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Zehntes Kapitel

Cosima brachte Hans zurück nach Berlin, aber dort bei ihm zu bleiben, war ihr nach den Starnberger Schicksalstagen unmöglich. Innerlich hatte sie sich bereits völlig von ihm gelöst; nur die Krankheit bewahrte ihn davor, daß er der unheilbaren Zerstörung seiner Ehe innewurde. Den Zeitpunkt, ihn darüber aufzuklären, verschob Cosima abermals. Doch auch dem Ruf des Meisters, so flehentlich er nach ihr verlangte, konnte sie nicht folgen, sie hatte sich geschworen, die Schwelle des Hauses Pellet in Abwesenheit ihres Gatten nicht mehr zu überschreiten.

Von ihrem Selbstgefühl gezwungen, beide Männer vorerst zu meiden, stellte sie sich unter die Obhut des dritten, der ihr teuer war, dem ihre früheste, reinste und natürlichste Liebe gehörte, ihres Vaters. Es traf sich gut, daß ihn die Fürstin Carolyne nach Paris befahl, aus keinem anderen Grund, als über die kirchlichen Pflichten seiner alten Mutter zu wachen, für deren Seelenheil unter dem Dache des ungläubigen Emil Ollivier sie Besorgnisse hegte. Nichts konnte Liszt lieber sein als Cosimas Begleitung. Sie dachte dabei freilich weniger an die Bande, die ihn mit seiner Mutter als mit ihrer eigenen verknüpften –, die wiederhergestellt werden mußten, nachdem sie zerrissen waren.

Der sehnsüchtige Wunsch ihrer Jugend, die Eltern noch einmal vereint zu sehen, mit der Kraft ihrer Liebe den letzten Rest von Bitterkeit aus dem gegenstandslos gewordenen Zerwürfnis zu beseitigen, hatte jetzt oder nie Aussicht, erfüllt zu werden. Und wie ihr alles gelang, was auf der geraden Bahn ihres von sicherem Gefühl gelenkten Willens lag, so glückte ihr auch dies. Liszt rang sich die Zustimmung ab: »Wenn sie mich durch deine Vermittlung einlädt, wollen wir beide zu ihr gehen. Deine Gegenwart wird die feindlichen Dämonen, die sich zwischen sie und mich gedrängt haben, bannen.«

Es wurde ein harmonisches, wenn auch kein zärtliches Wiedersehen. Die so still und abgeklärt gewordene weißhaarige Dame bot dem als frommer Abbé auftretenden unvergeßlichen Geliebten die Stirn zum Kusse. Er berührte sie mit den kühlen Lippen und schlug das Kreuz darüber.

»Marie! Wie schön du noch immer bist! – Unser liebstes Kind, jetzt unser einziges, hat nicht geruht, mich auf den Weg zu dir zu weisen. Nun bin ich froh und dankbar, daß du mir einen Schritt entgegenkamst.«

»Mein Freund und Gefährte«, antwortete sie in dem Wortlaut und dem sanften singenden Tonfall ihres Liebesfrühlings von Genf und Bellaggio, »wir hätten uns auch schon früher darauf besinnen sollen. Aber freilich, da war Cosette noch nicht reif zur Mittlerin.«

»Bin ich schon eine reife Frau?« lachte Cosima feuchten Auges. »Vielleicht vor der Welt – für solche Eltern ewig ein unmündiges Kind.«

Das Tischgespräch hatte seine Schwierigkeiten; denn einerseits hatten sich die beiden Entfremdeten viel zuviel zu sagen und andererseits gar nichts mehr. Sie überließen die Führung Cosima, und diese lenkte es an allen Klippen, an der Wittgenstein, dem Nelida-Roman, der Pariser Freigeisterei und der römischen Soutane, behutsam vorüber.

