Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel

Eine Sammlung von russischen Rubeln ist kein Hort, den Nibelungen bewachen. Die Pakete gebündelter Scheine werden immer dünner; in preußische Taler gewechselt, haben sie zwar an Gewicht gewonnen, aber an Zahlungswert verloren. Österreichische Gulden, durch gutbesuchte Konzerte dazu verdient, schwinden noch rascher dahin. Brave Musiker, die dabei ihr Bestes gaben, müssen doch reichlich bewirtet, den Notleidenden muß geholfen werden. Und der Meister selbst steigt, schon um seines Namens willen, in den vornehmsten Hotels ab, schickt an seine Frau nach Dresden erkleckliche Summen und hübsche Geschenke, in Penzing bei Wien richtet er sich schließlich eine Villa ein. Es stärkt das zur künstlerischen Arbeit so notwendige Selbstgefühl, behaglich zu wohnen und den Freunden und Gönnern Feste zu geben. Zwischen Kunstschätzen und wertvollen Büchern finden sich die Musen Kalliope, Thalia und Euterpe williger ein, ihn zur Musik der »Meistersinger« zu begeistern.

Allein die Einnahmen ließen plötzlich wieder nach, die Schulden wuchsen. In den Schubladen türmten sich nicht mehr die Geldscheine, sondern die unbezahlten Rechnungen. Ungeduldige Lieferanten belagerten das Haus, Vorladungen zu Terminen folgten, und der Gerichtsvollzieher begann zu pfänden. In dieser höchsten Not wandte sich Wagner an Otto Wesendonk. Der aber, sonst so gebefreudig, erwiderte frostig, er halte es für unangebracht, in das Danaidenfaß weiteres Geld zu werfen, dem ringenden Künstler werde er immer zur Seite stehen, nicht aber dem Genießer, der sinnlos vergeude.

Nun drohte auch noch der persönliche Arrest. Der Verhaftung zu entgehen, mußte der Schuldner Hals über Kopf alles im Stiche lassen und über die Grenze nach der Schweiz, dann nach Deutschland flüchten. In Hast und Verwirrung fuhr er kreuz und quer von einer Stadt zur andern; denn wahrscheinlich war man hinter ihm her.

An Peter Cornelius schrieb er: »Mein Zustand ist unheimlich. Ein einziger Stoß – und es hat ein Ende. Ein Licht muß sich zeigen, ein Mensch muß mir erstehen, der jetzt energisch hilft. Dann habe ich noch die Kraft, die Hilfe zu vergelten, sonst nicht, das fühle ich ... Wahrlich, ich fühl's, es geht tief innerlich mit mir zu Ende.«

In Stuttgart fand er Unterkunft bei einem jungen Verehrer, dem Kapellmeister Karl Eckert, der versprach, ihn für eine Weile verborgen zu halten.

Wurde das Geheimnis seiner Anwesenheit schlecht gewahrt? Wie konnte es sonst geschehen, daß eines Tages ein Fremder an Eckerts Tür klingelte und Richard Wagner zu sprechen wünschte? Dem fuhr der Schreck in die Glieder: nur ein Gläubiger konnte es sein oder gar ein Beamter mit dem Haftbefehl!

»Verleugnen Sie mich, Eckert! Am besten sagen Sie, ich wäre überhaupt nicht eingetroffen. Sie wüßten nichts von mir!«

Der fremde Herr – er sah wirklich wie ein Beamter aus, immerhin recht anständig, und sprach mit bayrischem Anklang – bestand höflich auf seinem Verlangen; er wisse, daß Richard Wagner zugegen sei. Zögernd überreichte er seine Karte: von Pfistermeister, Privatsekretär Seiner Majestät des Königs von Bayern.

Jetzt endlich ließ ihn Wagner, wenn auch immer noch voll Mißtrauen, zu sich. Vielleicht gingen Arrestbefehle neuerdings über irgendeine höfische Instanz?

