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Zweites Kapitel

Ein neues Kesseltreiben, wütender als das vorige, setzte gegen das Ehepaar von Bülow ein, obgleich es gar nicht mehr in München weilte. Das über Bayern hereinbrechende Unheil, daß die Söhne und Brüder zum Kriegsdienst einberufen wurden, um gegen andere deutsche Stämme zu kämpfen, und der König nicht einmal mit seinem Volke fühlte, konnte nur in jenen preußischen Eindringlingen seinen Ursprung haben! An Hans, der in Berlin den Verlauf der Ereignisse abwartete, gelangten Warnungen seiner Münchner Freunde: weder er noch Cosima dürften sich bei Gefahr für Freiheit und Leben jetzt noch in München sehen lassen. Und schon fielen die klerikalen Blätter mit immer heftigeren Beschimpfungen und Verleumdungen über ihn und seine Gattin her. Da sich ihm keiner seiner Gegner mit der Waffe stellte, mußte er sich begnügen, mit Berichtigungen und Erklärungen zu erwidern und gegen das gehässigste Blatt, den »Neuen Bayrischen Kurier«, Klage zu erheben.

Am schlimmsten erging es Cosima. Ihre Stellung war die angreifbarste. Auf die Wehrlose stürzte sich die ganze Meute voll ehrabschneiderischen Hohns. In Karikaturen wurde sie als liederliches Weibsbild beschimpft, ihr Aufenthalt bei Richard Wagner als freche Herausforderung der öffentlichen Moral gebrandmarkt, und es gab keine Schamlosigkeit, deren das Volk sie nicht für fähig hielt.

Täglich brachte ihr die Post Stöße von schändlichen Artikeln aus München, dazu anonyme Briefe und offene Karten beleidigenden Inhalts, nur vereinzelt Zuschriften mitleidiger Freundinnen. Sie war außer sich vor Entsetzen und Herzeleid und hatte alles mit sich allein auszukämpfen. Der Meister durfte um seines ruhigen Schaffens willen nichts davon erfahren, er würde sich mitschuldig fühlen an dem Skandal. Zum Glück las er während angestrengter künstlerischer Arbeit keine Zeitungen; was eintraf, verbarg Cosima vor ihm oder sie berichtete ihm nur flüchtig darüber mit übermenschlicher Selbstbeherrschung. Meist zog sie sich mit diesem Kram in ihr Zimmer zurück, wo sie, von Weinkrämpfen geschüttelt, zusammenbrach.

»Was fehlt dir, Liebste?« fragte er zuweilen. »Du bist so wortkarg und siehst seit einigen Tagen recht angegriffen aus.«

»Ach, die Ränke unserer Feinde nehmen mich noch immer mit«, erwiderte sie mit gespielter Gleichgültigkeit. »Eine Frau empfindet dergleichen schwerer.«

»Mache dir nichts daraus, vergiß sie! Hier sind wir ja vor ihnen sicher. Mögen sie sich untereinander mit ihrem Klatsch begeifern!«

Ja, sie versuchte selbst, mit solch fadenscheinigem Trost über das Gräßliche hinwegzukommen. Aber zu tief war sie in ihrem Ehrgefühl verwundet. Blut sickerte aus allen Poren ihres Gemüts, wenn sie sich vorstellte, wie ihre Schmach in ganz Deutschland Tagesgespräch war, wie auch Hans darunter leiden mußte und ihr angebeteter Vater sich zum erstenmal in seinem Leben ihrer schämen würde.

Worin bestand ihr Verbrechen? fragte sie sich. Daß sie ihren Gatten verließ, um einem Größeren und menschlich Schwächeren anzugehören, der ohne sie seine Sendung nicht erfüllen, ja nicht einmal bestehen konnte? Hans sah das ein, hatte es oft genug ausgesprochen, daß sie ebenso wie er selbst dem Meister jedes Opfer schulde. Er billigte ihre Gesinnung und schreckte nur vor der harten Tatsache zurück, die sich nun freilich als Untreue enthüllte und ihn zum Verzichte zwang.

Aber konnte sie denn zwei Männern zugleich die Treue halten und jedem ganz zu eigen sein?! Was die Menschen von ihr dachten, welchen Weg sie ihr vorschrieben – wenn überhaupt sich jemand anmaßen durfte, einen Ausweg zu wissen – darauf kam es ja nicht an. Jeder würde doch nur nach seiner Natur, seinem Standpunkt und seiner Erfahrung, der eine so, der andere so, entscheiden, und selbst der Weiseste brauchte noch nicht der Gerechteste zu sein. Ihr Vater hätte in jungen Jahren, als er noch nicht Vater war, solch einen Schritt vermutlich gepriesen, jetzt als Abbé und gesellschaftlicher Sitte verhaftet, mußte er ihn als sündig verwerfen.

