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Erstes Kapitel.

Wer immer unter der Bombayer englischen Gesellschaft Anspruch auf Beachtung erhob, hatte der ehrenvollen Einladung des Gouverneurs von Britisch-Bombay zur Galatafel im Taj Mahal Palace zu Ehren des Nizam von Haidarabad, des mächtigsten der indischen Fürsten, mit geschmeicheltem Stolze Folge geleistet.

Unaufhörlich rollten knatternde Kraftwagen oder schwerfällige indische Zebugespanne vor das Hotelportal, je nachdem ein englischer oder einheimischer Gast anlangte. Denn es ging an diesem Feste zu Ehren eines indischen Fürsten nicht gut an, die eingeborene Gesellschaft zu schneiden. Gleichwohl fanden die Engländer noch reichlich Gelegenheit, auch an diesem Abend sich in die gewohnte frostige Atmosphäre ihrer hochmütigen Abgeschlossenheit einzuhüllen wie erdenentrückte, wolkenverschleierte Gletscherhäupter.

Bis zum Beginn der Galatafel, die Punkt sieben Uhr Bombayer Ortszeit angesetzt war, ergingen sich die Gäste draußen auf der kühlen, schattigen Hotelterrasse mit der unvergleichlichen Aussicht über den Apollo Bandar weit hinaus auf das schimmernde, von der scheidenden Sonne Glut in Feuer und Flamme getauchte Meer. Andere Gäste hatten sich auf die steinernen Bänke der märchenhaft schönen Palmenhöfe mit ihren plätschernden, glänzenden Springbrunnen niedergelassen, und wiederum andere lustwandelten durch die weiten Hallen und Säulengänge dieses weltberühmten Riesenhotels, das den glanzvollen Namen des Mausoleums zu Agras trägt und von einem steinreichen Parsen erbaut wurde.

In bewundernswerter Weise hat es der Architekt verstanden, den Grundzug des indischen Nationalcharakters: Weichheit der Empfindung und eine lebhafte Glut der Phantasie mit der kühlen Zweckmäßigkeit zu vermählen und so eine steinerne Dichtung erstehen zu lassen, die die üppige Märchenpracht des Orients mit dem raffinierten Komfort des Abendlandes aufs glücklichste und harmonischste in sich vereinigt.

Kurz vor sieben Uhr strömten die Geladenen von allen Seiten im großen Empfangssalon zusammen, um der Ankunft der hohen Herrschaften entgegenzuharren. Wie von selbst oder gleich als habe ein strenger, auf Wahrung der Förmlichkeiten gewissenhaft achtender Zeremonienmeister dies so angeordnet, gruppierten sich die Engländer rechterhand der Eingangstür, während die Einheimischen zur Linken Aufstellung genommen hatten. Sie trugen mit vornehmem Anstande die malerische Landestracht, mit kunstvollem Wurfe den weißen Sarong um die Hüften geschlungen. Die Gentlemen, soweit sie sich nicht den in Galauniform paradierenden Militärs zuzählten, waren im Frack erschienen. Die Ladies, in der Mehrzahl semmelblonde, schmalbrüstige Geschöpfe mit bläßlichem Teint und nichtssagenden wasserblauen Augen und alle in großer Toilette, gaben sich ersichtlich, aber ohne nennenswerten Erfolg, Mühe, die in ersten Pariser Schneiderwerkstätten angefertigten Gewänder mit der erforderlichen Grazie und Eleganz zur Schau zu tragen.

Punkt sieben Uhr verkündigten schmetternde Fanfarenstöße die Ankunft des Gouverneurs und seines erlauchten Gastes.

Mit der Würde eines geborenen Monarchen hielt der Gouverneur Zirkel ab, indes der Nizam von Haidarabad genug abendländische Kultur bewies, um einige der Lords und Geldmagnaten ins Gespräch zu ziehen.

Hierauf ordnete sich der glänzende Zug, um paarweise und unter Vorantritt eines von Fackelträgern flankierten, reichbetreßten Tafelordners in den prunkvollen, mächtigen Eßsaal einzuziehen. Während der Dauer des Einzuges blies das in grellroten Paraderöcken steckende Trompeterkorps des Bombayer englischen Infanterieregiments das » God save our gracious king–...« und die neue, von einem geschäftstüchtigen Tondichter komponierte Maharadschahymne.

