierten Fuß zu setzen gewußt.

Willst du daher recht viel volle oder verwelkte Busen, recht viel gelbe oder weiße Rücken und endlich recht viel fleischige oder dürre Arme sehen, so bemühe dich ja um einen Freund, der die Güte hat, dich einmal in das ›Place de Repos‹ mit einzuführen. In der Tat, man glaubt sich in die Zeiten des Adamischen Paradieses versetzt, denn die hier befindlichen Evas würden gern auch noch die wenige lästige Bedeckung ganz vom Leibe werfen, ein leichtes Feigenblatt um ihre Hüften binden und sich verschämt (?) hinter Akaziengebüsche verstecken, wenn nur auch unsere Adams nackend mit dahinterkriechen wollten.

Über nichts aber habe ich mich hier so sehr gewundert als über die sonderbare Freimütigkeit gewisser Damen, die neben ihren fleischigen Schwestern hergehen wie ausgetrocknete Kühnstöcke und die bei aller der traurigen Kenntnis ihrer selbst sich doch sowenig überwinden können, ihre Rudera Ruinen. versteckt zu halten, daß sie sie vielmehr, sich selbst zum Schimpf und anderen zum Ekel und Hohngelächter, öffentlich zur Schau tragen.

Ich weiß kaum, was ich von der Eitelkeit eines solchen Weibes urteilen soll, die vielleicht ihre Zofe über eine falsch gesteckte Nadel auf der Stelle relegieren möchte und in wesentlichen Haupt- und Kapitalsachen so entsetzlich nachsichtig gegen sich und ihre Fleischesreize ist.

Wohl muß also unter dieser gütigen Nachsicht ein geheimer Grund verborgen liegen: wie sollte man nicht vielleicht auch mit gewissen unverhüllten Reizbarkeiten, wenn sie auch noch so unbedeutend und geringfügig wären, dennoch zuweilen buhlen und erobern können?

Der sinnliche Wollüstling darf ja nur einen nackenden Hals sehen, so verfallen auch schon seine sämtlichen Organe in ein hitziges Fieber; und wer sticht ihm denn gleich im Augenblicke der Betäubung den Star, damit er die Achselknochen sehe, die so hochstämmig an den Brustblättern seiner Huldin hervorragen?

Auch der verwelkteste Busen wird oft, wenn er enthüllt in gewissen Stunden dem lüsternen Auge sich zeigt, zum Verführer des beständigsten Mannes; haben wir nicht etwa schon der Beispiele genug? Wenn alle, auch die feinsten Versuchungen von uns abglitten und das wollustatmende Weib öffnete endlich die Fülle ihrer Brust – was, was würden wir dann? – Still, still, ich mag gern meine eigene Schwäche verbergen.

Die Sommerszeit über wird das ›Place de Repos‹ in der Regel nicht so zahlreich als im Winter besucht; das macht denn freilich das Wohnen so vieler Mitglieder auf dem Lande sowie auch die häufigen Badereisen; dafür ist aber doch von Ostern bis Michaelis jeden Mittwoch Ball, und die abwesenden Mitglieder werden größtenteils durch mitgebrachte Gäste ergänzt. Man drängt sich zu solchen Feierlichkeiten, und es ist für Lüsterne jedesmal ein sinnliches Fest.

Man kennt unsere jetzigen Tänze, und die Moralisten haben sich über dies neue Sittenverderbnis schon die Kehlen bald heiser geschrien; allein wenn sie die Tanzgreuel sehen sollten, welche hier dem forschenden oder wahrlich auch selbst dem schon halb schlaftrunkenen Auge sich darbieten, bei Gott, sie würden mit den Füßen stampfen. Man setzt sich zur Tafel, und jeder Chapeau unterhält seine Dame; oft aber plappert er nur mechanisch mit dem Munde, weil es nun einmal die Sitte erheischt, und seine funkelnden Augen sprühen indes vielleicht auf eine Gegenübersitzende, die schon seine Winke versteht und durch schmelzende Gegenblicke ihm nicht alle Hoffnung zu baldigem Genuß hoher Freuden benimmt. Die Tafel ist beendigt, und bald darauf beginnt von neuem der wirbelnde Tanz. Das erhitzte Blut strömt wild durch die strotzenden Adern hindurch; ein Händedruck, im Vorbeigehen gegeben, entdeckt die beiderseitigen verborgenen Wünsche; ein Blick auf eins der an den Wänden hangenden, üppigen, wollüstigen Gemälde treibt die ganze Fülle der erwachenden Begierden wirbelnd empor – man verschwindet, so verstohlen, als es Zeit und Umstände nur immer erlauben, und im nächsten Gebüsch beginnt der Kampf der lechzenden Wollust.

