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Siebentes Kapitel.

Nach der Entfernung der Mrs. Besant aus dem Festsaal in Taj-Mahal-Palace wickelte sich das Festprogramm ungestört ab. Gegen Schluß der Festivitäten überraschte die Aufmerksamkeit des Nizam von Haidarabad seine englischen Gastgeber mit interessanten Tanzdarbietungen der fürstlichen Bajaderentruppe.

Zum Schauplatz der Tänze war die Gartenbühne ausersehen. Der Garten selbst glich ganz einem attischen Haine, geschaffen für das leichtsinnige Treiben für allerlei Fabelwesen.

Von außen hatte die Bühne das Aussehen einer riesigen Muschel mit der eigenartigen Kannelierung einer solchen. Als der farbensatte, aufs reichste bestickte Vorhang mit der gemessenen Bewegung einer wellenwerfenden Flut seitwärts auseinander rauschte, zeigte es sich, daß auch die innere Bühne die Muschelform festhielt. Nur waren die inneren Wände glatt, schimmerten aber dort, wo metrisch abgeteilte, gleichsam als Staffage eingemalte Liebesszenen je einen schmalen Zwischenraum gelassen hatten, mit der opalisierenden, regenbogenfarbigen Leuchtkraft des Perlmutters in edler Schönheit hervor.

Ihr Licht empfing die Bühne von einer Reihe weißglühender Lampenlichter und von zwei buntfarbigen Glockenkronen beiderseits der Bühne. Zwei mächtige, schwarzglänzende Marmorsäulen strebten hier höhean. Um die Säulen wanden, bis dicht unter das Kapitäl, zwei Riesenschlangen ihre gefleckten Leiber. Machten hier eine plötzliche Wendung und streckten, rechtwinklig zur Säule, Hals und Kopf weit in die Szene hinein, dergestalt die Vorstellung erweckend, als wollten sie wie grimmige Feinde aufeinander losschießen.

Eine Schöpferlaune ihres Bildners hatte die feindlichen Reptilien zu knechtiger Arbeit verurteilt. Darüber erbost, sprühten zwar ihre Augen – eingesetzte Rubinen von rotglühendem Geleuchte – wilde Blitze; auf eine beleidigende Art streckten sie, alle Welt verhöhnend, ihre gespalteten Zungen weit heraus: – deshalb mußten sie, die freigeborenen Töchter der Dschungel, doch in sklavischer Geduld die Schmach eines Ringes um ihre Zungen tragen, woran an goldenen Schuppenketten die zwei glockenreichen Kandelaber herabhingen. Die Lichtsymphonie, so von diesen Flammenbehältern ausstrahlte, schwebte wie ein Märchenhauch aus Tausend und einer Nacht über dem Raum.

Das obere, halbkreisförmige Abschlußstück der nur uneigentlich so zu nennenden Bühnenkuppel setzte über den Liebesszenen mattfarben an, vertiefte sich zu einem immer satteren Violett, das, von künstlichen, glitzernden Sternen anmutig belebt, ohne merkbaren Übergang in der blauenden Pracht des Sternengezeltes selbst seinen architektonisch und künstlerisch vollendeten Höhe- und Schlußpunkt erreichte.

In die Intimität dieses Rahmens woben des Nizam Tänzerinnen Bilder, Figuren, Allegorien, bei denen die Urmutter aller Kunst, Frau Phantasia selbst, ihr güldenes Webeschiffchen anmutsvoll durch das zarte Gewebe sausen ließ.

Das hohe Publikum kargte denn auch nach den ersten Darbietungen schon nicht mit Beifall, in den sogar die sehr sittenstrenge Frau Gouverneurin aus Höflichkeit gegen den ihr zur Seite sitzenden Nizam mit einzustimmen gezwungen war, indes ihr tugendhafter Herr Gemahl aus Überzeugung und aus Freude an graziös gewirbelten Zehenspitzen und elastischen Beinen gerade so stark Beifall zollte, als solch öffentliches Tun sich mit seiner dreifachen Würde als Staatsmann, Eheherr und Moralsklave vereinbaren ließ.

» Very nice, indeed!« sagte er ein über das andere Mal mit einem verbindlichen Neigen des Oberkörpers zum Nizam und lächelte dabei wie ein Faun. »Großartig, in der Tat! – Sehr schön!«

Das Schönste sollte aber erst noch kommen.