Es mußte genügen, daß man sich eins war im dankbaren Andenken an die schönste Zeit des Lebens, angesichts ihrer gesegneten Frucht, der Tochter, deren großer Zukunft die Eltern gläubig vertrauten. –

Der Winter fand beide Bülows dann doch in München. Die großen künstlerischen Aufgaben, die der König Hans gestellt, hatten nach seiner Genesung alle seine Bedenken und unbestimmten Ängste besiegt. Anforderungen der verschiedensten Art stürmten sofort auf Cosima ein: zwei Haushalte hatte sie zu leiten, den eigenen in der Luitpoldstraße, wo Hans und die Kinder zu betreuen waren, und den von Wagner in dem reizenden kleinen Palais an der Brienner Straße, das ihm der König eingerichtet hatte. In beiden lag ihr ob, zu repräsentieren und eine Geselligkeit großen Stils zu begründen, die Wagner wie Hans eine Stellung und einen Anhang schaffen sollte, fest genug, dem Neid und Mißtrauen der alteingesessenen Kreise kühn die Stirn zu bieten. Dazu kam die Wahrnehmung der äußeren Geschäfte, in denen die beiden Künstler gleicherweise unerfahren waren, eine umfangreiche, stetig wachsende Korrespondenz mit den Hofstellen und König Ludwig selbst, der auf dem laufenden gehalten sein wollte über des Meisters Pläne und die Inszenierung seiner Werke. Ihrem Tätigkeitsdrang, der sich nie genug tun konnte, war jede neue Arbeit, jede Art von Verantwortung recht. So blieb ihr zum Glück auch keine Zeit, sich mit ihrer eigenen kritischen Lage zu beschäftigen; vor deren Klärung schauderte sie zurück.

Eine eilig vorbereitete, dennoch wohlgelungene Aufführung des »Fliegenden Holländers«, die Richard Wagner selbst dirigierte, leitete die Spielzeit ein. Am ersten Weihnachtsfeiertag folgte Bülow im Odeon unter den Augen des Königs, der sich sonst nie im Publikum zeigte, mit einem Beethovenschen Konzert. Doch waren dies nur Auftakte zu dem eigentlichen Ereignis, in dem des Meisters Idee vom deutschen Gesamtkunstwerk sich verwirklichen sollte, einer vorbildlichen Wiedergabe der Tristan-Tragödie.

*

In dem gleichen Maße, wie die Freundschaft des Königs für Wagner sich vertiefte und ganz München hiervon und von den geplanten künstlerischen Umwälzungen sprach, der Gründung einer neuen Musikschule, der Herausgabe einer Zeitschrift und noch anderen Unternehmungen, verschärfte sich die Mißgunst der bisher einflußreichen Kreise gegen »die Nordlichter«, die den Landesherrn zu umgarnen schienen. Ein Teil des Adels fühlte sich zurückgesetzt, die Bürokratie aus ihrer Ruhe aufgestört, partikularistisch gesinnte Politiker, Stadtväter und Bierphilister entrüsteten sich über die Vorgänge auf höherer Ebene, die sie nicht verstanden. Aufgehetzt wurden sie von einer gewissen klerikalen Presse: selbst von den Kanzeln herab und in den Beichtstühlen warnten Priester vor dem ketzerischen und sittenlosen Treiben ehrgeiziger Eindringlinge.

Am heftigsten wurde zunächst Hans von Bülow befehdet. Zwischen ihm als Hofkapellmeister und Mitgliedern des Theaters kam es wiederholt zu Zusammenstößen. Seine scharfe norddeutsche Art, sein rücksichtsloses Durchgreifen gegen den alten bequemen Schlendrian reizte die Musiker der Kapelle, Sänger und Choristen bis zu den Kulissenschiebern hinab. Sie verbreiteten den Ruf seiner Unausstehlichkeit durch die ganze Stadt.

Cosima warnte ihn in aller Güte vor Unvorsichtigkeiten und suchte von ihrer gesellschaftlichen Sphäre aus beruhigend zu wirken. Jener Herr von Pfistermeister, der dem Meister in Stuttgart die königliche Botschaft überbrachte und jetzt mit dem Titel Hofrat die Schatulle des Königs zu verwalten hatte, entpuppte sich als gehässiger Widersacher. Er war es, der zuerst die Legende von Wagners egoistischer Verschwendungssucht und Ausbeutung seines königlichen Herrn in die Welt setzte. Cosima nahm die Gelegenheit einer offiziellen Abendgesellschaft wahr, ihn ins Gespräch zu ziehen und diese Frage zu klären.

