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Schluß

An vier Abenden hintereinander wurde »Der Ring des Nibelungen« den Zuhörern zu unerhörtem, hinreißendem Erlebnis. Zum erstenmal erstand er als Ganzes, mit dem »Rheingold« beginnend, mit der »Götterdämmerung« abschließend, das große nationale Kunstwerk der Deutschen. Die Aufführungen waren so vollkommen, wie der Meister sie erträumt, und rundeten sich zu einem weihevollen Vorgang von makelloser Schönheit.

In ununterbrochener Wallfahrt kamen und gingen die Andächtigen, untermischt mit kühlen Genießern, mit Neugierigen und solchen, die überall dabei sein müssen, wo etwas Einmaliges sich ereignet. Wer sich nur einigermaßen dazu befugt glaubte oder sinnbildlich huldigen wollte, gab in Wahnfried seine Karte ab. Nicht alle konnten eingeladen werden, doch führte es Cosima durch, daß alle Persönlichkeiten von Bedeutung, die von geistigem Rang vor denen mit nur gesellschaftlichem, wenigstens einmal ihre und des Meisters Gäste waren. Jeden Abend drängten sich in ihren überfüllten Salons die erlesensten Köpfe Europas, Musiker und Dichter, Maler und Bildhauer, Gelehrte und Staatsmänner mit ihren Damen, und die Patrone zeigten sich stolz als diejenigen, die das Werk ermöglicht hatten.

Als erster der Monarchen hatte sich König Ludwig angemeldet. Am 5. August um Mitternacht hielt der Hofzug unbemerkt auf offener Strecke nahe der Station Eremitage. Jeder öffentliche Empfang war streng untersagt, nur das Ehepaar Wagner benachrichtigt worden; es holte den König ab, beglückt von seiner wiedererwachten Gunst, erschüttert von dem Wiedersehen nach langen Jahren der Verstimmung. Sie fuhren mit ihm nach Schloß Eremitage. Dort mußte Wagner allein ihm für den Rest der Nacht Gesellschaft leisten. Er fand den König verändert in seiner Erscheinung, beleibter, ungefüger, schon gebeugt und längst kein Jüngling mehr, doch das Entzücken über das Werk des Meisters und das tiefe Freundschaftsgefühl für ihn selbst hatten nicht nachgelassen. Was sie getrennt, waren nur die Menschen, die den Thron umlagernd den immer schon Einsamen in die letzte Verlassenheit trieben.

Am nächsten Vormittag fuhr Ludwig in geschlossener Hofkutsche zum Festspielhaus. Vor ihm und für ihn allein – unerkannt saß er im Hintergrund der dunklen Fürstenloge – fand die erste Aufführung des »Rheingold« statt. In der Pause ließ er durch seinen Adjutanten, der draußen auf dem Gange wartete, Frau Cosima zu sich bitten. In leisen, bewegten Worten sprach er ihr seine Bewunderung für den großen Eindruck aus, den das »Rheingold« in diesem Hause und mit diesen Kräften auf ihn gemacht habe und auf jedermann machen müsse, versicherte seine unwandelbare Treue für sie und ihren Gatten, deutete aber an, daß er sie nun wohl niemals wiedersehen werde.

Sein Wagen wartete abseits am Bühnenausgang: unbemerkt, hoffte er, das Theater und die Stadt wieder verlassen zu können. Doch schon hatte sich eine Menschenmenge angesammelt, lauter freudig erregte Bayreuther, die ihren Landesherrn ehrfurchtsvoll begrüßten. Rasch eilte er, den Hut lüftend, an ihnen vorüber und lehnte sich tief in die Wagenpolster zurück. Die Liebe zwischen ihm und seinem Volk war keine gegenseitige.

Kaum war er abgereist, zog in die festlich geschmückte Stadt unter Glockengeläut und militärischem Gepränge der Deutsche Kaiser ein. Der alte Herr, leutselig heiter, ließ sich den Jubel der Volksmenge gern gefallen. Wagner klopfte er wohlwollend auf die Schulter und scherzte mit ihm in seiner feinen, ritterlichen Art: wieviel er von der Musik des »Siegfried« verstand, den er sich anhörte, blieb ungeklärt.

Nach ihm stellte sich eine beträchtliche Zahl deutscher Bundesfürsten ein. Etliche von ihnen nahmen auch an den Abendgesellschaften in Villa Wahnfried teil und lockten durch ihr Beispiel gekrönte Häupter des Auslandes an. Selbst der Kaiser Don Pedro kam aus Brasilien herbeigereist. Cosima behandelte sie nach der vorgeschriebenen Etikette, doch die ungekrönten waren ihr lieber, und Friedrich Nietzsche durfte es ihr glauben, daß sie seine Unterhaltung mit Bedauern unterbrechen mußte, um das Geschwätz irgendeiner Großherzogin über sich ergehen zu lassen.

