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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Durch Bombays Straßen heult die Revolution–...

Groß ist die Verwirrung unter den Engländern in der Stadt. Es mangelt an Führern. Den Truppen fehlt die oberste Leitung. Bombays geistiges Haupt liegt erschlagen im Sande des »Blutackers.« Die höchsten militärischen und zivilen Machthaber sind nicht mehr. Die jüngeren Offiziere streiten sich erbittert um den Oberbefehl. Die Tommies, phlegmatische Burschen und unter Indiens saugender Sonnenglut nicht gerade geisteselastischer geworden, rasieren sich zunächst einmal in aller Gemächlichkeit das kaiserlich indische und königlich großbritannische Kinn glatt, ehe sie zum »match« mit den verachteten »Pandys« Mit diesem Schimpfnamen belegen die englischen Söldlinge die Sepoys nach dem ersten gehängten meuternden Sepoy Mungal Pandy. Antreten.

Denn durch Bombays Straßen fährt mit rasender Schnelligkeit einer entfesselten Windsbraut die festlich geschmückte Revolution. Gold, Schabracken, Farben, Lanzenspitzen, Reiherfedern, stahlblaue Klingen und blaugraue Flintenläufe sind ihr Schmuck.

Wo immer der Kampf am hitzigsten tobt, dahin fliegt in gewaltigen Sätzen vom Drucke der Schenkel gelenkt, das gold- und purpurgezäumte Schlachtroß des Nizam. Seine weiten weißen Beinkleider stecken in silbersporigen Stiefeln von rotem Korduan, reich mit Perlen bestickt. Unter dem flammend roten Ärmelüberwurf blinkt das Panzerhemd von Stahlringen hervor. In der rechten Hand blitzt bei der geringsten Bewegung der juwelenbesäte Handjar auf.

Und wo immer von der Spitze seines Turbanhelmes die zwei durch Stahldrähte befestigten wippenden Reiherfedern im qualmendsten Pulverdampf auftauchten, da schlugen die Herzen der Streiter höher und siegesgewisser. Mit dem schmetternden Klang von Fanfarenstößen aber trieb seine befeuernde Stimme die Tapferen zu noch größerer Tapferkeit an.

» Inshallah! In die Schlacht hinein, Söhne des Propheten, und färbt eure Klingen im Blute der unreinen Tiere. – Wallah! Wallah!«

Es stellt sich der Feind. – Jedes Haus, in dem ein Europäer wohnt, ist zur Festung umgewandelt worden. Alle Türen verschlossen und verriegelt. Die Läden verrammelt. Darunter hervor blitzen Gewehrläufe auf. Feuer und Rauch – Schall und Knall! Lebhaftes Feuer. Salven knatternder Gewehrschüsse–... Maschinengewehre bellen wie langgezogenes Geheul von Schakalen.

Dem Nizam wird das mutige Arabervollblut unter dem Leibe weggeschossen.

Schreie und Verwirrung.

»Der Nizam –! Der Nizam –!«

»Was ist's mit ihm? – Tot –?«

»Nein.«

» Mashallah! Gepriesen sei Gott! – Rache! Rache! – Stürmt das Haus dort!«

Das Haus wird gestürmt. Kolben sausen – Riesenhämmer. Krachend fliegt der Laden auf. Faringikörper schlagen dumpf auf das Pflaster auf. Was nicht zu Brei stürzt, das zerreißt die verstümmelnde Wut der Revolutionäre, zertrampeln die Hufe der stampfenden Rosse–...

Dort schleppt und zerrt man gefangene Engländer herbei. Fragende Stimmen:

»Wohin mit ihnen?«

»Ins Gefängnis.«

»Es gibt kein Gefängnis für Indiens Erbfeinde! Schlagt sie nieder, die Henker Allmutter Indiens!«

Im Nu sind die Gefangenen zu Boden gerissen und ihnen die Kehlen durchschnitten, noch ehe sie Zeit gefunden, auch nur » Goddam!« zu sagen.

