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Zwölftes Kapitel.

Zu der Stunde, da das allwaltende Schicksal der Lady Garcia, nunmehrigen Mary Besant, eine so furchtbare Genugtuung bereitete, saß diese in angeregtem Gespräche ihrem alten Freunde, Mr. Harry Webster, und Dschamsedschi Dschidschibhai, dem Vater der unglücklichen Parsi, in dessen Wohnung gegenüber.

Noch wußte oder ahnte keiner der drei Menschen die wuchtige Tragik dieser Schicksalsstunde.

Mittelpunkt des Gesprächs waren begreiflicherweise die Vorgänge der letzten Nacht. »Wie ich heute Nacht aus den Akten Ihres Falles gesehen habe«, sagte der Detektiv nach Anhören des übersichtlichen Berichtes von Mrs. Besant über Zweck, Umfang und Ziele der jungindischen Bewegung, »ist das geistige Haupt dieser Partei ein gewisser Bhaskara – stimmt das, Mrs. Besant?«

»Sie haben recht gelesen, Mr. Webster«, bestätigte die Dame.

Der Detektiv, der sich in seiner Lebensweise überraschend schnell den Landesbräuchen angepaßt hatte, führte schweigend das Bernsteinstück der indischen Hukah, ein der türkischen Wassersackpfeife ähnelndes Rauchinstrument, an die Lippen, sog bedächtig den wohlriechenden Rauch des durch aufgelegte Kohlen glühend erhaltenen persischen Tabaks ein und meinte dann: »Und in der Nähe der »Türme des Schweigens« liegt sein Landhaus nicht wahr? – Hätten Sie etwas dagegen einzuwenden, Mylady, wenn ich versuchte, den Präsidenten des Morlenbundes einmal persönlich zu sprechen?« Und sich gleichzeitig an den Hausherrn wendend: »Sie wissen ja, wie es um Indiens gemeine Sache steht: ein einheitliches Zusammenfassen aller englandfeindlichen Faktoren ist im höchsten Maße erwünscht«.

Mrs. Besant fand den Gang zum Morlenbundpräsidenten sogar für geboten und fragte, ob sie Mr. Webster dahin begleiten dürfe.

Aus Gründen der Sicherheit für ihre Person mußte der Detektiv dies abschlagen. »Sie haben einen Feind mehr seit gestern abend – vergessen Sie das nicht, Mylady.«

»Sie meinen den einfältigen Polizeirat?«

Mr. Webster warnte eindringlich mit dem Bernsteinmundstück. »Diese Leute sind oft mehr zu fürchten als ernste Männer. Ich kalkuliere, daß er nichts unversucht lassen wird, sich an Ihnen als der mittelbaren Ursache seiner Blamage schwer zu rächen, wie es dem Charakter solcher kleinlichen Subjekte entspricht.«

»Und an Ihnen, Mr. Webster, als der unmittelbaren Ursache?«

»Oh –! erst haben, dann hängen?«

»Genau, wie bei mir auch.«

»Nur mit dem kleinen Unterschiede, daß er sie von Angesicht zu Angesicht geschaut hat und jetzt sehr gut kennt, mich aber nur erst in der Maske seines Chefs.«

Dieser Argumentation mußte sich die Lady fügen. –

Beim Erwähnen der »Türme des Schweigens«, der bekannten Begräbnisstätte der Parsen, hatte Dschidschibhai, den liebenswürdigen Wirt, eine leise Unruhe befallen. Er rückte nervös den breiten, gelbseidenen Hüftenschal über dem weißen Kaftan hin und her und konnte es in dem begreiflichen Schmerze des alternden Vaters nicht über sich bringen, dem Detektiv länger zu verschweigen, wie ihn das Ausbleiben eines jeden Lebenszeichen einer Tochter Durlana quäle und bekümmere.

»Mir ist«, sagte er mit einem unterdrückten Seufzer und schaute feuchtschimmernden Auges in weite, weite Fernen, »mir ist, als sähe ich meine Tochter nicht anders mehr denn als Leiche, eingehüllt, in weiße Linnen, liegend auf der Plattform des mittleren Kreises der »Türme des Schweigens.«

Das Leid des unglücklichen Mannes ging sowohl Mrs. Besant, wie auch Harry Webster sehr nahe, obwohl diesen der harte Beruf eines Detektivs fast täglich mit einer anderen Art menschlichen Jammers in Berührung brachte. Takt und Mitgefühl ließen ihn denn auch das beste Trostwort finden, indem er versprach, sein möglichstes in dieser traurigen Angelegenheit zu tun, um dem Vater die geliebte Tochter wieder zuzuführen.

