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Siebzehntes Kapitel.

»Mörder –! Mörder –!«

Woher die Schreie? – Wem gilt die furchtbare Anklage?

Aus unmittelbarer Nähe scheinen die Rufe zu dringen und doch wieder so weit ab. Man hört ein wüstes Geschrei, Schimpfen und Poltern. Momentane Stille dann. Und wieder der dröhnende Wirrwarr der Stimmen. Daraus hervor sticht spitz wie eine Stichflamme die lächerlich hohe Falsettstimme in die Luft hinein. – »Mörder!«

Mit einer jähen Gebärde des Erschrockenseins will Basakuta den Schweif an sich reißen. Mit einem flinken Griff kommt ihm Mr. Webster zuvor. Die Wirkung der Peitsche auf ein feinnerviges Arabervollblut hätte nicht aufreizender wirken können als dieses entsetzliche Wort auf Basakuta. Die funkelnde Wut des zum Reißsprunge geduckten Tigers in den wildrollenden Augen stand er da und lugte nach allen Seiten nach dem unsichtbaren Ankläger aus.

Für den kriminalpsychologisch geschulten Detektiv war das mehr als selbstverräterische Benehmen des Schlüsselmeisters beim Anhören des Rufes: »Mörder Mörder!« von einer überzeugenden Beweiskraft für eine geheime Blutschuld des Mannes.

Und: »Mö-ör-der!« vergurgelt es jetzt ein letztesmal.

Aber noch immer war von dem Urheber des Rufes oder den Tätern nicht das mindeste zu entdecken. Der Detektiv bekundete durchaus keine Eile, dem rätselhaften Vorfall auf die Spur zu kommen. Ihn interessierte in erster Linie Basakuta und sein weiteres Verhalten. Dieser mochte den forschenden Blick des Detektivs auf sich ruhen fühlen, denn er wandte ihm plötzlich voll das Gesicht zu.

»Wie, Babu?« stammelte er, unter dem stechenden Blick des Detektivs jäh erbleichend, »Ihr glaubt doch nicht, daß ich. – Was fällt Euch ein, so etwas zu denken!« Und er lächelte in seiner Ratlosigkeit das fade, nichtssagende Lächeln eines Blöden, dieweil sich in seinem blutleeren Gehirn die ferne Hoffnung einnistete, dieses einfältige Lächeln könnte wirklich allen Verdacht von ihm hinwegfegen.

Mr. Webster dachte nicht daran, den Inder auf das entschlüpfte halbe Geständnis festzunageln. Sein Opfer hatte sich schon zur Genüge in das ausgehängte Netz verstrickt, daß er ihm nicht mehr entrinnen konnte.

»Beruhige dich Basakuta,« sagte er in fast wohlwollendem Tone. »Das habe ich nie von dir gedacht. Ich habe dich im Gegenteil immer für einen mutigen Mann und nicht für einen Feigling gehalten.«

Diese harmlosen, unverfänglichen Worte verwirrten den Inder fast noch mehr. Es ist nicht zu ermessen, wie dieses reizvolle Spiel zwischen Katz und Maus, dieser Gedankenzweikampf um Schuld oder Nichtschuld sich weiterentwickelt hätte, wäre in diesem Augenblick nicht an den beiden Gegnern eine dunkle Gestalt, wie aus dem Kanonenrohr geschossen, vorübergesaust. Es war der Besitzer der Teestube, den der wachsende Lärm hergelockt hatte. Ohne im Laufen innezuhalten, rannte er gegen die hintere Wand des Lokals an, daß es schien, als wolle er sich in großer Verzweiflung den Kopf einrennen. Die Wand aber war vernünftig genug, zu so törichtem Vorhaben keine Beihilfe zu leisten, gab vielmehr unter dem Druck des aufliegenden Körpers bereitwillig nach.

Basakuta, vielleicht in der Meinung, unbemerkt hier entschlüpfen zu können – ließ ihn doch sein gewecktes Gewissen die Gesellschaft des widerwärtigen Babu je länger, desto lästiger empfinden – schlich hinter dem Wirt durch die aufgeflogene Tapetentür nach dem jenseitigen Raum hinüber. Mit den Bewegungen einer sattgefressenen Katze glitt er dahin. Harry Webster blieb ihm aus guten Gründen dicht auf den Fersen. Auch Fred Pearson hielt sich für alle Fälle in Bereitschaftsnähe seines Chefs.

