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Achtes Kapitel

Vor dem Ebenholzschreibtisch ihres Boudoirs saß Marie d'Agoult in den Sessel zurückgelehnt und blickte versonnen hinaus auf die verschneiten Dächer der Champs Elysées. Ein weißer Wirbel von Flocken jagte hinter den Fenstern vorüber, vom Triumphbogen her tönte das Schellengeläut eines vereinzelten Schlittens. Zu den Füßen der Herrin lag der Neufundländer Barry, jetzt schon schwerfällig und altersschwach. Sie beugte sich zu ihm herab und klopfte liebkosend den zottigen Hals, dankbar leckte er ihr die Hand.

An ihren Memoiren hatte sie geschrieben und soeben das Kapitel beendet, in dem sie erzählte, wie grausam man ihr die unmündigen Kinder entriß. Jetzt, gottlob, waren sie stattlich herangewachsen und von selbst zu ihr zurückgekehrt, aber doch nur für kurze Zeit! Die Töchter, verheiratet, schufen sich an der Seite des Gatten ein eigenes Leben, Blandine reiste mit Ollivier in Italien, Cosima war ganz zur Deutschen geworden, und Daniel, schon eigenwilliger Student, lag kränkelnd dort bei ihr in Berlin. Sie selbst hatte den Höhepunkt ihres an Enttäuschungen reichen, nur wenige Jahre hindurch köstlichen Lebens und den ihrer literarischen Erfolge überschritten. Auch in ihr sah es nun frostig und winterstill aus.

Der Diener meldete den Besuch einer alten Dame, die ihren Namen nicht nennen wollte. Marie war starr von Staunen, Frau Liszt bei sich eintreten zu sehen. Die Beziehungen zu der Mutter ihres untreuen Geliebten, die sie an dem Raub der Kinder für mitschuldig hielt, waren, wenn auch nicht gerade feindliche, so doch gespannte. Seit vielen Jahren hatten sie sich voneinander ferngehalten. Konnte ihr Kommen Gutes bedeuten?

Doch die Greisin, gebeugt und unsicher auf den Füßen, reichte ihr versöhnlich die Hand.

»Ich bin erfreut, Sie zu sehen, Madame«, sagte Marie und bot ihr Platz auf dem Kanapee an. »Nehmen Sie meinen Dank, daß Sie den Weg zu mir gefunden haben, er wird Ihnen nicht leicht geworden sein.«

»Schwerer in einem anderen Sinne, als Sie glauben, Frau Gräfin. Mein Sohn Franz und Ihre Tochter Cosima gaben die Anregung dazu.«

»Oh – wirklich – Ihr Sohn? Das rechne ich ihm hoch an. Nicht ohne Schuld habe ich seinen Groll auf mich geladen.«

»Daran wollen wir heute nicht denken. Ich bringe Ihnen Nachrichten über Daniel.«

»Es geht ihm leider gar nicht gut, ich weiß. – Nachrichten also?« Sie verfärbte sich. »Hoffentlich keine schlechten?«

»Seine Kräfte nahmen in den letzten Wochen weiter ab – so schrieb mir Cosima.«

»Auch mir. Und jetzt?« Ihre Lippen zitterten. »Was fehlt ihm eigentlich?«

»Niemand weiß es ... er schwand dahin«, sagte Frau Liszt leise und entnahm ihrer Handtasche ein Telegramm. Marie ergriff es hastig und sah zuerst die Unterschriften Franz und Cosima. Der Text flimmerte ihr vor den Augen.

Auf einmal begriff sie und stammelte entsetzt:

»Mein Kind ... mein jüngstes ... angebetetes! So rasch ...! O Gott, das ist unmöglich!« Weinend sank sie in sich zusammen. Frau Liszt zog sie mütterlich an sich.

»Wir haben ihn beide über alles geliebt und große Hoffnungen auf ihn gesetzt. Gott nahm ihn uns – vielleicht um ihm viel Schweres zu ersparen.« –

Von diesem Tag an fühlten sich die beiden Frauen zusammengehörig. Marie d'Agoult kam hin und wieder zu Frau Liszt, Daniels Andenken zu ehren, über Cosima und Blandine zu sprechen und Erinnerungen zu tauschen über Franz, der ihren Blicken fast ferner gerückt war als sein toter Sohn.