Weiter wälzt sich der brandende Menschenozean. Aufwieglerische Freiheitslieder steigen.

Plötzlich ein Stocken.

»Was gibt's?«

»Barrikaden querüber!«

»Dann stürmen wir die Barrikaden!«

Die Barrikaden werden gestürmt. – Hinter der Deckung liegen die englischen Infanteristen im Anschlag. Den Finger am Abzughebel. Fluch- und Schimpfworte auf den Lippen, wie üblich. Denn man ist Gentleman, – auch als Tommy für acht Schilling den Tag. Fluchen gehört zum rauhen Handwerk. Sie fluchen. »Hell and damnation!« fluchen die Tommies. »Hölle und Verdammung!« Und schimpfen. » Bloody sons-of-a-bitch«! schimpfen die Tommies. »Blutige Hundesöhne!« Und: »Blutige Kaffirs!« und »Gott verdamme das blutige Gesindel!« – Alles ist » Bloody.« Sogar Jesus Christus.« » Jesus bloody Christ!«

Die Finger am Abzughebel. Das Auge visiert, Pulse hämmern. Und Herzen pochen an die Männerrippen.

Stimme des Leutnants:

»Kalt Blut bewahren, Männer! Laßt die Kanaillen ruhig herankommen auf zwanzig Schritte Distanz, dann lebhaftes Feuer. Ruhig und sicher zielen–... drittobersten Knopf.«

Der Befehl läuft wie Heckenfeuer von Mund zu Mund: »Zwanzig Schritte Distanz–... Ziel drittoberster Knopf.«

Stimme des Leutnants:

»Achtung – Feuer!«

Aus drei Gliedern, übereinander gestaffelt, fährt der stählerne Tod in die Reihen der anstürmenden Sepoys. Menschen plumpen zu Boden, schwer wie Maltersäcke. Und rühren sich nicht mehr. Andere werfen die Arme in die Luft und sinken hintenüber.

»Hurra für Alt-England!« hinter der Barrikade.

» Ram –! Ram –! Mahadeo!« vor ihr. Und: » Allah akbar! – Gott ist groß, und unser der Sieg! Tod den verruchten Blutsaugern!«

Die Gewehre fliegen herum, Kolben sausen wieder auf die Schädel, daß es kracht, wie wenn Holzklötze gespalten würden. Ein Sepoy und ein Engländer rennen sich zur selben Minute die Bajonette in den Leib. Keiner weicht dem andern. Und bereits tot, stehen sie immer noch da, mit den Bajonetten im Leib sich gegenseitig stützend.

Keine Stimme des Leutnants mehr. Tot – –

Über zuckende Leiber rennen die Sepoys gegen das nächste Hindernis an.

Dort drüben überm Square liegt die Zitadelle, der letzte Zufluchtsort der schwerbedrängten Engländer. Auf der rechten Seite des Squares ein heidnischer Tempel. Von ihm sollte kein Stein auf dem anderen mehr bleiben–...

Maschinengewehrabteilungen halten die Zufahrtsstraßen zum Square besetzt, sperren ihn mit einem lebendigen Drahtverhau todbringender pfeifender Projektile ab. Dahinter halten, hoch zu Roß, zum Einhauen auf den fliehenden Feind bereit, die Sikhs. Zwei Schwadronen. Beide noch englandtreu. Jung-Inder, Parsen und Mohammedaner, auf eine oder die andere Art in ihren religiösen Sitten aufs tiefste verletzt, rücken einträchtig im Hasse gegen den gemeinsamen britischen Zwingherrn hinter der Sperre vor. würde sich nicht auch für die Hindus der religiöse Anstoß finden, der sie mit ihren Stammesbrüdern gegen den Allfeind Front machen ließe?

Unbeweglich halten die hinduistischen Sikhs und hoch zu Roß, des Signals zum Einhauen gewärtig.