Ein dichter, dumpfer, durchdringender Qualm schlug den Eindringlingen entgegen. Rötliches Licht durchäderte die lastende Schwüle des Raumes. Mit einem Blick hatte Mr. Webster den Raum überschaut und erkannt, eine geheime Opiumhöhle aufgedeckt zu sehen. Vor Ungeduld und Aufregung zappelnde Nerven treiben die unglücklichen Lastersklaven aller möglichen Berufe, Gesellschaftsklassen, Nationalitäten und Farben in diese Höhle, um nach kurzem Genußrausche schlaff und abgespannt wieder davon zu wanken, meist Ekel vor sich selbst und über ihre verderbliche und ach so süße Leidenschaft im Herzen und doch auch wieder den Wunsch nach baldiger gesteigerter Wiederholung im dumpfen Hirn.

Das einzige Fenster der Höhle war zertrümmert. Scheiben lagen, blinkend im ausgegossenen Licht wie glasige Schlangenaugen, auf dem Boden umher. Für Sekunden zittert in grotesken Umrissen der Schatten eines Irgendjemand im ausgestoßenen Fensterrahmen. Dann hat ihn die draußen gähnende Nacht gefräßig verschluckt–...

Eines Erschlagenen Leib lag auf dem Boden der Opiumhöhle.

Und dicht daneben, sorglos wie ein spielendes Kind und unbekümmert um die Vorgänge der nächsten Umwelt, saß ein Mensch und steckte mit nervösen Fingern eine neue Opiumpille in den gebräunten Kopf der langgestielten Pfeife. Und entzündete sie mit jener wüsten, hastigen Gier, die allen Genußlingen mehr oder minder eigen ist.

Angesichts der Leiche schlug der verängstigte Wirt die Hände über der Brust zusammen und jammerte in einem fort, er sei ein ruinierter Mann, wenn die Polizei dahinter käme, würde man ihm gar noch die Teestube vorn schließen, was bloß beginnen?

Der Zustand der Leiche ließ Zweifel darüber aufkommen, ob hier ein Raub- oder Lustmord vorlag. Langgeschlitzt klaffte das Gewand vorn über der Brust offen. Von der Decke fiel aus einer Ampel ungewisses Licht auf den Leichnam. Ihr Schein ließ einen dunklen, kalten Gegenstand auf dessen Brust intensiv aufleuchten.

Im Begriffe, sich über den Erschlagenen zu beugen, prallte Basakuta förmlich zurück. Mit der Rechten, die sich anscheinend nach dem leuchtenden Gegenstand hatte ausstrecken wollen, griff er ins Leere. Seine bebenden Lippen stammelten Laute, deren Klang Mr. Webster fremd, und Worte, deren Sinn ihm unverständlich waren.

»O Kali! Omra Nurrheddin!« murmelte er.

Und so dreimal hintereinander.

Der Detektiv, der gleichfalls an die Leiche herangetreten war, um der Ursache der neuen Verwirrung des Inders auf die Spur zu kommen, machte in dem dunkelschimmernden Gegenstand einen schwarzen Stein aus, von dreieckigem Schnitt mit eingegrabenen Geheimzeichen. Er hing an einer Schnur um den Hals der Leiche. Der Detektiv hielt es für angezeigt, den Stein an sich zu nehmen. Damit schien sein Interesse an der Leiche wie auch an der ganzen seltsamen Umgebung erschöpft.

Basakuta hatte die kurzen Minuten der Untersuchung benutzt, um unauffällig das Freie zu gewinnen. Mr. Webster ließ ihn ungehindert gewähren. Und erst als sich die Tür hinter jenem geschlossen hatte, gab er Fred Pearson Auftrag, den Inder weiter zu beobachten und ihm ehestens über etwaige Ergebnisse zu berichten. Als der Detektiv sich zum Aufbruch rüstete, fiel ihm der kopflos gewordene Wirt in den Arm mit den wehleidigen Worten:

»Ratet mir, Sahib, und Brahma selbst möge es Euch lohnen: Was soll bloß mit der Leiche geschehen?

Trocken gab der Gefragte über die Schulter die lakonische Antwort: »Begraben lassen.« –


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