Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel.

Zu jener Stunde – es war die neunte Stunde des Tages, der auf die Bankettnacht folgte –, da Durlâna, das junge, scheue Parsenmädchen in Zelle Nr. 7 den Tod der »Erlösung« starb, wusch sich Mr. John Rocket, ihr intellektueller Henker, die Hände in pilatischer Unschuld.

Als er sich am Rasiertisch niederließ, stellte er zwar ein gewisses Erfrischtsein fest, fühlte sich aber immer noch nicht so ganz auf dem Posten wie an anderen Tagen. Er zog den silbernen Handspiegel zu Rate, der ihm die mißfällige Auskunft erteilte, daß er erstens Ringe um die Augen hatte; zweitens, daß die Gesichtsmuskeln erschlafft waren, und daß drittens seine Hautfarbe heute wieder einmal auffallend gelb schien.

Diese Wahrnehmungen versetzten sein Gemüt nicht gerade in eine rosige Stimmung. Altem Brauch gemäß, ließ er sie an den indischen Dienern aus. Am meisten hatte der Barbier darunter zu leiden. Nichts konnte er seinem heute so reizbaren Herrn recht machen. Bereits bei der Arbeit der Gesichtsmassage bekam er seine Laune zu spüren. So gut er auch seine Sache machte, so behauptete nach abermaliger Rateinholung des Spiegels sein Herr dennoch, zwei richtige » balloons« hingen ihm noch unter den Augen. Worauf der Kammerdiener, der nicht wußte, was ein Ballon ist, über den geistreichen Witz seines Herrn pflichtschuldigst glaubte lächeln zu müssen. Diese unangebrachte Vertraulichkeit trug dem höchlich Verwunderten einen regelrechten, saftigen Boxhieb ein.

Nach diesem anglo-indischen Intermezzo nahm die Schönheitspflege ihren Fortgang. Mit verdoppelter Sorgfalt und Aufmerksamkeit bearbeitete der Barbier die Nägel seines Herrn, von denen er insgeheim befürchten mußte, ihre Male unversehens im Gesicht zu haben. Folgte die gefährlichste Prozedur – das Rasieren. Mr. Rocket hatte nämlich eine äußerst empfindliche Haut. Der kleinste Schabestrich gegen die Wuchsrichtung der Haare konnte ihn zum wilden Tiere machen. Die größte Vorsicht war also geboten.

Mr. Rocket lehnte sich in den Sessel zurück und bot seinen Hals dem Schermesser dar. Dabei mußte er unwillkürlich durch eine Gedankenverbindung, wie sich solche durch ähnliche äußere Erscheinungen im Gehirne des Menschen oft auflösen, an den Hals einer gewissen Jemand denken. Und an ihr Haar. Und plötzlich –

»Da –! siehst du den roten Streifen um ihren Hals? – Jetzt ist's geschehen!« schrie er hinaus.

Damit hatte er auch schon den Inder von sich gestoßen. Im nächsten Moment stand er auf den Beinen und starrte aus blutgeäderten, glasigen Augen, aschfahl und bebend am ganzen Körper wie Espenlaub, in den Spiegel, als erschaue er da drinnen eine schreckliche Vision.

Ihm zur Seite stand der Inder, regungslos, wie zur Bildsäule erstarrt, und konnte seine Augen von dem blutgeröteten Rasiermesser in seiner Hand nicht abwenden.

Übermannt von der Schwäche in seinem schlotternden Gebein, plumpste der Polizeirat in den Sessel zurück, Halt und Stütze suchend, krampften sich seine Hände an der Lehne fest. Sein Blick, starr und unbeweglich, fixierte immer noch den Spiegel. Als habe er sich in dem glatten Glas festgebissen–...

Allmählich wich der grausige Bann. Der Blick verlor die visionäre Starrheit. Langsam verengten sich wieder die Pupillen.

Da entdeckte der Polizeirat auf seinem gelbseidenen Pyjama mit einem Male einen roten Fleck.

Jetzt erst wandte er den Blick vom Spiegelglas ab und schaute suchend an sich herunter. Halb geistesabwesend betupfte er mit dem Finger die Stelle des roten Flecks. Führte den Finger bis dicht vor die Augen und leckte schließlich dran.