An der Tafel saß der Nizam ziemlich gelangweilt zwischen dem steifen Gouverneur und seiner noch steiferen Gemahlin. Fische und Austern bildeten neben Curry mit Reis die Hauptgerichte der reichhaltigen Gängeordnung. Dazu wurden verschiedene Sorten leichten Tischweins gereicht, sodann französischer Champagner und Whisky mit Soda.

Scharen von weißgekleideten, nacktfüßigen Hindus huschten geräuschlos durch den Saal und schleppten immer neue dampfende Silberplatten heran. Ein jeder einzelne hatte seine bestimmte Verrichtung, die zu erfüllen ihm nur allein zukam. Außerdem war zur persönlichen Bedienung einem jedem Gaste ein indischer Boy zugewiesen worden, der hinter dem Sessel seines Herrn Aufstellung genommen hatte und des leisesten seiner Winke und Befehle harrte.

Die mächtigen Kandelaber verstrahlten eine berauschende Fülle blendenden Lichtes, das gegen die feingeschliffenen, von der Decke bis zum parkettierten Fußboden reichenden venetianischen Spiegelgläser anbrandete wie leuchtende Meereswogen gegen hochgetürmte, schroffe Felsen und in ewig flutender Bewegung sich wieder zurückergoß und alles mit seinem weißgleißenden Schaume überschwemmte. Es badeten sich in seiner Silberflut die schweren, schneeig schimmernden Damastdecken und die blinkenden Silberbestecke und die schweißbeperlten Sektkühler. Das Licht trieb sein harmloses Spiel mit den spiegelnden Glatzen einiger Herren und zauberte sanft erglühende, breit lachende, satte Vollmonde hervor. Es drückte seine flammenden Lippen gegen die hochgestielten Sektkelche und kühlte deren Glut in dem perlenden, goldgrünen Naß.

Tausendfältig blitzendes Leben weckte das göttliche Lichtauge, das gewaltig strahlende, aus dem kostbaren Demantschmucke der Damen. Es brach sich in vielfarbigem Widerspiele an den glitzernden Ordenssternen der Kavaliere und umhüllte mit wabernder Lohe die goldstrotzenden Uniformen der Offiziere.

Und die Musik spielte dazu die lockendsten, glutvollsten Weisen.

Eine gütige Fee schien dieses lachende, liebliche, zur Wirklichkeit gewordene Märchen aus dem unerschöpflichen Borne ihrer Zauberkraft hervorgelockt zu haben. Alle Dinge atmeten und verströmten Schönheit, Lieblichkeit und Anmut.

Nur die Menschen selbst waren trotz der lächelnden Larve, die sie sich geflissentlich vorgesteckt hielten, unfreundlich, böse und aller Aufrichtigkeit bar. Ihre Lippen sagten sich flüssige Artigkeiten, wie sie das unverdorbene Naturkind nicht kennt. In ihren Herzen aber lauerte Falschheit und Habsucht.

Zur Hälfte des festlichen Mahles blies das Trompeterkorps auf ein gegebenes Zeichen plötzlich einen kräftigen Tusch, und es erhob sich Seine Lordschaft der Gouverneur, der ränke- und würdevolle gemessene, steifleinene Gouverneur von Bombay, von seinem wappengezierten karmesinroten Sessel, klemmte das Goldgestell mit dem muschelförmig geschliffenen Einglas ins rechte Auge, in das listig blinzelnde, rötliche Fuchsauge, ließ den kantig gemeißelten Unterkiefer für eines Augenblickes Dauer schlaff herabhängen, wie um nach Luft zu schnappen; und erhob seine schnarrende, mahlende Stimme und hielt unter dem lautlosen feierlichen Schweigen der anwesenden Festversammlung folgende Tafelrede:

»Durchlauchtigster Fürst –! Ladies und Gentlemen!–... Zu einer Zeit, wo ein Krieg, dessengleichen die Welt bisher noch nie gesehen und schwerlich jemals wiedersehen wird, weil die mit Alt-England verbündeten Kulturnationen nicht eher das durch frevelhaften Übermut und eine maßlose imperialistische Eroberungssucht seiner Feinde den Ententemächten in die Hand gedrückte Schwert in die Scheide stecken werden, als bis wir mit der Niederringung einer barbarischen Horde von Kulturschändern und Weltstörenfriede die Garantien für einen dauerhaften Frieden in Händen halten – zu einer Zeit, sage ich, wo der klirrende Kriegsgott über die vordem so blühenden Gefilde des alten Europa stampft, daß das gewaltige Schüttern, so unter seinem wuchtigen Gigantentritte ausgeht, fern wirket selbst bis tief nach Asien hinein, der Wiege aller Kultur: zu einer Zeit, wiederhole ich, wo das Jahrtausende alte Weltgebäude aus den Fugen zu krachen scheint – zu dieser Zeit beehrt uns Seine Durchlaucht, Englands erhabener Freund, der Nizam von Haidarabad, mit seinem unschätzbaren Besuche, um vor den Augen der indischen Welt offensichtlich darzutun, wie treu und fest die Bande sind, die Indiens uralte Fürstengeschlechter mit der glorreichen, gerechten und milden Regierung Seiner Majestät des Kaisers von Indien, Georgs V., Königs von Großbritannien und Irland, verknüpfen.

Durchlauchtigster Fürst! – Ladies und Gentlemen!–... Der britisch-indischen Regierung ist es nicht unbekannt geblieben, daß in dieser ereignisschweren Zeit Subjekte im Volke umherschleichen, politische Agenten im Solde fremder, mit der königlich großbritannischen Regierung im Kriege befindlicher Staaten, um Haß, Zwietracht und den so gefährlichen Geist des Aufruhrs in die Herzen unserer treuen Untertanen zu säen. Die Regierung wird, wie ich bestimmt versichern kann, kein Mittel unversucht lassen, um diesen Individuen ihr fluchwürdiges, staatsverbrecherisches Handwerk zu legen, und gegen die Ertappten mit aller Schärfe und Strenge, die uns das Kriegsgesetz an die Hand gibt, vorgehen.

Wir sind alle Zeugen der unvergleichlichen, einzigartigen Staatsweisheit, womit Seiner Majestät Regierung die britischen Dominions in allen Teilen der Welt verwalten läßt, und nicht zuletzt unser blühendes indisches Kaiserreich selbst, dessen Wohlstand sich in den letzten Jahrzehnten ins Bewundernswerte gesteigert hat. In keiner Beziehung liegt also für unsere getreuen indischen Völker irgendein Grund zur Unzufriedenheit vor, umso weniger, als ich seitens des Vizekönigs von Indien und in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des englischen Parlaments feierlich zu erklären beauftragt bin, daß den berechtigten Wünschen unserer politisch mündig gewordenen indischen Völker nach einer Selbstregierung unter britischer Führung tunlichst bald Rechnung getragen werden soll, wie auch, daß den Indiern die hohen Stellen in Heer, Flotte, Diplomatie und Verwaltung zugänglich gemacht werden, sobald das Ende dieses Krieges herangekommen sein wird.«

Über die Stirnen der indischen Großen huschte ein leichter Schatten des Unmuts. Eine noch stärkere Wolke der Unzufriedenheit lagerte sich auf die Mienen der in ihrem Machtbesitz sich bedroht fühlenden englischen Lords und Offiziere. Einige Damen führten lebhafte Abwehrbewegungen mit ihren elfenbeinernen Straußfächern aus.

Dem Gouverneur war dieser Eindruck seiner Rede keineswegs entgangen. Nichtsdestoweniger fuhr er unbekümmert und mit gehobener Stimme zu sprechen fort:

»Durchlauchtigster Fürst! – Ladies und Gentlemen!–... Wir sind uns einig in dem, was dem britisch-indischen Reiche in dieser folgenschweren Zeit nottut. Seien Sie versichert, daß der Tag nicht mehr fern ist, an dem sich Seiner Majestät Regierung zu bedeutungsvollen, tiefeinschneidenden Reformen bereit zeigen wird. Um den Ausbruch dieses in der Geschichte Indiens ewig denkwürdigen Tages zu beschleunigen, dazu ist es nötig, daß wir keine Stunde unseres Lebens ermüden und ausharren in treuer Pflichterfüllung um das Wohl des großen Ganzen. Ein jeder wirke mit besten Kräften auf seinem Posten, auf den ihn das Vertrauen der Regierung berufen hat. Als ein glückverheißendes Symbol aber ferneren gedeihlichen Einvernehmens und verständiger Zusammenarbeit zwischen den angestammten indischen Fürstenhäusern und der Regierung Seiner Majestät begrüße ich die Anwesenheit unseres erlauchten Gastes, dessen erhabene Person wir nicht würdiger feiern können, als indem ich Sie, Ladies und Gentlemen bitte, Ihr Glas zu erheben und mit mir einzustimmen in den Ruf: Seine Erhabenheit der Nizam von Haidarabad – er soll leben–... Hoch – hoch – hoch!«

Die Europäer rückten mit ihren Sesseln von der Tafel ab, standen steif von ihren Sesseln auf, hoben die schäumenden Kelche gegen den zu feiernden Fürsten und brachten trocken und schwunglos sein Wohl aus, in das die Indier mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung gegen den Maharadscha aus überzeugtem Herzen einstimmten. Die Frau Gouverneurin lächelte aus Konvenienz ihr höflichstes, von einem frostigen Schimmer verklärtes Lächeln, gab einige geflüsterte Sibyllenworte in bezug auf Indiens glanzvolle Zukunft von sich und ließ ihr Glas mit dem des Fürsten zusammenklingen. Der gleichen Aufmerksamkeit befleißigte sich auch der Herr Gouverneur, nachdem er zuvor mit einem zerrhaften Kniff seiner rechten Wange und der buschigen Augenbraue das Einglas aus dem Auge geworfen hatte.

Vor den drittletzten Worten der Rede des Gouverneurs hatte der goldverschnürte Kapellmeister der Regimentsmusik den kunstvoll mit Schildkrot ausgelegten Elfenbeinstab emporgestreckt, und gleichzeitig mit den Heilrufen fiel die Musik mit drei kurz abgesetzten rauschenden, schmetternden, paukenden und wirbelnden Lebehochsätzen ein und intonierte sodann mit einem schwungvollen Auftakt abermals die Maharadschahymne, die von allen Anwesenden stehend angehört und von den Indern in ihrer heimatlichen Mundart mitgesungen wurde.

In seiner Erwiderungsrede dankte der Nizam von Haidarabad zunächst für die ihm dargebrachte Huldigung, die seinem Herzen sehr wohlgetan habe. »Es war mir ein besonderes Vergnügen,« fuhr er mit seiner merkwürdig verschleierten Stimme zu sprechen fort, wobei seine Lider sich plötzlich hochhoben, so daß sein großes, dunkles Auge mit einem Blicke die ganze erlauchte Festversammlung umspannen konnte und spiegelnd in sich festhielt, wie ein versonnener Bergsee die ihn umgebende Landschaft, – »aus dem Munde Seiner Lordschaft des Herrn Gouverneurs von Bombay die feierliche Versicherung entgegennehmen zu dürfen, daß sich Seiner Majestät Regierung zu bedeutenden, für die Wohlfahrt der indischen Völker äußerst segensreichen Reformen zu entschließen – gedenkt!«

Ein unmerklich feines, aus Zweifel- und Spottsucht gemischtes Lächeln spielte bei diesen Worten um die dünngeschnittenen Lippen des Maharadscha, die ein seidenweicher, schwarzglänzender Bart umrahmte.

»Was den Zeitpunkt der geplanten Reformen betrifft,« fuhr er fort, seine Stimme um einige Stärkegrade erhöhend, »so müssen wir gestehen, daß es Seiner Majestät Regierung in geschickter Weise verstanden hat, das Interesse der indischen Völker an einem baldigen und für die Waffen der Ententemächte günstigen Ausgang des Europäischen Krieges in hervorragendem Maße zu erregen. Es ist hier nicht der Ort zu untersuchen, inwieweit die indischen Mohammedaner mehr Anhänger des Propheten oder Staatsbürger und Untertanen Seiner Kaiserlichen Majestät sind, um einen Friedensschluß herbeizusehnen, der die islamitischen Länder in ihrer Würde kränken oder gar in ihrer selbständigen Existenz gefährden könnte. Jedenfalls halten wir uns im Namen der indischen Mohammedaner zu der öffentlichen Erklärung befugt, daß der Friede mit nachfolgender Verwirklichung der angekündigten Reformen uns alles bedeutet, ein Friede ohne Reformen aber –«

Weiter kam der Fürst in seiner Rede nicht.