»Wessen Privatsekretär sind Sie?« fragte der Meister ziemlich grob. »Der König von Bayern ist doch vor kurzem gestorben. Kommen Sie von ihm direkt?«

Herr von Pfistermeister erklärte seine Mission:

»Im Auftrage Seiner Majestät des jungen, jetzt regierenden Königs Ludwig II. habe ich die Ehre, Ihnen ein Handschreiben und diesen Ring zu überreichen.« Das Etui legte er zuerst vor und ließ den Deckel springen. In der Tat ein großer, kostbarer Rubinring! Wagner traute seinen Augen nicht. Den Umschlag des Handschreibens riß er auf und las:

»Wie dieser Stern glüht, so brennt der König vor Verlangen, den Genius von Angesicht zu Angesicht zu sehen, dem er seine ganze geistige Entwicklung dankt.

Ludwig, König von Bayern.«

Ohne Rücksicht auf den Überbringer der Botschaft, der ihre Tragweite und die ganze Situation nicht recht begriff, warf er sich dem Freunde an die Brust.

»Der König ruft mich! Er will mich sehen. Ich glaube, das ist die Rettung!«

Jetzt erst bot er Herrn von Pfistermeister Platz an und bat ihn, einen Augenblick zu warten, er möchte ihm die Antwort an Seine Majestät gleich persönlich mitgeben. Dann eilte er zum Tisch und schrieb:

»Teurer, huldvoller König!

Diese Tränen himmlischer Rührung sende ich Ihnen, um Ihnen zu sagen, daß nun die Wunder der Poesie wie eine göttliche Wirklichkeit in mein armes, liebebedürftiges Leben getreten sind! Und dieses Leben, sein letztes Dichten und Tönen, gehört nun Ihnen, mein gnadenreicher junger König. Verfügen Sie darüber als über Ihr Eigentum! In höchstem Entzücken treu und wahr Ihr Untertan

Stuttgart, den 3. Mai 1864
Richard Wagner.«

*

Verspätet und auf Umwegen gelangte die frohe Botschaft von Wagners Berufung zum König an Hans, der sich auf einer Konzertreise in Rußland befand. Selbstverständlich wollte der Meister seinen liebsten und hervorragendsten Schüler nun bei sich in München haben, als Kapellmeister am Hoftheater. Mit dem König hatte er gleich darüber gesprochen und die allerhöchste Einwilligung erlangt. Von Cosima erwähnte er sonderbarerweise nichts: es klang, als solle Hans allein kommen, was dieser verwunderlich fand und für ausgeschlossen erklärte.

Cosima durchschaute den Beweggrund des Meisters nur zu gut: Furcht war es vor seinem stürmischen Verlangen nach ihr, letzte Zuckung des widerstrebenden Gewissens! Er wollte sie nicht gerufen haben und rief sie damit nur um so deutlicher. Über die Maßen glücklich war sie, auf einmal aller Zweifel ledig. Endlich hatte sein Glücksstern das Gewölk durchbrochen, und das Schicksal wollte ihre Vereinigung!

Sein Brief mit der formellen Einladung ließ nicht auf sich warten. In seinem Landhaus am Starnberger See hielt er für sie und die Ihrigen bereits ein geräumiges Stockwerk frei. –

Die erste Begegnung mit König Ludwig hatte seine kühnsten Erwartungen übertroffen. Einem schönen, vor Enthusiasmus glühenden Jüngling sah er sich gegenüber, der ihm aus grenzenloser Verehrung mit königlicher Würde seine Macht als Regent zur Verfügung stellte.

»Mein teuerster Freund!« rief Ludwig aus. »So darf ich Sie in Wahrheit nennen, seit ich Ihre Werke kenne. Alle kenne ich, die Dichtungen wie die übrigen Schriften. Auf der Bühne sah ich bisher leider nichts außer dem Lohengrin. Der aber hat mich sofort bezwungen. Von Ihrem Schwanenritter träume ich Tag und Nacht. Sie ahnen nicht, was Sie mir damit gegeben haben! Mein geistiger Führer, mein Erzieher sind Sie geworden. Und schon als Prinz nahm ich mir vor, daß es eine meiner ersten Regierungshandlungen werden sollte, Sie an meinen Hof und an mein Land zu fesseln.«

Wagner küßte ergriffen die Hand, die Ludwig ihm reichte.

