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Zweites Kapitel

Zwischen Liszt und der Mutter seiner Kinder, der Gräfin Marie d'Agoult, war es schon vor längerer Zeit zu einem unheilbaren Zerwürfnis gekommen. Noch vor zehn Jahren hatte er sie wenigstens hin und wieder einmal in Paris besucht, sogar einen schönen, friedlichen Sommer mit den Seinen auf der Rheininsel Nonnenwerth verbracht. Aber seit er sie einst in Venedig aus Furcht vor künstlerischer Erschlaffung und weil der Vorrat seiner Leidenschaft für sie erschöpft war, so unerwartet verließ, mußte sich die Gräfin sagen, daß sie ihn nie wieder ganz zurückgewinnen würde. Während er dann voller Unrast mit Konzertreisen als verwöhnter Liebling der Gesellschaft immer wieder das Festland durchquerte, sein Herz bald an diese, bald an jene Dame hing, zog sich Marie d'Agoult, anfangs verzweifelt, dann wie eine Witwe trauernd, nach Paris in das stille Faubourg St. Germain zurück.

Am tiefsten verwundete es sie, daß sie sich auch von den Kindern, den beiden Mädchen und dem kleinen Daniel, trennen mußte. Denn Liszt, gestützt auf das französische Gesetz, bestand darauf, daß diese zu ihrem eigenen Besten bei seiner Mutter, in einem anderen Stadtteil, erzogen werden sollten, nicht bei der Gräfin, die es schwer hatte, in der Gesellschaft wieder Fuß zu fassen.

Allmählich gelang es ihr, sich ein neues Leben aufzubauen. Nicht mehr der alte französische Adel, dem ihre Eltern und ihr Gemahl, der Graf d'Agoult, entstammten, war ihr Verkehrskreis, sondern die Welt der großen Künstler und Gelehrten, durchsetzt mit einigen bonapartistischen Familien. Unter dem Decknamen Daniel Stern begann sie mit Erfolg zu schreiben, Essays und Erzählungen, und schließlich konnte sie nicht anders, als in einem Roman »Nelida«, der nur zu durchsichtig ihre Beziehungen zu Franz Liszt der Öffentlichkeit preisgab, dem gepreßten Herzen Luft zu schaffen. Dieser Roman war es, den Liszt ihr nie verzieh.

Als er jetzt die beiden Mädchen bei sich hatte – Daniel sollte vorläufig noch in Paris seine Schulbildung vollenden –, konnte er sich all der Erinnerungen, die ihn mit Marie verknüpften, nicht erwehren. War sie nicht seine erste, vielleicht seine einzige große Liebe gewesen, die berauschendste, jedenfalls die dauerhafteste? Selbst die Verehrung für Carolyne hielt den Vergleich nicht aus, und diese fürchtete die bezaubernd schöne, geistvolle Gräfin d'Agoult noch immer als das gefährliche Gespenst einer Nebenbuhlerin.

Eine seltsame, fast geschwisterliche Ähnlichkeit bestand zwischen Liszt und der Gräfin, in Wuchs und Gesichtszügen, Haar- und Hautfarbe, sogar in den Augen und im Klang der Stimme. So kam es, daß besonders Cosima beiden Eltern glich. Als sie den Vater so zärtlich begrüßte, glaubte er in ihr Marie leibhaftig wiederzuerkennen, so wie sie ihm damals, jungverheiratet, zum erstenmal begegnete. Wie unheimlich nahe, wie erschütternd wachte jene Frühzeit seiner Leidenschaft und seines stürmischen Sieges über Marie wieder in ihm auf! In blinder Raserei entriß er sie dem Gatten und nahm sie mit sich in die Schweiz. Verzaubert, versponnen in ein goldenes Netz, schwelgten sie jahrelang bald an diesem, bald an jenem Alpensee, unter den Schneegipfeln des Montblanc, auf den grünen Matten des Engadin, im geselligen Genf, wo er konzertieren mußte und viele neue Freunde sein Heim bevölkerten, im Idyll von Bellaggio, wo Cosima am Weihnachtstage 1837 zur Welt kam.

Nach der Trennung standen sie noch lange in lebhaftem, schwärmerischem oder erbittertem Briefwechsel. Bei seinen Besuchen in Paris, bei Stelldicheins, die sie in irgendeinem Winkel des Auslands verabredeten, flammte jedesmal die Glut ihrer Jugendliebe von neuem auf und fachte Hoffnungen an, die unter dem Zusammenprall der Charaktere nur zu bald wieder erloschen. Liszts Ruhm als größter Virtuose seiner Zeit entzog ihn tyrannisch jedem beschaulichen Dasein, wirbelte ihn zwischen Tourneen, geschäftlichen Sitzungen, Tagen angestrengter Übungen am Flügel und nervenzerrüttenden Festlichkeiten hin und her, aus den Schnellzügen in die Salons, aus den Konzertsälen an die Höfe der Herrscher, die mit seiner Anwesenheit prunken wollten. Für die arme Marie d'Agoult schrumpfte dabei seine früher so verschwenderische Hingabe zum Almosen flüchtiger Begrüßungen zusammen.