Laut schrillte eine Frauenstimme durch den Saal:

»– das Signal zu einem allgemeinen Volksaufstande–... den Krieg der indischen Völker gegen die britische Regierung bedeuten würde!« schrie die Stimme vom unteren Ende des linken Flügels der hufeisenförmigen Tafel her.

Ein Zwischenfall –!

Ein hochbedeutsamer und über alle Maßen peinlicher Zwischenfall.

Die britische Geheimpolizei hat trotz sorgsamster Nachspürungen und Überwachungen durch politische Agenten nie ganz in Erfahrung bringen können, inwieweit sich diese spontane Ergänzung einer exaltierten Frau mit dem Sinne gedeckt haben würde, den der unterbrochene Nizam von Haidarabad seinem ausgefallenen Nachsatze möglicherweise hätte geben können.

Unbeschreiblich groß und verwirrend jedenfalls war die Wirkung dieser Worte auf alle Anwesenden.

Für die Dauer eines Augenaufschlages stand ein wildfreudiges Leuchten im Blicke des indischen Fürsten, der wie ein gradliniger Blitz nach der Stelle hinfuhr, wo der aufrührerische Zwischenruf gefallen war. Im nächsten Augenblick hatten sich seine Lider schon wieder über das große, majestätisch strahlende Auge gesenkt. Jede Spur einer inneren Bewegung war aus seinen Mienen ausgelöscht. Auch nicht das leiseste Zucken eines unbeherrschten Nerves in dieser scheinbar zur Todesstarre schon vorgeschrittenen Maske verriet den mißtrauisch spähenden Luchsaugen des Gouverneurs etwas von der wilden Freude, die wie eine sengende Feuersäule die Brust des Inders durchzog.

Der Gemahlin des Gouverneurs dünkte die Verpflanzung »parlamentarischer Unsitten«, wie sie es bei sich nannte, in die Gesellschaft als ein fluchwürdiges Verbrechen an den guten Sitten, das gar nicht hart genug geahndet werden könne. Nur mit Mühe und mit äußerster Selbstbeherrschung unterdrückte sie ein: » Shoking –!« und: » Terrible –!«, die ihr die Zungenspitze schier abdrücken wollten und die sie doch nicht von sich geben durfte – aus Gründen des guten Tones, wie sie meinte.

Eine um so beredtere Gebärdensprache führte ihre befächerte Rechte. Schwerthiebe waren es, die sie mit dem Fächer vollführte, – scharfe, pfeifende Schwerthiebe, wovon ein einziger ehrliche Absicht genug besaß, mit einem scharfen Streiche der Verbrecherin das Haupt vom Rumpfe zu trennen.

Was mußte ihr erlauchter Gast, der Fürst, von dieser Ungezogenheit, ihm ins Wort zu fallen, noch dazu in ihrem, der Ladyship, Beisein denken?–... War es auch nur ein indischer Fürst – so doch immerhin ein Fürst! – » Indeed – shocking!«

Als wäre ein Föhn über sie dahingestoben, waren die englischen Lords aus ihrer eisigen Gentlemansruhe plötzlich aufgetaut. Zornig blitzten unter den krausen umbuschten Stirnen ihre sonst so kühlen Blicke hervor und nahmen die kühne Sprecherin unter ein bedrohliches Kreuzfeuer.

Diese jedoch, eine hagere Dame mit energischen, nicht gerade unschön wirkenden Gesichtszügen, hielt die feindseligen Blicke ruhig aus. Von ihrer fast zu hohen Stirne leuchtete wie im Triumphe der promethäische Trotz einer starken Seele. Ihre Tischnachbarn zur Rechten und zur Linken waren mit einer auffallend lächerlichen Hast von der »Revolutionärin« abgerückt, um auch äußerlich eine jede Gemeinschaft mit dieser gefährlichen, in der Gesellschaft nunmehr unmöglich gewordenen Unruhstifterin abzuleugnen.

