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Vierzehntes Kapitel.

Es war sieben Uhr abends, als Harry Webster das Landhaus Bhâskaras verließ, oder nach indischer Zeitrechnung, die Tag und Nacht in zwei gleiche Hälften und jede dieser Hälften wieder in Gharys von je 24 Minuten Dauer scheidet, zu Beginn der dritten Nachtghary.

Da er im Hinblick auf die neuerwachsene Aufgabe mit seiner Zeit äußerst geizen mußte, rief der Detektiv eine Rikscha an und ließ sich von dem Kuli, einem unermüdlichen, sehnigen Dauerläufer, der seinen muskulösen Bronzekörper so nackt wie Gottes Natur ihn geschaffen, mit alleiniger Ausnahme der durch ein kurzes Lendentuch verdeckten Mittelpartie, in der unbekümmerten Naivität eines Naturkindes den Blicken des Fahrgastes darbot, nach seiner Privatwohnung fahren. Für die Dauer seines Bombayer Aufenthalts hielt sich der Detektiv aus berufstechnischen Gründen mehrere Wohnungen als ebensoviele Stützpunkte. Diesmal hatte er sich für die Wohnung in der King Street, der nächstliegenden, entschieden. Das Fahren nach hier hatte der weichen Samthaut des Kulis trotz des schärfsten Trabens nicht einen Schweißtropfen entlockt. Dabei hatte er, wenn er um die Ecke sauste, noch jedesmal aus vollem Halse und in mutwilliger Übertreibung, um sich vor neidischen, unbesetzten Kollegen mit seinem wunder wie vornehmen, hohen Fahrgast wichtig zu machen, geschrien: »Platz! Platz! für Seine Ehren den Sahib-Sahib!«

Oben angekommen, kleidete sich Mr. Webster mit Hilfe seines als treu und verschwiegen erprobten Dieners rasch um.

Als knapp eine Viertelstunde später eine Gestalt in wallenden Gewändern und wehendem, weißem Barte, der bis auf das rote Brahminenzeichen auf der linken Brust herniederfiel, in den unten bereitstehenden Palankin einstieg, hätte auch das wachsamste Auge hinter diesem würdevollen Inder der ersten Kaste den Amerikaner von vorhin nicht wiedererkannt. Der lange, mantelartige Überwurf aus weißem Kaschmir bedeckte die in weiten orientalischen Beinkleidern von gelber Seide steckenden Beine. Tiefrot wie ein kunstvolles Gewebe aus Blutkügelchen leuchtete bei der geringsten Bewegung die kurze indische Seidenweste und der kostbare Schal darunter hervor. Schärpenartig hingen die mit schweren Goldfransen geschmückten Enden des Kopfbundes an den Schläfen nieder bis auf die Schultern, rhythmisch schwingend im Gleichmaß des schaukelnden Palankins, den die vier Träger, kaum daß der Türhüter hinter dem Einsteigenden die in silbernen Rinnen laufenden Schiebetüren aus Zedernholz zugerollt hatte, an den Tragstangen auf die Schultern gehoben hatten und die jetzt schnellfüßig davontrabten. Ihnen vorauf sprangen zwei indische Schobedars Platzmacher, schlugen mit ihren langen Stäben den im Wege Stehenden auf die Köpfe und riefen wie zuvor ihr armseligerer Bruder, das Zugtier von einem Rikscha-Kuli, mit gellender Stimme: »Platz! Platz! für Seine Heiligkeit, den Liebling Brahmas!«

Vor einer prachtvollen alten Pagode angekommen, setzten die Träger den Palankin nieder und trabten dann, als der Brahmine ausgestiegen war, ohne einen weiteren Befehl abzuwarten, unverweilt davon. Der Tempel, ein Monumentalwerk altindischer Baukunst, erweckte in der Seele des Beschauers einen wuchtigen, fast trotzigen, auf alle Fälle aber sehr imposanten Eindruck.