Reihenweise mäht das tackende Maschinengewehrfeuer die Anstürmenden nieder. In Wellen bricht der Tod herein. Hunderte sinken hin, Tausende drängen nach. Fanatiker, die den Wert dieses unvollkommenen Lebens gering achten, da die Vollkommenheit einer schöneren Welt drüben aufleuchtet und ihnen zuwinkt: »Auf Seelen – zu mir! Zu mir –!«

Von den Wällen der Zitadelle her starren, düster und hohl, die großen Augen der abschußbereiten englischen Geschütze in das Kampfgetümmel. Bei dem geringsten Anzeichen von Verräterei würde der eiserne Tod den Sikhs in den Rücken hageln. Die Sikhs wissen das. Sie wissen auch, daß im großen Aufstand manch eines Meuterers Rücken dicht vor der Kanonenmündung festgebunden war. Und es dann Fleischfetzen regnete.

Das wissen die Sikhs, und halten, ohne Wimperzucken, hoch zu Roß, auf dem Platz vor der Zitadelle mit den dräuenden Geschützesrachen, – des Signals zum Einhauen gewärtig.

Rechterhand liegt ein heidnischer Tempel.

Die machtvolle hindostanische Kuppel, über und über mit Gold bezogen, nimmt dem Bau, besonders wenn wie jetzt der scheidenden Sonne glattes Gesicht gar eitel sich darinnen spiegelt, viel von ihrem burgartigen Trutzcharakter. Von des Tempels Zinnen hingen blinkender Metalle Platten, die ein uralt Sturmlied singen, das gewaltig dröhnt und saust, wenn der Wind darinnen braust–...

Heiserer wird es und verstummt langsam das Bellen der glühenden Maschinengewehre. Da setzen die Empörer zum letzten, großen entscheidenden Sturme an, rennen die Bedienungsmannschaften nieder.

»Heil Osman Khan Bahadur dem Siegreichen!« Langsam, jeden Zollbreit Fußbodens erkämpfend, rücken die Kinder der Revolution über den Platz vor.

Und noch immer halten die Sikhs unbeweglich, des Signals zum Einhauen gewärtig.

Der Nizam von Haidarabad prescht den schaumbedeckten flockenden Araberhengst an die Seite des Pferdes von Mr. Harry Webster. Mann und Roß wie aus einem Guß. Eiserne Ruhe auch auf den Zügen des Deutsch-Amerikaners. Aus des Nizam funkelnden Augensternen springt ihm eine brennend heiße Frage mitten ins Gesicht – –

»– – –«

Der Detektiv hebt flüchtig die kühlen, blauen Augen vom Zifferblatt seines Chronometers in der vorgehaltenen linken Hand auf. Und während der lange Sekundenzeiger im Tempo des beschleunigten Herzschlages eines Renners, der unter Ducken und Strecken seinen Körper dem heißumstrittenen Ziel entgegenschleudert, die letzte Runde auf voll abspurtet, beantwortet der Detektiv, kalt und kurz, die brennende Frage:

»Noch eine Viertelsekunde, Hoheit!«

Da – Schlag 6 Uhr abends, am Tage des Moharramfestes–... mit einem Male, urplötzlich – ein dröhnender Donnerschlag! So gewaltig, daß die Lüfte bersten und alle Scheiben der umliegenden Häuser auf Meilen hin aus dem Rahmen splittern.

Gelassen steckt der Detektiv den Chronometer in die Tasche.

»Auf die Sekunde genau, Hoheit,« bemerkte er ohne jede Spur von verstecktem oder offenem Eigenlob zu dem Nizam. »Und nun hinein in den wogenden Kampf der Entscheidung!«

Im Augenblick ist er wie ausgewechselt. Glühender Tatendrang durchpulst ihn von oben bis unten. Dem zwingenden Schenkeldruck gehorchend – mehr bedarf es für den geborenen Reiter nicht –, setzt sein Roß mit bäumenden Sätzen in die erste Reihe der Stürmenden vor. Ihm zur Seite der Nizam. Er selbst trägt die geheiligte grüne Fahne des Propheten in der Linken. Bei seinem Anblick rast das Volk vor Begeisterung und Kampfeslust.