Die beiden Töchter, dem Vater wie der Mutter in gleicher Inbrunst zugetan, litten schwer unter deren Entfremdung. Den Vater hatte Cosima eigentlich nur als Kind gekannt; denn die Eltern trennten sich für immer, als sie erst sieben Jahre alt war. Aber das Andenken an ihn bewahrte sie in sich wie ein Heiligtum. Den Zutritt zur Mutter hatten sich beide Schwestern, kaum daß sie Verständnis für ihre Lage gewannen, von der Großmutter und Madame Patersi erzwungen.

Über ihres Vaters Schaffen, seine Reisen und seinen Aufenthalt in Weimar waren sie aufs genaueste unterrichtet; dafür hatte schon die gute alte Frau Liszt gesorgt, die ihren berühmten Sohn vergötterte. Cosima, musikalisch bis an die Grenze der Genialität begabt, kannte und spielte alle seine Schöpfungen. Seine Freunde und seine Gegner nahm sie wie selbstverständlich für die ihren. –

Gleich am Morgen nach ihrer Ankunft mußte sie dem Vater zeigen, wie weit sie mit ihren Studien gediehen war. Eifrig und selbstbewußt wählte sie ein schwieriges Prelude von Chopin und spielte es mit Schwung herunter.

»Ausgezeichnet!« rief Liszt, überrascht von ihrer Reife. »In der Technik brillant, im Ausdruck so beseelt, wie es sich der gefühlstrunkene Poet nicht besser hätte wünschen können. Aber hast du nicht auch etwas von mir auf deiner Walze?«

»Alles, was du willst! Nur weiß ich nicht, ob ich es wagen darf. Da wirst du ein schrecklich strenger Richter sein.«

»Immerzu! Versuche es einmal mit der H-Moll-Sonate!«

Auch diese gelang ihr zu seiner Zufriedenheit. Er fand kaum etwas daran auszusetzen, was sie stolz und glücklich machte.

»Du rückst mir am Klavier plötzlich in ein ganz anderes Licht, darauf war ich nicht vorbereitet«, sagte er sinnend. »Die Ausbildung zum Höchsten möchte sich wohl lohnen. Hättest du den Ehrgeiz dafür?«

»Nicht den, öffentlich aufzutreten. Alles möchte ich lernen, aber nur um Verständnis zu erlangen und einzudringen in die tiefsten Absichten deiner Kunst.«

»Ich habe keine anderen, als die gewaltige Kraft der Musik zu entfalten in der Darstellung von Ideen. Willst du mir darin folgen, so bedarf es freilich noch großer Anstrengungen. Wir müssen dir in Berlin die tüchtigsten Lehrer suchen, auch für das Wissen um Kontrapunkt und Harmonie. Einen vortrefflichen jungen Meister am Klavier findest du ja gleich im Hause dort, meinen Vorzugsschüler Hans von Bülow. Er trifft heute zum Besuch seiner Mutter bei uns ein, da kann gleich auch er dich prüfen.«

*

Wieder einmal ging es hoch her auf der Altenburg, aber ausnahmsweise nicht mit hoher Kunst und heftigen Streitgesprächen. Die beiden jugendlichen Gäste stellten das Haus auf den Kopf, in dem sie herumtollten nach Herzenslust, fröhlichen Unfug trieben und eine Lärmherrschaft begründeten, an der sich ganz gegen ihre Erziehung und Gewohnheit auch das Prinzeßchen beteiligte. Bronsart und Bülow, die beiden wilden Hanse, und selbst der schüchterne Peter Cornelius wurden von ihnen dazu ins Joch gespannt. Liszt ermunterte zu Wagenfahrten, Wanderungen, Waldfrühstücken, um die Poltergeister wenigstens zeitweise loszuwerden: denn seinen Ohren und Nerven wurde ihr Treiben oft zuviel. Die Kinder stürzten seine Zeitordnung über den Haufen, klopften ihn schon vor Tagesanbruch aus den Federn, nahmen ihn beständig in Anspruch als Vater, als Begleiter, als Erklärer der Sehenswürdigkeiten, sogar als Berater für Putzfragen. Nicht einmal seine abendliche Whistpartie wollten sie ihm gönnen. Die englische Gouvernante ward in den Hintergrund geschoben, was sie sich als willkommenen Urlaub gern gefallen ließ. Mehr Umstände mußte man schon mit Frau von Bülow machen. Ihr kühler, beständig prüfender Blick flößte Scheu und manchmal leises Unbehagen ein. Ihr Sohn, der angriffslustig gegen alle namhaften Fachmänner seinen Übermut entfesselte und selbst am Meister seinen Witz zu üben wagte, kuschte vor der »Madame Mère.«

