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Sechstes Kapitel.

Der Bombayer politischen Polizei war, wie wir gesehen haben, weder die Person der Mrs. Besant, noch der Morlenbund unbekannt geblieben. Gleichwohl war es durch ein geschicktes System der Täuschung diesem Geheimbund bisher immer noch geglückt, der Polizei über seine wahren Ziele Sand in die Augen zu streuen. Sein Haupt, Jana Bhaskara, hatte noch kurz vor dem Bankett mit dem Nizam und dessen Wesir eine wichtige, politische Unterredung, wobei über die Zukunft Indiens entscheidende Beschlüsse gefaßt wurden.

Der Zwischenruf der Mrs. Besant war durchaus nicht »bestellt«, wie der Pseudopräsident den Polizeirat Rocket irreführender Weise glauben gemacht hatte. Er verstieß entschieden gegen das Programm der Junginder. Entsprach er auch im großen und ganzen dem grundlegenden Sinne der unausgeführten Rede des Nizam, so würde sich dieser doch gewundener, mehr diplomatisch und weniger schroff ausgedrückt haben. Mrs. Besant, so männlich sie sich auch gebärdete, war immerhin ein Weib, d. h. sie trieb Politik mehr mit dem Herzen.

Was sie insgeheim bezweckte, war: einen Skandal herbeizuführen! Und zwar einen allerpersönlichster Natur. Dabei vergriff sich ihr impulsives Temperament einmal in der Wahl des Mittels, der Zeit und des Ortes, und zweitens traf ihr vorschneller Pfeil gerade den nicht, den sie hatte treffen wollen, – den Gouverneur von Bombay nämlich selbst. Noch genauer: den wortbrüchigen Earl of Castleford.

Die Kirchenbücher von Sankt-Pauls-Kathedrale kennen nicht den Decknamen Mary Besant, wohl aber eine Lady Garcia. Und auch seine Lordschaft, der Earl of Castleford, waren nicht immer schon Gouverneur von Bombay gewesen, sondern einmal ein leichtlebiger Londoner Dandy, der hoch spielte und tief trank und mit vollendeter Kunst ein schuldig gebliebenes Viergespann edler Vollblüter durch Regent-Street zu lenken verstand. Damit kutschierte er sozusagen geradeswegs in Lady Garcias Herz hinein. Als dann seine Zeit um und sein ganzes Vermögen vergeudet war, schiffte er sich unter Hinterlassung von vier uneingelösten Wechseln, dreier gebrochener Herzen – darunter das der Lady Garcia – und eines mit eleganter Sicherheit erledigten Duellgegners – ihres unglücklichen Bruders – kurzerhand nach Indien ein, wo er rasch genug auf die Empfehlungen eines einflußreichen Parlamentariers hin sein Glück und glänzend Karriere machte.

Das Bewußtsein seiner neuen Herrscherwürde – ein indischer Gouverneur ist ein König im kleinen mit allen Machtbefugnissen eines solchen – hatte den früheren Tunichtgut mit der Zeit etwas steifleinen gemacht. Auf Repräsentation, wie überhaupt auf Äußerlichkeiten, legte er großen Wert. Er war ein überzeugter und eifriger Bekenner der berüchtigten englischen Morallehre vom »Cant« geworden. Auf ein Sittengebot formuliert, lautet der oberste Moralsatz des »Cant«, der alle anderen in sich schließt, ungefähr so: Sündigen ist nicht sündhaft, Erwischenlassen aber eine Todsünde wider den heiligen Geist der englischen guten Gesellschaft.« Innerlich war er daher immer noch der alte Londoner Lebemann. Für einen solchen auch gehalten zu werden, davor schützten ihn in den Augen der Welt, die getäuscht sein will, die drei: »Cant«, Stellung und Ehering.

Völlig in ihr Gegenteil umgeschlagen war Lady Garcia. Durch den Namenswechsel wollte sie schon äußerlich zum Ausdruck bringen, daß sie keine Gemeinschaft mehr haben wollte mit einer Welt der hoffärtigsten Überhebung und Selbstgerechtigkeit, der Verstellung und der lächelnden Kaltherzigkeit. Ihre Liebe hatte sich in Haß verkehrt.