» Ram –! Ram –! Mahadeo!« – »Jai – jai – kar!«

Und alle übertönend, von dort her, wo die Sikhs halten, hoch zu Roß, des Signals zum Einhauen gewärtig, plötzlich die gellende Stimme eines weißbärtigen Brahminen:

»Heldensöhne Cartikeias! der Kriegsgott selbst hat uns ein Zeichen vom Himmel gesandt. Tapfere Sikhs, wendet euch augenblicks gegen die Feinde des erzürnten Gottes und Indiens!«

Hinter den Sikhs dräuen die aufgerissenen Feuerschlünde der Zitadelle.

Der Tempel aber steht nicht mehr. Rauch, Flammen und ein ungeheurer Trümmerhaufen bezeichnen seine frühere Stelle. Die von Webster eingesetzte Höllenmaschine im Innern des Götzenbildes hatte ganze Arbeit getan. Kein Stein war auf dem andern geblieben. Quadern von riesigem Ausmaß hatte die Gewalt der Explosion umher geschleudert wie Gummibälle, weißglühende Lavaströme geschmolzenen Metalles fressen sich ein neues Bett in das zischende Pflaster. Die Erde zittert unter Feuer, Qualm und Flammen. Mächtige Garben stößt sie in den brandigen Himmel hinein, Feuerodem, glühender denn der von tausenden von Essen, haucht die sinkende Sonne an, daß sie erblindet. Weithin über den Square entrollt die Feuersbrunst ihr purpurnes Panier. Mit wildgewaltiger Gebärde greifen rauchhaarige Flammenarme über den Square und bedrohen die Zitadelle.

Nicht eine gellende Stimme mehr befeuert jetzt die des Signals zum Einhauen immer noch harrenden Sikhs; nein –, zehn, zwanzig Brahminen werfen gleichzeitig wie auf geheimen Befehl den verdeckenden Stahlhelm ab, und siehe da! – dem überraschten Auge ihrer benachbarten Reiterkameraden zeigt sich ein kleines rundes Stückchen weißen Tons von der Größe einer Oblate, das auf ihren Stirnen über der Nasenwurzel aufgeklebt ist und dort von zwei dünnen, um den Kopf verlaufenden Goldfäden festgehalten wird. Es ist der »Tilluk«, das Abzeichen der geistlichen Brahminen erster Klasse.

Da weicht die steinerne Ruhe von den mahagonibraunen Gesichtern der Sikhs, und die helle Lust am Männerstreite und die Freude am Ritt auf Leben und Tod springt ihnen ins Blut, wie auf Kommando reißen sie ihre Pferde herum und sprengen gegen die Zitadelle an. Ihnen vorauf schrecklich zu hören für die Ohren der bestürzten Engländer – fliegt auf rauchenden Adlerschwingen ihr brausender Schlachtruf:

» Ramchandri-ky jai!«

Da öffnen die Geschütze von den Wällen der Zitadelle den ehernen Mund. Ein Brüllen – Zug um Zug – entstürzt den glühenden Schlünden. Mit beiden Händen zugleich wirft der Tod die eiserne Saat aus.

Ein Kommando, Blitz, Rauch und Donnerschlag. Noch ein Kommando. Blitz, Rauch und Donnerschlag wie zuvor. Kommandos ohne Unterlaß.

»Erste Batterie-iih – erstes Geschütz – Feu'rrr!«

Ein riesiger Wattebausch steht dick und schwer dem Geschütz vor dem Munde. – Und:

»Erste Batterie – iih – zweiter Geschütz – Feu'rrr!« – Und:

»Zweite Batterie – iih – erstes Geschütz Feu'rrr!«

Und ohne Unterlaß: »––... t'rie – iih–... schütz – Feu'rrr!!!« – Ohne Unterlaß.