»Verstehen wir doch das Bedürfnis eines großen Künstlers nach voller materieller Unabhängigkeit! Versetzen wir uns in die Stimmung eines Mannes, der seit Jahrzehnten verkannt und oft in bitterer Armut für Reformideen kämpft, die ihm heilig sind, weil sie die ganze künstlerische Zukunft seines Vaterlandes angehen! Jetzt stellt ihm ein hochherziger Monarch die Mittel dafür zur Verfügung – soll er keinen Gebrauch davon machen? Was er anstrebt, dient doch zugleich dem alten Ruhm der Dynastie, dem Ansehen Bayerns und seiner Hauptstadt!«

Der Hofrat hörte mit verkniffenem Munde zu, knurrend wies er auf Wagners luxuriöses Leben, den Prunk seines Palastes, die kostspielige Ausstattung seiner Opern hin.

»Jenes ist ein Ausfluß seines leidenschaftlichen Schönheitsdurstes«, erwiderte Cosima, »der seine Phantasie und seine Schaffenskraft beflügelt, dieses erfordert der grandiose Stil seiner Werke. Er ist nun einmal keiner von den stillen, feinen Musikern, die auch im Dachstübchen ihre freundlichen Melodien zu ersinnen vermögen. Er ist auch kein Komponist gefälliger Spielopern, sondern erkühnt sich, gewaltige tragische Stoffe zu bewältigen. Ein Tannhäuser, ein Tristan kommt unter einer anderen Verfassung zustande, in einem anderen Rahmen zur Wirkung als irgendein französisches oder italienisches Durchschnittsprodukt.« Doch sie redete gegen den Herrn Hofrat wie gegen eine Wand.

Ein andermal traf sie den Appellrat Lutz, ersten Hilfsarbeiter im Kabinett, der den Günstling des Königs gern für die Zwecke der bayrischen Politik gegen Preußen eingespannt hätte. Der fragte Frau von Bülow, ob Wagner immer noch der Aufrührer von 1849 wäre, ob es ihm widerstreben würde, mit der Regierung des Landes, in dem er doch heimisch werden wolle, Fühlung zu nehmen.

Cosima starrte ihn verwundert an.

»Aber Sie machen sich ein ganz falsches Bild von ihm! Politische Neigungen lagen ihm von jeher fern. Wenn er sich damals als junger Brausekopf in Dresden zu Torheiten hinreißen ließ, die nur in seiner Begeisterung für ein einiges Deutschland ihren Ursprung hatten, für das Ideal einer freien deutschen Kunst und Kultur unter selbstgewähltem Oberhaupt, so haben ihn die Zeitläufte seitdem eines Besseren belehrt. Er läßt sich an der Großmut Seiner Majestät genügen und denkt nicht daran, mit anderen Instanzen zu verhandeln. Zwischen ihm und dem Ministerium gibt es gewiß keine Reibungsflächen, aber auch keine Berührungspunkte.«

Der Appellrat sah sein Friedensangebot verschmäht und berichtete in diesem Sinne seinem Chef, dem Ministerpräsidenten von der Pfordten. Dieser war neuerdings verärgert durch die Einwilligung des Königs zum Bau eines Festspielhauses, ausschließlich bestimmt für Wagners Musikdramen. Schon war Gottfried Semper als Baumeister dafür ausersehen. Verbunden mit der geplanten Musikschule unter Bülows Leitung, in der die Sänger und Musiker dafür herangebildet werden sollten, würde es die Werke des Meisters in vollendeter Darstellung zeigen.

Da regten sich nun auch die Rotten der Literaten und Musikbeflissenen, die darin eine Überhebung auf ihre Kosten erblickten. Dieses hergelaufene Originalgenie hielt sich also für etwas Besseres, suchte sie in den Augen des Königs herabzuwürdigen? Ein anonymer Artikel »Richard Wagner und die öffentliche Meinung«, hinter dem sich die gekränkte Eitelkeit eines Dichterlings verbarg, erschien in einem Tageblatt und griff Wagner aufs heftigste an, indem er ihm Selbstherrlichkeit, Verschwendungssucht und Streberei vorwarf und hämisch durchblicken ließ, daß er die Volkstümlichkeit des Königs untergrabe. So wurde die Fehde hinterlistig auf das politische Gebiet hinübergespielt, der König aber durch eine von Cosima beratene öffentliche Antwort in seiner Haltung befestigt, das Ministerium noch einmal beschwichtigt.