Man dankt hierauf einander für gegenseitige Liebe; ist die Dame mit dem Exerzitium zufrieden gewesen, so macht sie Hoffnung zu baldiger süßer Wiederholung, und so schlüpft man denn so unbefangen und schuldlos wieder zum Saale hinein, als man vor einigen Augenblicken herausging. Und gesetzt auch, es würde ein solches stilles Vergnügen von einem oder dem andern bemerkt, so ist man hier wahrlich nicht grausam genug, einander in so süßen Arbeiten zu unterbrechen oder zu stören. Man weiß ja auch überdem nicht im voraus, ob man nicht selbst vielleicht einmal in ähnliche Fälle gerät, und dann kann man doch wieder auf Gegenerkenntlichkeit rechnen. Wie oft liegen hier zwei Vettern mit ihren Muhmen im Grase und stecken indes den Trauring in die Rocktaschen.

Freilich ist wohl auch zuweilen einer indiskret genug und läßt sich, wie vor einigen Jahren geschah, seine Entdeckungen sehr teuer bezahlen; allein was schadet das?

Ein gewisser Herr, den ich aus Achtung N.N. nennen will, hatte nämlich bei Gelegenheit eines solchen Balles schon über Tische sein scharfes Augenmerk auf ein Liebespärchen gerichtet, das wohl bereits etwas weiter als zu bloßen Schmeicheleien vorgeschritten sein und sich nicht von heute her erst kennen mochte. Herr N.N. ließ seine Leutchen nicht aus den Augen, und wie er vermutet hatte, so geschalt es: sie verschwanden nach aufgehobener Tafel so schnell und unvermerkt, daß es nur ihm allein nicht entging. Ihnen nacheilen und sich dabei so behutsam als möglich benehmen war das Werk eines Augenblicks.

Die beiden Begeisterten hatten weder Augen noch Gehör, und ihre Triebe mußten zu sehr, zu heftig wirbeln, daß sie denn den ersten besten Ort zu ihrem süßen Kampfe erwählten und zu des Herrn N.N. größtem Staunen sich endlich gar in ein nahestehendes Cloakhäuschen verkrochen.

N.N., kaum imstande, sich des Lachens zu entwehren, schlich ihnen nach und legte sein lauschendes Ohr an die Tür des duftenden Zimmers. Viel war zwar von Ächzen und Rütteln, desto weniger aber von lauten Tönen zu vernehmen, man war zu sehr in sich und seine Gefühle verloren.

Jetzt war der Aktus vollendet, und ein herzhafter Kuß besiegelte das Bündnis der Liebe. Der Adonis verließ zuerst seinen schmutzigen Kampfplatz, aber Himmel, wie bebte sein ganzes ermattetes Wesen zusammen, als er vor der Türe seinen Freund erblickte! Allein zu seinem Ruhme sei's gesagt: er wußte sich in Fassung zu halten.

»Höre, Freundchen«, sprach er ganz unbefangen zu Herrn N.N., »du kommst mir wahrlich wie gerufen, ach laß dir doch« – und hiermit faßte er diesen recht herzlich am Arm, wollte einen Seitenweg einschlagen und war vielleicht im Geiste schon herzlich froh, sich so mit guter Manier aus der Affäre gezogen zu haben.

Allein Herr N.N. wollte den Vogel nicht aus dem Garne lassen, wand seinen Arm gemächlich hervor, machte eine artige Verbeugung: »Bald sehen wir uns wieder«, sprach er. »Adio indes!« Der arme Teufel sperrte das Maul auf; Herr N.N. sprang mit einem derben Satze zur Häuschentüre hinein; die Dame hatte schon den ganzen Auftritt in voller Angst von innen gehört; Herr N.N. zog daher ohne alle weitere Umstände seine Empfehlungen hervor, und – das gute Weib ließ sich's gefallen!!!