Als Mr. Webster in der Verkleidung eines Brahminen die schwarzen Marmorstufen der breitausladenden Tempeltreppe hinanstieg, verneigte sich das allzeit müßige Volk der in malerischen Gruppen und Stellungen auf den Stufen herumlungernden Bettler und die Masse der in religiösen Betrachtungen versunkenen Gläubigen ehrfürchtig vor dem hohen Geistlichen, von dem wundergläubigen Volk angestaunt wie übernatürliche Wesen, saßen, typisch in ihrer paradiesischen Nacktheit und den schwarzen, bis auf die Schultern herabfallenden Haaren, fanatische Fakire – Mystiker des Orients – auf einem Brett spitzer Nägel, wie seit Wochen schon. Eine andere Art dieses freiwilligen Asketentums erblickt ein Gott wohlgefälliges Werk darin, daß sie ihr unbedecktes Haupt tagelang den sengenden Strahlen der unbarmherzigen indischen Sonne aussetzen. Eine dritte Klasse von religiös Verzückten wartet in nimmer ermüdender Geduld den Zeitpunkt ab, wo mildtätige Seelen ihnen etwas Eßbares – und seien es die unaussprechlichsten Dinge – anbieten.

Auf der obersten Tempelstufe, in der Nähe der großen, mit Silber- und Elfenbeinzeichnungen eingelegten Torflügel hatte ein Volkssänger, angetan mit dem schmalen Stirnstreifen, dem Abzeichen des Bardentums, seinen Standort mit dem freien Rundblick über die ganze Umgebung der Pagode sich gesichert. Mit nicht unmelodischer Stimme gab er zum Klange eines dreisaitigen Lauteninstrumentes ein über ganz Indien verbreitetes und immer wieder gern gehörtes Liebes- und Heldengedicht zum besten. Es waren Vanabhattas »Tausend Wunder des Kadambari«. Der wackere Sänger schien seine Kunst nur um der Kunst willen auszuüben. Herz und Augen hatten nichts von der Gewohnheit seiner Kollegen von der Laute an sich, allseitig nach Backschisch Ausschau zu halten. Höchster Lohn dünkte es ihm, durch seinen Heldengesang in den Herzen der vorübergehenden Liebe und Lust zu kriegerischen Taten zu wecken. Es lag geradezu eine agitatorische Absicht in der Art, wie er die ab und zu in Gruppen zu zwei und drei den Tempelplatz überquerenden eingeborenen Soldaten der Sepoy-Regimenter, die sehnigen Leiber eingezwängt in die roten, steifen Uniformen ihrer britischen Zwingherren, anrief.

Erblickte dann sein scharfes Falkenauge unter den Vorübergehenden die kräftigen, muskulösen Gestalten der Sikhs – ein kühner, stolzer Männerschlag, geborene Krieger und Reiter, deren Religion ein Gemisch von Mohammedanismus und Hinduismus bildet, und die sich daher als über beiden Sekten stehend ansehen und beider Gebräuche verachten – dann paßte der völker- und liederkundige Barde seinen Vortrag geschickt der Anschauung dieser Männer an und trug mit poetischem Schwung und zündender Begeisterung die wundervollen Verse des Hafis vor.

Der Brahmine fand an der Art des Barden offenbar ein besonderes Gefallen. Als er an ihm vorbeischritt, zwang er durch die magische Gewalt seines befehlenden Blickes die Augen des Sängers auf sich und richtete an ihn die Frage:

»Der du dem Göttervogel mit den tausend Zungen den bulbulischen Schmelz seiner Stimme abgelauscht hast, wissen möchte ich von dir, ob deiner Zunge das großartige Epos von Krischna, Indiens beliebtestem Heros, geläufig ist?«

Der Barde verneigte sich zum Zeichen der Ehrerbietung vor dem hohen Brahminen tief zur Erde und erwiderte:

»Wohl, Sahib, kenne ich die silberflüssigen Ghaselen des unerreichten Heldengedichtes.«

Worauf der Brahmine die zweite Frage stellte:

»Wird, dieweil meine Seele im Gebete zu Cartikeia verweilt, deiner Stimme Wohllaut mein Ohr mit den entzückenden Ghaselen füllen?«

»Vielleicht, Sahib, lieber aber nicht! Zukünftiges zu wissen ist den Göttern allein vorbehalten«, antwortete der Sänger mit einem bedeutungsvollen Aufblick zu dem Brahminen und verneigte sich wie zuvor.

