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Drittes Kapitel

Wenn im Berlin der fünfziger Jahre ein neuer Hausstand begründet wurde, so erzählte man sich in der davon betroffenen Straße, die und die wären dort und dort eingezogen, und damit gut. Handelte es sich um reiche Leute, so hieß es, sie hätten sich schön eingerichtet. Von den jungen Bülows aber meldeten die Zeitungen, sie hätten sich »etabliert«. Das allgemeine Interesse für den stürmischen Musikus, »den Streithansel« und seine Eheliebste, die Tochter Franz Liszts, hatte noch immer nicht nachgelassen, und wenn ihr Heim auch nur in einer gemieteten Sechs-Zimmer-Wohnung der Anhalter Straße bestand, so gab es doch genug Neugierige, die von der Straße aus danach ihre Köpfe reckten.

Schön eingerichtet hatten sie sich allerdings, aber schön und geschmackvoll ohne sonderliche Kosten. Hans hatte sich nicht darum gekümmert, andere Dinge als Möbel und Vorhänge machten ihm den Kopf heiß. Auf Cosimas Schultern lag es, mit den bescheidenen Mitteln aus ihres Mannes Verdienst und der Zulage ihres Vaters so auszukommen, daß alles einen vornehmen Stil bekam. Bei der Ausstattung hatte Franz Liszt nicht geknausert, die Wahl jeder Einzelheit traf sie allein, dabei lehnte sie sanft und entschieden selbst den Rat ihrer Schwiegermutter ab, die von Komfort, um es gelinde auszudrücken, altpreußische Vorstellungen hatte und das Badezimmer für hoffärtigen Luxus erklärte.

In die Partie ihres Sohnes mit Fräulein Liszt hatte sie sich, wenn auch immer noch sorgenvoll und leicht gereizt, gefunden. Sie befürchtete eine unordentliche und verschwenderische Künstlerwirtschaft und war angenehm überrascht, daß sich Cosima als sparsame, praktische Hausfrau entpuppte, die ohne viel Aufhebens mit jedem Pfennig rechnete, ihre beiden Dienstboten, Köchin und Stubenmädchen, gleichfalls dazu anhielt. Auch sie hatte wahrhaftig anderes im Kopf als Schreiner- und Tapeziererarbeiten, Einkäufe und Küchenzettel – dergleichen erledigte sie scheinbar mechanisch und ganz nebenbei, jedenfalls sprach sie nie davon. Die notwendigen Anweisungen an Lieferanten und Personal erteilte sie in der Form eines scherzhaften Geplauders, aus dem jedoch ihr Wille klar und entschieden hervortrat.

Ein wichtiges Kapitel, besonders in Hinsicht auf ihres Gatten Zukunft, war der Verkehrskreis, den sie zu schaffen hatte. Man mußte »ein Haus machen«, ohne aufzufallen, zur Aristokratie gehören und deren strenge Sitte beachten, dabei aber doch den freien, heiteren Geist künstlerischer Lebensführung zu seinem Recht verhelfen. Manch alter Kumpan und Kneipgenosse von Hans war nur an Herrenabenden möglich, zudringliche Elemente, die gleich in den ersten Wochen ihre Karte abwarfen, waren fernzuhalten, schüchterne junge Leute von Wert heranzuziehen. Bülows Kollegen und Schüler bildeten eine besondere Gruppe. Wer von ihnen Hausfreund werden sollte, hatte er allein zu entscheiden. Nicht alle waren salonfähig, darüber sah Cosima hinweg und richtete Abende ein, in denen sie gemütlich und hemdsärmelig unter sich blieben. Da ordnete sie sich selbst nicht als Hausfrau, sondern nur als Schülerin ein. Die meisten huldigten ihr, manch einer verliebte sich in sie, wobei es nicht immer leicht war, sie in Schranken zu halten und mit gütlichem Zureden den Ton stürmischen Werbens zu dämpfen. Cosimas Wesen strömte eine heitere Ruhe, Selbstsicherheit und unantastbare Würde aus, die sich mit ihrer warmen Anteilnahme und ihrem sprühenden Geist reizvoll verband.

Cornelius und Bronsart, die oft in Berlin auftauchten, weihten sie in ihre musikalischen Pläne ein, suchten ihren künstlerischen und geschäftlichen Rat, vertrauten ihr lieber als dem Freunde die Geheimnisse ihres Herzens an. Bronsart trauerte noch immer Blandine nach. Die Hoffnung auf deren Hand war ihm tiefer gegangen, als es den Anschein gehabt. Als harter Schlag traf ihn die Nachricht, daß Blandine sich in Paris verlobt hatte, mit eben jenem Deputierten Ollivier, den die alte Frau Liszt als Freier für ihre Enkelin begünstigt hatte. Auch Cosima schmerzte es, daß ihr die Schwester dadurch noch ferner gerückt wurde, nicht nur räumlich, sondern auch in eine andere Lebenssphäre. Sie schrieben sich wohl oft, redeten aber mehr und mehr aneinander vorbei: Pariser Politik und deutsche Musik hatten gar zu wenig gemein.