War das nicht ein drolliges Stückchen, lieber Baron? Oh, und dergleichen Dinge sind hier, nur mit einigen kleinen Abweichungen etwa, gar nichts Seltenes. Wie, du kannst dich noch immer nicht von deinem Staunen erholen! Hahaha! So muß ich dich wohl gleich mit einer noch tollern Geschichte regalieren. bewirten. Die beiden Helden derselben, wenigstens den männlichen, will ich soviel als möglich maskieren – er ist ja mein Freund; die Dame aber ist schon in der Rubrik der ›gutwilligen Kinder‹ als Ehrenmitglied aufgeführt worden, und wer sie daselbst überlesen haben sollte, denke nur an die Raschwitzer Wachslichter. Doch zur Sache.

Es war gerade die Jahrszeit, in der auch die gleichgültigsten Herzen seufzen, – wo, ich weiß nicht welch ein wollüstiger Duft, auf den Flügeln der Zephire herbeigeleitet, die Herzen zur Zärtlichkeit geneigt macht und allen Wesen unnennbare Sympathie einflößt, als eben im ›Place de Repos‹ Ball war und die bekannte Dame durch ein glückliches Ohngefähr bei Tische zu ihrer Unterhaltung einen stark berittnen Rechtsgelehrten an die Seite erhielt.

Die Dame wurde bald lebhafter von den Geistern des Weines, die Unterhaltung interessanter, und eine gewisse Sympathie bemeisterte sich auf einmal so stark der weiblichen Finger, daß sie sich endlich in einen Kreuzweg verloren und plötzlich an einem starken Widerstands-Objekte haltmachten! Es war der kleine Amor in Ismenens weicher Hand!

»O teurer – Dokter – laß – uns – lieben, ich – ergebe – mich – dir«, sprach die schon ganz in Feuer und Flammen geratene Chloe, und der junge Mann drückte in dem Augenblick, als die Tafeletikette sich endigte, seiner Begeisterten zärtlich die Hand. »Ja, laß uns lieben«, sprach er und verschwand mit der schmelzenden Schönen in ein nahes Gebüsch.

Allein der stramme Reiter glaubte heute auf seinem mutigen Engländer zu sitzen, gab daher dem armen Kinde die Schenkel, und da es ihr endlich zu arg ward, begann sie in kläglichem Ächzen die merkwürdigen Worte: »Ei! du mein Heiland, haben Sie nicht heute einen dicken« – dann ergoß sich ihre überströmende Fülle.

Glaubst du wohl, lieber Baron, daß ich Wahrheiten schreibe? Abenteuerlich und sonderbar genug mag es dir vorkommen, das will ich gern zugeben; allein ich bürge mit Ehre und Leben für die Echtheit beider Geschichten, und zum Ganzen fehlt bloß die Namhaftmachung der agierenden Personen. Läge es nicht zu weit außer dem Gesichtskreis gegenwärtiger Briefe, oh, so könnte ich dir bei dieser Gelegenheit Dinge aufdecken, über die die halbe Welt erstaunen sollte. Mit einem Worte: toller, schrecklicher und abscheulicher kann es wahrlich selbst in dem niedrigsten Bordell kaum hergehen als hier in diesem Plätzchen der Ruhe unter dem vornehmem Pöbel. Man staunt und wundert sich, wie der gebildetere Teil Leipzigs ungeahndet sich Schandgreuel erlaubt, die man, von weniger Vornehmen verübt, mit Gefängnis- oder Zuchthausstrafe rügen würde. Hierher, ihr Edlen des Rats, schickt eure Häscher, statt daß ihr sie umsonst im Rosentale suchen laßt.