Zufrieden darüber, daß der andere ihn genau verstanden, nickte der Brahmine kurz, gab dem Barden ein Backschisch und betrat den Tempel.

Einsamkeit, Dunkelheit und Schweigen füllten das Innere des Tempels. Mystisches Dämmerdüster wob sich um das riesige Standbild Cartikeias, des vielarmigen Kriegsgottes.

Mr. Webster war mit dem Standort des Götzenbildes wie überhaupt mit der ganzen Anlage des Tempelinnern überraschend gut vertraut. Er vergewisserte sich sorgfältig danach, daß kein verspäteter Beter mehr in dem Tempel weilte. Eine dicke, schwüle Luft drang auf ihn ein. Er schob mehr, als er ging, seinen Körper durch das unsichtige Gewölk erkalteten Weihrauchduftes, untermischt mit einem eigenartigen Geruch zerlassener Butter und vertrockneten Blutes – Überbleibsel der vielen Opfer.

Der Detektiv war sich klar, daß er jetzt ebenso rasch wie lautlos und sicher arbeiten mußte, sollte sein Anschlag von Erfolg gekrönt sein. Im Nu hatte er sich des hemmenden Überwurfes entledigt. Äußerst behutsam ging er mit einem kleinen Kasten um, den er vor dem Götzenbild niedersetzte. Dann schwang er sich mit der Gelenkigkeit eines geborenen Sportsmannes auf das Plateau des über manneshohen Sockels, worauf der Götze in ungemein kriegerischer Pose stand. Den Kasten zog er an einer Schnur nach und zu sich herauf.

Jetzt zeigte sich's erst, wozu der deckende Überwurf und die weiten orientalischen Hosen gut gewesen. Aus ihren geräumigen Taschen zog der Detektiv verschiedene feinmechanische Handwerksgeräte hervor. Nachdem er die Rückseite des Bronzestandbildes sorgfältig nach der geeignetsten Stelle abgeklopft hatte, ließ er eine amerikanische Patentelektrikbohrmaschine in Tätigkeit treten. Der wirbelnde Bohrer leistete bei einer Umdrehung im Verhältnis von 1 : 300 so intensive Arbeit, daß der Detektiv bereits nach Ablauf von knapp zwei Minuten den Bohrer mit der Stahlstichsäge austauschen konnte. Da Mr. Webster aus Gründen der nachherigen Unsichtbarmachung der inneren Rinne der Gußfalten des Tigerfelles, das dem Kriegsgott von den breiten Schultern herabhing, mindestens bei den Längsschnitten folgen mußte, nahm das Ausschneiden der Platte geraume Zeit in Anspruch.

Von Zeit zu Zeit horchte der Detektiv angestrengt auf das dumpfe, gleichmäßige Murmeln der von draußen gegen die Tempelmauern anrennenden Geräusche der volkreichsten Stadt Indiens. So oft er dann, schwebend wie ein lichter Geigenton über dem dunklen Untergrund akkordierender Chorsätze, die Stimme des unermüdlichen Barden vernahm, nickte er beruhigt und fuhr mit vermehrtem Eifer in seiner mühseligen und zeitraubenden Arbeit fort.

Einmal ließ ein fremdartiges Geräusch ihn plötzlich innehalten.

Wie ein leichtes Rascheln und Kratzen hatte es geklungen. Das Geräusch mußte irgendwo im Tempel selbst seine Entstehung genommen haben. Während so der Detektiv noch aufmerksam lauschte, rauschte es plötzlich dicht an seinem Ohr vorüber, verlor sich in der Finsternis und kam nach wenigen Sekunden ein zweites Mal dahergefahren. Dabei verspürte der Detektiv diesmal einen kalten, momentanen Luftzug wie von Geisterhänden aufgepeitscht.

Blitzhaft tastete im selben Moment ein greller Lichtkegel die gespenstische Finsternis des Tempels ab–...

Dann war der geheimnisvolle Vorgang auch schon geklärt.

Wie aufgespießt hing inmitten des weißglühenden Leuchtkegels der schwarze Schattenriß einer Fledermaus. Die schneidende Grelle der elektrischen Blendlaterne scheuchte das erschreckte Tier hoch nach oben in den schwarzgähnenden Krater der Kuppelwölbung.