Bei Gott! wie ging das zu? – Es war richtiges Menschenblut.

Mit erschreckter Hast fuhr der Polizeirat nach der Kehle.

Allmächtiger! er selbst blutete.

Der Hund von einem Inder hatte ihn also ermorden wollen! Mit dieser Erkenntnis brach auch schon die Bestie in ihm durch.

» You son–of–a–bitch!« brüllte er, aller Würde und Selbstbeherrschung bar, den zu Tode erschrockenen Inder an: »Du Hundesohn, die Kehle wolltest du mir durchschneiden! Was –? mich ermorden! Du – du –! Du steckst wohl mit dem parsischen Weibsbild unter einer Decke? Das sollst du nur büßen – goddam you –!«

Da brach der Inder, das verhängnisvolle Rasiermesser immer noch in der Hand haltend, auch schon blutüberströmt in die Knie. Mit dem schweren silbernen Handspiegel hatte ihm sein rasender Herr ein Loch in den Kopf geschlagen.

»Sahib, ich – bin – unschuldig–...!« wimmerte der Inder.

Das reizte den Polizeirat nur noch mehr. Nicht zuletzt der Anblick des roten Menschensaftes.

»Was –? widersprechen will die Kanaille auch noch!«

Und er versetzte dem Unglücklichen einen Fußtritt, daß er gegen die Wand flog und sich am Boden krümmte wie ein Wurm – wie ein elender Wurm.

Auf den Lärm hin kam der Serdar, der Oberste der Diener, atemlos herbeigestürzt.

»Schafft mir den Kerl aus den Augen!« befahl der Polizeirat mit einer schroffen Handbewegung auf das winselnde Häufchen Unglück in der Ecke. »Man soll ihm die Bastonade geben, und dann an den Galgen mit ihm!«

Der Serdar pfiff, ohne eine Miene zu verziehen, die Schar der ihm unterstellten Diener herbei, die, scheinbar gefühllos mit den Leiden ihres Volksgenossen, um nur ja die Wut ihres weißen Tyrannen nicht auf sich zu lenken, den unglücklichen Leibdiener hinaustrugen. –

Bei dem übergroßen Angebot spottbilliger Arbeitskräfte in Indien verfügt selbst der geringere Europäer über eine große Dienerschaft, die desto zahlreicher wird, je höher der Rang des Herrn ist. Dem Serdar fiel es daher nicht schwer, für den erledigten Leibdiener rasch Ersatz zu schaffen. Klopfenden Herzens trat dieser sein schweres Amt an. Er vervollständigte die Toilette seines Herrn, wobei es sich herausstellte, das die Wunde an der Kehle nur ein harmloser Ritzer war. Nach Bearbeitung mit Alaunstein und dem Aufstreichen einer Salbe stockte die Blutung sofort.

Mr. Rocket befahl dem neuen Barbier, etwas mehr Puder aufzulegen wie sonst, obwohl dieser gar nicht das übliche Quantum wissen konnte; auch die Wangen mußten einige Tupfer abbekommen. Denn Mr. Rockets Gesichtsfarbe hatte sich nach diesem Ärger nachgerade ins Quittengelbe verhäßlicht. Peinlichste Akkuratesse erforderte das Ziehen des Scheitels. Kein Härchen, weder von rechts noch links, durfte die Glätte der Geraden stören. Der Scheitel kam links, ziemlich tief zu sitzen. Die nach rechts über das länglich-schmale affenförmige Schädeldach gebürsteten roten Haarsträhnen hatten die Aufgabe zu erfüllen, des Beschauers Auge über die beginnende Glatzköpfigkeit hinwegzutäuschen.

Endlich – der neue Barbier atmete unhörbar auf – war die Toilette des Herrn Polizeigewaltigen beendet. Parfüm verschmähte er. Das war ihm zu weibisch. Schickt sich auch nicht für einen Polizeimenschen. Etwas anderes ist es mit einem guten Frühstück. Da stellte Mr. Rocket seinen ganzen Mann. Das allmorgendliche Training am muskelstählenden Boxapparat konnte er sich für heute schenken. Das hatte er an dem Inder besorgt. Dieses sportmäßige Sichausarbeiten hatte ihm ordentlich Appetit gemacht. Er nahm also ein opulentes Breakfast ein, spülte zwei drei Whiskysodas – edelster Nationalstoff! – nach, steckte sich eine Henry Clay zwischen die gelben Raubtierzähne und ließ sich nach dem Präsidium fahren.