*

Die Aussöhnung seiner Mutter mit Marie hatte Liszt aus einer wehmütig weichen Stimmung heraus angebahnt, in die ihn nicht nur der Verlust Daniels, sondern auch der bevorstehende Auszug aus Weimar versetzte. Abermals bestimmte Carolyne Wittgenstein seine Entschlüsse und zog ihn widerstandslos nach sich. Ihre einzige Stütze am Hof, die Großfürstin Marie Pawlowna, auch Liszts eifrige Gönnerin, war gestorben; sie sah ein, daß sie Weimar freiwillig verlassen mußte, bevor die öffentliche Meinung sie vertrieb. Zu ihrem Glück war um die gleiche Zeit das russische Konsistorium endlich zu dem Urteilsspruch gelangt, daß ihre Ehe als eine erzwungene zu scheiden sei. Was sie zwölf Jahre lang gegen die Umtriebe ihrer Verwandtschaft, die das Riesenvermögen der Polin im Lande behalten wollte, zu erreichen gesucht, war ihr gelungen. Nachdem dieses Hindernis ihrer Vermählung mit Franz Liszt beseitigt war, brauchte sie nur noch die Einwilligung des Papstes. Sie ging nach Rom, sich an Ort und Stelle darum zu bemühen, und Liszt folgte ihr. Seine Gemeinschaft mit Carolyne ohne den Segen der Kirche war ihm immer eine Pein gewesen. Auch er hoffte, daß der päpstliche Dispens zu erlangen wäre, wenn er seine Beziehungen zur Kurie, besonders auch zu dem ihm befreundeten Kardinal Hohenlohe, der in Tivoli residierte, ausnutzte. Sein Posten als Kapellmeister des Hoftheaters war ihm ohnehin verleidet. Der Großherzog hatte zum Generalintendanten den Baron Dingelstedt berufen, einen Gegner seiner und Richard Wagners Kunst. Damit konnte er seinen alten Lieblingsplan, Weimar zu Deutschlands erster Musikstadt zu erheben, als gescheitert betrachten. Was sollte er noch hier? Ihm allein würde der Hof die Altenburg kaum noch als Heim überlassen.

Von all diesen Plänen erfuhr Cosima auf Umwegen über Franziska von Bülow und Hans, der Vater hatte sich nicht getraut, ihr offen darüber zu schreiben. Sie geriet in Schrecken und Empörung. Die Nähe des Vaters künftig entbehren zu müssen, kam ihr schon hart genug an, aber die Aussicht, Carolyne Wittgenstein zur Stiefmutter zu erhalten, machte sie rasend. Mit ihrem Vater war darüber nicht zu reden, Beratungen mit Hans führten zu keinem Ergebnis, Blandine war machtlos dagegen wie sie selbst, überdies mit dem Vater kaum mehr innerlich verbunden.

Cosima war nahe daran, nach Weimar hinüberzufahren, um Liszt, der dort kurz vor der Abreise stand, von den verhängnisvollen Folgen seines Schrittes zu überzeugen. Sie unterließ es auf dringendes Zureden ihres Mannes und des Arztes, die sie beschworen, sich vor Aufregungen zu hüten. Ihr Zustand rechtfertigte die Besorgnis, denn sie erwartete das erste Kind.

Um dieser Hoffnung willen, die soviel größeres Gewicht hatte als die Gefahr, den Vater an eine Abenteuerin endgültig zu verlieren, bezähmte sie Schmerz und Zorn. Alles kam jetzt darauf an, sich vorzubereiten auf ihre Mutterschaft, für eine ungestörte Niederkunft zu sorgen. Sie wollte vergessen und sie vergaß, was dieser heiligen Sphäre fremd und feindlich war. Geschäfte für sich und andere, gesellige Vergnügen, die Versuchung zu Sommerreisen ließ sie nicht mehr an sich heran. Häuslich blieb sie in Berlin bei ihrem Gatten, trat ihm um ihres Kindes willen wieder näher, und Hans, der schon nicht mehr daran geglaubt hatte, Vater zu werden, bewies ihr seine Dankbarkeit durch zarteste Rücksicht; er konnte seiner nervösen Ausbrüche, wenn er sich zusammennahm, schon Herr werden.

Das Gastzimmer, in dem Daniel seine letzten Monate zugebracht, richtete sie sich als Wochenstube ein, sein Sterbelager sollte ihr Wochenbett werden. Hier, wo mir geliebtes Leben erlosch, sagte sie sich, will ich mit noch größerer Liebe und Andacht ein neues zur Welt bringen. An der gleichen Stelle, wo sie vor einem Jahr in Trauer versunken war, sah sie jetzt ihrem Mutterglück entgegen.