So hitzig sie dem Gouverneur den Fehdehandschuh hingeworfen, so kühl hatte er ihn aufgenommen. Mit einem einzigen Blicke seines listig blinzelnden, rötlichen Fuchsauges hatte er seine exaltierte Widersacherin vom Schauplatze der Tat verschwinden lassen.

Außer Harry Webster und Sir Bulwer hatten diesen Wink noch sieben Mitglieder der jungindischen Partei aufgefangen, die mitten unter den Großen des Reiches beim Festmahl in Taj-Mahal-Palace saßen. Es waren dies Söhne aus den angesehensten einheimischen Familien, Intellektuelle, die zum Teil ihre wissenschaftliche Bildung und politische Schulung in England selbst genossen hatten.

So ungehalten sie auch im Grunde über den unbedachten Schritt ihrer Parteigängerin waren, besaßen sie gleichwohl Gemeinsamkeitsgefühl genug, um sie nicht fallen zu lassen. Mit einem schwerfälligen Aufgebot von Argumenten und Gegenargumenten pflogen sie über die zu ergreifenden Maßnahmen Rats. Schließlich wurde der vereinzelte Vorschlag der Anwendung offener Gewalt oder Bestechung abgelehnt und mit sechs gegen eine Oppositionsstimme beschlossen, mit List die Befreiung von Mrs. Besant zu bewerkstelligen. Die umständliche Durchberatung des Falles entsprach ganz dem philosophischen Hang dieser Leute, während Harry Webster, der verstandesnüchterne Deutschamerikaner, seinem raschen, aber deshalb nicht weniger klug und sorgfältig durchgedachten Plane mit der reißenden Bewegung des geborenen Tatmenschen die Ausführung unmittelbar auf dem Fuße folgen ließ.

Aber auch für die Sicherheit der einmal befreiten hatte der umsichtige Detektiv Sorge getragen. Als sie aus dem Präsidium auf die Straße heraustrat, löste sich aus dem Schatten des gegenüberliegenden Eckhauses die Gestalt eines Mannes, der nur auf diesen Augenblick gewartet zu haben schien. Mit einem kurzen, aber doch respektvollen Gruße trat er an die Dame heran und bat sie höflich, ohne Zeitverlust das zu ihrer Verfügung bereitstehende Auto zu besteigen.

Mrs. Besant, an Selbstständigkeit gewöhnt, wollte um eine Erklärung bitten.

»Zu Worten ist die Zeit zu kostbar«, drängte der Unbekannte, Mrs. Besant zum Auto geleitend und den Schlag öffnend. »Durch Ihr Zögern stellen Sie nur den schon errungenen Erfolg der Arbeit eines Mannes in Frage, dem ich für Ihre Sicherheit verantwortlich bin. Jetzt in Ihre Wohnung zurückzukehren, hieße der Schlange in den Rachen fliegen. Übrigens«, fügte der junge Mann hinzu und legte die Rechte an die Chauffeurmütze, »gestatten Sie mir ein kleines Versäumnis nachzuholen: Mr. Pearson ist mein Name, Fred Pearson, Sekretär im Dienste Ihres smarten Befreiers, des deutschamerikanischen Detektivs Harry Webster.«

»Harry We –« wollte die Dame freudig überrascht ausrufen. Mr. Pearson warnte sie jedoch zur rechten Zeit. »Um des Himmels willen, Mylady, Sie verraten sich und Ihren besten Freund noch! Bitte, voran!« flüsterte er, warf den Schlag hinter der Eingestiegenen zu und schwang sich auf den Führersitz.

In rascher Fahrt nahm das Auto die Hardinge Street. Bei aller Sympathie, die das frische Antlitz und der offene Blick des jungen Fahrers in ihrer Brust ausgelöst hatten, konnte sich Mrs. Besant eines leichten Mißtrauens nicht ganz erwehren. Die ganze Fahrt über hielt sie den Finger am Abzughebel ihres entsicherten, kleinen Taschenbrownings, ohne den in Bombay auszugehen nicht ratsam ist.

Nach flotter Fahrt hielt das Auto vor dem reizend zwischen Blumenbeeten hingebetteten Landhause des Parsen Dschamsedschi Dschidschibhai, der den späten und ungewöhnlichen Besuch erwartet haben mußte.