Doch sah Cosima klarer als ihr Gatte, weit klarer als der in seine Fortführung des Siegfried-Dramas versponnene Meister, wie der Dunstkreis des Hasses immer stickiger und giftiger wurde und weder mit persönlicher Liebenswürdigkeit noch mit der Überzeugungskraft künstlerischer Taten zu durchdringen war. Sie verzichtete auf ihre Taktik versöhnlichen Zuredens. Aus ihrer Entrüstung über die Borniertheit und die Ränke der Gegner machte sie kein Hehl mehr. Streitbar, mit erfrischender Offenheit, stellte sie jeden, der gegen den Meister und seinen hohen Gönner böswilligen Klatsch in Umlauf setzte.

*

Die Proben zu »Tristan und Isolde« begannen im Frühjahr. Ungeheure Arbeit war zu leisten, um das großartige Werk, das einen ganz neuen Stil der Darstellung verlangte, an die Stimmen der Sänger, an das Zusammenspiel des Orchesters Anforderungen stellte, die allen Fachkreisen für unerfüllbar galten, würdig in Szene zu setzen. Wagner, bald im Parkett, bald auf der Bühne, Bülow am Dirigentenpult leisteten übermenschliches. Der König brannte vor Spannung und wollte über jede Einzelheit unterrichtet sein.

Einladungen zu diesem Festspiel, das einen Wendepunkt der Musikgeschichte bedeuten sollte, ergingen in alle Welt. Die Freunde und Verehrer in Berlin, Wien und Paris, die so vielbelächelten »Wagnerianer«, eilten in Scharen herbei, alle großen Zeitungen Europas sandten ihre Berichterstatter.

Die Uraufführung verzögerte sich durch mancherlei äußeres Mißgeschick, erst im Juni konnte sie vor sich gehen. Das Theater war gefüllt von der nach geistigem und gesellschaftlichem Rang glänzendsten Gesellschaft, die es je auf seinen Sitzen versammelt hatte. An der Brüstung der Hofloge erblickte man Wagner, bleich und abgespannt, neben dem sehr ernst vor sich niederschauenden jungen König, ihm gegenüber in einem Sessel des Proszeniums Cosima von Bülow und als einzige Begleitung ihre Freundin Marie von Buch, seit kurzem mit dem preußischen Hausminister Grafen von Schleinitz vermählt, eine Erscheinung, die an Schönheit Cosima noch überstrahlte. Beständig waren Hunderte von Operngläsern auf die Freundin des Komponisten und Gattin des Dirigenten gerichtet, neugierig, kritisch, bewundernd aber auch abschätzig, denn Gerüchte über ihre fragwürdige Stellung zwischen den beiden Männern waren durchgesickert. Cosima hielt dieser Musterung in stolzer, steinerner Haltung stand, aber ihr Herz klopfte zum Zerspringen, nicht so sehr um ihrer selbst willen, als weil sie wußte, was an diesem Abend für den Meister auf dem Spiele stand.

Hans erhob seinen Stab ... das Vorspiel klang auf und rauschte dahin. Die Erinnerungen, die sich für Cosima damit verknüpften, überwältigten sie bis an die Grenze einer Ohnmacht. So also dröhnte, was ihr nur vom Flügel her vertraut war, machtvoll mit seinen himmlischen und höllischen Klangweisen aus dem Orchester in sie hinein. Musik und Handlung erschütterten sie derart in allen Tiefen, daß sie kaum imstande war, die Herrlichkeit der Wiedergabe voll zu würdigen. Da standen nicht mehr, wie bisher üblich, Berufssänger mit fuchtelnden Armen an der Rampe, sondern leibhaftige Menschen rissen in vollendetem Mienen- und Gebärdenspiel Abgründe der Leidenschaft auf. Man hörte keine Oper, nahm an keiner Theatermache teil – man erlebte die Tragödie der ins Erhabene gesteigerten verbotenen Liebe.