Im Oktober gebar sie ein Mädchen. Sie nannte es Daniela Senta – Daniela im Andenken an ihren Bruder, Senta nach der Heldin von Richard Wagners »Fliegendem Holländer«, die dem ruhelos Schweifenden Erlösung und Frieden bringt.

Ruhelos, unstet, einer Erlösung kaum mehr gewärtig, irrte Wagner selbst, an Deutschlands Grenzen vorüber, von einem Land zum anderen. Von Venedig trieb es ihn zurück nach der Schweiz. Otto Wesendonk lud ihn, unter Einwilligung, doch keineswegs auf Betreiben Mathildes, die aus Mitleid, nicht mehr aus Liebe, dem Meister Obdach bieten wollte, zu sich als Gast auf den »Grünen Hügel«. Von ihrem zu einer Durchschnittsfreundschaft erkalteten Gefühl war er bitter enttäuscht. Er sah, daß er ihr als Liebhaber nichts mehr bedeutete. Erst in Entsagung, dann auch ihren bürgerlichen Pflichten zurückgewonnen, betrachtete sie Mann und Kinder wieder als einzigen Daseinszweck. Schon die Erinnerung, daß sie nahe daran gewesen, Haus und Familie einer flüchtigen Leidenschaft aufzuopfern, beschämte sie; um so selbstverständlicher wies sie die schüchternen Versuche Wagners, früheres Einverständnis zu erneuern, zurück.

Er hielt es nicht länger aus, ihr ständig nahe und ihrem Herzen doch so fern zu sein, täglich darüber belehrt zu werden, daß ihre einstige Neigung für ihn ein Irrweg gewesen. Er entfloh nach Luzern und beendete dort seinen Tristan, dessen »Liebestod« nicht Klang zu werden vermochte, solange er die zum Hausmütterchen verwandelte Isolde geruhsam am Herde walten sah.

Dann wagte er den kühnen Sprung nach Paris. Die Gräfin d'Agoult hatte ihm Hoffnung gemacht, für den Tannhäuser die große Oper zu erobern. Anfangs ließ sich alles gut an: seine Konzerte gefielen, die Geldmittel reichten gerade noch knapp aus, und der Gesundheitszustand seiner Frau hatte sich so weit gebessert, daß er ihren Wunsch, wieder zu ihm zu ziehen, erfüllen zu können glaubte. Eine Weile vertrugen sie sich auch, nicht länger. Nirgends paßte Minna schlechter hin als nach Paris, nirgends hatten sie einander so gestört und sich ihre Lebensgewohnheiten so verübelt wie hier – Minna kehrte aus eigenem Antrieb nach Dresden zurück, diesmal für immer von Richard Wagner getrennt.

Mit den Proben zum Tannhäuser wollte es nicht vorwärts gehen, obgleich Marie d'Agoult und ihr Anhang alle Hebel in Bewegung setzten und eine neue Gönnerin, die junge Fürstin Pauline Metternich, die Gemahlin des österreichischen Botschafters, den Kaiser selbst gewonnen hatte. So fuhr Wagner inzwischen nach Wien, wo »Tristan und Isolde« Aussicht hatte, in Szene zu gehen. Beinahe wäre es dazu gekommen. Aber dieses Beinahe, das ihn immer und überall narrte, wollte ihm nie zur Wirklichkeit werden. Wieder in Paris, setzte er es doch endlich durch, daß der Tannhäuser aufgeführt wurde. Beinahe wäre es ein Erfolg geworden – hätten nicht die feudalen Mitglieder des Jockeyklubs, deren Ballettwünsche der Komponist spöttisch abgeschlagen hatte, mit ihren Jagdpfeifen einen Theaterskandal entfesselt und den deutschen Musiker in Paris unmöglich gemacht.

Eine Schuldenlast hatte sich aufgetürmt: er gestand sie nur seinen besten Freunden, dem Zeichner Gustave Doré und dem Dichter Charles Baudelaire, doch sie konnten ihm nicht helfen. In aller Stille verließ er die Stadt. Die Amnestie, die endlich auch seine Verbannung aufhob, erlaubte ihm wenigstens deutschen Boden zu betreten.