»Er ist ein Freund von Mr. Webster«, erklärte Fred Pearson der Dame beim Aussteigen. »Keines Spähers Auge wird Sie hier vermuten. Mr. Webster, der Sie durch mich bestens grüßen läßt, wird sich, sobald seine Zeit dies erlaubt, die Ehre geben, Ihnen persönlich seine Aufwartung zu machen.«

Der Parse, ein gesetzter Mann in den fünfziger Jahren mit klug und freundlich blickenden Augen, wie Mrs. Besant im Scheine des Lichtkegels der Autolaternen zu ihrer Beruhigung feststellte, trat hinzu, verneigte sich tief vor der Lady und bat sie in gutem Englisch, die Gastfreundschaft seines Hauses gütigst in Anspruch nehmen zu wollen. Mrs. Besant reichte dem Chauffeur die Hand zum Abschiede, dankte ihm und ließ sich von dem Parsen ins Haus geleiten. Die Rechte, von der breiten Hüftenschärpe verdeckt, hielt noch immer den Browning umspannt. –

Mr. Pearson wendete und fuhr, was immer die knatternden Notare leisten mochten, zur Stadt zurück, mäßigte vor dem Präsidium das Tempo und ließ die Hupe tönen. Dreimal hintereinander. Kurz kurz – lang – –!

Im Schatten des Eckhauses von Hardinge Street ließ er den Wagen halten, stieg ab und untersuchte die Motore. Zeine Augen waren durchaus nicht bei der Sache, spähten vielmehr angestrengt die gegenüberliegende Anfahrtstraße zum Präsidium hinauf. Klappte die Schutzdeckel wieder über den Motor, warf einen Blick auf das Radiumzifferblatt seiner Uhr – das war fast zur selben Zeit, da der Pseudopräsident oben im Zimmer Nr. 43 seine Uhr nach der Zeit befragte – und ließ zum zweitenmal die Hupe tönen–... kurz kurz – lang –

Plötzlich sah er am oberen Ende der gegenüberliegenden Anfahrtstraße ein weißes Licht aufblitzen. Sein Ohr fing die charakteristischen Geräusche eines fahrenden Kraftwagens auf. Unter dem Druck seiner Hand schrie zum drittenmal die Hupe auf – laut, herrisch und dringend.

Wenige Sekunden später schritt oben der Pseudopräsident zur Tür des Zimmers Nr. 43 hinaus und verließ durch ein Seitenportal das Präsidium – zu genau derselben Zeit, da sein Original über die wenigen Stufen zum Hauptportal hinweg das Präsidium betrat.

Fred Pearson saß am Steuer, die linke Hand am Rad, die rechte am Fahrthebel, und erwartete gespannt das Eintreffen des Meisters. Indes sein Ohr so angestrengt, daß er sein Blut leicht brausen hörte, auf das Kommando »Los«! horchte, wollten ihn die paar Minuten, die der Detektiv für die Zurücklegung des kurzen Weges vom nahen Seitenportal bis zum Auto benötigte, wie eine Ewigkeit dünken. Die Ungeduld übermannte ihn schließlich so, daß er den Kopf herumwarf – und seine Unruhe über das Geschaute kaum bemeistern konnte.

Er sah einen Polizeipräsidenten an das Auto vor dem Hauptportal herantreten. Ist es denkbar, daß sich Harry Webster im Auto irren konnte! Oder war er es, der aufgeregte Fred Pearson, der sich in der Person seines Meisters irrte! Die geringste Unvorsichtigkeit seinerseits konnte eine nicht wieder gut zu machende Gefahr heraufbeschwören. Davor jedoch rettete ihn zur rechten Zeit noch das felsenfeste Vertrauen an die Geschicklichkeit seines Herrn. Er hatte sich ganz still zu verhalten und alles weitere abzuwarten, wer immer die Person dort sei, was immer sich ereignen mochte.

Mit Gewalt brachte er seine rebellischen Gedanken unter die Botmäßigkeit eines geschulten, disziplinierten Willens. Nur seine Augen, womit er regungslos die Vorgänge am anderen Auto verfolgte, blitzten lebhaft wie die Pupillen einer Dschungelkatze. Er konnte deutlich bemerken, wie die Gestalt drüben behutsam zwei oder drei Stufen der Portaltreppe hinaufschlich, sich plötzlich umdrehte und nun mit festen Schritten auf den Wagen zuging. Beim Schall der nahenden Schritte fuhr der Chauffeur drüben aus seiner gekauerten Lage hoch und schaute sich überrascht nach dem Urheber derselben um.