Sünde mochte es sein im Sinn der Kirche, nach den Geboten Gottes, wie die Kirche sie auslegte. Aber Gott sieht das Herz an. Gott allein wußte, was in ihr vorging, und daß sie nicht anders handeln konnte! Wie in ihren Kindheitstagen, wenn sie vor der Beichte ihr Gewissen erforschte, prüfte sie sich, ob es rein, ob ihr Beweggrund selbstlos gewesen war, und fühlte sich keiner Berechnung, keiner Gelüste, keines Verrates schuldig. Verpflichtet fühlte sie sich, dem Manne, den sie nicht um seiner leiblichen Person, sondern um seiner großen geistigen Persönlichkeit, um seines Werkes und seiner völkischen Berufung willen liebte, bedingungslos zu dienen. Damit er leben, schaffen und sich vollenden könne! Nichts anderes war in ihr als der Glaube an diese ihr heilige Pflicht. Kein falscher Ton, kein dumpfer Trieb mischte sich in den Einklang ihres sittlichen Bewußtseins mit ihrer Tat.

Allein es lag nicht in Cosimas Art, sich ihrem Grame tatenlos hinzugeben. Nachdem sie mit sich ins reine gekommen, raffte sie sich auf zur Gegenwehr. Als einzelne Frau konnte sie mit dem Gezücht ihrer Feinde freilich nicht in die Schranken treten, wo sogar Hans, ihr natürlicher Beschützer, nichts auszurichten vermochte. Einer nur besaß die Macht, sich vor der Öffentlichkeit Gehör zu erzwingen, der König. An ihn wandte sich Cosima mit der Bitte um Beistand. Ihre Ehrenrettung und die Anerkennung von ihres Gatten Wert erflehte sie vom Landesherrn.

»Wenn Sie dieses offene Wort sprechen, mein teurer, hoher Freund, dann ist alles gut, dann wollen wir bleiben und auf den Trümmern wieder aufbauen, mutig und trosterfüllt. Ihr königliches Wort kann einzig unsre angegriffene Ehre wiederherstellen, es kann dies vollständig, alles verschwindet davor. In einer ernsten Stunde sprachen Sie uns von Ihrem tiefen Erfassen der Nichtigkeit höchster Weltgüter gegenüber den Pflichten der Liebe. Im Namen dieser geweihten Stunde sage ich: Schreiben Sie meinem Manne den königlichen Brief!«

Ludwig, einer edlen Regung folgend, entschloß sich dazu. Er bestätigte Hans von Bülow seine Verdienste um Richard Wagners Schaffen und damit um die deutsche Kunst. Er verurteilte die Anfeindungen in Münchner Blättern als schmachvolles Treiben und versprach, unter dem Hinweis auf den edlen und hochherzigen Charakter seiner Gemahlin, schonungslose Strenge gegen die Übeltäter. Schließlich drückte er den Wunsch aus, daß Hans von Bülow seinen Posten als Hofkapellmeister behalten möge.

Das Schreiben wurde in der einzigen großen Tageszeitung, die an dem hetzerischen Treiben nicht teilgenommen hatte, veröffentlicht. Aber unglücklicherweise brachte die gleiche Nummer das Telegramm von der eingetroffenen Kriegserklärung. Das machte von neuem böses Blut und gab den Zeitungen Anlaß, entrüstet den Mißklang dieses Nebeneinanders zu betonen. So verfehlte die hochherzige Geste ihre Wirkung und untergrub nur noch mehr das Ansehen des Königs.

*

Nachdem nun auch noch der Prozeß Hans von Bülows gegen den »Bayrischen Kurier« mit einer nur formalen Verurteilung des Beklagten geendet, ihm also keinerlei Genugtuung verschafft hatte, blieb ihm nichts weiter übrig, als sein Entlassungsgesuch einzureichen – es wurde bewilligt. Unter verschiedenen Berufungen, die ihm zur Wahl standen, nahm er für den Winter die der Stadt Basel an, um Cosima möglichst nahe zu sein, und reiste sofort nach der Schweiz ab.

Sie verabredeten eine Zusammenkunft auf halbem Wege in Zürich. Cosima war es, die zuerst den Vorschlag machte. Jede Gelegenheit wollte sie benutzen, Hans ihre unwandelbare Freundschaft und Zuneigung zu beweisen, mit Rat und Tat die Folgen ihrer Handlungsweise zu mildern. Auf deren Kern einzugehen, hatte freilich keinen Zweck mehr; ihr Entschluß, beim Meister auszuhalten, war unerschütterlich, mochte daraus entstehen, was da wollte. Hans gab sich im stillen der Hoffnung hin, daß gerade die Münchner Ereignisse ihm helfen würden, seine Frau zurückzugewinnen.

