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Fünftes Kapitel

Der Entschluß Wagners, Cosima mit sich nach Italien zu nehmen und sie damit unwiderruflich von den Fesseln ihrer Ehe zu befreien, war nicht im Taumel der Liebesleidenschaft oder des Erfolgs gefaßt, sondern das Ergebnis ernster, verantwortungsvoller Erwägungen, gegründet auf das Gefühl, daß die Frau, die ihm alles geopfert, jahrelang in allen Nöten beigestanden, zuletzt noch in München für ihn gearbeitet, um ihn gelitten hatte, volle Lebensgemeinschaft mit ihm beanspruchen durfte. Sie hatte diesen Anspruch nie erhoben, aber er wußte, daß ihr seine Erfüllung höchster Lohn und Lebensglück bedeutete. Stark genug fühlte er sich jetzt, die Scheidung von ihrem Galten und die längst beschlossene Ehe zu erzwingen.

Cosima, die anfangs in der Tat bei ihrer Mutter hatte Zuflucht suchen wollen, war unbedenklich, tapfer und selig seinem Ruf gefolgt. Mochte Hans es als Verrat empfinden, mochten der König, die Gesellschaft, ihre Freunde und Verwandten, ja selbst ihr Vater sie verstoßen – im Ruf des Geliebten vernahm sie das Gebot ihres Schicksals und war sich bewußt, daß sie einen dornenvollen, aber den rechten Weg beschritt.

Die Fahrt nach Italien war keine Vergnügungsreise, der Aufenthalt im fernen Süden nur eine Atempause zwischen den Kämpfen. Hier losgelöst, unbeeinflußt von landläufigen und geschäftlichen Bindungen, von höfischen und gesellschaftlichen Rücksichten, von Theaterkram und Zeitungsklatsch, gewannen sie beide freien Überblick wie von dem Wartturm einer Feste aus. Und sie fanden, daß für zwei Verbündete wie sie die Stellung uneinnehmbar war.

Nach München kam Cosima, nicht um mit ihrem Gatten zu verhandeln. Ihn nahm sie nicht als Feind, eher als Dritten im Bunde, der für die Einsicht in die Rechte des Herzens gewonnen werden mußte. Grundsätzlich erkannte er sie und das Vorrecht des Genies vor dem Talent ja immer schon an und mußte damit rechnen, daß sie eines Tages geltend gemacht werden würden. Nicht als Bittstellerin trat ihm Cosima gegenüber, sie sagte ihm nur: Hans, jetzt ist es soweit. Du selbst siehst, daß wir nicht länger warten können. Gibst du mich nicht frei, so hast du nichts gewonnen und bietest nur der Welt das beschämende Bild eines Ehezwistes unter drei Menschen, die sich mit eigenem Maßstab gemessen sehen wollen.

Daß sich Hans nicht gleich zur Höhe dieses Standpunkts aufschwingen konnte, verübelte sie ihm nicht. Ihre Gefühle für ihn waren die gleichen geblieben. Sein Zornesausbruch schmerzte sie, ohne zu erbittern. Daß er nun nicht mehr umhin konnte, die Scheidung einzuleiten, mußte er zugeben. Aber die Kinder, seine Kinder, weigerte er sich auszuliefern. Das war sein gutes Recht, nur von unnützer Grausamkeit, darauf zu bestehen. Auch Daniela und Blandine bedurften noch der Mutter und verlangten nach ihr, allein Hans blieb darin unnachgiebig. Cosima durfte sie noch einmal umarmen und nur Isolde und das vor zwei Jahren geborene Evchen nach Triebschen mit sich nehmen.