»Ich muß meine Aktentasche im Wagen liegen gelassen haben«, hörte Fred Pearson den Polizeipräsidenten sagen. Gleich darauf stand der Präsident aufgerichtet im Coupé, mit dem Rücken gegen den Fahrer, beugte sich über den Rücksitz, wobei er sich mit der rechten Hand, die er gerade aus der linken Brusttasche hervorgezogen hatte, auf das Polster der Seitenlehne stützte, und stieg mit den Worten: »Richtig –, da ist sie ja!« wieder aus.

Er nahm rasch die Stufen zum Hauptportal und war im nächsten Moment dahinter verschwunden.

Die folgenden Minuten stellten Fred Pearsons Ungeduld erst recht auf eine harte Probe. Wenn jetzt – gerade in diesem kritischen Augenblick – der richtige oder der falsche Polizeipräsident von oben herunter käme, und Original und Doppelgänger wie durch einen Spiegel sich gegenseitig erblickten! – Wie würde dieser Zusammenstoß enden?

Er fühlte das Herz wie mit Hammerschlägen gegen seine Rippen pochen und atmete erst wieder auf, als zum zweiten Male die Gestalt des Präsidenten aus dem Seitenportal heraustrat, rasch und lautlos die wenigen Schritte über die erleuchtete Straße glitt und unbemerkt im Schatten der nächsten Häuser untertauchte.

»Fred –«

»Mr. Webster?«

»Ja, ich bin's. Langsam anfahren, dann volle Kraft.«

Auf halbem Wege gab Mr. Webster seinem Gehilfen die Weisung, mit ermäßigter Fahrt nach » The Green« zu fahren. Bevor er hier den Telephonknopf aufsuchte, meinte er mit einem feinen Lächeln zu Fred Pearson:

»Sir George Bulwer, mein ›Vorbild‹, dürfte in diesem Augenblick sehr von Ärger geplagt werden. Das schadet den Nerven. Wenige Tropfen«, er deutete auf seine linke Brusttasche – »aus der grünen Phiole hier, auf das Lehnpolster seines Coupés geträufelt, werden ihm voraussichtlich zu dem notwendigen Schlaf verhelfen. Du weißt, Fred, ich bin ein höflicher Mensch; ich gehe jetzt, ihm rasch Gutenacht sagen.«

Beim Überschreiten des Dammes schaute der Detektiv gewohnheitsmäßig prüfend nach allen Seiten um. Es wunderte ihn keineswegs, weit und breit keinen Polizisten zu erblicken. Wie ausgestorben lag der Platz da. Nur die weißglühenden Bogenlampen, riesigen Mondscheiben vergleichbar, machten sich auf ihre Art bemerkbar. Mit lispelnder Stimme sangen sie ein Lied. Manchmal hörte sich's an, als zischten sie sich gegenseitig aus.

Doch war da noch ein anderes Geräusch, das die Nachtluft erfüllte. Aus der Richtung von Blacktown trug es der Wind auf seinen tiefschleifenden Flügeln herüber. Wie dumpfbrausendes Branden des fernrollenden Meeres erscholl es zu seinen Häupten. Mr. Webster hörte das Branden und nickte, kurz und beifällig. Einen schadenfrohen Blick sandte er nach dem nahen Gouvernementspalast hinüber.

Dann trat er in die Telephonzelle ein.

Er knipste das Licht an und führte mit seinem genasführten Original das bewußte Gespräch. Den Rücken hielt er der Tür zugekehrt.

Wie ein phantastischer Nachtspuk tauchte eine Gestalt hinter ihm auf. Legte das zu einem diabolischen Grinsen verzerrte Gesicht an die Türscheibe. Und lauschte–...

»… mit dem Polizeipräsidenten von Bombay –«

Wie aus weiter, weiter Ferne drangen die Worte an das Ohr der spukhaften Nachtgeburt. Sie hatten weder Klang, noch lebendigen Ton, weil es ihnen in der engen, aller Resonanz baren, ausgepolsterten Zelle an der Möglichkeit der Schallentwicklung gebrach. In die Seele des Lauschers fielen sie gleichwohl wie aufrüttelnde Donnerschläge. Weckten sie zu hartem Schwertleben auf und ergossen die Kraft des Handelns in Muskeln und Sehnen.