Einig waren sie sich darin, daß eine Rückkehr zu dritt nach München im Auge behalten werden müsse. Volksstimmungen wechseln ebensooft wie die führenden Männer, von denen sie abhängen, und auf die Treue des Königs glaubten sie rechnen zu dürfen. Alles kam darauf an, wie der Krieg ausgehen, in welcher Haltung und mit welchen Machtbefugnissen König Ludwig daraus hervorgehen würde; Hans und Cosima wünschten von Herzen, am glühendsten aber Wagner, Preußens Sieg, möglichst nicht auf Kosten des bayrischen Königtums – ein Gegensatz, der ihnen freilich schwer vereinbar schien. Mit diesem war Richard Wagners Zukunft und die der Bülows aufs engste verknüpft. Zugleich aber bekannten sich alle drei als begeisterte Anhänger von Bismarcks Persönlichkeit und Politik. In ihm allein sahen sie die Kraft und Größe eines geeinten Deutschland verkörpert und verbürgt.

Nun hatte Cosima aber noch einen Auftrag von Wagner auszurichten. Sie brachte ihn zaghaft vor, weil sie schroffe Ablehnung befürchtete.

»Die Frage deines Aufenthaltes hast du noch gar nicht berührt. Du wirst doch die Hundstage nicht in Basel verbringen wollen?«

»Nein, es gibt ja Gebirge und Seen ringsum, wohin ich mich vor Staub und Hitze flüchten kann.«

»Läge es nicht am nächsten, Hans, du würdest auch diesmal wieder Wagners Einladung annehmen?«

»Einladung zu ihm, von ihm? Davon weiß ich nichts.«

»Ich soll sie dir eben aussprechen und möchte dich auch von mir aus bitten, sie nicht auszuschlagen.«

»Sehr freundlich von euch«, äußerte Hans verwirrt, »aber doch auch recht merkwürdig! Der Mann, bei dem du lebst und den du heiraten möchtest, bietet mir an, unter gleichem Dache mit euch zu wohnen! Das ist entweder überirdisch edel oder –«

»Oder das natürlichste von der Welt. Mache dich doch nur von der Vorstellung frei, daß du mit uns verfeindet seiest! Wir werden, wenn es einmal so weit ist, in Güte verhandeln. So fühlt auch Wagner und läßt es dir durch mich ausdrücklich ausrichten. Bis dahin braucht in unserer Eintracht keine Veränderung einzutreten.«

In Hans stieg die Erinnerung an den zweideutigen Brief schneidend auf. Er wollte ihn nie erwähnen, aber sein inneres Verhältnis zu Cosima und zum Meister blieb davon doch nicht unberührt. Was konnte ihm lieber sein als Cosimas Gegenwart! Und natürlich war es gewiß, mit ihr und den Kindern in häuslicher Gemeinschaft zu leben.

»Du mußt verstehen, Liebste, daß es mich schwer ankommt.«

»Aber ja, mein Hans. Wir wissen sehr wohl, daß wir es als Opfer von dir erbitten. Dazu wäre es aber auch vor der Welt und besonders dem König gegenüber eine würdige Kundgebung, gleichsam der Beweis, daß unser Ruf unantastbar ist.«

Das überzeugte ihn, und er willigte ein. Cosima nahm ihn gleich mit sich, um einem Umschwung seiner Stimmung vorzubeugen.

Wagner war glücklich, Hans bei sich zu haben. Er ließ ihm ein Zimmer neben den seinen herrichten und versicherte ihm, das Asyl werde dem auf dem Grünen Hügel an freundwilligem Behagen nichts nachgeben. Eigentlich wäre es diesmal das Asyl der Bülowschen Familie und er nur ihr dankbarer Gast.

Mit der Partitur der »Meistersinger« versöhnte er Hans vollständig, wie denn seine Musik immer der letzte Trumpf war, den er ausspielte, wenn es galt, sich schwankende Zuneigung zu sichern.