»Niedliche, harmlose Tierchen – angenehme Gesellschafter«, lachte der Detektiv in sich hinein und machte sich dann daran, die Platte in der ungefähren Größe von 20 mal 30 aus dem Standbild herauszuheben. Damit war der schwierigste Teil der Arbeit bewältigt, die gefährlichste jedoch hob jetzt erst an.

Mr. Webster öffnete den bewußten kleinen Kasten und überzeugte sich aufs eingehendste, daß der eingebaute Mechanismus – feinste Präzisionsarbeit, die ingeniöse Frucht einer mehrstündigen Laboratoriumsmühe – durch den Transport auch keinen Schaden gelitten hatte. Ein solider, mit Schießbaumwolle gefüllter Stahlbehälter nahm die größere Hälfte des Kastens ein. In den Behälter – so jedoch, daß er luftdicht abschloß – war der eigens zu diesem Zwecke mit einem Gewinde versehene Lauf eines Revolvers eingeschraubt. Der Abzug war mittels einer Schnur an eine amerikanische Präzisionsalarmuhr angeschlossen.

» Everything is allright!« stellte Mr. Harry Webster zu seiner Zufriedenheit fest. »Alles in Ordnung, wie könnte es auch anders sein.« Er stellte zunächst die Alarmglocke ganz genau auf den mit seinen sonstigen Plänen übereinstimmenden Zeitpunkt ein und schob dann mit aller gebotenen Vorsicht sechs Zündpatronen in die Trommel. Für den Fall, daß eines versagen sollte, waren so immer noch fünf Reservezünder da. Die Alarmuhr – ein chronometrisches Kabinettstück – war durch ein eingebautes Spezialräderwerk gleichfalls auf sechs, kurz aufeinanderfolgende Zeitzündungen eingestellt.

Ein letztes Mal verglich Harry Webster die Zeit der Alarmuhr mit der seines Taschenchronometers. Sie stimmten auf die Sekunde überein. Mit größter Behutsamkeit schob der Detektiv den Kasten in die Höhlung des Standbildes. Er atmete doch ein wenig auf, als er die gefährliche Höllenmaschine glücklich an Ort und Stelle untergebracht hatte. Beim Wiedereinsetzen der Platte erwies sich die geschrägte Art des Schnittes insofern als ein fördernder Umstand, als die eingefügte Platte dadurch einen gewissen statischen Halt bekam. Ein Durchfallen nach innen war gänzlich ausgeschlossen.

Noch war Mr. Webster eifrig dabei, die Spuren seiner heimlichen Tätigkeit zu verwischen, als ihn die Stimme des Barden erinnerte. Schon allein der Umstand, daß er, ein verhaßter Kaffir (= Ungläubiger), sich in der Verkleidung eines Brahminen in den heiligen Tempel eingeschlichen hatte, hätte ihm im Falle einer Entdeckung zweifelsohne eine martervolle Todesstrafe zugezogen. Der Barde selbst mußte von dem plötzlichen Heraufzuge einer Gefahr förmlich überrascht worden sein. Mit einer abrupten Plötzlichkeit war sein Vortrag aus den Versen des Hafis in den Krischna-Gesang verfallen. Seine zum höchsten Diskant gesteigerte Stimme hatte Mühe, sich in dem wachsenden Wirrwarr scharrender, schallender Laute zu behaupten.

Der Detektiv hatte sofort die Eindringlichkeit der Warnung begriffen.

Im nächsten Moment springen die beiden Flügeltüren des Tempels, wie durch einen einzigen überstarken Federdruck zurückgeschnellt, weit auf. In ihrem Rahmen von rötlichem Fackelschein und fahlweißem Bogenlicht übergossen – Nacht hatte sich inzwischen auf Bombay herabgesenkt –, wimmeln buntfarbene Turbane. Schlaglichter zittern über erhitzte Patinagesichter. Davor das tiefe Schwarz der Tempelnacht. Gestreift von einem verirrten Strahl ein großer, schlohweißer, ängstlich meckernder Fleck. Das Opfertier im Blütengewande seines Seidenfelles, Todesahnung in Herz und Hirn–...

»Rembrandts Scharwache«, zuckte es Mr. Webster durch den Kopf.

