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Sechstes Kapitel

Das Stelldichein, bei dem sich vorigen Sommer Cosima mit ihrer Mutter verfehlt hatte, war diesmal in Zürich zustande gekommen. Vom Bahnhof aus war sie mit Hans gleich ins Hotel Baur au lac gefahren, wo die Gräfin sie erwartete.

Marie d'Agoult zeigte sich insofern verwandelt, als sie jetzt ganz den Eindruck einer älteren Dame machte. Auf ihrem glatten, weißgewordenen Scheitel trug sie ein Spitzentuch und strahlte in ihrer Haltung eine milde Würde aus, die Cosima anfangs verblüffte, Hans aber sogleich bezauberte. Nur die wundervollen Augen bewahrten noch den Glanz einer unvergänglich jugendlichen Seele, in der sich sonnige Lebensfreude mit tragischem Verzicht nun reibungslos vertrug.

»Ein Schwiegersohn wurde mir beschert, den habe ich nun endlich vor mir«, begrüßte sie Hans und vertiefte sich unter einem liebevoll besorgten Lächeln in seine Züge. Erleichtert bemerkte Cosima, daß ihr Mann der Mutter gefiel.

»Ich bin so froh, daß ihr euch kennenlernt. Wir müssen diese Tage recht genießen, und das wird sich nicht anders machen lassen, als daß auch du, Mama, auf dem ›Grünen Hügel‹ heimisch wirst.«

»Ihr aber mit dem Meister mich oft hier besucht. Ich brenne darauf, ihm meine Verehrung zu bezeigen, die mit jedem seiner Werke wächst. Und Sie, lieber Hans, möchte ich ausgiebig hören, in vertrauten Gesprächen und am Klavier.«

»Mit besonderem Vergnügen stehe ich zu Ihrer Verfügung, Madame. Cosimas Mutter wird mich, davon bin ich überzeugt, mindestens so gut verstehen wie sie selbst.«

»Mindestens? Das ist sehr viel, zuviel fast für den jungen Ehemann.«

»Als echter Künstler fühlt er sich nie genug verstanden«, neckte Cosima, »und er weiß schon von mir, daß dir in der Empfänglichkeit für künstlerisches Streben niemand gleichkommt.« Dann erkundigte sie sich nach ihren Geschwistern und erfuhr, daß Blandine demnächst heiraten, Daniel im Herbst die Universität Wien, später wohl auch die in Berlin beziehen werde. Es ginge ihnen gut, wenn sie auch beide eine gar zu zarte Konstitution und keine rechte Widerstandskraft gegen das handfeste Leben hätten.

Marie d'Agoult behielt ihre Kinder gleich zum Frühstück da. Zwei Gäste hatte sie ihnen dazu geladen, die gestern ihre Aufwartung gemacht, den Baumeister Gottfried Semper und den Historienmaler Anselm Feuerbach. Semper, der schon Weltruf besaß, war Richard Wagners Freund und Kampfgenosse in dem Dresdner Maiaufstand gewesen, jetzt Professor am Züricher Polytechnikum, der junge Feuerbach, noch schwer um Geltung ringend, in seiner edlen Linienführung und seinem grüblerischen Schönheitsdurst ein heftig umstrittener Künder deutscher Verinnerlichung.

Bülows hatten gelesen, daß die Karlsruher Galeriedirektion die Aufstellung seines großen, ihr zu eigentümlichen Gemäldes »Dante zu Ravenna mit edlen Frauen lustwandelnd« verbieten wollte. Damit stand der ernste, stolz bescheidene Jüngling gleich im Mittelpunkte des Gesprächs. Er mußte erklären, wie er zu diesem Gegenstand gekommen war, und den Idealismus seiner Malerei gegen die Beschränktheit seiner Widersacher verteidigen, worauf ihn Hans begeistert für die gemeinsame Sache in Anspruch nahm und Semper, ins Allgemeine gewandt, den stilbildenden Sinn des Künstlers aus dem Charakter des Menschen ableitete. Die Gräfin verhielt sich abwartend und lernbegierig. Gefesselt blickte sie von einem zum andern und gab nur zuweilen ein kluges Stichwort, das die Diskussion in wechselnde Beleuchtung rückte. In nichts glich sie einer schreibenden Frau, gelehrtes Wissen verbarg sie, indem sie es mit heiterem, fast spielerischem Geist umkleidete. Jede Meinung fand bei ihr Gehör und Anklang, sofern sie nur Ausdruck gesteigerten Lebenswillens war, über tote, nur beiläufige Abschnitte des Gesprächs glitt sie mit einem Bonmot hinweg, wobei sie sich mit Cosima lachenden Auges verständigte. Beide hatten es gern, wenn sich Männer um hohe Dinge ereiferten, und fanden den männlichen Verstand, wenn er absank ins Alltägliche, leicht ein bißchen komisch.