Hier nun an dem teuren Fleck Erde, der wahren Trösteinsamkeit und »Insel der Seligen«, wie Wagner ihn nannte, dem letzten Asyl, begründete das verfemte Paar seine Gewissensehe. Allein und frei, zog es sich ganz auf sich selbst zurück, nicht verbittert, ungebeugt, kaum mehr leidend unter dem Bannstrahl der öffentlichen Meinung; denn schützend umstrahlte den Meister die Glorie seines ruhmreichen Werkes. Die sich von ihm zurückzogen, konnten ihm doch ihre Bewunderung nicht versagen. Daß der König sich grollend ausschwieg, selbst seine Eingaben und die Geschenke seiner Partituren nicht mehr beantwortete, ließ ihn mehr ironisch als wehmütig lächeln. Die Natur dieser stürmischen Freundschaft war ihm immer etwas peinlich und nicht gerade vertrauenerweckend gewesen. Jetzt, da er sie verlor, fühlte er sich in mancher Hinsicht erleichtert. Die Besorgnis, daß der Mäzen sich für die Enttäuschung, über die er als Freund nicht hinwegkam, rächen werde, schwand bald: der Ehrensold wurde weitergezahlt und damit wenigstens der Lebensunterhalt gesichert. Die Verwandtschaft erwies sich, wie gewöhnlich, als der strengste Sittenrichter, nicht die Gräfin d'Agoult und die alte Frau Liszt, die beide krank und lebensmüde zur Milde neigten, wohl aber Frau Franziska von Bülow; die hatte schon während der letzten Jahre mehr und mehr die böse Schwiegermutter hervorgekehrt und nahm jetzt, von Cosima darin verstanden, leidenschaftlich Partei für den so schwer beleidigten Sohn.

Aus der großen Schar der Freundinnen bewahrten nur zwei ihr Treue, die Gräfin Schleinitz, in Berlin kluge und warmherzige Fürsprecherin der Verbannten, und die Gräfin Kalergis-Mouchanow, die als große Dame der Pariser Gesellschaft dort für gerechte Würdigung des auffälligen Schrittes sorgte. Von Freundschaft unter Frauen hielt Cosima nicht viel, weil sie beobachtet hatte, daß ihr die geistigen und tiefmenschlichen Ziele fehlten. Sie für ihren Teil wußte nichts damit anzufangen, nach den kleinen Vertraulichkeiten, dem mehr triebhaften als entschlossenen Zusammenhalten mit ihresgleichen trug sie kein Verlangen, aber sie freute sich, daß sich über dem Massenwahn der Herde noch so tapfere Einzelmenschen erhoben wie die Schleinitz und die Mouchanow, Frauen mit männlichen Tugenden.

Das Werk war es, das sie mit dem Meister vereint hatte, das Werk verlieh ihnen Schutz und Halt, um des Werkes willen war sie auch weiterhin zu jedem Opfer bereit. Denn noch war es als Lebenswerk nicht vollendet, noch hatte sich der »Ring des Nibelungen« nicht zur Einheit gerundet, und erst als Idee stieg am fernen Horizont das Weihefestspiel »Parsifal« auf.

Den »Siegfried« nahm Wagner an der Stelle wieder vor, wo er ihn damals zur Zeit der Wesendonk-Episode abgebrochen hatte. Jetzt ging ihm die Arbeit leicht von der Hand. Cosima bekam ihn, von Szene zu Szene fortschreitend, täglich zu hören, und die Vorstellung, daß erst einmal sie die Empfängerin war, beflügelte seinen Genius. Dazwischen vertieften sie sich gemeinsam in das Leben der Helden aller Völker, in das der Antike, des Achill und Odysseus, wie Homer sie besang, in das des germanischen Mythos nach den Gesängen der Edda. Wagner las vor mit dem Feuer seiner Einfühlung und seiner klangvollen Stimme, Cosima hing wie verzaubert am Anblick seiner Züge, den lautformenden Lippen, dem wechselnden Ausdruck der aufsprühenden, dann wieder träumerisch verdunkelten Augen, der ganzen vom inneren Erlebnis durchwühlten Gestalt. Ließ er sie darnach allein, so war es ihr unmöglich, die stummen, unbelebten Dinge der nächsten Umgebung zu sehen. Zur Höhe des Gartens stieg sie hinan und sog sich fest an der im Unendlichen verlaufenden Linie der Berge, in der sich ihr das Geheimnis eines unbewegten Tanzes und der Rhythmus der Weltmusik darzustellen schien. Rings um sie her und in ihr erlosch jedes auf sich Beschränkte, die Ewigkeit des grenzenlosen Alls strahlte ihr vom blassen Spiegel des Sees herauf entgegen.

