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Fünftes Kapitel

Seit Jahr und Tag trug sich Hans mit dem Plan, Shakespeares »Romeo und Julia« zu einer Oper zu gestalten. Es wurde aber nichts daraus. Mit der naiven Jugendschwärmerei eines Romeo hatte seine Natur zu wenig gemein. Darauf bezog sich auch Cosimas leise Ironie, wenn sie ihn einen Romeo nannte. Jetzt war er zwar von einer flackernden Leidenschaft für seine Frau besessen, doch konnte ihn die Liebe nie so ganz ausfüllen wie den jungen Montague. Der war ein Italiener der Renaissance, Hans ein Preuße des neunzehnten Jahrhunderts, zu sehr von seinen Pflichten und Geschäften in Anspruch genommen, als daß er der Musik des Herzens zu lauschen oder sie in sich hervorzuzaubern vermochte. Dieses Thema also lag ihm nicht – vielleicht ein anderes?

Kaum daß sie wieder in Berlin waren, drang Cosima darauf, daß er sich Zeit zum Komponieren nahm. Sie selbst verhandelte mit dem Direktor Stern über die Erleichterung des Dienstes und erreichte, daß ihrem Manne wenigstens einige freie Vormittage blieben. Hans atmete auf und trat der Frage näher, womit er sie ausfüllen könnte.

Er erinnerte sich, daß Wagner ihm geraten hatte, es doch mit Ouvertüren zu den Dramen der Orestie zu versuchen oder den Orest als Muttermörder und Opfer der Erinnyen zum Helden einer symphonischen Dichtung zu wählen. Nun gut – allein die antiken Texte sagten ihm nicht zu, schöpferische Schaffenslust wollten sie nicht in ihm entzünden.

Da machte sich Cosima selbst an die Arbeit, vertiefte sich in den Stoff, durchdrang ihn mit eigenen Ideen, hob den tragischen Gehalt der handelnden Menschen und der Situationen so klar und zugleich lyrisch hervor, daß ihre Tonwerte sich enthüllten. Hans gab sich redlich Mühe mit Cosimas Niederschrift, ihm blieb die Muse stumm. Auch traute er sich von vornherein nicht die Kraft zu, auf Cosimas geistigen Wegen zu wandeln. »Was du ersinnst und deutest, ist mir zu hoch«, klagte er, »nie wird dein Schwung mich mit sich reißen, immer nur an die eigene Ohnmacht erinnern.«

Sie litt mit ihm, mehr als er selbst, denn sie bildete sich ein, er müsse seine künstlerischen Kräfte an denen von Liszt und Wagner messen und sich in seinem vergeblichen Ringen gedemütigt fühlen. Das hatte ihr wenigstens von sich Peter Cornelius gestanden, der, selbst nach der glücklichen Vollendung seines »Barbier von Bagdad«, an der Möglichkeit weiteren Aufstiegs verzweifelte. Hans wäre ohne sie gar nicht auf den Gedanken gekommen, ein Meister wie jene zu werden; er dachte überhaupt nicht viel über sich nach, dazu fehlte es ihm an Zeit und innerer Ruhe, nur gefallen wollte er seiner Frau, sich ihre Hochachtung erringen. Vor ihr allein kam er sich gering und unbedeutend vor, in der Meinung des Publikums und der Gesellschaft stand er hoch genug. Als berühmter Pianist und Dirigent wurde er mit Auszeichnung behandelt und trotz seiner Widerborstigkeit verwöhnt.

Gerade weil er sich in den Salons so selten machte, riß man sich um ihn. Der alte Varnhagen von Ense, Berlins allmächtiger Publizist, legte ihm, wenn er Bülows zu seinen Routs bat, die Liste der übrigen Gäste vor, mit der Bitte, er und Cosima möchten diejenigen Namen streichen, die ihnen nicht genehm wären. Andere gingen noch weiter und ließen sie bestimmen, mit welchen Größen sie zusammensein wollten. Umgaben sie selbst sich doch nur mit der erlesensten Gesellschaft, mit den Gipfeln des Geistes, zu denen allerdings auch aussichtsreiche Anfänger, witzige Journalisten und zu Unrecht vergessene alte Eigenbrötler gehörten. So kam es, daß ganz Berlin wußte, bei den jungen Bülows könne man der lebendigsten und originellsten Unterhaltung sicher sein. Wer bei ihnen aufgenommen war, schien den geistigen Marschallstab im Tornister zu haben. »Cosima glaubt an ihn«, hieß es, »also wird schon etwas aus ihm werden, wenn auch erst nach seinem Tode.« Am meisten förderte sie, fast ohne es zu wollen, nur aus natürlich weiblichem Instinkt, den eigenen Mann. Erst seit er mit ihr verheiratet war, galt er für eine wirklich große Nummer.