Hans war von Marie d'Agoults zeitloser Anmut und erkämpfter Leichtigkeit hingerissen: »Jetzt weiß ich doch«, sagte er später zu Cosima, »woher du das hast, dieses über den Dingen Schweben und in fremden Seelen Untertauchen – von ihr und nicht von deinem Vater, der nur im besten Sinne liebenswürdig ist. Wie konnte er solch eine Frau verlassen und an der Wittgenstein Genüge finden! Die habe ich ja immer in Schutz genommen, aber gegen die Gräfin d'Agoult gestellt, ist sie tatsächlich nur eine parodistische Karikatur.«

Auch die Gräfin äußerte sich zu Cosima sehr angetan von ihres Mannes kühnem, ritterlichem Wesen, allerdings nicht ohne Bedenken, ob er sich zum rechten Gefährten für ihr ganzes Leben eigne: »Hoffentlich wird er dir dauernd genügen! Denn du bist nicht weniger anspruchsvoll als ich, versessen auf die äußerste Vollkommenheit. Wie nun, wenn er einst an der Grenze seiner Leistungen angelangt ist? Dann weißt du nichts mehr mit ihm anzufangen. Ich meine nicht, daß er dich jemals langweilen wird; nein, dafür ist er viel zu beweglich. In Atem halten wird er dich immer, dieser Sausewind. Aber vielleicht fehlen seiner Begabung die inneren Gewichte.« Sie rühmte den Adel seines Blutes und seiner Gesinnung und verglich ihn mit einem nervösen, überzüchteten Rassepferd, das oft nur deshalb das Rennen nicht gewinnt, weil es kurz vor dem Ziel zusammenbricht. Und dann stimmte es sie nachdenklich, daß er so selbstvergessen ganz in Richard Wagner aufging. Ein Mann, der einem anderen Manne hörig wird, vernachlässigt zu leicht den eigenen Aufstieg. Achtungswert und rührend seien solche Vasallennaturen, aber Gipfel erklömmen sie selten. Sie vermißte auf seinem Haupte die unsichtbare Krone der Auserwählten; wie auch Liszt, konnte sie sich die Tochter nur als Gemahlin eines künftigen Herrschers im Reiche der Gedanken vorstellen.

Bei den Betrachtungen der Gräfin wurde Cosima nach schüchternen Einwänden schließlich ganz still. Vieles davon traf sie tief. Die Mutter sprach Erlebtes aus; ähnliche Ansprüche hatten einst ihre Trennung von Liszt herbeigeführt.

*

Das Zerwürfnis auf dem »Grünen Hügel« wurde durch den Wohnbesuch keineswegs aus der Welt geschafft, höchstens äußerlich etwas gemildert. Gütliches Zureden konnte nichts helfen, das sahen Hans und Cosima bald ein, hier mußte endlich eine Entscheidung fallen. Mehrmals waren sie auf dem Sprunge, wieder abzureisen, nur Wagners und Minnas dringende Bitten hielten sie zurück, sie begriffen, daß der Meister gerade jetzt ihrer bedürfe, und die Gräfin bestärkte sie darin, zu bleiben.

Eine Weile schwankten sie, ob sie mit Wesendonks in Verbindung treten sollten, bis Cosima ihrem weiblichen Gefühl nachgab, das sich dagegen sträubte, Wagner mit Mathilde wieder zusammenzuführen. Sie weigerte sich, bei dieser auch nur einen formellen Besuch zu machen, deutlich müsse man sich ganz auf Wagners Seite stellen. Als sie Wesendonks, was ja unvermeidlich war, im Garten begegneten, beschränkten sie sich auf eine kurze höfliche Begrüßung, bei der sie ihr Bedauern aussprachen, sich unter so gründlich veränderten Umständen wiederzusehen.