Von unsichtbaren Musikanten ausgeführt, setzte eine fremdartige Musik ein. Es war ausgesprochen indische Musik. Die Melodieführung, wenn anders eine solche deutlich erkennbar war, hatte bald eine schrill quiekende, bald sanft vor sich hin plaudernde Flöte übernommen. Trommeln, Pauken, Zimbeln und Tamburins schienen ein geheimes Abkommen getroffen zu haben, tunlichst viel Geräusch zu machen. Dazu rezitierten in eng gezogenen Grenzen der Mittellage sich auf und nieder bewegende Stimmen einen Sprechgesang, der nach jedem dritten Tonsatz auf den ersten wieder zurücksprang.

Zum zweiten Male rauschte der Vorhang zurück. Seine Lordschaft der Gouverneur beeilten sich, das Einglas ins Auge zu werfen. Ein Raunen und Wispern ging durch die Reihen der Zuschauer.

Im Hintergrunde der Szene, auf einem Seidenberge schwellender Kissen lag, glitzernd und gleißend, des Fürsten Lieblingsbajadere. Träumerisch ruhte das Haupt auf der leicht aufgestützten Rechten. Die Augen waren geschlossen, gleich als umfinge tiefer Schlaf die Daliegende. Auf ihren Wangen brannte das Karmosin erster Jugend. Strahlend im Schimmer einer von des Mondes bleichem Schein überrieselten Sturmflut – also floß ihr das wellige Schwarzhaar seitwärts über die Schulter hernieder.

Die saffiangelbe, schimmernde Pracht des Polsterlagers verunzierte ein riesiger Fleck von der häßlichen Farbe des Giftgrüns. Urplötzlich kam Leben in diesen häßlichen, störenden Fleck. Blähte sich zu einem ungewissen Knäuel, aus dem sich die widerliche Gestalt eines Zwerges herausschälte.

Als erstes kam ein unverhältnismäßig großer Kopf, bedeckt von einem hohen, schwarzlackierten Spitzhut, zum Vorschein. Dieser Kopf, in dem ein paar große, tückische Augen, die einer gewissen magischen Leuchtkraft gleichwohl nicht entbehrten, unstet umherrollten, saß eingekeilt zwischen spitzen Schultern und einem Höcker, der wie eine unsymmetrisch dritte Schulter wirkte. Spindeldürr waren die Arme, wie man jetzt, da der Zwerg aufrecht vor dem Lager stand, bemerken konnte, und über Gebühr lang.

Gleichsam beschwörende Flügelbewegungen vollführend, hatte der Zwerg sich mit gierhaft vorgerecktem Kopfe der liegenden Bajadere genähert. Er stampfte dreimal hintereinander eigensinnig mit dem Fuße auf. Im nächsten Augenblick hatte er sich mit affenartiger Gelenkigkeit auf die Brust der Tänzerin geschwungen. Ein schreckhafter Seufzer sickerte über ihre Lippen.

Ganz langsam, unmerklich langsam duckte sich der Zwerg auf die Schlafende nieder, zwang seine aufgeworfenen Lippen zu einer abstoßend wirkenden Kußstellung und suchte den Mund der Bajadere.

In dem Augenblick, da sich beider Lippen berühren mußten, schrillte die Flöte unter gleichzeitigem Gerassel der Tamburine, der lärmenden Angst der Trommeln, dem Grollen der Pauken und Gezeter der Zimbeln entsetzt auf. Blitz und Donner mischten sich. Hochauf, als habe das Pfühl Feuer gefangen, schießt eine schwefelgelbe Flamme daraus hervor.

Die Musik beruhigt sich wieder und fällt in das gewohnte, eintönige Geplapper zurück. Unter ihrer besprechenden Einwirkung wandelt sich die Flamme zu einer pinienartigen Rauchsäule.

In kreisendem Schwunge drehte sich die Säule um ihre eigene Achse. Ganz deutlich konnten die Zuschauer zu oberst dieser die ängstlich geduckte Gestalt des Zwerges erkennen. Zischend bohrte sich die Säule in die Erde. Immer mehr schrumpfte die Gestalt des Zwerges zusammen, bis sie nur mehr einem verschwimmenden Punkte glich, den die Rauchsäule, jetzt plötzlich in sich zusammenfallend, mit sich in den selbstgewühlten Trichter hineinriß–...