Der Gouverneur hatte mit den Augen einem in seiner Nähe sitzenden Herrn mit einer scharfen Hakennase, gestutztem Schnurrbart und stechenden, unruhigen Augen von einer eigentümlich meergrünen Farbe einen befehlenden Wink zukommen lassen, worauf sich der Herr, auf dessen ripsseidenen Frackaufschlägen eine goldene Kette mit drei englischen und zwei indischen hohen Orden in Miniatur schimmerte, unauffällig von seinem Sitze erhob und auf die Dame, die den Skandal hervorgerufen hatte, zuschritt. Hier wartete er so lange, bis der Gouverneur die Tafel aufgehoben und die Herrschaften sich auf die Hotelterrasse verfügt hatten, um bei eisgekühlten Drinks und einer guten Importzigarre mehr oder weniger banale oder geistreiche Gespräche zu führen, in der jeweiligen Absicht, einander Liebenswürdigkeiten ohne innere Wärme und Aufrichtigkeit zu sagen oder den Partner geschickt auszuhorchen, ohne sich selbst ausspionieren zu lassen.

Eben, als die in der Gesellschaft unmöglich gewordene Dame ihren Fuß über die Schwelle des breit ausgebuchten Bogentores auf die Terrasse setzen wollte, näherte sich ihr der ordengeschmückte Herr, ließ ein kühles, fast hämisches Lächeln um seine tief und spitz herabgezogenen Mundwinkel spielen und sagte mit einer steifen Verbeugung, die nicht tiefer war, als der hohe Herr mit seiner Würde für vereinbar hielt, ohne jedoch die Gebote der Höflichkeit in den Augen der Gäste zu verletzen:

»Mylady – Ihren Arm – –«

Das klang wie ein Befehl.

Die Dame hob überrascht ihre Augen zu dem Aufdringlichen empor. Nicht im geringsten ließ sich der Herr dadurch beirren, daß ihn aus diesen Augen – große, leuchtende Pupillen waren es, umzirkt von einem feinen, schmallinigen, bläulichen Irisrande – ein mißbilligender Blick traf.

»Nochmals, Mylady, – Ihren Arm – –«, sagte er fest und bestimmt.

»Zu viel der Liebenswürdigkeit«, versetzte die Dame, mit einer fast hochmütigen Bewegung ihr Haupt höher hebend. Und wie zur Begründung ihres Benehmens fügte sie die Worte hinzu: »Ich pflege niemandes Ritterdienste anzunehmen, mit dem bekannt zu sein ich nicht die Ehre habe.«

Der befrackte Herr lächelte boshaft.

»Wenn Sie schon auf dieser Förmlichkeit bestehen, Mylady«, sagte er mit seiner harten, jeden Wohllauts baren Stimme, »dann gestatten Sie, daß ich mich Ihnen vorstelle – Sir George Bulwer, Präsident der Bombayer Polizei.«

»Ah –!« machte die Dame erstaunt, ohne jedoch in ihren Mienen Bestürzung oder gar Schreck zu verraten. Vielmehr kniff sie die dünnen Lippen noch fester aufeinander, wie dieses in mehr als einer Beziehung merkwürdige Mannweib zu tun pflegt, wenn sie ihrem Munde Stillschweigen auferlegt hat. Um diese dünnen aufeinandergepreßten Lippen ringelte sich jetzt ein ganzes Knäuel von hämischen Schlangen und feindseligen Nattern. Dann fragte sie mit einem fühlbaren Anflug belustigten Spottes in ihrer tiefen, sonoren Stimme:

»Da muß man ja wohl notgedrungenerweise Ihre Artigkeit erwidern, Sir George Bulwer – Mrs. Besant – Mary Besant.«

Der Polizeipräsident räusperte sich kurz und scharf und sagte mit gerunzelter Stirne und in zurechtweisendem Tone – dienstlich und feierlich zugleich:

»Für Sie, Mrs. Besant, bin ich der Herr Polizeipräsident. Als solcher ersuche ich Sie ein letztesmal, mir Ihren Arm zu reichen, damit ich Sie hinausgeleiten kann, ohne daß Ihre Entfernung von hier in einer für Sie peinlichen Weise bemerkt wird. Sie sehen – ich handle, wie Ihr Interesse es mir eingibt–... Und nun ein letztesmal: Ihren Arm, Mrs. Besant.«