Es gab Szenen, Sätze in den Zwiegesprächen zwischen Tristan und Isolde, wo Cosima die Augen von der Bühne weg auf die im Dunkel verschwimmende Gestalt des Meisters wenden mußte, von den seinen magisch angezogen, Szenen, in denen das Bewußtsein sie glühend durchdrang, daß ihr eigenes und des Geliebten Los dort drüben vor einer fremden Menge sich entschleierte, daß die persönliche Bedeutung des Werkes einen unheimlichen Wandel erfahren hatte: das Urbild der Isolde hieß nicht mehr Mathilde Wesendonk: jetzt war sie selbst an deren Stelle getreten! Und König Marke, das war zugleich der Mann, der, dessen ahnungslos, getreu im Dienste des Meisters seinen Taktstock schwang!

Nach jedem Akte war der Beifall stürmisch. Die Zuhörer spürten, daß etwas Gewaltiges, Einmaliges sich begab und eine neue Kunst ihre Siegeslaufbahn von diesem Abend aus angetreten hatte. Aber das Verständnis dafür ging ihnen noch nicht auf. Sie waren wie vor den Kopf geschlagen, berauscht und zermürbt von der Zauberkraft der Töne und der Bilder, die fünf Stunden lang wie Trommelfeuer ihr Nervensystem erschütterte. Nachdem sich der Vorhang über Isoldes Liebestod geschlossen, sprangen alle wie besessen auf und drängten, Wagners Namen rufend, mit erhobenen Händen klatschend, gegen die königliche Loge vor.

Der Meister erhob sich und verbeugte sich ernst nach allen Seiten, und dieses selbstverständliche Zeichen des Dankes genügte, die feindlichen Elemente im Haus, Mitglieder der Hofgesellschaft und der Bürokratie, zu ernüchtern. Wie? Er wagte es, in Gegenwart Seiner Majestät Beifall für sich entgegenzunehmen? Das war gegen die Etikette, eine Verletzung schuldiger Ehrfurcht, eine Anmaßung! Der König aber umarmte seinen Freund vor aller Augen.

*

Der Sommer verlief noch ruhig und ereignislos. Wagner brachte ihn als Gast des Königs auf Schloß Hohenschwangau zu. Die Münchner glaubten, er blähe sich dort selbstgefällig in seinem Triumph. Doch nichts lag ihm ferner, als zu frohlocken. Er war todmüde, weltabgewandt und trüber Ahnungen voll. Die Anzeichen von den Wühlereien seiner Feinde mit dem Ziel, ihn aus München zu vertreiben, mehrten sich, und – was ihn am meisten quälte – daß Cosimas Liebe, die sich von ihm zurückzuziehen schien, ihm erhalten bleiben würde, wagte er nicht mehr zu hoffen. Der König sah bekümmert seine wachsende Verdüsterung und wußte sie sich nicht zu erklären. Naiv wie ein Kind, unerfahren wie nur irgendein abseits von der Menschheit erzogener Prinz, fand er nicht die rechten Worte, ihn aufzurichten.

Der Sturm brach los, kaum daß der König sehr widerwillig und mißmutig, das Münchner Oktoberfest nach altem Brauch hatte eröffnen müssen. Witz- und Skandalblätter marschierten als Plänkler voran. Sie forderten dazu auf, den »neuen Salbader, wenn auch nicht gleich in die Isar, so doch in den Schuldturm zu werfen«; sie spielten auf »seine Schäferstündchen mit einem Geschpusi am Starnberger See« unter niederträchtigen Zweideutigkeiten an. Eine größere Darlehnssumme, die Wagner für künstlerische Unternehmungen vom König bewilligt erhielt, wurde von der Kabinettskasse an Frau von Bülow nur unter kränkenden Schikanen ausbezahlt. Sie erkannte in dem Hauptränkeschmied den Hofrat von Pfistermeister und etliche Einbläser des Ministers von der Pfordten und erachtete es an der Zeit, zu einem mutigen Gegenschlag auszuholen. In einem an den König gerichteten und in der größten Tageszeitung veröffentlichten Briefe empfahl sie, zwei oder drei Personen, welche ohnehin nicht den geringsten Anhang im bayerischen Volk besäßen, im Interesse des allgemeinen Friedens zu entfernen. Ein Wutgeschrei der Getroffenen war die Antwort. Der Minister von der Pfordten, ein ehemaliger Professor, von engem und engherzigem Horizont, übertrug seinen persönlichen Widerwillen gegen das Genie Richard Wagner auf dessen ihm gänzlich unverständliche Kunst. Er spitzte den Streit zu einer Staatsfrage zu, indem er dem König vorstellte, daß er zu wählen habe zwischen der Liebe und dem Glück seines Volkes und der Freundschaft des von allen Guten verachteten Wagner. Besonderen Nachdruck verlieh er seinem Vorstoß damit, daß er die nächsten Angehörigen des Königs, nämlich die Königin-Mutter und dessen Oheim, den Prinzen Karl, sowie den Erzbischof bestimmte, die Verbannung Wagners aus der Hauptstadt gemeinsam aufs entschiedenste zu verlangen. Zu viert wiesen sie darauf hin, daß bei Wagners Bleiben ein Volksaufruhr zu befürchten wäre, wie damals, als eine empörte Menge die Tänzerin Lola Montez aus der Gunst König Ludwigs I. und aus München vertrieb.