Noch einen letzten Versuch machte sie, ihn zum Schaffen anzuspornen: an der romantischen Sage vom Zauberer Merlin hatte er Gefallen gefunden. Da setzte sie sich hin und dramatisierte den Stoff zu einem Operntext. Als überraschendes Geschenk legte sie ihn Hans auf den Geburtstagstisch. Er war begeistert davon, ging sofort ans Werk, plagte sich lange mit der Erfindung einprägsamer Motive – ließ ihn endlich liegen, bis er vergessen und die Niederschrift verschwunden war.

*

Wagners Briefe an Hans, die er den Winter über oft und ausführlich geschrieben hatte, besonders über die Fortschritte der Tristan-Vertonung, wurden nach Ostern auf einmal kurz und spärlich, nur flüchtig hingeworfene Karten trafen noch ein, die letzte mit der dringenden Bitte: »Laßt euch durch keinerlei Zwischenfälle oder Gerüchte, welcher Art auch immer, abhalten, im August bei mir zu sein!«

Die Lage auf dem Grünen Hügel spitzte sich in der Tat bedrohlich zu, das war auch Hans' und Cosimas Eindruck. Sie hielten es für ihre Pflicht, Wagners Wunsch zu erfüllen.

Der Stein war ins Rollen geraten durch eines jener Billetts von Wagner an Mathilde, die sie ja längst schon von Haus zu Haus durch ihre Bedienung wechselten. Ein unglücklicher Zufall, wenn es nicht Minnas Neugier war, wollte es, daß sie den Umschlag eines derselben öffnete und las.

Nichts anderes stand darin, als was sich ein glühender Verehrer seiner Angebeteten gegenüber vom Herzen zu reden pflegt: emphatische Beteuerungen, seliges Gedenken, heiße Schwüre. Doch Minna glaubte, hiermit zum erstenmal den bündigen Beweis seiner ehelichen Untreue in Händen zu haben. Sie bekam einen Tobsuchtsanfall und stürzte hinüber zur Nebenbuhlerin.

»Hier! Das ist für Sie!« schrie sie und warf Mathilde das Billett vor die Füße. »Ein sauberer Wisch! Diesmal mache ich den Liebesboten. Daß ich euch endlich abgefaßt habe! Daß euer Lügengewebe zerrissen ist!«

Mathilde suchte mühsam ihre Haltung zu bewahren. Sie hob das Papier auf und las es.

»Nun, was finden Sie daran so Verwerfliches, Frau Wagner? Wußten Sie nicht schon lange, daß Ihres Mannes Gefühle lebhafter, seine Ausdrücke temperamentvoller sind als die der Durchschnittsmenschen?«

»Machen Sie mich nicht dumm! Ich verstehe sehr gut den Sinn von dem, was ich lese, auch wenn die Hauptsache zwischen den Zeilen steht. Auch Herr Wesendonk sollte es kennenlernen. Wollen doch sehen, ob er es ebenso harmlos findet!«

»Selbstverständlich werde ich ihm auch diese Zeilen zeigen, wie alle anderen, die ich erhalte. Er ist genau über alles unterrichtet, was mich mit Richard Wagner verbindet. Kleinliche und gehässige Mißdeutung liegt ihm fern.«

»Er weiß von Ihrem Verhältnis?« lachte Minna gellend auf. »Das ist ja köstlich! Großartig finde ich das! Sie wollen wohl gar noch behaupten, er hätte es angestiftet und rühmt sich dessen? Pfui Teufel! In was für einen Pfuhl bin ich auf dem Grünen Hügel geraten!«

Mathilde, die jeden Augenblick fürchten mußte, daß Frau Wagner sich zu Tätlichkeiten hinreißen ließ, trat leichenblaß von ihr zurück und sagte mit erstickter Stimme:

»Ich glaube, es wird das richtigste sein, daß die beiden Männer diese Angelegenheit ordnen. Mit Ihnen werde ich mich nie darüber verständigen.«

»Wer redet denn von Verständigung! Ich will gar keine! Lossein will ich Sie! Hinaus aus meiner Ehe, die Sie zerstören!«

Stimme und Atem versagten ihr. Die Hand auf das wild pochende Herz gepreßt, rannte und stolperte sie ächzend im Zimmer hin und her, das Mathilde bereits verlassen hatte. Dann jagte sie zurück in ihre Wohnung.

