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Einundzwanzigstes Kapitel.

Colonel Winfried Barney, Esquire, Platzkommandant von Bombay, erfreute sich heute keiner besonders guten Laune. Wie dicke, unregelmäßige Schraffierstriche zogen sich tiefe Falten durch sein finsteres Gesicht mit dem vorspringenden, eckigen Spitzkinn. Seine stechenden Blicke konnten sehr wohl das Gefühl ritzender Dolchspitzen erwecken, fuhren sie einmal unter den dicht zusammengewachsenen Augenbrauen hervor und über eines Mannes Angesicht.

Kein Wunder, daß an der langen, reich mit Silber und chinesischem Porzellan besetzten Tafel des Offizierkasinos angesichts des vom oberen Tafelende drohend herabhängenden »Platzregen«-Gewölkes keine ungezwungene Unterhaltung oder gar Fröhlichkeit aufkommen konnte. Die jüngeren Offiziere zogen es denn auch nach aufgehobener Tafel vor, schleunigst aus dem »Dunstkreis des Platzregens« zu kommen. Sie wählten als geeignetes Feld freier, ungehinderter Betätigungslust die großen anstoßenden Spielplätze, wo die bedauernswerten Fußbälle etwas zu spüren bekamen. Das hatten sich die Fußbälle schließlich selbst zuzuschreiben. Denn sie trugen auf ihren gelbledernen Rundleibern die wahrhaft aufreizende Inschrift »Z. 7« und das Eiserne Kreuz. Ein solcher Anblick mußte ja die Wirkung des roten Tuches auf den Stier für die sportbegeisterten britischen Offiziere haben.

Der blutjunge Leutnant Carrington, der im Rufe des geistreichsten Witzkopfes vom ganzen Regiment, ja der Bombayer Garnison stand, hatte wie gewöhnlich eine Anzahl Kameraden um sich versammelt, um das prasselnde Sprühfeuer seines Witzes steigen zu lassen. Von seinen Witzen pflegte er in launiger Selbstverspottung zu behaupten, sie seien so zündend wie sein Kopfhaar. Dieses war nämlich brandrot. Zwischen je drei bedachtvollen Zügen am Strohhalm seines Manhattan-Cocktails warf er einen Kalauer in die Versammlung. War es ihm gelungen, die Pointe besonders fein herauszubringen, so spitzte er zum Zeichen dessen die dünnen, flaumlosen Lippen, was seine Kameraden jedesmal für das Signal zum Beifall ausdeuteten. Denn es befanden sich etwelche darunter, die nicht gewitzt genug waren, zu wissen, daß der famose Carrington soeben einen neuen Witz gemacht hatte. Zu den traditionellen Scherzen des kleinen Carrington gehörte der, den er riß, wenn er sich eine neue »Queen«-Zigarette, wovon er täglich dreißig bis vierzig Stück in Rauch aufgehen ließ, ansteckte. Er meinte, an dem Liebreiz dieser »Königin« müsse auch der eingefleischteste Demokrat noch Feuer fangen. Er selbst verzehre sich nach ihr, wie sie für ihn. Seit Jahren seien beide füreinander einfach Feuer und Flamme.

Es ist wahr – Leutnant Carrington hatte etwas reichlich große Ohrlöffel. Reckte er dann, wie gerade jetzt, den Kopf aus der Tiefe des Klubsessels hoch, so glich er verzweifelt einem jungen, die Löffel spitzenden Hasen im Klee. Er näselte auch etwas, – auch das ist wahr. Seine Stimme war so dünn, wie ein Bindfaden. Und gleichwohl verstummten alle anderen um ihn her, als die seinige plötzlich in die Luft stach.

»Hallo, Boys? Wollen wir wetten?«

»Worüber?« – Dutzende wollten das wissen.

»Darüber, daß der Engländer auch in diesem Kriege sich stets als der vollendete Gentleman gezeigt hat, der er seit je ist!«

Der Gegenstand der Wette erregte den Widerspruchsgeist des Oberleutnants Falkner. Dieser war einmal der Ehre teilhaftig geworden, auf kurze Zeit zum Generalstab abkommandiert gewesen zu sein. Er hatte nur hineingerochen, wie sich seine Kameraden unter sich erzählten. Seit dieser dunkeln Glanzperiode hatte sich der »Stratege« immer äußerst wichtig und wissenschaftlich sozusagen. Er fühlte sich also gezwungen, Einwände zu machen.