Marie d'Agoult ließ es sich nicht nehmen, herauszukommen, auch Wagner verlangte nach ihr. Ihre feine, gewandte Lebensart glättete für ein paar Stunden die stürmischen Wogen. Für Minna fand sie sogleich den richtigen Ton eines zarten, mütterlichen Mitgefühls, das sich offenherzig aussprach, sobald sie die verstörte kleine Frau unter vier Augen hatte.

»Ihr Unglück geht mir sehr nahe, liebe Frau Wagner. Es ist ja das gleiche Schicksal, das mich in jungen Jahren betroffen hat – das Herz und Verständnis des Mannes zu verlieren, dem man sich fürs Leben verbunden glaubt. Sie sind noch immer besser daran als ich, denn für Sie besteht noch die Hoffnung, ihn wiederzugewinnen.«

»Glauben Sie, Frau Gräfin, daß das möglich sein wird?« fragte Minna bekümmert und schien von der fremden Dame den Urteilsspruch zu erwarten. »Was soll ich nur tun, ihn der Verführerin dort drüben aus den Klauen zu reißen?«

»Es ist ja schon so weit, daß er sie nicht mehr sieht. Nach allem, was ich höre, trägt er sich mit der Absicht, seinen Wohnsitz hier aufzugeben; das dürfte auch unvermeidlich sein.«

»Ja, aber auch von mir will er sich trennen!«

»Gewiß nicht für immer – nur so lange, bis er seine innere Ruhe zurückerlangt hat. Widersprechen Sie ihm darum nicht. Seien Sie klug und nachgiebig, ziehen Sie sich fürs erste willig von ihm zurück! So erhalten Sie sich und ihm am zuverlässigsten Ihre Ehe.«

»Ach, mehr verlange ich ja gar nicht. Wenn es dann nur aus ist zwischen den beiden!«

»Dafür wird, denken wir, Herr Wesendonk schon sorgen.«

Er tat es, indem er auf Wagners Bitte um eine geschäftliche Unterredung herüberkam. Dieser trat ihm schon mit der Kündigung des Mietverhältnisses entgegen. Er sah ein, daß seines Bleibens hier nicht länger wäre, er wollte Stadt und Land verlassen, um irgendwo an einem einsamen Fleck ganz seinem Schaffen zu leben. Diesen Entschluß hatte er sich in schlaflosen Nächten leidvoll abgerungen. Wesendonk billigte ihn und bemerkte verbindlich, die alte Freundschaft sei damit noch nicht gekündigt, aber auch seine Frau wäre der schrecklichen, zermürbenden Zwistigkeiten überdrüssig und sähe gleichfalls keinen anderen Ausweg.

Der Verlust Mathildes war für Wagner die schmerzlichste, doch, wie er nun erkannte, die einzig mögliche Lösung des Konflikts. Noch einmal dankte er Otto Wesendonk für die Fülle des Guten, das er von ihm erfahren, auch für die Geduld und Großherzigkeit, die er ihm als Anbeter seiner Frau bewiesen hatte. Einem Briefwechsel möge der Freund, so bat er, wenn sich Mathilde dazu bereit fände, nicht im Wege stehen. »Ich habe mein Asyl verloren«, schloß er bewegt, »dem Anschein nach durch eigene Schuld. Darüber wollen wir nicht rechten. Wieder ist Verbannung mein Los, unstete Wanderung, wahrscheinlich bittere Not.«

»Was das letztere anbelangt«, versprach Wesendonk, »bleibt meine Hand jederzeit offen.«

Minna, auch von beiden Bülows dahin beraten, beschloß, den Haushalt aufzulösen und allein nach Dresden überzusiedeln. Es wurde ihr schwer genug. Unter wiederholten Rückfällen in hysterisches Geschrei und ihre Herzzustände erörterte sie mit Wagner ihre künftige Lage. Insgeheim und auf eigene Faust ließ sie in den Züricher Zeitungen ein Inserat erscheinen, sie müsse eiligst ihr Haus verlassen und suche deshalb nach Käufern für ihre gesamte Habe. Den Zweck, die Bevölkerung auf ihr Unglück aufmerksam zu machen, erreichte sie in vollem Umfang. Der Stadtklatsch schlug hohe Wellen, die Züricherinnen bedauerten sie auf Kosten von Wagner und Mathilde Wesendonk. Neugierige eilten in Scharen hinaus, schnüffelten durch die Wohnung und kauften um die Wette, schon um sich ein »Andenken« an den kuriosen Fall zu sichern.