Denn es war heute ein großer Tag für ihn.

Langsam, um auch bemerkt zu werden, trat er durch das Portal ein, mit lässigem Neigen des Kopfes die unterwürfigen Grüße der ihm Begegnenden einsteckend. Im Weiterschreiten überlegte er, ob er nicht rasch nach dem Gewahrsam hinübergehen sollte, um sich zu vergewissern, daß der Schlüsselmeister seinen Befehl auch gewissenhaft vollstreckt hatte. Er gelangte aber zu dem Entschluß, diese Absicht noch zurückzustellen.

Warum auch sollte der Inder seinen klaren Befehl nicht ausgeführt haben? Gibt es doch Menschen, die im Morden ein Handwerk sehen oder ein Vergnügen. Andere morden, weil ihre Religion ihnen den Mord zur Pflicht macht. Oder weil das Staatswohl es gebietet. So erinnerte er sich beispielsweise zweier Fälle aus der neuesten Geschichte, wo staatserhaltende Motive den Anlaß zum Meuchelmord –

Meuchelmord –!

Das Wort versetzte Mr. Rocket einen förmlichen Stoß.

Wer ruft hier so laut? – Unwillkürlich schaute sich der Polizeirat rückwärts um. Kein Mensch war auf dem Korridor zu sehen. Merkwürdig? Wo er doch die Stimme ganz deutlich gehört hatte. Hallten ihm doch der Diphtong eu und der Vokal o jetzt noch im Ohre nach.

Kopfschüttelnd betrat der Polizeirat sein Dienstzimmer.

Er versuchte irgendeine Arbeit aufzunehmen. Aber was für eine? Seine Hauptarbeit bestand fürs erste im Warten. Bis der Herr Polizeipräsident geruhen würde einzutreffen. Die Ungeduld machte ihn schier wahnsinnig. Und der Neid. Wie kam er, der tüchtige Beamte, dazu, auf einen Vorgesetzten warten zu müssen, den nicht eigene Kraft, sondern müßiges Antichambrieren auf seinen hohen Posten geführt hatte!

Er ließ sich am Schreibtisch nieder, auf dessen Platte noch die Akten Besant so lagen, wie der Präsident sie in der Nacht aus den Händen gelegt hatte, stieß die Feder in das Tintenfaß und zwang mit Gewalt seine schweifenden Gedanken zu der vorliegenden Materie zurück.

Wahrlich, es ist nicht leicht, Kaiserlich Indischer Polizeirat zu sein. Wie soll man nach so einer Nacht in Muße arbeiten können? Und es mußte doch etwas geleistet werden. Noch etwas sehr Wichtiges, Unaufschiebbares sogar.

Unmutig sprang der Polizeirat auf und schritt erregt im Zimmer auf und nieder. Als ihm auch das noch nicht genügte, stieß er die Tür zu dem kleinen Privatkabinett nebenan auf und setzte hier seine ruhelose Wanderung fort. Warum trieb es ihn nur so unrastig umher? Fürchtete er sich denn vor etwas? Aber wovor dann? Etwa vor der Arbeit? – Pah! Die würde er schon noch bewältigen. Nur zwei Minuten wollte er sich noch Zeit gönnen, dann würde er beginnen. Es waren ja nur ein paar Federstriche zu tun.

Plötzlich schrak er heftig zusammen. Er hatte jemand gesehen, wer mochte sich hier eingeschlichen haben? Da –! Da – schon wieder–...

Mr. Rocket schlug eine gequälte Lache an–... »Hi – hi – hi!«

Wie kann man sich nur so täuschen! Die Gestalt, die er vermeinte gesehen zu haben, war er selbst–... sein eigenes Spiegelbild.

Er trat beherzt vor den kleinen Wandspiegel hin, um sich weidlich auszulachen–... »John Rocket, wie konntest du bloß!« –

Er unterbrach sich jäh. Das Lächeln auf seinen Lippen gefror zu Eis. Das sollte er sein? – John Rocket! Trotz Breakfast und Whiskysodas, Reispuder und Massage war das Gesicht, das er im Spiegel studierte, Zug um Zug, fleckig und aufgedunsen. Die Augen stierten blöd und trübe aus tiefen, faltigen Höhlen.