Allein nirgends mag auch wohl die Lage des Orts mehr dergleichen buhlerische Auftritte begünstigen als die dermalige Einrichtung im ›Place de Repos‹. Der eigentliche zum Gebäude gehörige Garten ist zwar für sich ganz unbedeutend und klein und nur höchstens etwa für drei Lagerstätten geräumig; allein der Besitzer wußte sehr meisterhaft diesem wesentlichen Bedürfnisse abzuhelfen und ließ, da der daranstoßende größere Garten gleichfalls sein Eigentum ist, eine Brücke hinüberschlagen, die denn sehr bequem aus dem ›Place de Repos‹ in das sogenannte Casino führt. Wer also Beklemmungen fühlt, kann sich mit leichter Mühe hier hüben derselben entledigen, und damit man nicht etwa an den Knien die grünen Grasflecken bemerkte, so ist auch für bequeme Plätzchen und Lager gesorgt. Die Partien durchkreuzen sich, und ohne Mühe kann einer dem andern entgehen. Von den Bäumen herab singt eine liebliche Nachtigall zu dem Gestöhne der ächzenden Liebe, und ein lustiger Zephir pfeift im Blättergelispel die eheliche Treue zu Grabe.

In ebendiesem Garten wurde auch vor einigen Jahren ein frommer Jude durch Dolchstiche – und nach ihm die Tugend so manches bisher treuen Weibes durch List und Überredung ermordet. Das Verbrechen ist nicht groß genug und wird daher überdem noch mit Küssen belohnt, statt daß man die Inculpaten mit Knuten geißeln sollte. Doch was helfen solche Vorschläge, sie werden doch nie realisiert werden; und was soll ich mich überhaupt noch länger bei einem Orte der Schande und des Lasters verweilen? Ich schreite daher zu der jedesmaligen Charakteristik des Wirts.

Herr Richter, der ehemalige Besitzer eines durch ganz Deutschland rühmlichst bekannten Kaffeehauses, war auch Errichter des soeben geschilderten ›Place de Repos‹ und Eigentümer des daranstoßenden sogenannten Casino. Sein Vater hatte sich am Kaffeehause arm gebaut und hinterließ daher dem Sohne traurige Aussichten und Schulden. Allein Richter als ein raffinierender Kopf unternahm es, durch Klugheit und Spekulation sich aus diesen Labyrinthen zu winden, brachte bald sein Kaffeehaus in eine seltene Aufnahme, und seine Kasse erhielt wieder Kräfte. Allein er mochte doch wohl einige Zeit hernach gewahr werden, daß eine fernere Betreibung dieser Wirtschaft ihn auf keinen grünen Zweig bringen könne; er verkaufte daher das Kaffeehaus und schränkte sich lediglich auf sein ›Place de Repos‹ und ›Casino‹ ein.

Hierbei unterstützte ihn denn nun der Baron Fister aus Vorliebe zu Richters artiger Frau mit aller tätigen Hilfe, und ebendieser war es auch, der Richtern das nötige Kapital zur Errichtung des ›Place de Repos‹ vorschoß. Bei solchen Gläubigern kann man ohne Sorgen schlafen, und nie wird wohl Fister seinen Vorschuß zurückverlangen, wenigstens solange nicht, als Richters Gattin lebt.

Doch auch das ›Place de Repos‹ ist seit einiger Zeit an einen andern verkauft, und Richter scheint den Vorsatz gefaßt zu haben, seine letzten Tage in Ruhe und geräuschloser Stille zu verleben. Richter war von jeher ein Freund der Ordnung, und nur die niedre Tadelsucht mag seine Ehre verunglimpfen.

Der jetzige Besitzer des ›Place de Repos‹, Hr. Müller (seines Herkommens ein Kohlgärtnerjunge), scheint Richters Stelle durchaus nicht zu ersetzen. Es fehlt ihm an Gewandtheit, feiner Lebensart, an Kopf, an Erfindungsgeiste – kurz an allem! Plump sind seine Sitten wie seine körperliche Fleischmasse, und an Haltbarkeit und Geradheit mögen sie einander nichts nachgeben.

Man spricht daher von einer völligen Veränderung der Gesellschaft, die noch dazu sehr bald erfolgen soll. Allein wohin verlegen? Nur wieder hübsch nahe ans Wasser, sonst appellieren unsere Damen mit Händen und Füßen!

Ich schließe hiermit gegenwärtigen Brief und empfehle mich deinem ferneren Wohlwollen und Andenken.

v. N. N.


 << zurück weiter >>