Dem guten Cornelius setzten sie und Cosima oft mit Neckereien zu. Vom Kameraden Bülow fühlte er sich leicht gekränkt, dem Schabernack von Fräulein Cosette jedoch bot er sich mit offenbarer Absicht als Opfer dar; der schien ihm geradezu wohlzutun, sein derbes Gesicht leuchtete, sobald sie sich nur mit ihm beschäftigte. Blandine nahm ihn der Schwester gegenüber stets in Schutz: »Quäle ihn doch nicht! Kokettiere nicht mit ihm! Es geht ihm tiefer, als du meinst. Sieh doch, er hat die empfindsame Seele eines Musikers und eines Dichters, der von Idealen träumt.«

Als ein Landregen die Spaziergänge und die Spiele im Garten verbot, richteten sich die jungen Leutchen in den Prunkgemächern der Fürstin häuslich ein. Prinzessin Marie zeigte ihren Gästen die Sammlungen alter Stiche und kostbarer Edelsteine, daneben auch allerhand Andenken aus Rußland und von ihren Reisen in den Kaukasus.

Den großen Empfangssaal im Erdgeschoß beherrschte das Prachtstück eines riesigen Wiener Flügels. Porträtgemälde von Klassikern der Musik bedeckten die mit Seide bespannten Wände, darunter sah man die Marmormedaillons von Chopin, Schumann und Berlioz, die auch der Meister gelten ließ. Beethovens Totenmaske halte ihren besonderen Ehrenplatz. Im Nebensalon waren all die Waffen, Kriegs- und Jagdbeuten untergebracht, die teils von der Fürstin polnischen Gütern stammten, teils Liszt gehörten, als Zeichen der Dankbarkeit und Bewunderung von Bojaren und Paschas gestiftet. So standen denn auch viele türkische Gerätschaften, Taburetts, Mokkaservice, Tschibuks und Nargilehpfeifen mehr wie in einem Museum als zur Bequemlichkeit herum. Das Bibliothekszimmer fiel durch einen Glasschrank mit Handpartituren von Bach, Haydn, Mozart und Beethoven auf, besonders aber durch Beethovens lorbeerumkränzten Flügel. Mit Mühe hatte ihn Liszt in Wien aufgestöbert und billig erworben; er schätzte ihn als sein kostbarstes Andenken.

Von hier aus mußte man, um hinauf in Liszts Wohnung zu gelangen, erst umständlich in den Hof hinab, dann wieder aufwärts eine schmale Holztreppe hinan zum Rückgebäude – ein dunkler, abenteuerlicher Weg, den Cosima wohl zehnmal täglich im Geschwindschritt nahm und als Schauplatz von Überfällen auf die Spielgefährten schätzte.

Eines Abends saßen sie, während Liszt droben komponierte, im Büchereizimmer unter der Lampe, neue Bücher und Zeitschriften durchblätternd. Frau von Bülow, mit einer Stickerei beschäftigt, übte sich abseits mit Miß Griffith in englischer Unterhaltung.

Mitten in das muntere Geplauder der jungen Mädchen warf Hans von Bülow ein grünes Heft, das er gerade aufschnitt, zornig auf den Tisch.

»Höre dir bloß diesen verdammten Unsinn an!« rief er, zu Bronsart gewandt. »Hier in dem ›Grenzboten‹, einer Leipziger Sudelrevue, erfrecht sich der Herausgeber Julian Schmidt, an Richard Wagner wieder einmal sein Mütchen zu kühlen. Der Grenzbote Schmidt bringt seine Botschaft von der Grenze zwischen Borniertheit und Infamie!«