»Welch ein unfaßliches Wunder hat sich durch Ihre Gnade, Majestät, für mich begeben! Aus furchtbarster Not unversehens emporgehoben zum ...« Das Wort Günstling schwebte ihm auf den Lippen, wohlweislich unterdrückte er es noch, »emporgehoben an die Stufen eines Throns! – Lassen mich Eure Majestät Ihre Befehle wissen! Wie kann ich am besten mit allen meinen Kräften dienen?«

»Zunächst will ich nichts anderes, als Sie immer um mich haben. Einen Menschen, einen Genius unter lauter Schranzen und Bürokraten! Einen Vertrauten, mit dem ich mich aussprechen kann über das, was mich am tiefsten bewegt! Ziehen Sie zu mir hinaus nach Schloß Berg! Lesen Sie mir aus Ihren Arbeiten vor, lassen Sie mich daran teilnehmen! Spielen Sie am Flügel das bereits Vollendete und was Sie gerade komponieren! Später können wir gemeinsam überlegen, wie wir Ihren Tannhäuser, Ihren Holländer, Ihren Tristan am würdigsten aufführen, wie wir Ihren Plan, die deutsche Bühne zu reformieren, erfolgreich in Angriff nehmen. – Sie sind es, der Wünsche aussprechen und Vorschläge zu machen hat; daß sie durchgeführt werden, lassen Sie meine Sorge sein!«

Und nun brachen Lenztage an, im Park von Schloß Berg, am Gestade des Sees, einer strahlender und märchenhafter als der andere. Wagner stets an der Seite des Königs, in dem mit Hirschgeweihen gezierten Jagdzimmer oder auf den Parkwegen spazierend, irgendwo im Hintergrund ein tuschelndes Gefolge.

Der atembeklemmende Druck, der seit länger als einem Jahrzehnt auf dem Verbannten gelastet hatte, die Angst vor einer düster verhüllten Zukunft war von ihm genommen, es gab keine Gläubiger, keine Verfolger mehr, nur noch die fast unwahrscheinliche Gegenwart des jüngsten und bedingungslosesten seiner Verehrer, den Mächtigen, bereit, ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen, seine kühnsten Hoffnungen zu verwirklichen.

Und doch fehlte ihm eines noch: sein Herz ausströmen zu können. Der König bekannte ihm alles, was des Königs war, vor ihm aber konnte er nicht aussprechen, was ihn allein anging: denn die Sphäre des Landesherrn berührte sich nicht mit der des liebenden Menschen und seiner innersten Regungen.

Er schrieb an Hans, er telegraphierte, bat und drängte, daß er und Cosima sein Glück mit ihm teilen möchten. »Im Schloß gehöre ich ganz dem König, mein Haus aber ist öde, und außerhalb seiner Mauern, die mich anschweigen, bin ich noch einsamer, da ich weder hier noch selbst in München Gefährten weiß. Helft mir darüber hinweg, bevölkert mein Haus, laßt mich vertraute Stimmen hören, um die keine Hofluft weht!«

Hans konnte sich schwer dazu entschließen. Die Erinnerung an Biebrich, wo sein Selbstgefühl unter der erdrückenden Größe des Meisters so schwer gelitten hatte, warnte ihn, jetzt gar noch unter den Scheinwerfer von dessen äußerer Glorie zu treten. Dazu kam, daß ihn sein Dienst festhielt, daß er todmüde und mit zerrütteten Nerven niemanden sehen noch sprechen mochte und jeden ungewohnten Eindruck scheute. Cosima wagte nicht, ihm diese Reise zuzumuten. Als er dann endlich so weit war, daß er einsah, man könne Wagner nicht im Stiche lassen, als er die Einladung angenommen hatte, warf ihn einer seiner neuralgischen Anfälle aufs Krankenbett.