Solchem Druck und solchen Drohungen vermochte der erschrockene und verwirrte Jüngling nicht zu widerstehen. Er versprach, dem angeblichen Volkswillen Rechnung zu tragen, und bat Wagner unter Tränen, München bis auf weiteres zu meiden. Wohl aber betrachtete er ihn weiterhin als seinen teuersten Freund. Für ein ansehnliches Jahresgehalt sollte er ihm seine wertvollen Dienste zur Verfügung halten.

An einem rauhen Dezembermorgen verließ Richard Wagner in aller Frühe die Stadt. Der König hatte gehofft, er werde eines seiner Schlösser zum Wohnsitz nehmen, doch der Meister hielt es unter seiner Würde, im Machtbereich des Ministers von der Pfordten zu bleiben. Sein Ziel war die Schweiz.

Mit ihm reiste nur sein Diener und sein treuer alter Hund. Bülow befand sich gerade auf einer Konzertreise im Ausland; so begleiteten ihn nur Cosima und Peter Cornelius, der ihm während der letzten Wochen zur Seite gestanden, an die Bahn. Wagner sah übernächtig, fast gespenstisch aus; über die bleiche, gefurchte Stirn fiel grau schillernd das lange, schlaffe Haar.

»Was liegt an mir?« sagte er gefaßt zu Cosima, die sich um seine Gesundheit sorgte. »Jetzt steht mein Werk. Das können sie nicht stürzen, noch aus der Welt schaffen. Und dieses Bewußtsein wird mir Kraft verleihen, es fortzusetzen.« Bedeutungsvoll fügte er hinzu: »Wann sehe ich dich wieder?«

»Bald, lieber Meister!« antwortete sie.

Dem aus dem Fenster sich beugenden geliebten Antlitz winkte sie noch eine Weile nach. Dann ließ sie sich schweigend, wie geistesabwesend, von Cornelius an ihren Wagen bringen.

*

Hans kehrte eines Abends, früher als erwartet, in seine Münchner Wohnung zurück. Er fand sie dunkel und leer. Cosima und die Kinder waren zu seiner Überraschung nicht da. Von den Dienstboten trieb er nur die Köchin in ihrer Kammer auf. Sie sagte ihm, die gnädige Frau wäre in das Haus des Herrn Wagner gezogen, der sei schon vor einigen Tagen abgereist; der Herr Baron würden in der Brienner Straße erwartet. Weiteres wußte sie nicht.

Er ging sofort hinüber. Cosima saß an Wagners Schreibtisch zwischen Stößen von Briefschaften, Akten und Niederschriften aller Art, die sie ordnete, sichtete und in Kisten verpackte. Das Kaminfeuer flackerte hell von brennendem Papier.

»Du hier? Und Wagner ist fort?« fragte er bestürzt. »Was ist geschehen?«

»Die Regierung hat ihren Willen durchgesetzt, der König vermochte ihn nicht mehr zu halten. Alles kam Schlag auf Schlag. Nun ist er schon in der Schweiz.« Die Augen standen ihr voll Tränen.

»Und wir? Was wird aus uns?«

»Du wirst vielleicht bleiben können, wenn du auf ein Jahr dir Urlaub nimmst. Ich aber – nun darüber reden wir am besten auf der Stelle.«

»Soll das heißen, daß du deine eigenen Wege gehen willst?«

»Lieber Hans, bitte, nur jetzt keine Gereiztheit! Zu dem Gewichte dessen, was du zu hören bekommst, würde sie in keinem Verhältnis stehen.«

Er sank auf einen Sessel und streckte wie flehend die Hand nach ihr aus. Cosima nahm sie zwischen ihre beiden und trat dicht vor ihn hin.