Die erste, die zweite–... zehnte–... zwölfte Kartätschenladung fegt vernichtend über den Square, Wie prasselnde Sandtromben. Der kompakte Kampfkörper der attackierenden Reitermassen wird förmlich durchsiebt. Vorwärts –! nur immer vorwärts–...!

» Ram –! Ram –! Mahadeo!« – »Jai-jai – kar!« – »Ramchandri-ky jai!«

Über den Häuptern der Freiheitshelden rauscht die grüne Fahne des Propheten.

Die ersten haben bereits die Wälle erklommen. Das Tor kracht in Trümmer. Ein letztes wütendes Handgemenge. Brust an Brust wird gekämpft, gerauft, gebissen, gemordet. Menschen zerfleischen sich, schlimmer wie Dschungelbestien. – Kein Pardon–... nein, kein Pardon –!

James Thompson, englischer Hauptmann, stellt sich dem Nizam in den Weg –

» England fff –« –

Da hat auch schon der blitzende Handjar des Inderfürsten dem letzten Verteidiger der Zitadelle den Schädel gespalten.

» England for ever!« hatte der Hauptmann rufen wollen, »England für immer!«

» England never no more – not in India!«

Jauchzend und sich hoch aufrichtend im Bügel hat der Nizam diesen Schrei ausgestoßen. Und gleich als müßte er seine Lippen, die sich der Sprache der vernichteten Erbfeinde bedient hatten, wieder entsühnen, spukt er dreimal verächtlich zu Boden.

Harry Webster wiederholt den Bannfluch des Inders in deutscher Sprache:

»England nimmermehr – nicht in Indien! – Und auch nicht auf den freien Meeren!« fügte er bedeutungsvoll hinzu und prophetisch.

Ihnen zu Häupten rauscht die grüne Fahne des Propheten–...

Tausende von Müttern werden droben in England das graue Kriegselend jetzt von Angesicht zu Angesicht schauen. Sie werden trauern um die erschlagenen Söhne und ein großes Weinen und Wehklagen wird sein im ganzen Lande.

Das große Weinen der Mütter. –

Auf Indiens Fluren aber jauchzt eine Mutter ihrem neugeborenen Sohne zu. Sie hat die große schwere Stunde überstanden. Ein neuer Stern einer neuen Zeit ist aufgegangen in Morgenlanden.

Die Revolution hat gesiegt auf der ganzen Linie.

Triumphierend weht und rauscht frohlockend von der höchsten Zinne der eroberten Zitadelle die grüne Fahne des Propheten–...

Da wuschen sich und säuberten sich die Helden vom Blute der Erschlagenen. Und sie salbten sich mit arabischen Spezereien und betupften ihre Haare mit indischen Duftwässern. Und ein jeder legte sein kostbarstes Gewand an, das die Truhe barg. Denn der Tag rüstete sich zur Neige, und der Mond konnte jeden Augenblick heraufkommen. Dies aber war der Tag des Moharram, der dritte und letzte Tag unserer Geschichte, der erste Tag der ersten Monats des mohammedanischen Mondjahres, der nach altüberlieferter islamitischer Sitte besonders festlich und feierlich begangen wird.

In einem Triumphzug ohnegleichen wurde der Nizam von Haidarabad von der Zitadelle nach dem Regierungspalast geleitet und hier von den enthusiasmierten Indern feierlich zum Kaiser von Indien ausgerufen. Als sich die Spitze des Zuges in Bewegung setzte, wandelte sich die Zitadelle in einen qualmenden, feuerspeienden Vulkan.