Da ging es durch die Musik wie ein Aufatmen der Erlösung.

Leichter und immer ruhiger wurden die Atemzüge der Schläferin.

Durch ein unbegreifliches Wunder steht im nächsten Augenblick ein feuergewirkter Zitronenfalter regungslos in der Luft, zu Häupten der Bajadere. Da schlägt die Tänzerin das Auge auf. Heftet den Blick auf das leuchtende Gebilde, und in konvulsivischen Zuckungen rieseln Leben, Atem und Bewegung durch den Falter, wie um deren Kraft zu erproben, spannt er die Flügel straffer, läßt sie mit dem jetzt wiegenden Rhythmus der Musik sich füllen und flattert in seelenvollem Gaukelspiel durch die Lüfte.

Und nun erhob sich die Bajadere von ihrem üppigen Ruhebette, richtete sich zu voller Höhe auf und hielt die Arme, wie zuvor ihr ätherischer Partner die Flügel, für Sekunden regungslos seitwärts ausgestreckt, von einem Strahlenkranz gleißenden Brillantfeuers umwabert.

Noch scheint die klassische Ruhe einer Statue über ihr ausgegossen zu liegen. Auch dann noch, als sie in Zehenspitzenstellung geht.

Panzerartig engt ein blaues Gewand die Hüften der Tänzerin ein. Abwärts davon fällt es in reichen Falten bis auf die zierlichen Fesseln nieder, wo es in Goldfransen auszittert. Breite Goldspangen schmiegten sich um die Knöchel. Die nackten, besonders kleinen und zierlichen Füße behaupteten siegreich ihr Recht, gesehen zu werden. Ein rosafarbener Schal von feinstem Gewebe fließt um den Nacken her, wie im Frühlichte steigender Nebel um weißschimmernde Birkenstämme. Sein ausschließlicher Zweck schien der zu sein, der Bajadere Formen eher zu betonen, anstatt zu verhüllen.

Ein feines Klingen sang und schwang um die Bajadere. Die Spangen an Gelenk und Fesseln tönten Musik, traumwirre Melodien der Münzen und Kettlein des Kopf- und Halsschmuckes.

Wie zur Anrufung einer Gottheit hatte die Bajadere die Arme mit den sanft hintenüber geneigten Handflächen hoch über den Scheitel gehoben, führte sie wieder in Brusthöhe zurück, und bringt sie mit Hilfe der im Ellbogen abgeknickten Unterarme in die Form ausgebreiteter Schwingen.

So stand sie und suchte nach dem Einsatze.

Der Rhythmus der Musik wurde zur klatschenden Geißel und peitschte der Bajadere vibrierende Körperlinien zu immer belebteren Schlangenwindungen auf. Die steigernde Bewegung zwang der lichten Wangenbräune der Tanzschönheit einen satten Goldton ab.

Ihr Tanz wuchs sich zur Offenbarung aus, brachte mittels der Zeichensprache der stetig wechselnden, stets Natürlichkeit und Anmut atmenden Bewegungen und Stellungen der Glieder, des Hauptes und des ganzen herrlichen, uneingezwängten Körpers Plastiken von ungeahntem Empfindungsgehalt und Stimmungsreiz zum Ausdruck.

Gleichzeitig hatte der zitronengelbe Feuerfalter von übernatürlicher Größe sich in Bewegung gesetzt und zog jetzt leuchtende Linien und Schleifen vor den mystifizierten Augen der Zuschauer durch die Luft.

Ein sinniges, erst scherzhaft tändelndes, dann zur höchsten Leidenschaft ausreifendes Haschespiel entwickelte sich zwischen Falter und Bajadere. Immer behielt der Falter die Führung, bis die Bajadere ihre Zeit für gekommen fühlte. Langsam ließ sie sich auf die Knie nieder und breitete mit einer entzückenden Gebärde der Hingebung ihre Arme weit aus. Zu ihren Häupten rauschte es auf. Voll der Erwartung warf sie den Kopf leicht hintenüber. Der Feuerfalter aber ließ sich triumphierend auf der Bajadere Scheitel nieder.