»Muß sehr bitten, Carrington,« sagte er im Tone der Zurechtweisung, »wozu da erst wetten? Das ist doch ein allgemein gültiger Lehrsatz, der keines näheren Beweises bedarf.«

»Die Zentralier« – mit diesem Sammelbegriff pflegte Carrington die Verbündeten der Mittelmächte zu belegen –, »machen aber gleichwohl uns Engländern diesen natürlichen Ehrentitel streitig.«

»Oho –!«

»Und es ist doch so!«

»Aber wo?«

»Auf dem Papier natürlich«, leitete der Witzbold allmählich zur Pointe hin. »Papier ist bekanntermaßen geduldig und läßt sich's auch gefallen mit Haßgesängen gegen das »treulose Albion« besudelt zu werden, wie man hört, sollen jetzt in Deutschland gerade die anti-englischen Zeitschriften mächtig in die Halme schießen.«

»Man hat aber auch gehört,« wandte der »Stratege« wieder ein, »daß in Deutschland eine große Papiernot herrsche. Bedenken Sie ferner die starke Konkurrenz, wie Sie selbst zugaben, Carrington. Unmöglich, daß die Zeitschriften alle gehen können.«

»Aber warum denn nicht?« näselte Carrington, kniff das linke Auge leicht zu und spitzte die Lippen. »Es ist durchaus kein Grund vorhanden, weshalb die nicht gehen sollen. Es hält sie ja niemand!«

»Bravo! – Gut gesagt!«, scholl es von allen Seiten. »Famoser Witz! – Drei Cheers für Carrington!«

»Wo aber bleibt die Wette?« wollte einer wissen.

» Allright,« sagte Carrington gedehnt, das » right« durch die Nase ziehend nach Weise der Kanadier, » all-riiightt. Gestatten Sie, Gentlemen, daß ich Ihnen mit einer als durchaus wahr verbürgten Historie aufwarte, die Ihnen die Richtigkeit meiner Behauptung beweisen wird. In der Schlacht bei den Falklandinseln trug es sich zu, daß ein englischer und ein deutscher Matrose, die in die See gestürzt waren, gleichzeitig an einer Planke sich festgeklammert hatten, als ein Hai mit einem Male angeschossen kommt, sich auf die Seite legt und ausgerechnet die Waden des Engländers als zweites Frühstück sich zu Gemüte führen will. Er hat natürlich den Gentleman gewittert und den Dutchman verschmäht, werden Sie jetzt denken und den Beweis für erbracht halten, – dem ist aber nicht so, Kameraden. Unser seebefahrener Jack war kaltblütig und geistesgegenwärtig genug, sein Schiffsmesser zu ziehen, um der niederträchtigen Bestie vor der Büx von His Majesty's blauen Jungens geziemenden Respekt beizubringen. Das sehend, und eben weil er ganz genau wußte, daß ein Engländer ein perfekter Gentleman ist und in jedem wie immer gearteten Falle bleibt, ruft der darauf seinen schwarzen Plan aufbauende Dutchman dem Engländer zu: »Was!« ruft er, »Sie wollen, ein Gentleman sein und schneiden den Fisch mit dem Messer!?« Worauf der Engländer angesichts des fast gewissen Todes das Messer von sich wirft, geschickt den Hai untertaucht und ihm mit beiden Daumen die Augen eindrückt.«

Carrington spitzt selbstgefällig die Lippen, der Chorus begreift und klatscht Beifall. Man erhebt erstens sich und zweitens die Gläser und singt zum Preise des kühnen Navyman und kühlen Gentleman: »Wir preisen die Flotte, unsre kämpfende Flotte.«

Der wissenschaftlich durchgebildete Generalstäbler verblichenen Angedenkens wollte sein Licht auch nicht länger unter den Scheffel stellen. Er glaubte bei seinen Kameraden am ehesten Anklang zu finden, wenn er an den Deutschen kein gutes Haar ließe. Da es ihm aber ganz an der Gabe gefälliger Unterhaltung fehlte, schmähte er in seiner trockenen Weise, und wiewohl er sich in seiner Muttersprache durchaus nicht glatt und gewandt auszudrücken verstand, auf die schwerfällige und plumpe deutsche Sprache. Sie sei sich selbst Ballast, behauptete der grundgelehrte Stratege, – diese ganz und gar barbarische Sprache, die oft genug zwei, drei und noch mehr Worte für den gleichen Begriff setze. So z. B., – essen und speisen: oder senden und schicken.«

Mit einem Ruck tauchte Carrington aus der Tiefe des Klubsessels auf. »Nein, mein Herr,« durchsägte seine Bindfadenstimme die Luft, »das stimmt nicht ganz, – verzeihen Sie. Ich schätze, alle anwesenden Gentlemen sind mit mir derselben Meinung, daß Mr. Findlay wohl ein Gesandter war, aber kein – geschickter –!!« –

Über den Rand des Klubsessels aber ragte nicht mehr das Menschenantlitz des Leutnants Carrington heraus, sondern die Metamorphose einer Spitzmausphysiognomie. Und die Herren Offiziere wieherten wie die Steppenpferde. –