*

Hans von Bülow stand zu seinem Wort, Cosima freizugeben. Aber da er die unwiderrufliche Trennung von ihr noch immer nicht verwand, dem Freunde seinen »Verrat« nicht verzieh und sie bei ihm wußte, legte er ihr die härtesten Bedingungen auf. Erst verlangte er, daß sie den weiteren Verlauf der Dinge bei ihrer Mutter in Versailles abzuwarten habe, dann, daß sie bis zum Urteil des Scheidungsprozesses wenigstens in München Aufenthalt nähme. Cosima ließ ihn nicht im unklaren darüber, daß ihr Platz von jetzt an bis in alle Zeiten an Richard Wagners Seite wäre. Langsam, unter schweren inneren Kämpfen, fand sich Hans in die Lage des Unterlegenen, die Verhandlungen auf gleichem Fuße aussichtslos machte. Mit oder ohne seine Zustimmung blieb Cosima die Gefährtin des anderen.

Doch geschah von außen her dem Meister Unrecht, so hielt er unverbrüchlich zu ihm. König Ludwig ließ wider die Abmachung sowohl den »Tristan« als auch das »Rheingold«, den ersten Teil der unvollendeten Nibelungen-Trilogie, am Hoftheater aufführen, ohne Zustimmung des Komponisten, ohne seine Vorschriften zu beachten, daher unvollkommen und nicht in seinem Geiste. Hans war empört darüber, und seine Stimmung gegen Wagner wurde milder. Er erlaubte Daniela, ihrer Mutter zu schreiben. Als er aus deren Antwort ersah, wie glücklich er sie damit gemacht, gab er nun auch in dem schwierigsten Punkte nach: mochte sie denn mit allen ihren Kindern vereint sein! Er schickte ihr Daniela und Blandine nach Zürich, wo Cosima sie jubelnd in Empfang nahm.

Daß Hans ihr nicht hatte vergeben können, hatte ihr immer wie ein Stein auf dem Herzen gelegen. Mehr noch als der Besitz der Kinder erleichterte sie nun die Freiwilligkeit seiner Gabe, die Hand der Versöhnung, die er ihr damit entgegenstreckte. Er tat noch mehr. Als sie ihm im Sommer die Geburt eines Sohnes meldete, Siegfrieds, des Stammhalters, den sie Wagner schenkte, schrieb er ihr den schönsten, entsagungsvollsten seiner Briefe:

»Teure Cosima! Ich danke Dir für den tastenden Schritt, mit dem Du Dich mir wieder näherst. Seinem Beweggrund will ich nicht nachforschen. Mir genügt es, daß Du mich teilnehmen läßt an Deinem Mutterstolz, an Deiner Freude. Zu unglücklich fühle ich mich durch meine eigene Schuld, um nicht alles zu vermeiden, was Dich durch irgendeinen Vorwurf verletzen könnte. In der unendlich grausamen Trennung, zu der Du Dich verpflichtet gefühlt hast, erkenne ich alle meine Fehler, und ich werde fortfahren, sie zu unterstreichen in all den unvermeidlichen Auseinandersetzungen, die ich über die Lösung unsrer Ehe mit meiner Mutter und mit Deinem Vater zu führen habe. Deine Ergebenheit, die Du mir in unsrem nun abgeschlossenen Eheleben immer erwiesen hast, habe ich Dir schlecht und böse vergolten. Ich habe, so will es mir jetzt scheinen, Dein Leben beinahe verdorben, und ich kann der Vorsehung nur danken, die Dir Ersatz gegeben hat im letzten Augenblick. Aber in der Tat, seitdem Du mich verließest, ist mir der letzte Halt des meinigen zusammengebrochen. Deine Geduld, Deine Nachsicht, Deine Freundschaft, Deine Ermutigung, Deine Ratschläge und vor allem Deine Gegenwart, Dein Blick, Dein Wort, all dieses bildete und bestimmte die Grundlage meines Daseins. Der Verlust dieses höchsten Gutes, dessen Wert ich erst jetzt erkenne, und der mich moralisch wie künstlerisch zugrunde richtet, läßt mich erkennen – ich bin ein Bankrotteur. Glaube nicht, daß diese Klage – ich leide so sehr, daß ich mir erlauben kann, mich zu beklagen, indem ich mich doch enthalte, einen anderen Urheber als mich selbst zu beschuldigen – daß darin irgendwelche Ironie liegt oder eine Herabsetzung Deiner Person. Du hast es vorgezogen. Dein Leben, die Schätze Deines Geistes und Deines Herzens einem Manne zu weihen, der in jeder Hinsicht uns andere überragt. Weit entfernt, Dich zu tadeln, billige ich bei ruhiger Vernunft Deinen Schritt und gebe Dir vollkommen recht. Ich schwöre Dir, daß der einzig tröstende Gedanke, der zuweilen wohltätig in das innere Dunkel und in meine äußeren Qualen gedrungen ist, der war, daß wenigstens Cosima, die Gott dazu ausersehen hat, andere zu beglücken, nun selber glücklich ist!«