Bronsart lächelte geringschätzig. »Nun, was weiß er denn diesmal zu künden?«

»Der Fliegende Holländer leidet an Monotonie!« zitierte Bülow, »die Menschen im Tannhäuser lassen uns gleichgültig, die sittlichen Voraussetzungen des Lohengrin verletzen die menschliche Natur!!« Dann las er weiter: »Schon im Text ist von ausgeführten Gedanken keine Rede; es sind ganz allgemein gehaltene lyrische Empfindungen, die in konventionellen Klingklang auslaufen! Konventioneller Klingklang!! – In die langen Ohren dieses kapitalen Esels findet Melodik, scheint es, keinen Eingang! – Dann hier: Wagner erregt durch kokette Instrumentation die Phantasie, aber wo der bleibende Ausdruck einer starken Leidenschaft erwartet wird, versagt seine Kraft. Er gibt Trivialitäten, mit barocken Einfällen vermischt. – Ich hätte Lust, nach Leipzig hinüberzufahren und den Kerl aufs Maul zu schlagen!«

»Hans, bitte, mäßige dich!« mahnte seine Mutter, »es sind junge Damen zugegen.« Die drei Mädchen hörten mit großen, verwunderten Augen zu. Cosima richtete die ihren, wie gebannt, auf Bülows vor Erregung zitternde Gestalt.

»Es ist aber auch schwer, gnädigste Frau«, verteidigte Hans von Bronsart den Freund, »bei solchem Geschreibsel die Ruhe zu bewahren. Schließlich stehen wir doch alle im Kampf für Richard Wagner. Pygmäen fallen hinterrücks unsern wehrlosen Heroen an. Seit seine Stimme nun endlich ins deutsche Volk dringt, sammeln sie sich allerorten zum Angriff gegen ihn. Gestern erst las ich wieder, daß in Wien ein Bursche namens Hanslick die Philister gegen ihn aufhetzt.«

»Gewiß, er ist interessant und wohl auch bedeutend, ich vertraue darin meines Sohnes und besonders Liszts Urteil. Aber warum läßt man nicht auch die gute alte Tradition, zum Beispiel Felix Mendelssohns liebenswürdige Anmut gelten?«

»Gestatte, Mutter«, fiel Bülow ein, »Mendelssohn war ein Süßling, nichts als ein jüdischer Unempfinder. Und dirigieren konnte er nur so ohnehin.«

Nun ergriff Cosima das Wort: »Ich kenne Richard Wagner, Herr von Bülow, habe allerdings nur einmal die Ehre seiner Gesellschaft genossen. Dieses eine Mal aber, wo er – damals vor zwei Jahren in Paris – meinem Vater ein neues Werk vorspielte, hat mich zu seiner Anhängerin gemacht. Daß er in Deutschland so heftig umstritten wird, ahnte ich nicht. Wo ist er jetzt?«

»Irgendwo in der Schweiz, Fräulein Cosima – in der Verbannung, da man ihn aus seinem Vaterland vertrieben hat. Doch die Zeit ist nahe, daß wir ihn im Triumph zurückführen werden. Das Volk würde ihn schon aufnehmen, nur die neidischen Cliquen wühlen noch gegen ihn, heftiger denn je. Nicht mehr und nicht weniger als das nationale Musikdrama verdanken wir ihm, Dichtungen, die dem noch unerlösten Nationalgefühl hinreißenden Ausdruck verleihen, und auf dem Stimmungsboden eines reichgegliederten Orchesters die unendliche Melodie. Seit Jahren schon kämpft doch Ihr Vater, kämpfen wir Schüler hart aber zuversichtlich, um Richard Wagners Sieg. Franz Liszt war es, der die erste Bresche schlug, als er hier den Tannhäuser zur Aufführung brachte.«

»Also werde ich von heute ab zu Richard Wagner gehören, als die Geringste in seinem Gefolge, aber mit allen meinen Kräften. Lehren Sie mich seine Werke kennen! Unter Ihrer Führung will ich gleichfalls für ihn streiten.«

Blandine und die Prinzessin warfen ihr scheue, befremdende Blicke zu. Frau von Bülow beugte sich unzufrieden über ihre Stickerei. Die drei Schüler aber drängten sich um sie, ihr die Hand zu schütteln, wie einem in den heiligen Bund aufgenommenen Kameraden. Peter Cornelius errötete dabei vor Enthusiasmus und stummer Verehrung.

*

Fürstin Carolyne sandte dem Freunde aus Paris einen wortreichen, sehr ins einzelne gehenden Bericht über alles, was sie bisher unternommen, erreicht oder wenigstens mit Verstand und Entschlossenheit in die Wege geleitet hatte. Nachdem sie ihn eingangs ihrer unwandelbaren Liebe und Fürsorge versichert hatte, ging sie zu dem Versprechen über, diese von der Werbung für seinen Ruhm auch auf das Wohl seiner Kinder ausdehnen zu wollen. Liszt hatte sie nie darum gebeten, nahm es aber schließlich dankbar an.