Dann waltete schon wieder das harte Gesetz der Wirklichkeit über seiner Denkwelt und zwang ihn, auf seine gefährdete Sicherheit Bedacht zu nehmen. Sollte er sich die dumpfe Wundergläubigkeit der indischen Hirne dort zunutze machen und einen Spuk inszenieren? Nein. Blieb ihm doch noch die Möglichkeit unbemerkten Untertauchens unter der Menge.

Die geringste Unvorsichtigkeit jetzt mußte dem Detektiv zum Verhängnis werden. Eiligst raffte er die Werkzeuge mitsamt den verräterischen Metallspänen zusammen, überflog mit einem letzten Blicke seiner Hände vollendet Werk, maß mit einem zweiten den Abstand zur Erde und sprang ab.

Und es geschah das Wunder, daß sich die Erde unter seinen Füßen auftat und ihn verschlang.

Geschult in allen Leibesübungen, war der Detektiv auf den Zehenspitzen aufgesprungen. Gleichwohl setzte es ihn – blitzhaft nur flammte diese Erwägung über seinen Geist hin – in einen vibrierenden Zustand schreckhafter Verwunderung, daß sein wie in der Luft hängengebliebener Körper aus der federnden Balance gar nicht herauskommen wollte.

Bis er mit einemmale einen Schmerz im Rücken empfand, als habe ihm jemand beide Fäuste zugleich in die Rippen gerannt. Mit äußerster Energie überwand er einen leichten Schwächeanfall. Instinktiv tastete er seinen Körper nach der Blendlaterne ab. Glücklicherweise war sie unversehrt geblieben.

Vor dem aufblitzenden Lichtauge zogen sich die ihn umlagernden Schatten völliger Nacht in sich selbst zurück. Umherschauend fand sich der Detektiv auf dem dumpfigen Grunde einer Höhle zu Füßen einer Eisentreppe liegen. Der Schmerzen nicht achtend, klomm er die Leiter hinan und leuchtete die Decke ab.

Der feine quadratische Riß in dieser klärte ihn über die Ursache seines jähen Verschwindens von der Erdoberfläche auf. Beim Aufspringen mußte er mit den Zehenspitzen den Druckmechanismus eines geheimen Drehsteines berührt haben. Automatisch um ihre eigene Achse sich wälzend, hatte sie die Körperlast in den Schlund hinabbefördert, bei welch unfreiwilliger Höllenfahrt der Detektiv unliebsam mit der Eisentreppe in Berührung gekommen war. Lautlos wie sie sich geöffnet, hatte sich die Drehplatte auch wieder geschlossen.

Für Mr. Webster stand es außer Frage, daß er es hier mit einer geheimen Falltür zu tun hatte, deren sich die schlauen Brahminen bedienten, um die Opfergaben ungesehen wegschleppen zu können. Vielleicht auch zu gelegentlichen Erscheinungen und verwandten Gaukeleien.

Wie aus unendlichen Fernen, fast wie aus einer anderen Welt, drangen an das Ohr des Abgeschlossenen gurgelnde Geräusche, die an sich selbst zu ersticken schienen. Irgendeine Opferhandlung mußte oben im Gange sein. Das brachte Mr. Webster auf die naheliegende Vermutung, die Drehplatte möchte von den geheimen Partnern der oben amtierenden Priester zu dem einen oder anderen Zwecke benutzt werden. Gleichzeitig sagte er sich, daß die Höhle in einen Gang ausmünden müsse, der möglicherweise zu der Wohnung eines Brahminen führt.

Seine Vermutung traf vollauf zu. – In der linken Hand die Blendlaterne, in der rechten den entsicherten Browning, tappte der Detektiv den schmalen, kaum manneshohen Gang entlang. Nach Zurücklegung einer beträchtlichen Strecke drang ein dumpfes Brausen an sein Ohr, das unfehlbar auf die Weltsprache des Meeres selbst zurückzuführen war. Auf dessen Nähe ließ auch der feuchte Wandschimmel und zunehmende moderige Geruch schließen. Am Ende lief der Gang in eine grottenartige Höhle aus, die nicht von Menschenhand geschaffen sein konnte. Sie trug offenkundig den Stempel einer noch unberührten Naturschöpfung an sich.