»Der Freund erwartet uns übermorgen, wir dürfen ihn nicht wieder enttäuschen«, entschied er, »du mußt mit den Kindern vorausfahren.« Erschrocken wollte Cosima sich sträuben. Ihres Mannes Gereiztheit wuchs, jeder Widerspruch versetzte ihn in Raserei: »Was sind das für Mucken! Hast nicht gerade du behauptet, daß er uns braucht? Ich will, daß du fährst! Mir selber überlassen, kann ich dir um so früher folgen.«

»Hans will es – er selber schickt mich hin, mich allein!« beschied sich Cosima und flammte auf in wildem Trotz. »Er ist es, der verlangte, ich solle den liebhaben, den er für seinen Freund hält! Mag er denn die Verantwortung tragen!«

*

Der erste Abend in der Villa Pellet – Cosima an Wagners Seite auf dem Balkon über dem See. Beseligt, befangen standen sie Hand in Hand und ließen den Blick über die vom Mondlicht glitzernde Wasserfläche schweifen. Als kleine, schwache Schatten huschten ein paar Fischerboote vorüber, weit draußen kreuzte ein erleuchteter Segler unter den Windstößen des Föhn auf das gegenüberliegende Starnberg zu. Kein Laut außer dem leise plätschernden Anschlag der Wellen an die Kiesel des flachen Ufers.

Mitten in ein langes, geruhsames Schweigen sagte der Meister:

»Wie gut, daß Sie da sind, Cosima. Ohne Sie wäre mein Glück nicht vollkommen gewesen.«

Sie zitterte und suchte vergebens nach einer Antwort. Eine Welt von Gefühlen quoll in ihr auf, eine Heerschar von Gedanken, schwer gerüstet und drohend gereckt, stürmte wider sie an; aus dem Dunst über dem See schienen sie emporgetaucht und sanken, von der Entschlossenheit dieser Frau verscheucht, zurück in die Flut. Den Blick in sich selbst gewandt, lächelte sie ungläubig über das eigene Heldentum, denn im Grunde sah sie sich verzagt und uneins mit den Geboten ihres Blutes. Mühsam ging ihr Atem, als sei sie umklammert von einem Zauberbann, den eigene Kraft nicht lösen, befangen in einem süßen Traum, aus dem sie nie erwachen mochte.

»Cosima!« War er es, der da sprach? Oder nur das Echo seiner Stimme, wie es schon seit Jahren in ihr widerhallte? Ihre Lippen formten Silben ... sie wurden nicht laut, sondern zerrannen im Nachtwind, im Dufte der Blüten, die er herüberwehte. Und doch sammelten sie sich zu Worten, vernehmbar dem Herzen dessen, für den sie bestimmt: »Sehr geliebter Mann!«

Leise wollte sie ihre Hand aus der seinigen befreien, doch er hielt sie fest und führte sie dann zurück in das Zimmer, wo noch die Klänge des Tristan-Vorspiels über den Saiten des Flügels schwebten. –

In Rausch, Traum und Musik genossen die Liebenden einander, eine Woche lang. Ungestört, in vollster Zurückgezogenheit lebten sie wie auf einem paradiesischen Eiland. In Berlin glaubte man Cosima in München oder schon weiter nach Süden gereist, und dem König hatte Wagner nur gemeldet, daß die Familie des Kapellmeisters von Bülow in seinem Hause abgestiegen sei, ihn selbst werde er demnächst vorstellen.