»Es kommt mich hart an, es auszusprechen, du guter Mann. So lange habe ich schon damit gerungen ... Wir müssen uns trennen ... sehr bald und für immer.«

»Das also ...« stammelte er totenbleich. »Ach, es schwante mir von den ersten Wochen unserer Ehe an.«

»Du irrst dich im Grunde, Lieber. Nicht an dir liegt es, sondern am Meister. Er braucht mich, ich muß zu ihm.«

»Aber doch nicht für immer?« Hans schöpfte Hoffnung. »Gut, folge und hilf ihm, tröste ihn! Nur kehre zu mir zurück!«

»Gerade das ist unmöglich. Ich gehöre ihm für immer. Wir können ohne einander nicht mehr leben.«

Er verstand noch immer nicht.

»So wollen wir zu dritt beisammen bleiben. Ich begleite dich.«

»Nein, Hans. Was ich von dir verlangen muß, ist gänzliche Freigabe, ist – die Scheidung.«

»Wahnsinn! Wahnsinn!« schrie er auf. »Mir willst du den Laufpaß geben, um ihn zu heiraten? Was wird dann aus mir – was wird aus unseren Kindern?«

»Die Kinder mußt du mir schon lassen, das siehst du wohl ein.«

Nach einer langen Pause, in der Cosima schmerzlich abwartend vor dem völlig Zusammengebrochenen stand, bemerkte er bitter:

»Also die Nachfolgerin der Wesendonk willst du werden? Hast du es dir so gedacht?«

»Ganz anders! Mathilde – das ist es ja eben – fand nicht den Entschluß, ihren Mann um des Meisters willen zu verlassen. Ich fühle mich freier und stärker als sie. Ich kann nur handeln, wo andere wehmütig entsagen. Meinst du, es wird mir leicht, dich zu opfern und meinen guten Ruf dazu? Das alles habe ich mit Wagner in den letzten Tagen immer wieder durchgesprochen. Er ist unglücklich wie ich, dir das antun zu müssen. Allein es ist die redlichste, die einzig mögliche Lösung.«

»Deine Heirat mit ihm eine Lösung!? Wie denn, da seine Frau noch lebt?«

»Minna Wagner liegt im Sterben. Er bekam vor kurzem aus Dresden die Nachricht.«

»Sind da Zusammenhänge? Sie zu entwirren wird mir nie gelingen. Nur soviel sehe ich jetzt – fürs erste muß ich dich ziehen lassen.«

»Und später? Wenn ich bleibe, wo mein Platz ist?«

»Das wird sich finden. Du wirst es dir in Ruhe überlegen – bei ihm oder allein, wenn sich herausgestellt hat, daß er dich nicht mehr braucht.«

»Oh, Hans! Wie wenig kennst du doch ihn und mich! Er ist Richard Wagner, und du bist Hans von Bülow!«

» Nur Bülow, der Dirigent und Pianist, er das Genie – das willst du doch wohl sagen. – Geh, Cosima, es ist die vom Geschick dir vorgeschriebene Bahn, auf der es dich weitertreibt, aufwärts, immer weiter aufwärts! Ich war nur eine deiner Stationen. Die Ehre und das Glück, daß du mir eine Zeitlang gehörtest, werde ich dir immer danken. Mag sein, ich habe es nicht verdient.«

»Doch, Hans, mein Lieber, mein Getreuer! Allein durch deinen Edelmut! – Wirst du meiner nicht im Groll gedenken? Wirst du es unsren Meister nicht entgelten lassen?«

»Wie könnte ich! Nichts bin ich ohne ihn. Auch fern von ihm werde ich für seine Sache fechten.« Die Stimme versagte ihm. Er barg sein Gesicht in die Hände und sank schluchzend in sich zusammen.

Cosima beugte sich über ihn, strich ihm leise über das Haar und drückte ihm den Abschiedskuß auf die Stirn. Nie war sie ihm innerlich so nahe gewesen, nie in so tiefem Leid mit ihm vereint.


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