Als unfreiwillige Augen- und Ohrenzeugin all dieser Peinlichkeiten litt Cosima unsäglich mit dem Meister, für ihn und um seiner ungewissen Zukunft willen. In den wenigen Stunden, wo Ruhe herrschte, wagte sie nicht ihn zu sprechen, kaum anzusehen. Was hätte sie ihm auch sagen sollen! Er unterhielt sich mit ihr nur gezwungen, zerstreut über Belanglosigkeiten und schien sich vor ihr zu schämen. Hans meinte, das Nächstliegende wäre doch, ihn zu sich nach Berlin einzuladen, über diesen Vorschlag erschrak sie und entgegnete verwirrt: »Nein, wie denn? Das richtigste wäre es wohl, aber es geht nicht, er würde es auch nicht wollen, er sucht ja Ruhe und Einsamkeit. Später ... die Zeit wird heilen.«

Ihre Mutter, die im Asyl nun freilich nicht hatte heimisch werden können, rief sie häufig zu sich in die Stadt. Das war wenigstens eine Ablenkung. Als Mittelpunkt des frohen, angeregten Freundeskreises wollte die Gräfin ihre Kinder möglichst viel um sich haben. Die Maler Böcklin und Feuerbach bewarben sich vergebens darum, sie zu porträtieren. Gottfried Keller und Professor Burckhardt und dessen Kollege Moleschott, ein von witzigen Einfällen sprühender Arzt und Physiologe, veranstalteten Bootfahrten über den See. Auch sie verlangten beständig nach Cosimas Gesellschaft. Bei Herweghs gab es Kindtaufe, da mußte sie Pate stehen; es war ihr nicht danach zu Sinn, doch sie verbarg ihr aufgewühltes Gemüt und trug immer ein sanftes Lächeln, eine freundliche Kameradschaft zur Schau.

Gleich nach Minnas Abreise, bei der diese es an Aufregungen, tränenreichen Abschiedsszenen, Verwünschungen und Beteuerungen nicht fehlen ließ, rüstete sich auch Wagner, das unwirtlich gewordene Haus zu verlassen. Einen Tag vor ihm machten Bülows sich auf, nach Berlin zurückzukehren.

Wagner umarmte Hans gerührt unter heftigen Selbstvorwürfen und bat Cosima um Verzeihung, daß er ihr den Aufenthalt im Asyl verleidet habe: »Unter einem Unstern haben Sie meine Schwelle überschritten, unter einem noch drohenderen gehen Sie von mir, aber ein glücklicher Stern wird aufsteigen über unserem Wiedersehen, den will ich auf der Irrfahrt, die nun anhebt, am Himmel suchen.«

Die Augen zu Boden gesenkt, verharrte sie in düsterem, befangenem Schweigen, ihre Hand zitterte in der seinen.

*

Auf einem Umweg über Genf wandte sich Richard Wagner, unsicher, wie und wo er Wurzel fassen sollte, nach Venedig. Mit einer staubigen Bruthitze empfing ihn die lombardische Ebene, mit üblen Dünsten die Lagunenstadt. Und schon schmolzen seine geringen Ersparnisse zusammen, er mußte darauf bedacht sein, Einkünfte aus seinen Opern zu ziehen. Vergebens drängte er die Theater um Aufführungen. Mehr noch als den Mißerfolg der schwer zu inszenierenden Werke fürchteten sie, mit dem Namen des Komponisten anzustoßen, dem seine Teilnahme am Dresdner Aufstand unvergessen blieb, und der nun neuerdings mit seinem Eheskandal in der Leute Mund war.

Am Hoftheater in Weimar hatte Liszt, um den Freund immer treu besorgt, die Annahme des »Rienzi« durchgesetzt. Wagner verlangte von ihm, daß er die sofortige Auszahlung des Honorars vermitteln solle. Da sich diese verzögerte, zog er die Oper zurück – nicht im Ernst, sondern nur, um damit auf die Hofkasse einen Druck auszuüben. Das Mittel versagte, denn Liszt mißverstand ihn und setzte den »Rienzi« wirklich ab. Wagners Bedrängnis wuchs, und seine Erbitterung, nun auch gegen den Freund gerichtet, führte zu einem gereizten Briefwechsel: er schrie ihn um Geld an, Liszt verbat sich ironisch die Zusendung der Tristanpartitur und weitere Notdepeschen. Hinter diesem Zwist stand als treibende Kraft die Fürstin Wittgenstein. Sie wußte, daß Wagner nichts für sie übrig hatte, und nahm in falschem Argwohn an, Cosima beeinflusse ihn ungünstig gegen sie.