Hans war mit Arbeit überlastet und hatte im Konservatorium viel Ärger. Sich um seine junge Frau zu kümmern, blieb ihm wenig Zeit und Stimmung. Oft kam er nicht zum Mittagessen heim und abends immer abgehetzt, zu keiner Unterhaltung aufgelegt. Geselligkeit war ihm mehr denn je zur Last, jetzt im eigenen Hause nur ein notwendiges Übel. Es lag ihm nicht, feierlich aufzutreten: zu sehr mit sich selbst beschäftigt, von seinen Ideen und Kämpfen besessen, sah er seine nächste Umgebung nur wie in einem Nebel und erwartete von Cosima nichts weiter, als daß sie da wäre und ihm auf Wunsch ihr Ohr liehe. Das tat sie denn auch, geduldig, aufmerksam, liebevoll. Schon hatte er sich so an ihre Bereitwilligkeit gewöhnt, daß er wenig Umstände mit ihr machte und, wenn andere ihn aufgebracht hatten, es die Gefährtin entgelten ließ.

In jeder jungen Ehe bedeutet das erste Mißverständnis den Gradmesser für ihre Temperatur und eine Kraftprobe, es kann ihr die Richtung weisen, sie unter Umständen sogar gefährden. Zu einem Wortwechsel, geschweige denn zu einem Streit, ließ es Cosima nie kommen. Ihres Mannes nervöse Reizbarkeit richtete sich häufig auch gegen sie, am heftigsten und ungerechtesten schon kurz nach dem Einzug, als das Stubenmädchen einen Auftrag von ihm verkehrt ausgerichtet hatte und deshalb über Gebühr von ihm zusammengerüffelt wurde. Die Kleine, die sich keiner Schuld bewußt war, lief weinend zu ihrer Herrin, klagte über beleidigende Ausdrücke und wollte sogleich den Dienst verlassen. Cosima tröstete sie, schenkte ihr einen freien Abend und ein Theaterbillett dazu, die Sache selbst werde sie schon in Ordnung bringen. Bülow aber hatte für ihr Einlenken zunächst gar kein Verständnis: sie dürfe nicht die Partei der Dienstboten nehmen, fuhr er sie an, Weiber hielten immer zusammen wie Pech und Schwefel, sie solle die dumme Gans doch einfach laufen lassen!

»Das möchte ich doch lieber nicht«, erwiderte Cosima gelassen. »Sie ist ein braves, tüchtiges Mädchen und wird sich eingewöhnen. Wenn sie heute deinen Auftrag nicht gleich richtig verstanden hat, kann man wohl Nachsicht mit ihr haben. Da sie sich verletzt fühlt, hielt ich es für richtig, ihr ein Pflaster auf die Wunde zu legen. Sei verständig, lieber Hans, und versetze dich in den Gemütszustand solch eines armen Mädels, das sich bestrebt, sein Bestes zu tun, und Kränkung dafür erntet!«

Da er nicht kleinlich war, beruhigte er sich allmählich. Sobald späterhin sein Jähzorn bei irgendeinem Anlaß aufflammte und auf Cosima übergriff, fand sie sich widerspruchslos in die Rolle des Sündenbocks. Hans' Ritterlichkeit gewann dann bald die Oberhand, beschämt trat er vor Cosimas Selbstbeherrschung den Rückzug an.

*

Ein fremder, gespenstischer Gast überfiel eines Winterabends das Bülowsche Heim. Mit schweren, rauschenden Fittichen entstieg er den Saiten des Flügels, erfüllte den Raum mit schwülem Brodem und nistete sich ein: der Geist des Tristanwerkes gewann unter Hans von Bülows Händen Gestalt, die Klangwelt des Vorspiels und des ersten Aktes übte ihre berückende, bedrohliche Magie.

Hans selbst schien dagegen gefeit. Nur mit dem Ohr, mit seinem klugen Kopf und seinem geschulten musikalischen Sinn nahm er auf, was der Meister vom Grünen Hügel ihm anvertraute, gab getreulich wieder, was er aus der Partitur in den Klavierauszug übertragen hatte. Längst wußte er ja, was diese Noten aussprachen und bedeuteten; die geniale Schöpferkraft allein riß ihn zur Bewunderung hin. Anders Cosima. Ihr drang das süße Gift durch Mark und Bein und nahm Besitz von ihrem Blute.