Wie ungeheuerliche, groteske Fratzen grinsten dem beschauenden Auge des Detektivs die unförmigen, mit grünlich schillerndem Schleim oder Moosen überwucherten Gesteinsformen entgegen. Von einigen rollten in unregelmäßigem Sickertempo funkelnde Wassertropfen zur Erde. Aus ausgestochenen Augenhöhlen schienen sie hervorzuquellen. Ein Strom unversieglicher Tränen.

Dem Detektiv blieb keine Muße, die schaurige Romantik dieses verwunschenen Erdenfleckes auszukosten.

Kaum daß ihm soviel Zeit übrig blieb, als nötig war, seine Person vor nahenden Menschen hinter einem Felsvorsprung zu verbergen. In dem plötzlich einfallenden Schein von Windlichtern sah er bis über das Kinn vermummte Gestalten die wenigen zur Grottentiefe führenden, in das Gestein eingehauenen Stufen herabkommen.

Mr. Websters scharfem Ohr war es möglich, Bruchstücke ihres in gedämpftem Tone geführten Gespräches aufzufangen. Sie bedienten sich dabei des Hindostani. Waren offenbar Unterpriester dienenden Standes.

»Beim heiligen Wagen von Hadramaut!« meinte der eine, »diese jüngste englische Siegesmeldung vom europäischen Kriegsschauplatze kommt unerwartet, doch nicht ungelegen. Der Oberbrahmine tat klug, sofort einen großen Opferdienst anzusetzen.«

Und wieder ein anderer: »Wer soll den Sieg gewonnen haben? Die Faringi?«

»Man sagt so. Zwei berühmte Sikhsregimenter, das 12. und 13., sollen eine todesverachtende Reiterattacke geritten haben. In Nordfrankreich war es, wie das englische Telegramm meldet.«

Das übrige verschlang der Gang, in den die Vermummten hintereinander eintauchten. –

»Aha – so steht die Sache!« dachte Mr. Webster und pfiff leise durch die Zähne. »Da muß noch viel Aufklärung- und Propagandaarbeit geleistet werden.«

Zur größeren Sicherheit wartete der Detektiv noch einige Minuten, bis von den Vermummten nichts mehr zu sehen und zu hören war und suchte und gewann durch den Eingang, den die opfergierigen Unterbrahminen ihm gezeigt hatten, den Weg ins Freie. Ein geräumiger Garten, an den mit der Rückseite mehrere Häuser – vermutlich die der Brahminen – stießen, nahm ihn auf. Von rechts her schwollen dröhnende Akkorde herüber. Dort orgelte das Meer den uralten Choral, den es vor Aberjahrtausenden schon so gesungen.

Ohne Zeitverlust stieg Mr. Webster zum Strand hinunter. Hinter ihm schwamm der rötliche Widerschein der Lichter Bombays den Horizont herauf.

Den Weg dorthin zu Fuß zurückzulegen, war schon im Hinblick auf die verdachterregende, weil übel hergerichtete vornehme Brahminenkleidung nicht ratsam. Auch viel zu zeitraubend. Mr. Webster sah nach der Uhr. Schlag neun war's. Es galt, die durch die glorreiche Höllenfahrt und ebenso wunderbare Wiederauferstehung aus dem Grabe verlorene Zeit wieder einzuholen. Der Detektiv suchte den Strand nach einem Boote ab. Die orientalische Sorglosigkeit der Fischer kam seinem Plan zustatten. Der Detektiv entschied sich für eine Praue, das für Bombay typische Segelboot. Ohne Besinnen setzte er das braune, dreieckige Segel mit Kurs auf die lange Lichterzeile. Auf der Fahrt dahin entledigte er sich all der Kleidungsstücke, die ihn als ein Mitglied der ersten indischen Kaste hätten erscheinen lassen können. Er rollte sie zu einem Bündel zusammen, beschwerte es mit den Werkzeugen und warf es über Bord.

Abseits der öffentlichen Anlegestelle machte der Detektiv fest. Vergaß auch nicht, zur Entschädigung für den auszustehenden Schreck des suchenden Schiffers eine angemessene Geldsumme in der Praue zurückzulassen.


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