Carolyne Wittgenstein war es, die den Plan gefaßt hatte, Cosima und Blandine vor allem einmal dem Einfluß Marie d'Agoults zu entziehen und sie deshalb möglichst weit weg von ihr anzusiedeln. Liszts Wunsch, daß seine Kinder Deutsche werden möchten, weil Deutschland seine Wahlheimat geworden war und sein Schaffen hier das ernsteste Verständnis fand, war der Fürstin zwar gleichgültig, ihrem Eigennutz eher bedenklich, doch konnte sie ihn ja zunächst erfüllen, wenn nur Berlin, nicht Weimar, als Aufenthaltsort gewählt wurde. Sie hatte also die Verhandlungen darüber mit Frau von Bülow geführt und sie gebeten, die Abreise der Töchter zu überwachen. Sie gab ihr ein Empfehlungsschreiben an Liszts Mutter mit, nachdem diese vom Sohn schon darauf vorbereitet worden war, daß sie die geliebten Enkelinnen werde hergeben müssen. Die alte Dame war sehr unglücklich darüber, hatte sich aber Cosima und Blandine gegenüber, um ihnen den Abschied zu erleichtern, nichts davon anmerken lassen.

Ihre Zuneigung zu Carolyne Wittgenstein war, wie sich denken läßt, gering, kaum größer als ihre Hochachtung vor der russischen Durchlaucht. Daß sich die Fürstin um ihren Franz unleugbare Verdienste erworben hatte, ließ sie gelten. Daß es die Fürstin war, die ihn zur Zeit in Banden hielt, verzieh sie ihr, wie sie ja auch dem Franz alle Seitensprünge zugute hielt, für die sein heißes, liebedurstiges Herz verantwortlich war. Sie wußte nur zu gut, wie mitschuldig sie gewesen an seiner freudlosen Jugend, insofern als sie, die unerfahrene Ehefrau des ungarischen Gutsverwalters, Franzls Genie keine Förderung bieten konnte und das Wunderkind allein an der Hand des Vaters in die Welt hinaus entließ, unberaten mitten unter den Weltdamen von Paris. Oh, die widerstreitenden Leidenschaften, die er in sich zu bekämpfen hatte, waren ein Erbteil ihrer Natur und ihr bitter vertraut, aber auch das Gottvertrauen und der himmlische Trost, der aus den Gebeten zur Madonna auf den reuigen Sünder wohltuend niederrieselt. Dafür hatte sie nun seine Kinder um so gewissenhafter aufgezogen, sie vor allen Versuchungen dieser ruchlosen Stadt behütet, in Demut, Einfachheit der Sitten und gediegenen Grundsätzen zu erhalten versucht.

Als die Fürstin der Frau Liszt ihren Besuch machte – so berichtete sie – sei sie von ihr höflich aber zurückhaltend, ja sie müsse schon sagen, mit unverhohlener Kälte empfangen worden. Nein, sie werde das der braven alten Frau nicht nachtragen; wäre diese doch außerstande, zu begreifen, daß die Entfernung ihrer Enkelinnen weniger auf ihr, Carolynes, Betreiben als in seinem eigensten Sinn erfolgt war.

Um Frau Liszt zu beweisen, daß Cosimas und Blandines Rückkehr nach Paris durchaus im Bereich der Möglichkeit läge, hätte sie sich bei ihr gleich nach »Partien« erkundigt, die etwa in Betracht kommen könnten. Die Kinder waren dort noch nicht in der Gesellschaft aufgetreten, hatten natürlich auch keine Herrenbekanntschaften gemacht, es sei denn bei der Gräfin d'Agoult, was nun leider nicht mehr nachzuprüfen war. Wenn sie sich also in Paris verheiraten sollten, aus mancherlei Gründen begrüßenswert, so hätte der Vater in der Wahl völlig freie Hand. Sie für ihre Person möchte empfehlen, nicht im Faubourg St. Germain Ausschau zu halten, auch nicht unter dem Anhang des kaiserlichen Hofes, der bei dem Wankelmut der Franzosen von einem Tag zum anderen stürzen könnte, sondern am besten in geachteten und gutgestellten Zirkeln des Bürgertums, etwa unter den liberalen Abgeordneten, den Gelehrten der Sorbonne oder in der gesicherten Finanz. Maßgebend müsse sein, daß damit alle Brücken zur Gräfin d'Agoult abgebrochen würden.

Franz Liszt fand, daß Carolyne in der Frage der Vermählung etwas stürmisch vorging. Er hatte ihr doch vorgestellt, daß ihm deutsche Schwiegersöhne am liebsten sein würden. Nun, sie betrachtete eben alles, so tröstete er sich, mehr vom praktischen Standpunkt aus.


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