Der leichtbewegliche Parse dankte seinem berühmten Freunde gerührten Herzens und bat ihn, vor seinem Weggange noch eine kleine Erfrischung zu nehmen. Er klatschte dreimal in die Hände, auf welches Zeichen sich die Türvorhänge zur Seite schoben und ein junger, vom Hals bis zur Zehe in indischen Mousselin gehüllter Mohrenknabe erschien, um die Befehle seines Herrn mit unterwürfig über der Brust gekreuzten Armen entgegenzunehmen. Nach wenigen Minuten kehrte er wieder, auf silberner Platte schmackhafte, in Betelbaumblätter gehüllte Arekanüsse und eisgekühlten Scherbet servierend.

Als gebildeter Mann sorgte der Parse auch dafür, daß seinen Gästen geistige Nahrung dargereicht würde. Auf Gutjarati, der Sprache der Parsen, flüsterte er dem Diener einige Worte zu. Lautlos glitt der Knabe über den dicken, persischen Teppich, der selbstbewußt seine gewebte Pracht über die ganze Länge und Breite des Zimmers ausrollte, und brachte gleich darauf die Tageszeitungen herein. Dschidschibhai bot in zuvorkommender Weise Mrs. Besant den in englischer Sprache erscheinenden »Indian Spectator« an, Mr. Webster die gleichsprachige »Times of India«. Er selbst warf nur einen flüchtigen Blick in den in Gutjaratisprache erscheinenden »Bombay Samachar«. Die Lektüre wollte er sich für später vorbehalten, um in nichts die Aufmerksamkeit gegen seine Gäste zu beeinträchtigen.

Sowohl Mrs. Besant, als auch Mr. Webster widmeten ihre ganze Aufmerksamkeit dem Bankettbericht. Des Zwischenfalles jedoch fanden sie mit keiner Silbe Erwähnung getan. Plötzlich stutzte der Detektiv. Ganz zu Ende des lokalen Teiles waren seine Blicke an einer kleinen Notiz hängen geblieben. Sollte hier ein Druckfehler vorliegen? Er mußte die alarmierende Notiz noch einmal lesen.

Drei Zeilen nur waren es. Aber inhaltsvoll genug, um selbst einen so besonnenen Mann wie den Detektiv in Erstaunen zu setzen.

»Wissen Sie auch das Neueste schon, Mylady?« fragte er mit einem Blick über das Blatt hinweg sein Gegenüber.

Mrs. Besant hob interessiert den Kopf. »Nun –, was gibt's?«

»Oh –, weiter nichts, als daß Sie, Mrs. Mary Besant, seit heute früh bereits eine Leiche sind.«

»Nicht möglich!«

»Doch möglich –, auf dem Papier wenigstens. Bitte, überzeugen Sie sich selbst.«

Der Detektiv reichte der Lady die »Times of India« über den Tisch, und die höchlich erstaunte Dame konnte mit leiblichen Augen lesen, daß »eine gewisse Mary Besant« sich heute früh in ihrer Zelle im Polizeigewahrsam tatsächlich erhängt hatte.

»Ein tolles Land, Mr. Webster!« Sie schüttelte mit einem leichten Schauder den Kopf, daß die blonden Locken an der Stirnseite nur so flogen. »Sie sehen, daß man hier sogar gehängt wird, ohne daß sie einen haben.«

Der Parse teilte ihr Erstaunen. Die alte Schwermut überfiel ihn wieder. »Ohne daß ich einen Grund hierfür angeben könnte, lastet die unheilvolle Botschaft schwer auf mir. Was für eine nachtschwarze Missetat mag sich hinter dieser Notiz verbergen!«

»Sie haben recht, Dschidschibhai Sahib«, stimmte der Detektiv zu. »Die größte Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß hier ein Verbrechen begangen wurde. Doch wäre auch der Fall denkbar, daß die Notiz nur ein Scheinmanöver ist zu dem Zwecke der Irreführung der hiesigen englischen Gesellschaft, soweit ihr die Person unserer werten Freundin und der Bankettzwischenfall bekannt ist. Beide Male käme als Täter beziehungsweise Urheber mittel- oder unmittelbar nur eine Person in Betracht – Mr. John Rocket. Interessant genug liegt der Fall, und ich werde versuchen, ihm auf den Grund zu kommen. Doch jetzt, meine Freunde, ist es Zeit für mich, an die Arbeit zu gehen. Deren Wichtigkeit dürfte mich, wie ich zuversichtlich hoffe, in Ihren Augen hinreichend entschuldigen, wenn ich ungesäumt aufbreche.«

Beim Abschied dankte Mrs. Besant ihrem hochherzigen, wagemutigen Retter nochmals aus innerstem Herzen. Der Parse ließ es sich nicht nehmen, den Freund bis ans Parktor zu begleiten.


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