101 Salutschüsse mußten die englischen Geschütze dem siegreichen Kaiser mit auf den Weg geben.

Den tapferen Sikhs war die Ehre zuerkannt worden, den märchenhaften Aufzug zu eröffnen. Lustig und graziös tänzelten die schmucken Rosse und warfen, gleich als fühlten sie die Freude ihrer stolzen Reiter mit, die dralle Hinterhand zum Rhythmus der schmetternden Armeemärsche rüber und nüber. Auf Gesicht und Uniformen der Sikhs lag noch die kalkige, staubige, krustige Patina der männermordenden Schlacht. Sie hatten gebeten, dies Ehrenkleid anbehalten zu dürfen. Den anschließenden Sepoys vorauf schritt ebenfalls eine Schar von Musikanten, die auf Tamburins, Trommeln, Pfeifen, Hörnern und Metallbecken einen gewaltigen Lärm verursachten.

Sodann kamen die hundert Kameltreiber auf dem schwankenden Rücken der Wüstenschiffe dahergefahren. Dahinter marschierte in einem Paradeschritt, der sich sehen lassen konnte, zum mindesten aber sich hören ließ, die glänzende Leibgarde des prunkliebenden Inderfürsten in schneeweißen Tschodas und rotbesprenkelten, pfauenfedergekrönten Turbans. Und wiederum Musikanten, voll löblichen Fleißes, wenn auch nicht gerade harmonisch, Kesselpauken, Zimbeln, Becken und Flageoletts bearbeitend.

Das Erscheinen der Fußleibwache kündete die Ankunft des gefeierten Herrschers selbst an. Diese Elitetruppe, ausnahmslos sehnige, gut gewachsene Gestalten, waren äußerst farbenprächtig uniformiert, hatten die frisch geölten Schnurrbärte gar martialisch über die Ohren gestrichen und trugen blanke Metallhelme und blitzende Speere mit Feierlichkeit und Würde. Sie sind die Hartschiere des fürstlich haidarabadischen Hofes.

Endlich nahte die Hauptgruppe des Zuges. Tausendfältiger Glanz glitzert um die Person des Nizam her. Geradezu feenhaft zu nennen ist das Funkeln und Gleißen der Diamanten und Brillanten und Edelsteine verschiedenerlei Art. Gleich als habe sich die Glorie der ewigen Himmel selbst in einem feurigen Regen über den Nizam ergossen. Voll der Majestät thront der Nizam, angetan mit dem großen Staatsprunkgewande, unter dem kostbaren Baldachin des Tragsessels auf dem Rücken des Elefanten, dem die goldgewirkten, scharlachroten Samtdecken bis über die Knie herabfielen. Den Kopf des Elefanten zierte ein goldener Pfau, von dessen radförmig gespreiztem, edelsteinbesetztem Gefieder ein so intensives Geleuchte ausging, daß man vermeinte, die ganze weite, flimmernde Milchstraße habe sich zur Erde herabgelassen.

Auf des Fürsten ausdrücklichen Wunsch hatte Mr. Harry Webster, der Detektiv und »Erste Staatsminister«, wie ihn der Fürst scherzweise genannt hatte, in der fürstlichen Haudah zur linken des Nizam Platz nehmen müssen. Dahinter auf dem Sattel des Reitelefanten kauerte ein Mohrenknabe, der obschon es gar nicht mehr so heiß war, unablässig mit einem riesigen Pfauenwedel Kühlung fächelte.

Kecke Reiter, prächtig herausgeputzt, umschwärmten auf flinken Rossen den Mittelpunkt des Zuges. Minister und Marschälle und Schranzen – einer immer den anderen an Prunk überbietend –, und der ganze große Hofstaat reihten sich an. Dahinter führte man die hundert Elefanten des Nizam im Zug einher, rot blau und gelb bemalt, mit vergoldeten Stoßzähnen und Schwänzen. Und jedesmal, wenn ihr bevorzugter Bruder vorne, der kaiserliche Leibelefant, einen markdurchdringenden Trompetenstoß von sich gab, fiel der ganze Chorus der ungeschlachten Dickhäuter mit ein. Den Beschluß endlich bildete ein Gewimmel von Dienern aller Grade und Art.