*

Ein Herr hatte an einem Sonntagvormittag, als sich Wagner und Cosima gerade auf einer Gebirgstour befanden, in Triebschen Besuch gemacht und seine Karte abgegeben: »Friedrich Nietzsche, Professor der alten Sprachen an der Universität Basel«. Sie erinnerten sich, den jungen Mann vor Jahren bei einem Konzert flüchtig kennengelernt und, da er über das Programm einige seltsam gescheite Sätze von sich gegeben, an ihm Gefallen gefunden zu haben.

Sie luden ihn für den Pfingstmontag zu Tische ein und fanden ihn diesmal noch viel merkwürdiger. Seiner Erscheinung nach konnte man den kaum Fünfundzwanzigjährigen für nicht mehr als einen sehr höflichen und bescheidenen Lehramtskandidaten halten. Hochaufgeschossen, mit langen, mageren Armen, hielt er sich nachlässig in seinem sauberen, zugeknöpften schwarzen Rock, sprach leise sorgfältig gefeilte Verbindlichkeiten, die seiner Verehrung für das Wagnersche Gesamtwerk erschöpfenden Ausdruck verliehen, und funkelte dabei durch seine Stahlbrille den Meister mit unnatürlich großen, aber kurzsichtigen Gelehrtenaugen an. Zu Cosima sagte er, daß er sich ganz besonders freue, sie hier zu finden, und daß er sie beglückwünsche. »Wozu?« fragte sie erwartungsvoll lächelnd. »Zu Ihrem Hiersein, zu Ihrem bevorzugten Dasein überhaupt.«

Bald aber ging er mächtig aus sich heraus und entpuppte sich als ein Revolutionär, gegen den Wagners alte demokratische Kumpane harmlose Waisenknaben waren. Seine Revolution war aristokratischer Herkunft, und gerade »die braven Achtundvierziger, diese Plebejer und Arbeitssklaven der geistigen Gesellschaft« schienen ihm das Bild des künftig notwendigen Umsturzes zu verfälschen: »Ich darf das aussprechen, da Sie, Herr Wagner, ja längst nichts mehr mit ihnen zu schaffen haben. Jetzt sind die Bildungsphilister und Moraltrompeter – Sie haben das ja bemerkt und wiederholt ausgesprochen – Ihre ärgsten Feinde.«

Lachend gaben Wagner und Cosima es zu. über die neuen Worte »Bildungsphilister« und »Moraltrompeter«, Sprachschöpfungen des Professors Nietzsche, belustigten sie sich und fanden sie durchaus treffend. Er konnte aber nicht nur schimpfen, sondern sich auch seherisch begeistern, indem er mit dem Rüstzeug seiner Wissenschaft Wagners Musikdramen der griechischen Tragödie an die Seite stellte und ihnen als deutsche Volkskunst einen Siegeszug durch die Welt auf Jahrhunderte hinaus prophezeite. Er schrieb, so verriet er, an einem Buche »Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik«, das den Vorrang des dionysischen Schaffens, wie Richard Wagner es wieder zu Ehren gebracht, vor dem maßvoll apollinischen nachweisen werde. Cosima begriff und stimmte zu, wunderte sich aber im stillen, wie gerade dieses schwächliche, tadellose Männchen zu einem Verkünder des Rausch-Gottes Dionysos werden konnte.

