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Neuntes Kapitel

Es galt nun, sich den Lebensverhältnissen der kleinen fränkischen Stadt in aller Bescheidenheit anzupassen. Ein Argwohn, daß die Wagners etwas Besseres sein, etwas Besonderes vorstellen wollten, durfte gar nicht erst aufkommen. Der scherzhafte Titel, den Nietzsche Frau Cosima verliehen und den ihr Mann in der Familie mit einem gewissen Stolz anzuwenden pflegte, »die Markgräfin von Bayreuth«, tauchte hie und da schon außerhalb des Hauses auf; einige mochten ihn wohl spöttisch und mißgünstig aussprechen. Um so eifriger war Cosima darauf bedacht, sich mit allen Kreisen der Einwohnerschaft auf guten Fuß zu stellen. Mit den Besuchern bei den »Spitzen« nahm sie es sehr genau, um Gottes willen durfte niemand, der sich dazugehörig meinte, übergangen werden. Der Aufforderung zum Eintritt in das Damenkränzchen »Eintracht« folgte sie mit größter Bereitwilligkeit; es ging wöchentlich in den verschiedenen Wohnungen reihum, und der Empfang im Salon des herzoglichen Schlosses »Fantaisie« bekam natürlich, ganz gegen Cosimas Willen, stets einen festlichen Anstrich. Da wurde gestickt und gehäkelt, das Neueste aus der Zeitung und der Nachbarschaft besprochen, das Thema des Dienstbotenärgers und der Kinderpflege aufs gründlichste erörtert. Frau Wagner, als einzige, die keinen Titel, sondern nur einen titelähnlichen Spitznamen hatte, hütete sich, den Ton ändern zu wollen; sie sprach so wenig wie möglich von »Höherem«, dadurch und durch ihren anspruchslosen Humor machte sie sich rasch beliebt.

Durch den Wohltätigkeitsverein, dem sie gleichfalls beitrat, kam sie auch mit den Armen und Ärmsten in erwünschte Berührung; mit Krankenbesuchen und stiller Hilfe gewann sie sich die Herzen ihrer Schützlinge. Ein Arbeiter hatte nach der Geburt seines fünften Jungen Wagner zur Patenschaft gebeten. Cosima bestimmte ihren Mann, die Sache mit aller Aufmerksamkeit zu behandeln. Sie fuhr mit ihm im Landauer vor, brachte die Familie zur Kirche und wieder zurück, richtete in der kümmerlichen Behausung auch eigenhändig den Taufschmaus her.

Nachdem sie jahrelang das Triebschener Idyll »genossen«, nämlich nur für ihren Mann, ihre Kinder, ihr gemeinsames Werk gelebt, immer nur an ihre Angelegenheit und viel über sich selbst nachgedacht hatte, entdeckte sie in der liebevollen Anteilnahme an fremden Sorgen, in der bürgerlichen Eingliederung und Unterordnung unter ein Gemeinwesen einen Kraftquell, aus dem sie täglich frische Zuversicht schöpfte. Die kleinen Dienste für Menschen, die ihr zunächst gleichgültig schienen, allein schon das Anhören des Kleinkrams, der anderen wichtig war, erzeugten in ihr eine wohltuende Selbstvergessenheit. Vor allem hatte es wenig Zweck, beständig darüber nachzugrübeln, ob es gelingen würde, eine genügende Anzahl von Patronatsscheinen anzusammeln, ob solche Geschäfte bei ihr in den rechten Händen lägen und – manchmal ganz verzagt – ob sie wirklich die Frau sei, die der Meister brauche. Erst wenn sie sah, wie sie mit kleiner Leute kleinen Geschäften im Handumdrehen fertig wurde, gewann sie das Vertrauen zur eigenen Kraft zurück, und gar die Liebe zu ihnen erlöste sie von der Überschätzung ihrer eigenen Unentbehrlichkeit.

Früh genug meldeten sich wieder die Anforderungen des Unternehmens und riefen sie hinaus zu einer Rundfahrt durch das ganze Reich. Wagner wünschte, daß sie sich mit ihm alle bedeutenderen Theater ansehen, die Sänger dort hören und unter ihnen schon eine gewisse Auswahl treffen solle. Darüber ging ein ganzer Winter hin. Dann stellte es sich als lästige Notwendigkeit heraus, mit den Einnahmen aus Konzertreisen den Fonds des Festspielhauses aufzufüllen: auch dabei mochte er sie nicht entbehren. Sie pilgerten von einer Stadt zur anderen, in langen, kalten Eisenbahnfahrten, mit kurzer Rast in wechselnden Gasthöfen. Dutzende von Opernaufführungen sahen sie, meist gelangweilt, oft mit Grausen; nur einige schöne Stimmen von Sängern und Sängerinnen, die man für bildungsfähig halten konnte, entschädigten sie einigermaßen für die ausgestandene Pein. Obgleich sie »inkognito« reisten, wußten die Theater doch stets um ihre Ankunft. Das Publikum erkannte und feierte sie, Musikfreunde überschütteten sie mit Einladungen; nur das Opernpersonal schwitzte vor Unsicherheit und schlechtem Gewissen.