Eine namenlose Niedergeschlagenheit bemächtigte sich des Polizeirats. Hier mußte Abhilfe geschaffen werden. Und das sofort. Seine Nerven würden nicht mehr länger mitmachen.

Nur vorsichtig, damit keine Menschenseele etwas davon merkt. Die Welt sollte ihm kein Laster nachsagen, um des Himmels willen – nein!

Da ist es schon sicherer, man schließt sich ein.

Vorsichtig schlich der Rat zur Korridortüre und riegelte sie von innen ab. Noch rasch sich überzeugt, ob sie auch zu ist! – Ja.

Jetzt nur noch eine Sekunde Geduld. O, wie seine Nerven danach hungerten! Gleich – gleich! – Ihn fieberte vor Begier.

Im nächsten Moment stand er vor dem Bücherschrank. Mit zitternden Händen zog er einen dickleibigen Band »Neu-indisches Recht« hervor. Man muß schon sagen: Mr. John Rocket war doch ein »rechtschaffener« Mann. Er würde ganz bestimmt seinen gequälten Nerven zu ihrem »guten Rechte« verhelfen.

Liebevoll strich seine flache Rechte über den Spuren häufiger Benutzung verratenden Deckel des teuren Buches. Die obere Einbanddecke des »Neu-indischen Rechtes« sprang auf, und auf der bloßgelegten Höhlung des Buches lachte Mr. Rocket eine kleine Metallschale verführerisch entgegen. Mit einem zweiten Griff brachte Mr. Rocket eine blinkende Golddose aus seiner Brusttasche zum Vorschein. Der Deckel schnellte hoch.

Die Dose war bis zum Rande gefüllt mit – Opiumpillen.

Mit einer Geschicklichkeit, die auf sehr viel Übung schließen ließ, mischte der Polizeirat Wasser und Opium in der Metallschale. Mit gieriger Hast schluckte er das Gebräu hinunter. Leckte die letzten braunen Tropfen mit der Zunge von den Lippen ab, sank in seinen Rohrsessel zurück und starrte mit leeren Augen ins Weite.

Nach ein paar Minuten sprang er auf: ein fröhlicher, kraftstrotzender Mann!

Und wiederum stellte er sich vor den Spiegel. Er strahlte eitel Wonne und Zufriedenheit über den energischen Mann da vor sich.

» What a great man!« apostrophierte er in schwülstigen Phrasen sein Spiegelbild. »Du bist fürwahr ein Prachtmensch, John Rocket. An dir ist ein Cromwell oder Napoleon verloren gegangen. Genau so furchtlos, streng und erhaben mußte der englische Diktator vom benachbarten Fenster des Whitehall-Palastes auf das Blutgerüst hinübergeblickt haben, als unter dem Streiche des vermummten Henkers in der Matrosenjacke Karls I. königliches Haupt in den Sand rollte. Und doch war dieser Kopf, wie die Geschichte berichtet, durch einen stierbreiten Nacken an einen so robusten, kräftigen Rumpf gebunden gewesen, daß selbst Cromwell, bewundernswert in seiner schier übermenschlichen Objektivität, nicht umhin konnte zu gestehen, dieser feiste Mann hätte zehn Jahre und noch mehr leben können. Was will demgegenüber eine indische Dirne, und was erst ihr schmächtiger Vogelhals besagen?

»Und wie hielt es Napoleon?« Mr. Rocket verschränkte nach bonapartischer Manier die Arme über der Brust und schaute von unten herauf sein Spiegelbild an. »Das Kriegsgericht sprach den Herzog von Enghien frei, – er ließ ihn kurzerhand an die Mauer stellen und im Festungsgraben von Vincennes erschießen. So handelt wahre Größe. Immer sich selbst gleich bleiben und seinen großen, unverrückbaren Zielen. Ihnen eifere nach, John Rocket!«

Sein künstlich erregter Tatwille drängte nach Betätigung. Mit langen Schritten ging Mr. Rocket hinüber ins Dienstzimmer. Setzte sich an den Schreibtisch, schlug die Akten Besant auf und trug mit fester Schrift den Vermerk ein:

»Mary Besant beging in ihrer Zelle Selbstmord.«

Als er die Feder hinwarf, wunderte er sich, wie er sich vorher so sehr vor der Niederschrift dieser paar Worte hatte fürchten können. Pah! – er würde noch zu ganz anderen Taten fähig sein. Das fühlte er jetzt so recht. Er näherte sich dem Fenster, streckte den rechten Arm über die Stadt Bombay aus, wie einst Nero den seinen über das flammende Rom, und stammelte in dieser Halbgottpose trunkene Großmannsworte:

»Dieser Stadt meinen allmächtigen Polizeiwillen an die Stirne heften – welch lockendes Ziel! Einmal nur Herrscher sein, und ich mache aus Bombay –«

Ein Klopfen an der Tür brach seinem größenwahnsinnigen Paroxysmus die Spitze ab. – Sollte er es sein? Gut, man sollte ihn bereit finden.

» Come in!«

Die Klinke wurde niedergedrückt, die Tür ging aber nicht auf. Richtig, er hatte sie ja abgeriegelt, wie ein ertappter Verbrecher räumte er hastig die verräterischen Zeugen seiner geheimen Leidenschaft weg, stellte das »Neu-indische Recht« an seinen Platz zurück und ging öffnen. In unterwürfiger Haltung trat ein indischer Läufer ein. Hätte der Kuli nicht eine so gute Botschaft gebracht, wäre es ihm schlimm genug ergangen. Er meldete:

»Seine Gestrengen der Herr Polizeipräsident, durch plötzliche Krankheit verhindert, lasse den Herrn Polizeirat bitten, ihn in allen laufenden Amtsgeschäften zu vertreten.«

John Rocket frohlockte. Das war die Erfüllung seiner kühnsten Träume! – Jetzt zittere, Bombay!

Er überlegte, wem er zuerst seine Macht zeigen könnte. Dabei streifte ihn flüchtig der Gedanke, daß ein so stupider Zufall, wie die plötzliche Erkrankung des Präsidenten, seine ganze, große Mühe, die er an die endgültige Erledigung des Falles Besant verwandt hatte, mit einem Schlage überflüssig gemacht hatte. Sein »genialer Einfall«, die gestörte Nachtruhe, der Weg nach dem Gewahrsam – alles umsonst.

Sophist, der er war, sagte er sich im nächsten Augenblick, daß dies im Grunde genommen ja nur den Polizeirat Rocket anginge und nicht ihn, den nunmehrigen stellvertretenden Polizeipräsidenten von Bombay.

An wem sollte er nun seine neue Macht zuerst auslassen?

An dem kranken Polizeipräsidenten selbst! Bei Gott! Das ist ein Einfall. In der Nacht konnte ihm Sir George Bulwer noch befehlen, Sorge dafür zu tragen, daß kein Sterbenswort über den Fall Besant in die Presse dringe; jetzt würde er gerade zum Trotz das strikte Gegenteil von dem tun. Das sollte seine erste Amtshandlung als »Polizeipräsident i. V.« sein. Genau wie alle neuen Herrscher dies auch machen.

In diesem Sinne sandte er seinen ersten Befehl in die Welt hinaus. Eine Dreizeilennotiz des Inhalts, daß im Polizeigewahrsam eine gewisse Mary Besant in verflossener Nacht aus unbekannten Gründen in ihrer Zelle Selbstmord begangen habe, sollte das Mütchen des großen Mannes an dem kranken Präsidenten kühlen helfen.

Gleichzeitig dachte er sich diese Notiz als Grabstein der vermaledeiten Besant-Affäre.

Davon aber, daß er mit dieser Dreizeilennotiz sein eigenes Todesurteil schrieb – davon ahnte dieser Mann, der wohl den Wahn, doch nicht die Kraft zur Macht hatte, nicht das Mindeste.

Noch auch ließ er sich's in den Sinn kommen, daß niemals ein Grabstein von seinem Erdenwallen Zeugnis ablegen würde.

Selbst ein ehrliches Christengrab sollte ihm nie gegönnt sein.

Ja nicht einmal ein – Sarg – –


 << zurück weiter >>