Friedrich Nietzsche wurde bald zum gerngesehenen Hausfreund in Triebschen. An jedem Wochenende kam er von Basel herüber und schloß sich fast noch mehr an Cosima als an Wagner an, vor dem er im Respekt des Jüngers erstarb. Sie nahm ihn, wie früher den Peter Cornelius, leicht humoristisch und stellte ihn geflissentlich zu kleinen Handgriffen in Haushalt und Garten an. Wenn sie mit den Kindern Haschen und Verstecken spielte, mußte er daran teilnehmen; anfangs setzte ihn das in Verlegenheit, dann aber drängte er sich dazu. Er war in einem Kreise aufgewachsen, der fast nur aus Frauen bestand, war von Frauen erzogen worden und verkehrte, ohne Wert darauf zu legen, von jeher mit Frauen, mit Mutter und Schwester, näheren und entfernteren weiblichen Verwandten, weiblichen Nachbarinnen, machte auf Reisen nur mit älteren Damen Bekanntschaft. Männer nahmen ihn nicht für voll und hörten ihm – seine Studenten allenfalls ausgenommen – nur mit halbem Ohre zu. Er gestand Cosima einmal, wie ihm gerade dadurch die Frauen zum Überdruß geworden wären, daß sie aber das einzige Weib großen Stiles seitdem er je begegnete.

»Übertreiben Sie nicht so unwissenschaftlich, mein dionysischer Professor!« wies sie die derbe Schmeichelei zurück. Er bestand darauf, daß sie die von dem Göttlichen erwählte und unter die Unsterblichen versetzte Ariadne sei, gab Ihr nur noch diesen Namen und betete sie mit verhaltener Leidenschaft als seinen Schutzgeist an.

Obgleich er sah, wie wohl sie und Wagner sich fühlten in diesem Triebschener Idyll, behauptete er immer wieder, daß es nicht der rechte Platz für sie sei. Unzufrieden war er mit ihrer Zufriedenheit, nannte das untätige Familienleben ein »Sich-Verliegen auf Daunenkissen« und suchte sie davon zu überzeugen, daß geruhiges Glück dem Vormarsch jedes großen Werkes im Wege wäre.

»Recht ist es, daß Sie hier über die ungestörte Arbeit des Meisters wachen. Aber lassen Sie dabei nicht das höchste Ziel aus den Augen – des Werkes Weltherrschaft! Die kommt Ihnen nicht entgegen, die will erobert sein!«

»Sie meinen den äußeren Erfolg? Er ist dauernd im Gange.«

»Ich meine viel mehr. Das Gesamtkunstwerk soll sich die gesamte europäische Kulturwelt unterwerfen. Unter seiner Würde wäre es, sich ihr aufzudrängen. In Deutschland soll es seinen Sitz, seinen Thron, seinen Tempel errichten und die Völker zur Wallfahrt zwingen.«

»An solch einen Tempel dachten wir ja, als wir vom König das Münchner Festspielhaus erbaten. Er war begeistert von dem Plan und wollte ihn verwirklichen. Ich war es, die ihn im letzten Augenblick davon zurückhielt. Die Zeit erschien mir noch nicht reif und der gehässige Widerstand zu stark. Der Verlauf der Ereignisse hat mir recht gegeben.«

»Gewiß. Es hat sich gezeigt, dass München kein günstiger Boden dafür ist. Neben dem Thron eines Königs würde der Ihrige nicht Platz haben. Wo Hof und Bürokratie, Klerus und Philistertum gegen die Souveränität der Kunst intrigieren, kann sie nicht gedeihen. Suchen Sie also eine andere Stätte!«

»Leicht gesagt, Sie Träumer! Künstler sind Herren ohne Land.«

»Deshalb tut es not, sich welches zu erobern. Bringen Sie nur den Nibelungenhort, gleichviel wo, in Sicherheit! König Ludwig räubert munter darauf los. ›Das Rheingold‹ hat er sich schon einverleibt, nun nimmt er sich ›Die Walküre‹ vor.«

»Er hat leider ein Recht darauf. Wagner hat ihm alle Partituren gegen Entgelt überlassen.«

»Nicht, daß er willkürlich damit schalte und walte und ihre Schönheit entweihe! Sie brauchen ein Heiligtum, indem der Meister herrscht. Auf, Ariadne, rühren Sie sich! Werfen Sie den Faden in das Labyrinth, es winkt ein Thron!«


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