Aus einer Gruppe von Gästen, die auf die Hotelterrasse hinausfluteten, löste sich die Gestalt eines breitschulterigen Herrn mit markanten Gesichtszügen, einem kräftig herausgemeißelten, etwas eckigen Kinn und kühn und überlegen dreinblickenden Augen. Er mußte wohl etwas an seinem Platze haben liegen lassen. Denn er suchte eine geraume Weile umher und verließ hierauf den Speisesaal durch die große Mitteltür, die ins Vestibül führt. Auf den Auftritt zwischen dem Polizeipräsidenten und der Dame schien er weiter keine Acht zu haben. Doch mußte das Gespräch der beiden sein Ohr getroffen haben, wenn er sich davon auch nichts anmerken ließ.

»Wenn Sie, Herr Polizeipräsident«, hörte er Mrs. Besant erwidern, auf das Wort »Polizeipräsident« einen ironischen Nachdruck legend, »dienstlich mit mir zu sprechen haben, dann kann ich auf Ihr ritterliches Anerbieten, das mich zu jeder anderen Zeit ungemein geehrt hätte, sehr wohl verzichten.«

Mit dieser Zurechtweisung auf den dünnen Lippen schritt sie mit ungezwungenem Anstand zur großen Mitteltür hinaus, ins Vestibül, es dem Herrn Polizeipräsidenten überlassend, ihr zu folgen oder nicht. Sir George Bulwer blieb ihr aus guten Gründen dicht auf den Fersen. In der Halle winkte er einen Mann mit einem auffallend länglichen Affenschädel, der aufmerksam einige Zeitungen zu durchstöbern schien, in Wahrheit jedoch seinem weinerhitzten Gesichte mit den großformatigen »Times of India« Kühlung zufächelte, zu sich heran. Der Polizeipräsident flüsterte dem Geheimpolizisten mit einem raschen Seitenblick seiner unruhigen meergrünen Augen auf die dem Hotelausgang zustrebende Dame einen kurzen Befehl zu.

» Very well, Sir, – zu Befehl!« gab der Polizeirat Mr. John Rocket, der erprobte Kriminalist und die rechte Hand des Bombayer Polizeipräsidenten bei Ausführung besonders wichtiger Sachen, ebenso leise zur Antwort, grüßte und wandte sich Mrs. Besant zu, die er aufforderte, ein vor dem Hotelportal harrendes Automobil zu besteigen.

In diesem Augenblick verließ ein breitschultriger Herr, in einen braunen Staubmantel gekleidet, das Hotel und trat auf den freien Platz hinaus, den er überquerte.

»Mit welchem Rechte«, fragte sie empört, indem sie den Geheimpolizisten fest und durchdringend anblickte, »wagt man es, mich, eine britische Dame, vom Platze weg und ohne daß Gründe vorlägen, die ein so unerhörtes Vorgehen rechtfertigten, zu verhaften? Denn das, mein Herr, was Sie zu tun im Begriffe stehen, sieht einer Verhaftung, wo nicht gar einer Freiheitsberaubung, verzweifelt ähnlich.«

»Mit dem Rechte, das mir der Befehl meines Vorgesetzten gibt«, erwiderte der Kriminalbeamte einfach und nötigte die Dame in das Automobil, das er zugleich nach ihr bestieg, ohne dem Führer ein Fahrziel angegeben zu haben.

Der Chauffeur warf den Motor an. Mit einem Ruck setzte sich der Kraftwagen in Bewegung und verschwand hupend um die nächste Ecke.

In diesem Augenblick trat aus dem Schatten einer dunklen Torfahrt eine Gestalt hervor und schwang sich mit einer Geschicklichkeit und Behendigkeit, die auf große Übung in derartigen akrobatischen Kunststückchen schließen ließ, hinten auf das Auto, sich mit beiden Händen an das zurückgeschlagene Verdeck hängend.

Die braune Farbe des Staubmantels machte die Gestalt durch den aufwirbelnden Staub hindurch fast unkenntlich. Man konnte den blinden Passagier ganz gut für ein Gepäckstück halten.


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