Nur ihre engste Freundin, Marie von Buch, die treu und verschwiegen war, hatte Cosima ins Vertrauen gezogen: »Entfernt scheint mir alles, damit alles vergißt und ich alles vergesse. Wenn ich Ihnen das einmal erkläre, werden Sie meine Worte nicht mißverstehen. Ich bin seit drei Tagen hier, und mir scheint, daß es bereits ein Jahrhundert sei und daß es dauern werde, wie lange weiß ich nicht.«

Je näher die Ankunft von Hans heranrückte, desto häufiger mußte sie sich mit dem Gedanken beschäftigen, wie sie sich von jetzt ab mit ihm zu stellen habe. Selbstverständlich würde sie offen mit ihm reden und ihm die Entscheidung überlassen; darin stimmte Wagner mit ihr überein. Ob er aber der Mann wäre, ihren Verlust als Tatsache ruhig hinzunehmen? Schonend mußte es ihm beigebracht werden, sonst war die Gefahr eines seelischen Zusammenbruches zu befürchten. Das Erbarmen mit ihm, der Kummer über die Zwangslage, in die ihre Treulosigkeit – hatte er selbst sie auch hineingetrieben – ihn versetzte, brachte ihr die innige Freundschaft für ihn nur um so tiefer zum Bewußtsein.

Undenkbar, daß er sie ruhigen Blutes einem anderen gönnte – selbst dem Meister, seinem Abgott, nicht. Der hatte sie ihm geraubt, wie einst im Mythos Zeus dem Helden Amphytrion seine Gattin Alkmene. Zuviel verlangt, daß Hans, dem Amphytrion gleich, sich beugen sollte: »Anbetung dir im Staub! Du bist der große Donnerer! Und dein ist alles, was ich habe!« –

Noch immer nicht genesen, von unerträglichen Schmerzen gepeinigt, traf er in München ein. Cosima brachte ihn nach dem Bayrischen Hof, wo sie sich zunächst ausschließlich seiner Pflege widmete. Unmöglich, ihn zu beunruhigen, geschweige denn mit einer harten Wahrheit niederzuschmettern!

An seinem Krankenbett erschien unvermutet auch Franz Liszt – in einer seltsam feierlichen Tracht: einem bis zu den Füßen reichenden, einreihig zugeknöpften schwarzen Rock, der, am Hals geschlossen, seine hohe, schlanke Gestalt vortrefflich zur Geltung brachte und ihm eine neue, strengere Würde verlieh.

Sein Ehebund mit Carolyne Wittgenstein, den Cosima so gefürchtet hatte, war zu aller Heil doch nicht zustande gekommen. In letzter Stunde hatten sich wiederum Schwierigkeiten ergeben. Die polnische Verwandtschaft bearbeitete den Papst mit heftigen Protesten derart, daß dieser eine nochmalige Überprüfung der Akten befahl. Schon war die Kirche San Carlo am Corso für die sakramentale Handlung festlich geschmückt, als der Staatssekretär Antonelli ihnen persönlich die erschreckende Botschaft von dem notwendig gewordenen Aufschub überbrachte. Beide waren tief enttäuscht und entrüstet, kamen sich genarrt und hintergangen vor. Carolyne deutete, halb verbittert, halb abergläubisch, den päpstlichen Bescheid in den Willen der Vorsehung um, daß ihre Gemeinschaft mit dem Freunde eine illegale bleiben solle, und verzichtete auf weitere Schritte. Sie vergrub sich seitdem in der Vatikanischen Bibliothek, mit Studien über das kanonische Recht beschäftigt. Liszt sah sie noch von Zeit zu Zeit, blieb aber als Gast des Kardinals Hohenlohe in dessen Residenz zu Tivoli bei Rom. Vom Papst erbat er sich die niederen Priesterweihen, die das Gelübde der Ehelosigkeit in sich schlossen. Das Gewand, das er seitdem nicht mehr abgelegt hatte, war das eines Abbé. Es stand ihm, wie gesagt, sehr gut und erinnerte ihn stündlich daran, daß er aller weltlichen Eitelkeit zugunsten seiner kirchlichen Neigungen entsagt hatte.