»Du raffinierter Verführer!« rief Hans, nachdem ihm der Meister das Vorspiel zu Gehör gebracht. »Diesmal siegst du mit einer göttlichen Heiterkeit. Wer kann da widerstehen!«

Der milde, sonnige Geist der »Meistersinger« schwebte über dem Haus von Triebschen. Junker Stolzings Werbelied »Fanget an! So rief der Lenz in den Wald« trällerte Wagner, wenn er Hans an den Flügel locken wollte. Der antwortete, noch nicht ganz taktfest, mit Hans Sachsens Schusterlied »Als Eva aus dem Paradies«, und vom Garten her ließ sich das helle Stimmchen der kleinen Daniela mit dem Ruf des Nachtwächters vernehmen. So harmlos heiter und einander froh war man lange nicht beisammen gewesen. Daß auch noch ein Tristan-Drama seine Rechte forderte, schien vergessen.

Nur hin und wieder ward Hans von heimlichem Groll und qualvollen Zweifeln heimgesucht. Dann mußte er unter einem beschämenden Schwächegefühl Wagner und Cosima beobachten, wie weit ihre Vertraulichkeit ging, ob ihre Blicke von schuldhaftem Einverständnis sprachen und er zu der Rolle des Betrogenen verurteilt war. Ihre Unbefangenheit erschien ihm fast als Beweis gestillten Verlangens. Wenn sie mit den Kindern zusammen waren, bekümmerte es ihn zu sehen, wie »Onkel Richard« bei ihnen alles galt, wie sie ihn zärtlich umdrängten, mit ihm herumtollten und sich mit ihm neckten. Denn Wagner ward unter ihnen selbst zum Kinde und war unerschöpflich in Einfällen, sie zu ergötzen, während Hans ernst und ungelenk bestenfalls der huldvolle Vater sein konnte. Daniela nahm noch am ehesten Notiz von ihm; sie schien seine Verlassenheit zu fühlen und schmiegte manchmal das Köpfchen still an seinen Arm. In den Zügen der Jüngsten, die eben laufen gelernt, forschte er angstvoll, wem sie wohl ähnlich sähe – ihm selbst gewiß nicht; das scharfe Profil der Großeltern Liszt und d'Agoult begann sich in ihrem Antlitz zu entwickeln, damit versuchte er sich zu trösten.

Wagner behandelte ihn mit ausgesuchter Rücksicht und Herzlichkeit und hütete sich davor – was früher vorgekommen war –, den Meister herauszukehren. Keine Gelegenheit ließ er vorüber, Hans' empfindliches Selbstgefühl zu stärken. Den tiefgründigen Musikkenner und Beherrscher des Klaviers verglich er bescheiden mit der eigenen »Unbildung«.

Als sie eines Abends von der kommenden Spielzeit in Basel gesprochen hatten, wobei Cosima durchblicken ließ, daß sie nicht daran dachte, ihren Wohnsitz in Triebschen aufzugeben, war Hans in trübseliges Schweigen versunken. Sie wollte ihn aufmuntern, indem sie bemerkte, daß sich Basel und Luzern ja nahe genug lägen für regelmäßige Zusammenkünfte; doch diese kümmerliche Aussicht konnte ihm nicht genügen.

Sie gingen zu Bett, Wagner und Hans, jeder seinen Leuchter in der Hand, hinauf nach ihren Schlafzimmern im zweiten Stock. Da trat Wagner noch bei dem Freunde ein. Es drängte ihn und lag ihm auf der Zunge, endlich einmal von Mann zu Mann auszusprechen, was ihn mit Cosima verband, und ihren unabänderlichen Entschluß zu dauernder Lebensgemeinschaft offen zu bekennen. Hans ahnte, was ihm verkündet werden sollte, erschreckt sah er einen heftigen Auftritt voraus.

Wagner sagte aber etwas ganz anderes, als er ursprünglich gewollt.

»Was einem so für Zeug durch den Kopf geht ... glaubst du eigentlich auch, daß unsre Namen auf die Nachwelt kommen?«

»Deiner gewiß«, gab Hans erleichtert zur Antwort. »Dein Name und dein Werk werden jahrhundertelang die Welt bewegen. Ich dagegen, das weißt du selbst, werde bald nach meinem Tode vergessen sein.«

»Hans, da irrst du aber sehr. Nur die Namen meinte ich, nicht das Werk. Vielleicht wird der Name des Menschen Hans von Bülow reiner leuchten als der von Richard Wagner, der nebenbei auch fürs Theater schrieb. Wagner, wird man sagen, mag ein großer Künstler gewesen sein, über den Wert des Menschen läßt sich streiten. Der Bülow aber war der edlere von beiden, eine wahrhaft vornehme Natur. Hat der Wagner das eigentlich je erkannt und anerkannt? Hans – unter uns – er hat es! Das nur so nebenbei, es fiel mir vorhin gerade wieder mal ein. Na, gute Nacht, mein lieber, lieber Freund. Bleibe mir erhalten!«


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