An die fünfzigtausend Menschen drängten und schoben und pufften sich durch die Straßen, die der Zug nehmen mußte. Sie wurden nicht sobald des Herrschers ansichtig, als sie ein Beifallsjauchzen ohne Maß und Ende erhoben. Die Jugend, ausgelassen wie unter allen Breitegraden, brannte in ihrer hellen Freude und Begeisterung Frösche und Schwärmer ab. In aller Eile waren die Häuser festlich beflaggt worden. Ketten von Jasminzweigen spannten sich als improvisierte Triumphbögen über die Straßen. Lampions und chinesische Ballons fehlten gleichfalls nicht. Lodernde Feuerbecken säumten die Straßen. Ihr wohlriechendes Harz sandte Wolken duftigen Rauches in die Lüfte.

Endlich war es doch so weit, daß der Triumphzug – dieser strahlende, Wirklichkeit gewordene Märchengedanke aus Tausend und einer Nacht – auf dem Platze vor dem Regierungspalast anlangte. Mr. Webster war, als der Leibelefant zum Stehen gekommen war, rasch zur Erde gesprungen, und als der Nizam von Haiderabad über die kleine vergoldete Leiter zur Erde niederstieg und gewissermaßen zum erstenmal den Boden seines neuen Kaiserreiches betrat, da salutierte der Deutsch-Amerikaner mit dem Degen und rief mit weithin schallender Stimme aus:

»Heil Osman Ali Khan Bahadur dem Siegreichen, dem erwählten Kaiser von Indien!«

Donnernd nahm die Menge den Heilruf auf. Frenetischer Jubel, ein Begeisterungstaumel ohne gleichen. Und »Heil ihm! Heil!« brandete es vieltausendstimmig von allen Seiten. Dröhnend begrüßte der eherne Mund der Geschütze den neuen Kaiser. Die Elefanten warfen salutierend die Rüssel hoch und stießen ohrbetäubende Trompetenstöße aus. Von der allgemeinen Begeisterung hingerissen, schlugen die Krieger Schwerter und Schilde aneinander. Raketen schwirrten ins Blaue, explodierten und gingen als vielfarbiger Funkenregen wieder hernieder. Prasselndes Feuerwerk wob eine leuchtende Krone über der Estrade, auf der der junge Kaiser stand, die Huldigungen des Volkes entgegenzunehmen, und sämtliche Kapellen intonierten die Maharadscha-Hymne.

Und wie von der Zinne der Zitadelle, so wehte auch vom Turme des Regierungspalastes die grüne Fahne des Propheten.

Am östlichen Horizont aber kommt strahlend die Silbersichel des Halbmondes heraufgezogen. – Moharram–...!

Da sinkt Osman Ali Khan Bahadur der Siegreiche, Kaiser von Indien, gläubig in die Knie, faltet seine Hände über der Brust und betet:

» La allah il allah –!«

Und alles Volk antwortet ihm und spricht:

» – wil Mohammed raschul allah.« – »Es gibt nur einen Gott, und Mohammed ist sein Prophet.«

Und der mächtige Kaiser, dem Allmächtigen, Allerhöchsten allein die Ehre gebend, beschließt die Andacht mit dem demütigen Schlußrufe:

» Allah akbar!« – »Gott allein ist groß!«

*

Malabar Hill. – 7 Uhr abends am Tage des Moharramfestes.

Wie vor Jahrtausenden schon rauscht der Ozean um die Halbinsel Malabar Hill. Heute noch, wie vor Jahrtausenden schon, besteht sein hohepriesterliches Amt darin, auf seiner Riesenorgel den toten Parsen auf der Plattform der »Türme des Schweigens«, die alle auf Malabar Hill östlich von Bombay liegen, die grandios-schwermütige Totenklage zu spielen. Leidenschaftlicher, wilder und weher dröhnen heute die ergreifenden Akkorde. Denn es ist ja die Stunde, wo die arme Durlana – ach! und das Kind war doch so unschuldig und so jung und gar zu schön! – nach dem Brauch ihrer Religion bestattet werden soll.