Triumph und Festesrausch dieser Wochen taten ihrem Herzen wohl, weil sie dem Meister galten, drangen aber nicht in sie ein, dafür hatte sie als Schaffnerin zu eifrig an dem ganzen Gefüge mitgewirkt. Zufrieden stellte sie fest, daß alles glatt verlief, mehr war im Augenblick nicht zu verlangen. Die einzige große Freude, die sie ausfüllte und die sie noch immer nicht fassen konnte, hatte der Vater ihr bereitet, indem auch er gekommen und in ihrem Hause abgestiegen war.

Viel sah sie ihn freilich nicht, auch umgab ihn stets ein Schwarm von Schülern und Schülerinnen, die ihn für sich allein in Anspruch nahmen. Wenn er mit ihnen durch den Garten wandelte, verfolgte ihn von ferne Cosimas zärtlicher Blick. Es beruhigte sie, daß er so gar nicht als Priester auftrat, sondern mit erstaunlicher Frische und lebhaftem Gebärdenspiel auf seine Anbeter einsprach, sie umarmte, wenn sie ihm die Hände küßten, und als glühendster Enthusiast keine Aufführung versäumte.

Bei dem großen Abschiedsbankett, das Wagner seinen Künstlern und den Besten seines Anhangs gab, nahm er die Gelegenheit wahr, Franz Liszt als denjenigen zu feiern, der ihm »zuerst den Glauben entgegengetragen habe, ohne den man heute vielleicht keine Note von ihm gehört haben würde«. Die Antwort darauf war echtester Liszt in ihrer durch Demut gemilderten Würde.

»Ich danke meinem Freunde für die ehrenvolle Anerkennung und bleibe ihm in tiefster Ehrfurcht ergeben – untertänigst. Wie wir uns vor dem Genie Dankes, Michelangelos, Shakespeares, Beethovens beugen, so neige ich mich vor dem Genius Richard Wagners.«

Später, als die Reihen der Gäste sich lockerten, einige Herren schon rauchend beisammenstanden und Cosima für zwei Minuten unter den Bäumen und Lampions Luft schöpfte, schob jemand von hinten seinen Arm sacht unter den ihren, und eine freundlich ernste Stimme sprach wie ein Nachhall aus ihren Kinderjahren väterlich lobend: »Cosette, mein Kind, das alles ist dir gut gelungen. Ich sehe ein, man kann sich doch auf dich verlassen.«

»Ach, daß du nur da bist, Papa! Daß du mir verziehen hast!« Sie schmiegte den Kopf an seine Schulter und schloß die Augen.

»Alle sind da, auch wieder da – nur einer fehlt.«

»Ja – er. Hans! Mein Kummer, mein ewiger Vorwurf! Natürlich habe ich ihn geladen, dringend gebeten in mehreren Briefen. Er konnte es nicht über sich gewinnen, sich hier zu zeigen. Und schließlich fühle ich es ihm nach. Wenn du ihn siehst, so sage ihm von mir, wie schmerzlich ich ihn vermißt habe, und daß ich seiner immer in Freundschaft gedenke.«

»Das hilft ihm nicht viel.«

»Ich weiß, ich weiß. Aber ein Weniges kann ich doch für ihn tun, seinen Kindern die Liebe zu ihm einzuprägen und sie lehren, sein Andenken hochzuhalten. Daniela habe ich schon dafür gewonnen, daß sie, sobald sie erwachsen ist, zu ihm fährt und sorgend um ihn bleibt.«

»Ein hartes Los hast du ihm ... nein, hat Gott ihm beschieden, der unsere Herzen lenkt. Dich hat er dafür mit all seinen Gaben so gnadenvoll überschüttet ...«

»Die ich aber zuvor mit langen Jahren der Sorge und des Leides bezahlen mußte und nicht einmal recht zu schätzen weiß.«

»Bei mir liegt es zeitlich umgekehrt. Ich tobte mich in meiner Jugend aus und habe meinen Lohn dahin. Nun lastet das nahende Alter schwer auf mir, ob ich es wahr haben will oder nicht. Die Religion täuscht darüber hinweg, nun ja, sie tröstet.«

»Mein armer alter und doch gottlob so jugendlicher Papa! Laß uns an diesem festlichen Abend nicht Trübsal blasen!«

Da stürmten auch schon wieder seine Schülerinnen herbei und rissen ihn mit sich fort.

Cosima aber ging hinein, an die Tafel der zechenden und durcheinander jodelnden Choristen, um sich auch ihnen eine Viertelstunde zu widmen und unter ihnen ein bißchen fröhlich zu sein.

*


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