Das Vorspiel – ein spitzer Stachel, der sachte immer tiefer eindrang, die Nerven aufreizte und betäubte! Schon Cosimas Spannung, als Hans den Flügel öffnete, war ungeheuer; sie witterte Gefahr wie eine Lockung und war bereit, sich kopfüber in die heiße Flut zu stürzen. Wie quälend gleich die Figuren des Beginns in ihrem Zögern und listig verhaltenen Schreiten, wie schicksalbeladen das fern aufklingende Sehnsuchtsmotiv, das längst auch in Cosimas Herzen geschlummert zu haben schien und nun scheu um sich blickend erwachte! Es fragt hinaus ins Dunkel, und eine andere, ihm verwandte Stimme gibt leise Antwort. Nach einer beängstigenden Pause der Zusammenklang und gleich darauf schon das Sforzato der entflammten Leidenschaft, das Leitmotiv der Liebe, die sich als solche erkennt und nach Verschmelzung drängt ...

Diese Musik blieb in Cosima haften, ging ihr nach, verfolgte sie auf Schritt und Tritt. Längst hatte Hans den Flügel geschlossen, sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen und sie allein gelassen – sie blieb regungslos in ihrem Winkel am Kamin und lauschte in sich hinein. Die Töne sangen und wühlten in ihr weiter und ließen auch in ihren nächtlichen Träumen nicht von ihr ab.

Von dem Alpdruck eines lang anhaltenden dumpfen Paukenwirbels erweckt, fuhr sie aus den Kissen auf und hörte es vom nahen Kirchturm zwölf Uhr schlagen. Neben ihr lag Hans, schlaflos wie so oft, auf dem Rücken; seine gekrümmten Finger glitten in eifrigem Spiel über die Decke wie über eine Klaviatur.

»Cosima? Was ist? Warum stöhnst du?«

Daß er so nahe war, beruhigte sie einigermaßen. Doch schon summten und seufzten wieder schwere, süße Cellotöne über ihr ... unter tränenlosem Schluchzen warf sie sich in ihres Mannes Arme.

Da die Bedrängnisse des Tristan-Vorspiels auch während der nächsten Tage nicht von ihr weichen wollten, flüchtete sie sich vor ihnen zu dem guten, alten Johann Sebastian Bach und vertiefte sich in dessen strenge Fugen. Das war eine andere, reinere und frömmere Welt, ihr schlichter, mannhafter Ernst, ihre heilige Nüchternheit spülte für eine Weile die stürmischen, lauen Wogen und verführerischen Dissonanzen aus der Erinnerung hinweg. Bald aber brandeten sie von neuem an.

Briefe von Richard Wagner trafen ein. Der an Hans gerichtete erzählte von den Fortschritten der Tristan-Komposition, ein anderer an Cosima dankte ihr für ihren unvergeßlichen Besuch des Asyls, fragte, wie ihr der neue Hausstand behage, ging unter mancherlei zarten Schmeicheleien auf ihre musikalische Natur und ihr Verständnis für fremde Leiden ein. Sie antwortete unverzüglich, doch der Gefühlserguß, mit dem sie sich entlasten mußte, war für sie allein bestimmt. Sie zerriß den Bogen, um den neuen mit absichtlich kühlen und knappen Wendungen zu füllen. Wagner drückte Hans sein Befremden darüber aus: hat deine liebe Frau mir etwas übelgenommen? Sollte ich ihr mit einem unbedachten Wort zu nahe getreten sein? Für empfindlich kann ich sie nicht halten, freilich wurde sie auch bei uns zuweilen auffallend still, eine Mimose, die bei der leisesten Berührung ihre Blätter schließt. Hans, dem Cosima Wagners Brief stolz zu lesen gegeben hatte, hielt ihre Zurückhaltung nur für eine weibliche Laune. Er verehrte sie über die Maßen und fand weder im Großen noch im Kleinen etwas an ihr auszusetzen. Launen gehörten nun einmal zu einer rechten Frau. Eher schob er die Schuld auf sich selbst, der notgedrungen vor allem seiner Sache lebte und für solch ein Edelgewächs ein allzu ungestümer, dann wieder zu nachlässiger Geselle war. Auch er mochte wohl den passenden Umgangston für sie noch nicht gefunden haben, wollte sich aber gern von ihr dazu erziehen lassen.