Ihren Gipfel erreichten die Anstrengungen, aber auch die Erfolge in Wien. Hier dirigierte Wagner drei große Konzerte. Die ganze Aristokratie betrachtete sie als Feste, dabei ihren eigenen Glanz zu entfalten. Richard Wagners Kunst gab nur willkommenen Anlaß, zu zeigen, daß Wien als erste Musikstadt der Welt auf der Höhe des neuesten Geschmackes sei. Man brauchte gesellschaftliche Ereignisse; die deutsche Botschafterin, Gräfin Dönhoff, tat ihrer Freundin Cosima den Gefallen, auf dem Umweg über das diplomatische Korps den hohen gesellschaftlichen und kulturellen Rang der Zukunftsmusik den höfischen Kreisen zu versichern. Der Meister selbst hatte gewiß nichts dagegen, als Person in den Hintergrund zu treten; für ihn übernahm seine Gattin die Pflichten der Repräsentation. In ihrer Loge hielt sie Cercle unter den Zichy und Andrassy, den Waldstein und Kolowrat, den Liechtenstein und Metternich, mit einem Scharm und einer natürlichen Würde, die der habsburgische Adel zu schätzen wußte. Ihre Jugendgespielin aus der Weimarer Altenburg, Marie Wittgenstein, jetzt eine Fürstin Hohenlohe, wich nicht von ihrer Seite.

Freilich konnte sie inmitten all der Huldigungen keinen Augenblick vergessen, daß sie gewissermaßen mit geöffnetem Klingelbeutel herumging. Wichtiger als die Visitenkarten, die in ihrem Hotel abgeworfen wurden, war ihr, daß Patronatsscheine sie begleiteten – ein fatales Gefühl, einzusammeln, während ihr Mann Musik machen mußte für die Gebefreudigen.

Die Einladungen erwiderte sie damit, daß sie im Atelier des gefeierten Modemalers Hans Makart ihrerseits ein Fest veranstaltete, dessen Pracht zum Tagesgespräch wurde und in Wien noch lange unvergessen blieb. Dieses Atelier bestand aus einer Flucht riesengroßer, üppiger Räume, die Hunderte von Gästen fassen konnten. »Sublime Rumpelkammern« nannte sie Cosima nachmals im engsten Freundeskreis, vollgepfropft mit Bildern, Statuetten und Vasen voller Pfauenfedern, mit schwellenden Kissen, Vorhängen, Draperien, Girlanden, Fächern und anderem Krimskrams, wie er dem Schöpfer prunkvoller Historiengemälde malerisch erschien.

*

Ihre Villa Wahnfried hatten sie nun glücklich bezogen, aber der Bau des Festspielhauses stockte – es war zum Verzweifeln! Noch immer reichten die Mittel nicht aus, das Defizit schwoll lawinenartig an, wer sollte es decken! Oft saß sich das Ehepaar in der blitzblanken neuen Wohnung ratlos gegenüber und kalkulierte mit Riesensummen, die nicht aufzutreiben waren. Endlich überließ sich Wagner einem Galgenhumor und Cosima dem Glauben an seinen guten Stern.

Ihre letzte Hoffnung blieb immer wieder nur König Ludwig. Der aber schloß sich, unzugänglicher denn je, in seiner Residenz von der Außenwelt ab, alle Geldgeschäfte zumal schob er seinen Räten zu; diese mit Eingaben weiterhin zu verärgern, war völlig zwecklos. Cosima versuchte es mit einem behutsam, ehrerbietig und herzlich abgefaßten Schreiben an den König. Sie erinnerte ihn an seine vormalige Gnade, an sein Verständnis für die Kunst des Meisters und flehte ihn an, für das schreckliche, anscheinend tödliche Defizit die Garantie zu übernehmen. Er antwortete huldvoll, doch mit hinhaltenden Redensarten.

Was soll werden? Die Inneneinrichtung des Theaters ist nicht zu beschaffen, die Dekorationen können nicht in Auftrag gegeben werden, von den Kostümen ganz zu schweigen! Blieb noch ein Immediatgesuch an den deutschen Kaiser. Damit jedoch würde man sich die Gunst des Königs von Bayern, bei seiner Eifersucht auf Preußen und seinem empfindlichen Selbstgefühl, für immer verscherzen.

Nun, es war richtig gewesen, davon abzusehen; denn plötzlich traf nach Ablauf fast eines Jahres wirklich noch Ludwigs Zusage ein: er übernahm die Garantie, und die Festspiele waren gesichert.