Nur so viel war daran richtig, daß Cosima alles tat, um zu verhüten, daß ihres Vaters Blick für den Freund sich trübe, und immer wieder zum Guten redete. Von Berlin aus verfolgte sie in angstvoller Spannung das Ringen des Verbannten um seine Existenz. Jeder seiner geschäftlichen Mißgriffe traf sie wie ein persönlicher Schlag. Mit Hans gemeinsam und schließlich selbständig griff sie in die Verhandlungen ein; ihr kluger Sinn, ihre geschmeidige Hand vermochte vieles zu regeln, was Wagner schon verdorben hatte. Erfahrungen im Verkehr mit den Agenten hatte sie zur Genüge bei den für ihren Mann zu veranstaltenden Konzerten gesammelt und, wenn es nottat, heimlich mit eigenen Mitteln ausgeholfen. Die Versuchung lag nahe, auch Wagner, ohne daß er es merkte, zu unterstützen. Doch etwas sträubte sich in ihr dagegen – als könnte sie damit des Meisters Würde kränken, einen ersten Schritt auf schwankendem Boden wagen und nicht im Sinne ihres Mannes handeln.

Noch einmal fuhr sie nach Paris, diesmal aber mit Hans. Sie stellte ihn der Großmutter Liszt vor, die gerührt war, mit welcher Ehrerbietung er ihr entgegentrat. Sie freundeten sich mit dem Schwager Ollivier an, was anfangs seine Schwierigkeiten hatte, denn der Deputierte war bei all seiner umfassenden Bildung ein trockener Jurist und ehrgeiziger, berechnender Politiker; durch seine scharfen Brillengläser musterte er die Berliner Verwandten seiner Frau kühl und mißtrauisch. Blandine jedoch rühmte anscheinend aufrichtig die Vorzüge seines Charakters und behauptete, glücklich mit ihm zu sein.

Die Gräfin d'Agoult hatte für eine glänzende Aufnahme Hans von Bülows längst alles vorbereitet. Die führenden Musiker waren aufs günstigste über ihn unterrichtet, Liszts Freunde Berlioz und Vieuxtemps nahmen ihn mit offenen Armen auf, Gounod stand nicht abseits. Meyerbeer und Offenbach, die er wiederholt öffentlich befehdet hatte, wagten nichts gegen ihn zu sagen. Seine Konzerte waren überfüllt und brachten ihm rauschende Erfolge. Ein bißchen stieg ihm das doch zu Kopfe, er sonnte sich in dem unerwarteten Ruhm, ließ sich die vielen Einladungen in erlauchte Häuser gern gefallen und plätscherte zwischendurch vergnügt auch in den Niederungen des Pariser Lebens. Cosima machte es Spaß, ihm dabei zuzuschauen. Sie gönnte es ihm, einmal unbefangen fröhlich zu sein, in Berlin würde er freilich, darin kannte sie ihn ja, mit einem Katzenjammer zu büßen haben. Sie für ihre Person hielt sich von allen Festlichkeiten, wo es nur anging, zurück, wohler fühlte sie sich im Hintergrunde der Huldigungen.

Beständig mußte sie blutenden Herzens an jenen denken, der, in sein Werk vertieft, sorgenvoll, darbend und verbittert in Venedig saß. Ein ungerechtes Schicksal, das dem Führer und Meister den verdienten Lohn seiner Leistung vorenthielt, während es hier den Trabanten mit Virtuosen-Erfolgen überschüttete! Mo war ihr Platz? Wirklich an der Seite ihres Gatten, der hier recht gut auch ohne sie fertig wurde – nur weil er eben ihr Gatte war? Sie beschloß, Wagner zu mahnen, daß er, solange sein Vaterland nichts von ihm wissen wollte, nach Paris gehöre. Dann sollte ihre Mutter für ihn noch eifriger werben als für Hans. Und sie selbst – sie mußte ihm um jeden Preis zunächst die Übersiedlung nach Paris ermöglichen!


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