An Frau von Arnim hatte Cosima eine mütterliche Freundin gewonnen; der sie sich geistig ebenbürtig fühlte. Die regsame alte Dame, trotz mancher romantischer Schrullen weltklug und von sicherem Urteil über die Menschen eines kritischeren Zeitalters, schätzte intime Aussprachen mit jungen Frauen und erteilte gern ihren Rat. Cosima ging häufig zu ihr, wenn sie auch eines Zuspruchs eigentlich nicht bedurfte. Aber es heimelte sie an, Bettina erzählen zu hören, besonders von dem größten Ereignis ihres Lebens, dem Verkehr mit Goethe. Der war noch immer ihr Gott, der Mittelpunkt ihres Denkens und Schwärmens. Deshalb verstand sie Cosimas Begeisterung für Wagner nur zu gut.

»Mich alte Frau werden Sie nicht mehr für dieses geräuschvolle Genie gewinnen, ich halte noch immer bei Mozart, schon Beethoven regt mich zu sehr auf. Aber bleiben Sie nur zu seinen Füßen! Wir brauchen solch ein männliches Idol, dessen Kräfte bereichernd auf uns überströmen.«

»An das Ihrige, Frau Bettina, reicht freilich so leicht kein anderes heran.«

»Das will ich meinen. Deshalb wurde es ihm schließlich auch zuviel mit meiner Anbetung. Ich bekam Nachfolgerinnen, was immer peinlich ist. Wissen Sie, man sollte darauf achten, daß man die letzte, die endgültige im Zug der Priesterinnen bleibt. Die nächste nach mir hieß Minna Herzlieb, ein kränkelndes Blümchen: die hat Goethe zur Heldin seiner ›Wahlverwandtschaften‹ gemacht, so wie jetzt Frau Wesendonk die von Wagners ›Tristan‹ wird.« Cosima gab es einen Stich, der aber von Bettina nicht beabsichtigt war.

»Seine Gunst habe ich mir selbst verscherzt«, fuhr sie arglos fort, »indem ich der Frau Geheimrat Goethe, der vulgären Christiane Vulpius, nicht mit dem gebotenen Respekt begegnete. Daß unsere Heroen doch immer mit einer ihrer unwürdigen Ehefrau behaftet sind! Frau Minna Wagner soll ja auch nicht gerade eine Nymphe sein. Die Christiane aber war ein öffentlicher Skandal. Als ich, mit Achim eben verheiratet, Goethe in Weimar besuchte – das ist nun ein halbes Jahrhundert her –, leistete sie sich derartige Geschmacklosigkeiten, daß ich nicht umhin konnte, ihr einmal gründlich die Meinung zu sagen. Na, das hat er mir denn lange nachgetragen.«

»Die Ehefrau wird an der geistig überlegenen Nebenbuhlerin Anstoß genommen haben, so wie letzten Sommer Minna an Mathilde Wesendonk.«

»Vielleicht. – Bei Wagners haben Sie also ähnliches erlebt? Sonderbar! Das scheint ein Gesetz in der Ehe großer Männer zu sein, daß für ihre Jugendtorheiten Frau und Freundin gleicherweise zu büßen haben.«

»Sollte die Frau nicht am meisten zu bedauern sein, da sie doch der schwächere Teil ist und von dem Manne mit einer unlösbaren Aufgabe belastet wurde?«

Bettina lächelte verschmitzt: »So spricht die Gattin eines Mannes, die sich stark genug weiß, um die Nebenbuhlerin nicht zu fürchten.«

Sie war auch besorgt, die Kräfte ihres Schützlings auf anderen Gebieten als den häuslichen zu entwickeln. Bettina selbst hatte immer den Ehrgeiz gehabt, für eine Schriftstellerin von Rang zu gelten. Gewiß würde auch Cosima, die Tochter der »Daniel Stern«, bald lernen, mit der Feder umzugehen. Bettinas Vorschlag, es damit zu versuchen, fand jedoch wenig Anklang.

»Wozu? Als femme savante käme ich mir komisch vor. Was hätte ich den Leuten denn zu erzählen?«

Frau von Arnim regte an, daß sie den Parisern, unter denen sie aufgewachsen war, doch Berichte aus Berlin liefern möge ... nichts leichter, als ihre Eindrücke von der Stadt, den künstlerischen und politischen Ereignissen in kleine Artikel zusammenzufassen. Nun ja, gab Cosima zu, das war vielleicht zu überlegen, sie konnte damit den vernünftigen Zweck verbinden, ihre früheren Landsleute mit ihren gegenwärtigen vertrauter zu machen und gegen französische Vorurteile anzukämpfen.

Einige Wochen später wurde sie durch Vermittlung ihrer Mutter Mitarbeiterin der » Revue germanique«, in der die Arbeiten der Gräfin d'Agoult zu erscheinen pflegten. Noch leichter gingen ihr Übersetzungen deutscher Bücher von der Hand, die dem Pariser Geschmack entsprechen mochten – eine Nebenbeschäftigung, die ihr Vergnügen machte und sie ablenkte von den Klippen und Schluchten der Wagnerschen Musik.


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