Richard Wagner sollte zur Verschwendung neigen; die Zeitungen warfen es ihm vor, und selbst die beiden tüchtigen Geschäftsleute, denen er die Finanzierung des Unternehmens jetzt anvertraut hatte, machten lange Gesichter, wenn sie die Kostenanschläge prüften, die das für eine Bühnenausstattung Übliche allerdings weit überschritten. Ihm selber wagten sie Abstriche nicht vorzuschlagen, denn Kritik an seinen künstlerischen Eingebungen – und dazu rechnete er auch das äußere Bild der dramatischen Vorgänge – konnte seinen Jähzorn entflammen. Besorgt, in bester Absicht, baten sie Cosima um ihre Vermittlung. Den sachlichen und gewissenhaften Bedenken gab sie nicht unrecht, dennoch entschied sie, daß Sparsamkeit hier am falschen Platze sei; mit dem Stil der Wagnerschen Musikdramen vertrug sie sich nun einmal nicht. Sie wies darauf hin, daß wie im Leben der Völker so auch bei großen künstlerischen Vorstößen die Sorgfalt des guten Hausvaters hinter einer anscheinend abenteuerlichen Kühnheit zurückzutreten habe. Im Falle Bayreuth müsse man alles auf eine Karte setzen, nämlich darauf, daß die Festspiele ganz im Geiste ihres Schöpfers so großartig und glänzend wie möglich herauszubringen wären. Die Kosten dafür würden später hereinkommen, sei es auch erst nach Jahrzehnten; ein säkulares Unternehmen brauche mit kurzen Zeiträumen und knappen Zahlungsfristen nicht zu rechnen. Diesen Grundsatz ließ sie aber nur für die Sache gelten. Mit der persönlichen Verantwortung nahm sie es so streng, daß sie ihr gesamtes Vermögen zur Verfügung stellte. Von Paris aus, wo es auf der Bank von Frankreich lag, ließ sie es an den Fonds des Festspielhauses überweisen.

Der Beginn der Aufführungen wurde für den August 1876 festgesetzt und öffentlich angekündigt. Im Juni strömten von den großen Theatern des Reichs die Künstler zu den Proben herbei, in ihrem Gefolge die Getreuen von Wahnfried, die Cosima dort unterbrachte, soweit die Gasträume es zuließen. Patrone und Wagnerianer des erweiterten Kreises füllten jetzt schon die Hotels und Pensionen. Sie mußten zusehen, wie sie sich die zwei Wartemonate hindurch mit der Beobachtung des wunderlichen Treibens um sie her die Zeit vertrieben. Dem Meister war es unmöglich, sich ihrer anzunehmen. Vom frühen Morgen an stand er auf der Bühne, Direktor, Kapellmeister, Regisseur und Inspizient in einer Person. In den Abendstunden und oft bis in die Nacht hinein gehörte er nur seinen Mitarbeitern, denen er nach Gebühr Rücksicht und Ehrung erwies, mit denen er nach des Tages Mühen plauderte, scherzte und zechte.

In Cosima wachte die Erinnerung an die Münchner Meistersinger-Proben auf. Wieder ging es nicht ohne gereiztes Geplänkel, Empfindlichkeiten, Eifersüchteleien ab, bei denen sie als Friedensstifterin aufzutreten hatte, diesmal allerdings mit einer ganz anderen Autorität als ehedem, wo sie nur die unerwünschte Frau von Bülow war. Wo nur irgendein gekränkter Tenor im Winkel schmollte, eine enttäuschte Primadonna mit Abreise drohte, fuhr Cosima in ihrem Wagen vor, brachte Blumen und kleine Geschenke, sprach beruhigende, tröstende, aufmunternde Worte.

Das Premierenfieber erreichte Grade, wie sie noch an keinem Theater erlebt worden waren, in Zornesausbrüchen, Angstpsychosen und Weinkrämpfen, aber auch in Freudentaumel, Übermut und Ekstasen. Orchestermitglieder spielten mit ihren Instrumenten in den Wirtshausgärten, ja an Straßenecken zum Tanze auf, Sänger und Sängerinnen schmetterten sich von Fenster zu Fenster Leitmotive zu, veranstalteten nachts gespenstische Umzüge, lagen sich auf einmal wieder krakeelend in den Haaren. Hier waren sie ja nicht Angestellte irgendeines langweiligen Hoftheaters, sondern fühlten sich als Priester eines dionysischen Tempels, zelebrierten einen Gottesdienst einzigartiger, erhabener Kunst. Dem Meister zollten sie fast göttliche Verehrung, was nicht hinderte, daß der eine oder andere, sobald er sich zurückgesetzt oder dem neuen Gesangsstil nicht gewachsen glaubte, unter lästerlichen Verwünschungen aus dem Heiligtum davonlief, tags darauf aber reuig zurückkehrte.

Cosima brachte das Kunststück fertig, gleichzeitig im Theater die Maler bei den noch immer nicht einwandfreien Dekorationen zu überwachen, dem Kostümprofessor Stilwidrigkeiten der Gewänder nachzuweisen und in der Villa Wahnfried Gäste zu begrüßen. Stolzeste Genugtuung, daß sogar manch alter Feind jetzt bekehrt den Weg nach Bayreuth fand. Herr Botho von Hülsen, der Berliner Generalintendant, hielt es nicht unter seiner Würde, bei ihr Besuch zu machen und zu bitten, daß er einer Probe beiwohnen dürfe. Nachdenklich verließ er das durch künstlerischen Schwung und sorgfältigste Arbeit geweihte Haus, um in das seinige zurückzukehren, dem Hans von Bülows scharfe Bezeichnung »Zirkus Hülsen« noch immer anhaftete.


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