Da machten die Schlangen, rechts und links zu Häupten des liebenden Paares, von ihrem uralten Rechte des Zwietrachtsäens Gebrauch. Stärker glühte und wilder das infernalische Rotfeuer höhnischer Schadenfreude in ihren Rubinaugen auf, und eigenmächtig kündeten ihre vorgestreckten Zungen den aufgezwungenen Sklavendienst als Lampenhalter auf. Klirrend polterten die Kronen zur Erde.

Und es erlosch alles Licht. Nur die Sterne hielten treulich aus auf ihrer Wacht. Schreckensbleich lag ihr Schein auf der Szene.

Die Zungen der bösen Schlangen aber wuchsen ins Riesenhafte. Falter und Bajadere, in ihrer Seligkeit alle Welt um sich her vergessend, merkten nichts von dem drohenden Verhängnis. Und selbst dann wachten sie aus ihrer Selbstvergessenheit nicht auf, als sich die Zungen der Ungeheuer bereits um die kraftlos herniederhängenden Flügel des Feuerfalters wanden –

Da – ein Ruck hüben und drüben! und der unglückselige Falter, in zwei Teile auseinandergerissen, zappelte am Zungenende der Ungeheuer, die ihre Beute blitzschnell in ihren Rachen rissen.

Da erhob die Musik ein gewaltiges Wehklagen.

Und alle Lampen flammten wieder auf. Die an der Rampe und die im Garten. Nur die Lichtsymphonie der Kandelaber blieb stumm und tot–...

Mit brutalem Griffe rüttelte die plötzliche Helle die Zuschauer wach. Verwundert stießen sie sich an der lampenhellen Gegenwart. In den noch beunruhigten Pupillen des Publikums spiegelte sich der Anblick der Bajadere ab: den leichtgeneigten Körper auf das rechte Knie gestützt, die Arme seitwärts ausgebreitet.

Für Sekunden hielt der allgemeine Bann lautloser Verwunderung noch an. Dann rauschte, spontan einsetzend, eine Flut des Beifalls auf die Bajadere nieder.

Ihre Ladyship, die Frau Gouverneurin, nahm mit einem raschen Seitenblick den regungslos ihr zur Seite sitzenden Nizam unter die kritische Lupe ihres angeborenen Mißtrauens und beschuldigte ihn in Gedanken des strafwürdigen Bundes mit Zauberern und bösen Geistern.

Anders ihr ehrenwerter Herr Gemahl. Nach Weise der genußsüchtigen Römer der Kaiserzeit schwelgte er in der Erinnerung an besonders aufregende Stellen aus dem Tanzpoem. So flüchtig die Unbeherrschtheit des Gouverneurs auch nach außenhin in die Erscheinung trat, so entging sie doch nicht der feinen, fast tierhaften Witterung des indischen Fürsten. Er neigte den Oberkörper ein wenig dem Gouverneur zu und meinte mit einem bedeutenden Blick auf die Bajadere, von der soeben der Vorhang zum letztenmale zusammenwallte:

»Ein kleines, unbedeutendes Gastgeschenk nur –, doch wenn Euer Lordschaft geruhen, es anzunehmen–...?«

Es bleibe unerörtert, ob der Nizam als Mohammedaner und dann im Einklang mit der erlaubten Sitte der Vielweiberei dem Gouverneur dieses Gastgeschenk anbot, oder ob er und um damit seinen Gastgeber zu ehren, nur zeigen wollte, daß er ganz auf der Höhe europäischer Bildung und Kultur stehe und daher wisse, wie man in gewissen Kreisen über einen kleinen Treubruch denkt.

Und richtig: Seine Lordschaft, der Gouverneur, geruhten anzunehmen.

Seine dreifache Stellung als Staatsmann, Eheherr und Moralsklave legte ihm die sittliche Verpflichtung auf, erst die teure Gattin zum Wagen zu geleiten, wo er sich mit dem Ausdrucke aufrichtigsten Bedauerns von ihr verabschiedete, »da wichtige, dringende und unaufschiebbare Staatsgeschäfte, die nur er persönlich mit Seiner Hoheit dem Nizam erledigen könne, ihn voraussichtlich für mehrere Stunden noch zurückhielten–...«


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