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Vierzehnter Brief

Dein letzter Brief, lieber Baron, den ich jedoch erst am dritten hujus des laufenden Monats. erhielt, sowie die für mich darin geäußerten schmeichelhaften Gesinnungen, verbunden mit dem ausgezeichneten Beifall, den du meinen treuen Relationen schenkst, haben mich in ein Meer der namenlosesten Wonne versenkt. Nach deinem Geständnis soll in meinen Worten und Erzählungen so etwas Wahres, von aller Lüge oder Übertreibung weit Entferntes und denn endlich auch etwas so eigentümlich Unparteiisches und vorzüglich Lauteres liegen, daß man nicht anders umhinkönne, als meinen Nachrichten den unbedingtesten Glauben zu schenken.

In der Tat! Es ist lohnend für den Erzähler, wenn selbst Männer in der Entfernung, ganz unbekannt mit der Lage der Dinge, die er als Historiker rügt oder lobt, von dem seinen Erzählungen gleichsam aufgeprägten Stempel der Wahrheit so dahingerissen werden, daß sie ihm ein Zutrauen weihn, womit sich leider (freilich oft durch eigne Schuld!) so wenig Autoren beglückt sehen, daß sie vielmehr weit öfterer durch Widersprüche darniedergebeugt werden, die zuweilen um so kränkender sein mögen, je weniger man vielleicht dem Verfasser selbst die aufgefundenen Unwahrheiten zur Last legen als vielmehr auf die Rechnung derer schieben sollte, die, wenn es ihm (dem Verfasser) an der nötigen Gelegenheit fehlt, selbst zusehen, als Speculatores substituti auftreten und ihrem Machtgeber dann Nachrichten mitteilen, die er freilich nicht geradezu für bare Münze annehmen, sondern vielmehr mit vorgefaßtem Mißtraun wenigstens von zu auffallender Übertreibung und Parteilichkeit reinigen müßte.

Wieviel Ermunterung daher für mich, in meinem angefangenen Werke fortzufahren und auf das Gekreisch einiger Brausköpfe minder zu achten, die wie du insgeheim doch wohl fühlen werden, daß ich wahr sprach, und nur darum vielleicht meiner unbestechbaren Wahrheitsliebe keine Gerechtigkeit widerfahren lassen wollen, weil, wie bekannt, die Wahrheit mit der spanischen Fliege soviel Ähnlichkeit hat, daß sie wie jene juckt und brennt, sobald sie den geringsten Unrat findet. Doch mich soll dies nicht irremachen, und ich erfülle daher mit Vergnügen deine ferneren Wünsche. Doch ehe ich noch zu der gehofften Beschreibung der Leipziger öffentlichen Orte selbst übergehe, so erlaube mir zuvor noch eine ganz kleine Bemerkung, die ich um so nötiger erachte, da sie sich mir täglich und stündlich so unaufhaltsam und auffallend darbietet.

Ich will mich ganz kurz fassen, – in Besorgnis, dich zu ermüden und deine Geduld etwas zu lange in lästiger Spannung zu halten.

Mir ist wie dir der Hang und die angeborne Neigung des Menschen zu einer nach vollendeter Arbeit und Tageslast so nötigen und erlaubten Erholung wohl schwerlich verborgen – wir müßten, dies unzugestanden, uns dann ja wirklich selbst nicht kennen.

Zugegeben also, daß der müde Geist und der erschlaffte Körper durch Ruhe und Erholung erst wieder diejenige Spannkraft erhalten, die zur Fortsetzung unserer Geschäfte durchaus nötig und erforderlich wird; so wirst du doch aber auch im Gegenteil nicht weniger mit mir darüber einverstanden sein; daß zu öftere und zu lange Erholung, anstatt die Kräfte zu erneuern, sie abspannt, die Glieder träge, das Blut dicker, die Heiterkeit trüber, den frohen Mut düsterer und die Götzen jener unaufhörlichen Ruhe dann endlich zu solchen Geschöpfen bildet, wie der Apostel Paulus als ein warnendes Beispiel die faulbäuchigen Cretenser beschreibt.

Ich bedaure unendlich, allein ich kann wahrlich nicht umhin, eine kleine Anwendung jener ziemlich hart klingenden Beschuldigung mit Recht und Überzeugung auf die Herren Leipziger zu machen.

Ist es angeerbter Naturfehler oder ist es böse Gewohnheit worden, – kurz, der Dämon des unaufhörlichen Vergnügens scheint zentnerschwer auf den Sinnen und ganzem Wesen des soeben gerühmten Völkchens zu ruhen. Kaum ist der Leipziger aus seinem Neste gestiegen, so lechzen seine Triebe schon wieder nach neuer Erholung. Was Wunder also, wenn du schon früh alle hiesige Wein- und Bierkneipen mit durstigen Bürgern angefüllt findest.