Schweigsam bewegt sich der durch seine Schlichtheit und stummen Ernst großartig wirkende Leichenzug unter Beteiligung nahezu aller Parsen Bombays auf die »Türme des Schweigens« zu. Hier ist nicht Raum für lauten Menschenschmerz. Das große Schweigen der Gotteseinsamkeit hält alle Dinge hier umfangen. Es schweigt selbst der greise, schwergeprüfte Dschamsedschi Dschidschibhai in seinem größten tiefsten Vaterschmerz. Denn hier ist der Ort der »Türme des Schweigens.«

Lautlos öffnet sich die schwere Tür zu dem gewaltigen Massiv des kreisrunden Turmes, und lautlos wie eine ziehende Wolkenprozession, gleitet der schattenhafte Zug durch die umdunkelte Torfahrt. Eingehüllt in blütenweiße Linnen trägt man des Jungmägdeleins Leichnam in das Turminnere. Auf der mittleren Plattform der drei nach innen geneigten, in der Mitte offenen konzentrischen Kreise wird die Bahre niedergesetzt und Durlanas Leiche auf Leisten gelegt, die genau der Länge und Breite des Körpers entsprechen – genau so, wie Dschamsedschi es damals in seinem Gesicht erschaut hatte. Derselbe Vorgang wiederholte sich mit einigen Abweichungen nochmals auf der äußeren Plattform. Auch hier legte man einen Menschenkörper auf Leisten, die seiner Länge und Breite entsprachen.

Dieser Mensch aber lebte noch!

Wachen Sinnes muß er Furchtbares über sich ergehen lassen. Die wahnsinnige Todesangst in ihm zerrt und reißt an den Fesseln, die nur desto tiefer, unbarmherziger in das Fleisch einschneiden. Er hört, wie sich die Leidtragenden immer weiter entfernen.

Nun ist er ganz allein – allein in der Gesellschaft von Toten–...

Von unten die orgelnden Akkorde des Meeres.

Durlâna hört es nicht. Durlâna schläft längst. – Gute Nacht, arme süße Durlâna! – Orgle leiser, Meer!–...

Leiser orgelt das Meer und immer leiser. Kein Menschenlaut mehr weit und breit. Die Luft ist vollständig angefüllt mit Schweigen. – Doch nein –

Was rauschet mit düsterem Schlag durch die Luft?

Geier und Raben.

Was schnarren die Geier? was krächzen die Raben?

Rache sie schnarren und krächzen Vergeltung–...

Ja, Rache und Vergeltung! –

O du allgewaltiges, unfaßbares Schicksal! verschone uns und sei uns allen gnädig am Tage des Gerichtes! –

Nieder senken sich die gefiederten Rächer der Lüfte.

Groß ist das Schicksal, streng und gerecht. Die stete Todesangst und das peinigende Alleinsein mit seinen Sünden und das lastende Schweigen ringsum – sie machen dem Verdammten das Blut in den Ohren brausen und narren ihn mit der »Erlösung«, so daß er in jeder Minute volle sechzigmal die Strafe erleiden muß, bis die schleichende Angst den Menschen getötet haben wird.

O du allgewaltiges, unfaßbares Schicksal, verschone uns und sei uns armen Menschen allen gnädig! –

Langsam steigt im Osten die Mondsichel über den Rand des Ozeans. Und als der nächtliche Wanderer am weiten Himmel dem Gerichteten in das angstverzerrte Gesicht leuchtet, da erkennt er, daß drunten auf der Erde, auf der äußeren Plattform der »Türme des Schweigens,« die größte Sünde seines Lebens, die auch nach dem Tode nicht vergeben wird, weil es eine Todsünde gewesen wider den Heiligen Geist der Menschlichkeit, abgestraft wird am Leibe des Polizeirats Mr. John Rocket – – –

O du allgewaltiges, unfaßbares Schicksal, verschone uns, – o so verschone uns doch und sei uns armen Sündern allen gnädig!


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