Ein Ruck, und die Tür flog auf.

Im Nu fuhr Mr. Webster auf dem Platz herum. Ein paar von Blutdurst und Mordgier funkelnde Augen, ein hochgeschwungener Dolch, blitzend im rottriefenden Scheine der Glühbirne, ist alles, was sein Blick fürs erste erfaßt.

»Ha!« –

Wie aus einem Rohre geschossen, entfährt dieses »Ha!« seinem Munde und wühlt sich, gleich einer Granate in den aufwirbelnden Trichter, in die Sprechmuschel. Trifft hart auf die Membrane auf, die den schwingenden Laut weiterleitet bis ins Ohr Sir Bulwers. Wut, Ingrimm und Verachtung lebten und bebten in diesem Aufschrei.

Der Hörer fliegt in den Haken, und mit einem einzigen, kühnen und geschickten Griffe hat der kampferprobte und gefahrgestählte Meisterdetektiv dem zähnefletschenden Meuchelmörder die Waffe aus der Hand geschlagen.

»Kanaille!« sagte Mr. Webster einfach. Und wandte sich an Fred, der auf den Schrei herbeigestürzt kam, mit den Worten: »Es ist weiter nichts. – Kehren Sie ruhig auf Ihren Platz zurück.«

Der Detektiv lockerte den Griff, womit er wie in einem Schraubstock das rechte Handgelenk des finster blickenden Inders umspannt hielt, und richtete an ihn die Frage:

»Wußtest du, gegen wen du den Dolch zücktest?«

»Ja«, antwortete der Inder, trotzig und furchtlos.

Er war noch ein junger Mensch mit intelligenten Gesichtszügen. Der Detektiv, dem nichts so sehr imponierte wie Unerschrockenheit, begann sich für seinen Mörder zu interessieren.

»Rede ausführlicher!« forderte er den Inder auf. »Wen wolltest du in mir meucheln?«

»Indiens Feind – den Polizeipräsidenten von Bombay!«

Bei diesen Worten schoß der Inder einen flammenden Blick feindseligen Hasses auf seinen vermeintlichen, als grausam und unbarmherzig verschrieenen Gegner, dessen Zorne er sich nunmehr preisgegeben sah. Dann wechselte der Ausdruck in seinem Blicke. Er senkte die Lider, neigte das Haupt und erwartete mit dem ganzen, großen fatalistischen Gleichmut seines Volkes den nahen Augenblick, da seine Seele ins Nirwana eingehen sollte.

Aber nichts dergleichen geschah. Hätte er die Augen nochmals geöffnet, er würde im Gegenteil das sonst so kalt und durchdringend blickende Auge seines Überwinders mit Wohlgefallen auf sich haben ruhen sehen. Nach einer Weile drangen Worte an sein Ohr, die ihm unfaßbar schienen.

»Nimm deine Waffe an dich«, gebot ihm Mr. Webster und ließ gleichzeitig seine Hand los. Überrascht hob der Inder den Kopf und tat mechanisch wie ihm befohlen worden.

»Bist du ein Hindu?« fragte Mr. Webster.

»Ja.«

»Dann bitte Schiwa, den Zerstörer, er möge deine Augen schärfen und deine Hand ein andermal das rechte Ziel treffen lassen.«

Nachlässig, als sei nicht das Geringste geschehen, ordnete Mr. Webster seinen weißen Schlips, der sich vorhin bei der heftigen Bewegung etwas verschoben hatte, und schritt ruhig und sicher, und ohne sich noch einmal nach dem fassungslosen Inder umzusehen, zum Auto.

Der dunkle Sinn der Worte und die geheimnisvolle Macht der Stimme bannten den Inder förmlich auf seine Stelle. So stark war dieser eigenartige Bann, daß ihm nicht einmal der Gedanke kam, dem Davonschreitenden den Dolch zwischen die Rippen zu rennen.

Wer jener war, daß er eine solche Macht über ihn gewinnen konnte – über ihn, der allein im Rate der jungindischen Parteigenossen für offene Gewalt zur Befreiung Mrs. Besant gestimmt hatte und nun so kläglich versagte?!


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