Der Schneider trägt zu einem seiner Kundenleute ein neues Kleid oder ist beordert, einem durchpassierenden Abenteurer ein frisches Maß zu nehmen; aber lieber Himmel, wo sollen die Kräfte herkommen, drei Treppen zu steigen? I, da geht er eben vor Mainonis Keller, vor dem Hôtel de Saxe oder Bavière vorbei – ein lustiger Kollege winkt schon von innen mit dem vollen Pokal, und das ehrliche Schneiderlein fühlt auf einmal einen brennenden Durst. Das Maßnehmen kann warten, die Gurgel geht vor. Der emsige Perückenmacher hat drei seiner Damen frisiert – auf einmal zittern die Füße, der Kamm wird dürre, er muß angefeuchtet werden, und ein Bierloch ist hierzu das beste Refugium.

Der geschäftige Bartscherer rennt, daß ihm der Kopf brennt, alle Straßen hindurch; das Wasser in seiner Flasche erkaltet, er fürchtet die Vorwürfe seiner Kunden und holt daher in einer Brannteweinkneipe sich warmes.

Der Schlosser, Schmied und Sporer haben zu lange am Feuer gestanden; die Glut und die emporsteigenden Dünste des geschlagenen Eisens dürren den Gaum; ein eben eingeschmiertes Schloß ermuntert den Feuerarbeiter, auch seiner verrosteten Gurgel neues Öl zu geben, und so geht's denn raschen Tritts zur freundlichen Tränke.

Mit einem Wort: niemand kann in Leipzig sich besser befinden als ein spendender Wirt, und was Wunder, daß ihre Zahl Legion heißt?

Von früh acht bis abends nach zehn Uhr geht es unaufhörlich in Saufen und Jubel fort, und niemand lebt daher wohl strikter nach dem Gebote des Evangelii: Sorget nicht für den andern Morgen, als die meisten der ehrbaren Herren Bürger (das unaufhörliche Wüten des vornehmern Pöbels in jeder Art von Vergnügungen brauche ich gar nicht zu erwähnen!) in Leipzig.

Du müßtest aber auch wahrlich deine einzige Freude haben, wenn du einmal (denn die Zeit ist gleich) hierherkämest und die sonderbaren, oft ganz seltenen Machinationen Listen der hiesigen Wirte mit ansähest, die alle samt und sonders, bald auf diese, bald auf jene Art, sich angelegentlichst bemühen, die Sinne und Beutel ihrer respektiven Abnehmer und Gäste gleichmäßig im Trabe zu erhalten und nicht versauern zu lassen.

Die Finessen der meisten Wirte sind zu bekannt und allgemein gangbar, als daß man auch nur eine Minute zweifeln könnte, daß die Wirte des wegen seiner Aufklärung (?) so verschrienen Leipzigs auf den Stufen dieser sogenannten Kultur die letzten sein sollten, daß ich im Gegenteil bei aller mir angebornen und eigenen Wahrheitsliebe nicht umhinkann, sie als die ersten Lichter und Beförderer jener gerühmten Erleuchtung und Aufklärung hiermit öffentlich darzustellen und sie ihren übrigen Kollegen in und außerhalb Sachsen als Muster und wahre Archive der echten Gastierungs- und Traktierungs-Politik schuldigermaßen anzuempfehlen. Erfinderischer und spekulierender mag wohl selbst der schlaueste Taschenspieler kaum raffinieren können, um immer die Hände der erstaunten Zuschauer nach den noch vollen oder schon halb geleerten Ficken Tasche, Geldbeutel. zu leiten, als die hiesigen Hotelisten herab bis zu den elendesten Kneipiers unaufhörlich in dem Studium sich üben, das man vulgo Beutelfegerei nennt und worin sie denn wirklich zu einem so hohen Grade der Verfeinerung und Vollkommenheit sich emporgeschwungen haben, daß ich in dem Augenblick, als ich dies schreibe, keine Ungerechtigkeit begehen würde, sie mit den probatesten Magneten zu vergleichen, die auf die erstaunenswürdigste Weise alle klingende Münze an sich ziehen, womit etwa der fremde oder einheimische Gast ihnen zufällig zu nahe treten. Diese magnetische Kraft beweist denn auf alle Tage im Jahre ihre erwünschesten Wirkungen, vorzüglich aber wird sie dem Beobachter die Sommerszeit über auf mancherlei, oft seltene Art einleuchtend und sichtbar. Ich will nur einige Manoeuvres berühren, in denen sie sich in genannter Periode oft so sonderbar und lächerlich zu äußern pflegt.

Von Illuminationen, Vogel-, Scheiben- und andern Schießen mit und ohne lebendige Vögel will ich nicht sprechen, sie sind zu alltäglich; auch die Martins-, Fastnachts-, Ostern-, Pfingst- und überhaupt alle Festschmäuse samt den Invitationen und Fressereien bei Einweihung einer geweißten Gast- oder Schenkstube will ich ebenfalls mit Stillschweigen übergehen, sie sind auch in andern Städten, wiewohl etwas weniger, gewöhnlich; allein was sagst du zu Rosen-, Maien-, Veilchen-, Tulpen-, Nelken- und Weintraubenfesten, lieber Baron?