Während sich seine Untergebenen auf eine so geistreiche Art die Langeweile und Öde indischen Garnisonlebens zu verkürzen suchten, hatte Colonel Barnes eine ernste Unterredung mit dem Oberst des 17. Sepoyregiments. Soweit sich der Stamm dieser Eingeborenen-Regimenter nicht durch freiwillige Gestellungen ergänzt, werden die durch Krankheit, Verwundung oder Pensionierung gerissenen Lücken durch Hindus der verschiedensten Nationalität und Konfession wieder ausgefüllt. Da nun jeder dieser Soldaten nach seinen eigenen Sitten, Gebräuchen und religiösen Vorschriften lebt, deren Verletzung und Nichtachtung ihn tiefer kränkt als der schmählichste politische Druck oder die entwürdigendste militärische Mißhandlung, so ergibt sich für die leitenden Stellen ein so hohes Maß von Rücksichten in Behandlung dieser Truppen, wie sonst bei keinem anderen Heereskörper der Welt. Und gleichwohl bringt es der grenzenlose Rassenhochmut und Standesdünkel der britischen Offiziere mit sich, das exklusivste Offizierkorps der Welt zu bilden. Kein Eingeborener, wes hohen Ranges und vornehmer Abkunft er immer sei, wird dort Eingang finden. Höher als bis zum Subadar-Major, d. i. Stabsoffizier, kann es auch der befähigtste und tüchtigste Inder nicht bringen. Und selbst dann steht der jüngste britische Fähnrich im Range noch über dem höchsten eingeborenen Offizier. Das Bewußtsein einer bevorrechten Stellung teilt mit seinen Offizieren auch der europäische Soldat, der nur mit Verachtung auf den Sepoy niederblickt.

Ein besonders krasser Fall der Mißachtung der Eingeborenen war dem Colonel zu Ohren gekommen und hatte seinen Unmut aufs heftigste erregt. Nicht als ob er von dem allgemeinen Vorurteil seiner Standesgenossen frei gewesen wäre, aber die Zeiten mahnten zur Vorsicht und verständnisvollen Mäßigung.

»Ich verstehe nicht,« sprudelte der leicht erregbare Colonel hervor und stampfte sporenklirrend den Fußboden, »ich verstehe nicht, wie ein europäischer Offizier Ihres Regiments gerade jetzt, wo der anwesende Nizam von Haidarabad – ich erinnere kurz an seine überspannte Bankettrede – so unverschämte Forderungen laut werden läßt, sich zu einer so wenig vorbedachten Handlungsweise hinreißen lassen konnte. Zum Auslassen jugendlichen Übermutes und unzeitiger Herrenmanieren sind die jetzigen Zeiten zu ernst, sollte ich meinen. Politische Klugheit gebietet uns ganz kategorisch, jetzt nichts zu tun und alles zu unterlassen, was die herrschende Unzufriedenheit mit dem bestehenden Regime vermehren könnte. Wie kommt also so ein Greenhorn von irgendeinem Fähnrich dazu, dem indischen Hauptmann Jugghut Shing von der vierten Kompagnie vor versammelter Mannschaft den Tschako vom Kopfe zu schlagen? Ihm mußte auf jeden Fall bekannt sein, daß dies eine nie ganz wieder zu sühnende Schmach für den Subadar ist, der infolge dieser Behandlung in den Augen seiner Religionsgenossen für alle Zeiten entehrt und obendrein aus seiner Kaste ausgestoßen ist. Schlimmeres aber kann einem Inder nicht passieren. Wir können beute eine Wiederholung des großen indischen Aufstandes, der gleichfalls infolge Nichtachtung religiöser Gebräuche ausbrach, ganz und gar nicht gebrauchen. Aus Gründen der Klugheit versprach ich zwar dem beschwerdeführenden Subadar-Major, seinem gekränkten Hauptmann Genugtuung zu verschaffen, wie aber soll dies geschehen, da Sie nicht einmal den Schuldigen ermitteln konnten?«

Der Oberst gab die Unterlippe, auf die er unter dem Schutze des überhängenden Schnurrbartes während der gepfefferten Standrede des Platzkommandanten ingrimmig gekaut hatte, frei und versetzte:

»Sie wollen verzeihen, mein Colonel: aber an dem Wort eines britischen Offiziers darf füglich nicht gezweifelt werden. Meine Herren Offiziere haben mir samt und sonders auf Ehrenwort erklärt, daß keiner von ihnen in Betracht kommen könne.«

»Das verstehe ein anderer!« knurrte der Colonel und stürzte in einem Zuge ein Glas Portwein hinunter. Auch der abgekanzelte Oberst wußte sich den merkwürdigen Vorfall nicht zu erklären. Alles, was er besten oder vielmehr schlimmsten Falles noch zur Sache hätte sagen können, wäre die Tatsache gewesen, daß sich die Brahminen aller Kompagnien um das heilige Feuer versammelt halten, die Köpfe zusammensteckten und eifrig tuschelten.


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