Cosima hätte den Vater am liebsten nicht mehr von sich gelassen. Seine Anwesenheit erleichterte ihr die Behandlung des Gatten, die für sie selbst die schwerste Nervenprobe war. Liszts geistige Schwungkraft war noch ungebrochen, wenn auch entsagungsvoll gedämpft, anregend entlud sie sich in Geistesblitzen, feinsinnigen Betrachtungen über den sittlichen Wert des Leides und allerhand melancholisch vorgebrachten Anekdoten aus seiner musikalischen Laufbahn. Hans und Cosima lauschten ihm gespannt, unter gerührtem Lächeln.

Noch aber bestand die Spannung zwischen ihm und Wagner von jenem gereizten Briefwechsel über das Rienzi-Honorar her, geschürt von Carolyne, die den Dornenweg des Meisters nur mit spöttischen Glossen verfolgt hatte und ihm nun seinen glorreichen Aufstieg erst recht nicht verzieh. Wären nicht Bülows hiergewesen, er hätte am liebsten an München vorbei einen Umweg nach Weimar gemacht, nur um dem alten Freunde aus dem Wege zu gehen, keinesfalls wollte er ihm begegnen. Es bedurfte Cosimas ganzer Überredungsgabe, den Vater nach dem Starnberger See hinauszulocken. Erst ihr letzter Trumpf, der Appell an seine christliche Liebe und Demut, besiegte ihn.

Wagner nahm den Wohltäter seiner Jugend mit offenen Armen auf, und beiden fiel es wie Schuppen von den Augen, daß sie einander ja gar nichts zu verzeihen hatten, daß sie sich von jeher und für immer unzertrennlich angehörten – schon um Cosima nicht wehezutun.

Liszt tat ein übriges, indem er Wagner und Cosima tags darauf mit sich nach München nahm, um sie im ersten Haus der Münchener Künstlerschaft, bei dem Maler Wilhelm von Kaulbach und dessen Gattin, vorzustellen. Hatten die Landfremden hier erst Fuß gefaßt, stand ihnen der Weg zur maßgebenden Gesellschaft der sehr exklusiven Residenz offen. Wie notwendig sie solchen Rückhalt, selbst unter dem Schutze des Königs, brauchten, sollte sich bald genug herausstellen.

Ein anderer, nicht minder wichtiger Besuch lag Wagner am Herzen: er mußte die Bekanntschaft Bülows mit dem König vermitteln. Trotz seines leidenden Zustandes ließ sich Hans dazu bestimmen, mehr um dem Meister gefällig zu sein und des Königs Wunsch zu erfüllen, als weil ihm selber daran lag. Denn mehr als zuvor graute ihm davor, sich mit Cosima hier niederzulassen, er wußte selbst nicht recht, warum. Mühselig, unter Schmerzen und Schwächeanfällen schleppte er sich an Wagners Arm in das Schloß Berg.

Der König, in gnädigster und jugendlich beschwingter Stimmung, begrüßte ihn wie einen alten Bekannten.

»Wo mein Freund Wagner zu Hause ist, soll künftig auch Ihre Heimat sein, Herr von Bülow. Ich bin aber auch selbstsüchtig: den großen Pianisten und Dirigenten gebe ich nicht wieder her, wenn ich ihn einmal im Lande habe.«

Er verlangte auf der Stelle eine Probe der Bülowschen Kunst, und Hans, der dem Zauber des erlauchten Jünglings nicht widerstehen konnte, raffte sich zusammen. Mit seiner letzten Kraft spielte er ihm aus dem Ring des Nibelungen vor, zwei Stunden lang: sein Geist und seine Hände schafften es zu vollem Gelingen. Der König dankte ihm überschwenglich und behielt ihn zum Diner unter vier Augen bei sich, wobei er sich auch dem Menschen Bülow in herzlicher Sympathie verbunden fand. Auf sein Angebot, ihn als Kapellmeister am Hoftheater mit glänzendem Gehalt sogleich anzustellen, wollte Hans freilich noch nicht eingehen: er müsse erst einmal nach Berlin zurück, sich auszukurieren und seine dortigen Verpflichtungen zu erledigen.


 << zurück weiter >>