Du würdest überdem vielleicht diesen Unsinn und wirklich grobe Betrügerei noch weniger für wahr halten, wenn ich den Zusatz beifüge, daß oft in dem dürren Boden der Orte, wo diese eben gerühmten Naturfestins angestellt werden, weder Rosen, Veilchen, Tulpen und Jasmin, noch weit weniger aber Maien und Weintrauben emporzukeimen vermögen. Müssen daher die Wirte nicht lachen, wenn dem ohnerachtet Scharen nelken- oder tulpenlustiger Gäste herbeiströmen, zu verwelkten Blumen ihr schmachtendes Auge emporheben und unter verdorrten Violenkränzen für schweres Geld an abgeschabten Knochen herumnagen? Mundus vult decipi – ergo decipiatur. Die Welt will betrogen sein, darum sei sie betrogen.

Allein was wären alle Anreizungen und die verführerischesten Lockungen der schlauen Wirte nebst ihrem ganzen Gefolge, wenn die Leipziger nicht selbst vor ihr Leben gern sich reizen, locken, verführen und so kindisch folgsam von Leuten am Gängelbande führen ließen, die nun zum Unglück schon wissen, was ihr Steckenpferd ist!

Nie ist der Leipziger mehr in seinem wahren Element als bei Saufereien und Schmäusen; nie ist er froher, nie lustiger und zufriedener, als wenn er (wär's auch der letzte Heller!) beim Schenktisch mit Freuden seinen täglichen Tribut für gurgelversöhnende Trankopfer ausschüttet. Indes oft vielleicht im engen Dachstübchen Kinder und Gattin nach Brot schmachten, ängstlich seufzen, darben und hoffend der Rückkehr ihres Versorgers entgegenlechzen, von dem sie vertrauensvoll Speise, Trank und Trost erwarten, schwelgt dieser unter verworfenen Brüdern gleichen Gelichters, vergeudet den letzten Rest seiner geringen Barschaft, nach dem die Seinigen so jammernd die Hände ausbreiten, und verscheucht durch benebelnde Dünste auf Augenblicke die häuslichen Sorgen!

O lieber Baron, hier könnte ich dir schreckliche Auftritte schildern, aber bei dem bloßen schaudervollen Gedanken daran entsinkt meine Feder und mein ganzes Gefühl verschmelzt in bange Wehmut. Oh, was ist der Mensch für ein elendes, verachtungswürdiges und abscheuliches Geschöpf, wenn der lockende Ruf der Sinnlichkeit die ächzende Stimme der schwächeren Vernunft betäubt. Verdient wohl der Vater das Glück, gute Kinder zu besitzen, der die armen Hülflosen unverantwortlich dem Elende preisgibt, ihnen (entsetzlich und doch wahr!) den letzten Bissen Brot gewalttätig gleichsam vom Munde entreißt, um damit niedern elenden Lüsten zu frönen? Ich muß abbrechen, lieber Baron, mein ganzes Wesen empört sich beim Anblick der so tief gefallenen Menschheit.

Obige Bemerkungen glaubte ich notwendig vorausschicken zu müssen, da sie in der Folge vielleicht wichtiger werden dürften, als sie es jetzt scheinen. Wenigstens kannst du doch nun den richtigen Schluß ziehen, daß, wenn fortan von öffentlichen Orten die Rede ist, nie von Besuchern derselben etwas erwähnt werden darf, um so weniger, da dir aus dem schon angeführten nur zu deutlich erhellet, daß, wie in der ganzen Schöpfung kein Raum ohne Luft, so auch in Leipzig kein Vergnügungsplätzchen leer von Menschen männlichen und weiblichen Geschlechts sei und daß endlich wohl niemand in Leipzig mit dem Wasserkruge zu Grabe gehe, sondern die meisten an den Folgen übermäßiger Schwelgerei, zu vieler hitziger Getränke und einer unverzeihlichen Untätigkeit, also an Auszehrungen, Wassersucht, Gicht, Reißen und anderen Übeln sterben, von denen, dem Himmel sei's gedankt, die übrigen sächsischen Städtebewohner kaum dem Namen nach etwas wissen.

Man lebt hier, solange es geht, frißt und säuft, solange nur der Magen noch schwache Verdauungskraft hat, und schon im vierzigsten Jahre (oft dauert's nicht so lange) trennt sich der ausgemergelte Leib vom faulen Geiste mit dem süßen Bewußtsein: unserer Tage waren zwar wenig, doch habe ich dich in ihnen nie darben lassen, drum entbehre nun mit mir und lerne auch ohne Bierkrüge und Weinflaschen froh sein.

Ruht in Friede, ihr unersättlichen Prasser, – kühle Nacht schwebe um eure stets damischen Hirnschädel, und der Gesalbte des Herrn spricht zuletzt bei eurer Gruft über Leipziger Freß- und Faultiere – den Segen! Meine Ergießungen, lieber Baron, haben sich etwas weiter ausgebreitet, als ich anfangs wohl glaubte, und sie könnten vielleicht gar in vollen Schuß geraten, wenn mir nicht eben dein mürrischer Blick begegnete, der mich etwas unsanft und nachdrücklich an mein getanes Versprechen erinnert.

Genug also von den Leipziger Vielfraßen und hinüber zur Beschreibung der großen Funkenburg.

v. N. N.


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