*

Unmerklich waren an Hans und Cosima wieder zwei Jahre ihrer Ehe vorübergeglitten. Ihr Heim in der Anhalter Straße blieb nach wie vor eine Stätte ernster Arbeit und heiterer Geselligkeit. Wer bei ihnen verkehrte, hatte den Eindruck vorbildlichen Familienlebens.

Die kleine Daniela Senta lief nun schon im karierten Röckchen und gelben Stiefeletten umher, sie warf ihren schwarzwolligen Bären in die Luft und plapperte mit ihm in unverfälschtem Berlinerisch. Cosima wiegte ein zweites Kind, die feingliedrige Blandine, die anfangs viel krank gewesen war, jetzt aber unter der aufopfernden Pflege der Mutter prächtig gedieh.

Ach, es tat gut, bei den Kindern zu sein, allein mit ihnen! Ihr pflanzenhaftes Wachstum, ihre Unschuld verscheuchten die Angst vor den Miasmen in der eigenen Brust. Ob die Mutter nun mit Daniela und deren Bären einen Ringelreihen tanzte oder vor dem Ohr des neugierig horchenden Babys die Spieldose erklingen ließ, sie war abgelenkt von der Hetzjagd jener Bilder, die ihr ein neues, von Grund aus verändertes Leben vorgaukelten.

Kaum aber war Daniela in ein Bilderbuch vertieft und Blandine eingeschlummert, so kehrten die geliebten, bohrenden, aufwühlenden Erinnerungen zurück, in deren Mittelpunkt immer nur er stand, der einzige, Richard Wagner. Dreimal war Cosima ihm begegnet seit jenem peinvollen Abschied vom Asyl.

Reichenhall! Dort stößt er unerwartet zu ihnen, wie aus den Wolken gefallen. Von Olliviers hat er erfahren, daß diese sich mit Bülows in Reichenhall treffen wollen, wo ihr und Blandine eine Molken- und Salinenkur verordnet worden ist. Die Schwestern befinden sich in einer seltsam lustigen, ausgelassenen Erregung und sind zu backfischhaftem Unfug aufgelegt. Ihr Übermut steckt Wagner an. Der steife Ollivier wird zum Opfer von mancherlei Schabernack ausersehen. Wagner nimmt sofort daran teil. Er ist hinter den beiden jungen Frauen her mit Schnurren und Posten. Die Neckereien, hinter denen sich unausgesprochene Eroberungssucht verbirgt, wollen kein Ende nehmen. Cosima erkennt sich selbst nicht wieder, und Wagner meint, jetzt erst offenbare sich ihm ihr eigentliches Wesen, das eines Naturkindes, einer jungen, exotischen Wilden.

Biebrich am Rhein! Wagner hat sich leichtsinnigerweise eine nette, geräumige Villa gemietet. Gäste gehen aus und ein, aber er verlangt vor allen nach Bülows, ohne die er nicht mehr leben könne. Hans verspürt keine rechte Lust; er ahnt, der Meister wird, besonders, wenn er als Hausherr Hof hält, mit dem Gewicht seines selbstbewußten Herrschertums auf ihm lasten. Cosima ruht nicht, bis er die Einladung angenommen hat. Sie läßt sogar, zum erstenmal, Daniela unter der Obhut einer Bonne zurück. Wenn Wagner ruft, kann sie nicht widerstehen. Die Dichtung eines neuen Musikdramas hat er vollendet, »Die Meistersinger von Nürnberg«. Er ist noch voll davon und liest sie zweimal vor. Cosima dringt auch diesmal, wie beim Tristan und dem Ring des Nibelungen, von allen am tiefsten in den Sinn des Werkes ein. Von Scherz und Schimpf ist keine Rede mehr, er und Cosima nehmen sich auf einmal bitter ernst. Der Meister befragt sie nach jedem Akte um ihr Urteil. Der gewaltige Eindruck verschlägt ihr jede Kritik und oft die Rede. Der Zauber mittelalterlichen deutschen Lebens, die wunderbare Vereinigung hoher, im Volkhaften wurzelnder Ideen mit dem köstlichen Humor weiß sie ihm nicht genug zu preisen.

Hans erbietet sich, eine Abschrift herzustellen. Dabei erkennt auch er den vollen Wert der neuen Schöpfung in ihrer ganzen Größe. An ihr ermißt er erst, was ihm noch alles fehlt und unerreichbar ist. Neid findet keinen Raum in seiner vornehmen Seele; gereizt und niedergeschlagen wütet er nur gegen sich selbst. Dem Genie beugt er sich in um so heißerer Verehrung.

Ein von Wesendonks geschickter Maler trifft ein, Wagner für den »Grünen Hügel« zu porträtieren. Die langweiligen Sitzungen verkürzt Cosima, indem sie vorliest. Der Freund kann nicht genug bekommen, allein schon am Klang ihrer Stimme sich zu laben.

Endlich – vor kurzem noch Berlin! – Wagner bei ihnen zu Gaste!

Aber ein furchtbares Ereignis schob sich zwischen die seligen Wochen von Biebrich und die von Berlin. Aus Frankreich traf die erschütternde Nachricht ein, daß Blandine Ollivier an den Folgen ihrer ersten Niederkunft verschieden war. Nach Daniel nun auch die Schwester – beide Opfer ihrer überzarten Beschaffenheit, dem harten Zugriff des Lebens nicht gewachsen!

Cosima kommt nicht dazu, sich in ihren Kummer zu verlieren. Die Ankunft des sehnlich Erwarteten steht bevor, und alles Leid ist vergessen.

Er drückt ihr die Hände, er ruft: »Cosima – da bin ich!« Zum erstenmal hat sie ihn für sich allein, und er hat nur sie. Sein liebster Aufenthalt ist das Kinderzimmer, wo er sich ihr gegenüber an die andere Seite der Wiege setzt; ausgehen mag er nur, wenn sie ihn begleitet. Den Kindern bringt er Spielzeug und ihr täglich frische Blumen. Hans hat viel im Konservatorium zu tun, die Abende verbringt er mit den Kumpanen im Café, das Wagner verabscheut. »Lernt euch nur endlich einmal ordentlich kennen!« ruft er ihnen gutgelaunt zu. Wagner spricht unermüdlich, von der Tournee durch Rußland, die er von hier aus antreten wird, von der Vertonung der »Meistersinger«, von der Wiederaufnahme des »Siegfried«, die er auf bessere Zeiten verschiebt, von einem noch fernen, alles krönenden Werke, einem »Parsifal«. Vieles ist wie ein endloses Band lautgewordener Gedanken, so vor sich hin gesagt, anderes eine fortlaufende Beichte, für Ohr und Herz der Frau bestimmt, die ihm Absolution erteilen soll: »Fremden mein Innerstes zu offenbaren, war mir nie gegeben. Nur eine auserwählte Frau kann zuhören, mit dem Gefühl begreifen, Trost spenden und mich mit gelinder Hand die rechten Wege führen.« Einen Richard Wagner führen! Wie könnte sie sich dessen unterfangen! Sie schweigt ihn an in Ehrfurcht und scheut sich vor jedem Wort, das schwach und ungelenk nicht auszuschöpfen vermöchte, was sie bewegt. Manchmal hebt sie an zu einer Erwiderung, stockt und errötet, verbirgt das Gesicht in den Händen. Ein Strom von Gefühl wäre hervorgebrochen, das hätte sie und ihn hinweggeschwemmt, hinaus in einen tosenden Ozean.

Daniela hatte ihr Bilderbuch zugeklappt und schmiegte sich an das Knie der Mutter: »Was ist dir, Mammi? Warum mußt du seufzen?«

»An dich habe ich gedacht und an Blandinchen ... daß nichts uns jemals trennen darf.«

Hans kam hereingestürmt. »Denk mal an, ich habe gute Nachricht von ihm aus Petersburg. Er hat schon gewaltige Mengen Rubel verdient und vom Zaren einen hohen Orden erhalten. Spricht überschwenglich seinen Dank aus für die Berliner Tage, stimmt auf unsre bescheidene Gastfreundschaft ein Preislied an. Über dich aber beklagt er sich wieder.«

»Wie denn?« fragte Cosima bestürzt. »Woran habe ich es fehlen lassen?«

»An der rechten Offenheit. Du hättest ihm schon etwas herzlicher entgegenkommen und auf ihn eingehen können, meinte er. Dasselbe habe ich dir oft genug gesagt: kalt und abweisend hältst du dich vor ihm zurück. Er ist doch der ganze Inhalt meines Lebens, und du bist meine Frau. Warum gelingt es dir nicht, ihn liebzuhaben?«

Cosima, das Gesicht über die Wiege gebeugt, machte sich an den Kisten zu schaffen und murmelte: »Aber ich habe ihn ja lieb.«

»Nun also! Da darfst du dich vor ihm nicht verstellen.«


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