Otto Wesendonk fand seine Frau, als er aus der Stadt heimkehrte, in Weinkrämpfen vor. Sie schilderte ihm den gräßlichen Auftritt und wies auf Wagners Brief, der zerknüllt neben ihr auf dem Tische lag.

»Er ist nicht schlimmer oder besser als die anderen«, sagte Wesendonk, nachdem er ihn genau gelesen. »Das Unglück liegt nur darin, daß ihn die Frau zu Gesicht bekommen hat. Ich verstehe nicht, daß Wagner es darauf ankommen ließ. Hat er ihr denn aus seiner Verehrung für dich ein Geheimnis gemacht?«

»Es sieht so aus. Darüber gesprochen habe ich nie mit ihm.«

»Ein schwerer Fehler! Nun steht sie vor sich selber als betrogene Gattin da.«

»Ach, Otto, die schlichte Wahrheit hätte sie in ihrer Beschränktheit ja doch nicht verstanden. Wollte sie doch nicht einmal glauben, daß du im Bilde bist.«

»Und dennoch wäre es Wagners Pflicht gewesen, ihr vorzustellen und zu erklären, wie alles kam und daß ihr kein Unrecht geschieht. Ich werde, so peinlich es mir ist, mit ihm darüber reden müssen.«

»Ja, tue das, aber schone, bitte, seine armen Nerven!«

Die Unterredung zwischen den beiden Männern verlief trotz Wesendonks Selbstbeherrschung in gereiztem Tone. Er wies den Freund darauf hin, daß ein Verkehr von Haus zu Haus in der bisherigen Form nicht mehr möglich sei. Solange es ihm nicht gelänge, Frau Minna zur Vernunft zu bringen, wären weitere Szenen zu befürchten. Ein unhaltbarer Zustand, den er mit seiner unangebrachten Geheimnistuerei verschuldet hätte! Wagner verwahrte sich heftig gegen die Unterstellung, seine Frau getäuscht zu haben. Nichts wäre hinter ihrem Rücken vorgegangen. Sie hätte doch jahrelang Zeit gehabt, sich von der Reinheit seiner Beziehungen zu Mathilde zu überzeugen. Sollte er ihr etwa jeden Brief an diese vor der Absendung zur Durchsicht geben? Der Stil ihres Briefwechsels wäre ihr ja doch über alle Fassungskraft gegangen! Demgegenüber betonte Wesendonk, daß Mathilde durch Wagners Verhalten in eine unmögliche Lage versetzt worden war, und bestand auf Lösung jedes noch so platonischen Verhältnisses.

Minna lag krank zu Bett. Herzbeschwerden, an denen sie immer schon gelitten hatte, waren zufolge der Aufregung in ein akutes Stadium getreten. Schmerzen und Atemnot lenkten sie aber wenigstens von ihrem Kummer ab. Ihrem Manne machte sie keinen anderen Vorwurf, als daß er sich mit der Wesendonk auf Heimlichkeiten eingelassen hätte.

»Ohne Liebeleien kommt ihr Männer nun mal nicht aus. Damit habe ich mich abgefunden. Aber warum verbietest du dem Knecht, es mir zu sagen, wenn dein Schatz dich oben besucht? Wozu das unnütze Hin und Her von Briefchen, wenn ihr euch doch täglich seht? Na, ich habe ihr ja einen ordentlichen Krach gemacht, den wird sie sich zur Lehre dienen lassen.«

»Minna, du bist sehr krank«, erwiderte Wagner, »deshalb will ich dir dein wüstes Betragen nicht weiter übelnehmen.« Er schlug ihr vor, sich durch eine längere Badekur gründlich zu erholen, womit sie einverstanden war, er tröstete sie, ihre Ehe könnte friedlich fortbestehen, wenn sie sich nur gescheit und edel benähme. Ja, sie wollte sich Mühe geben, edel zu sein, gelobte Minna, er dürfe aber das Geschwärme und Augenverdrehen nicht zu weit treiben und jedenfalls nicht hinter ihrem Rücken.

Die nächste Begegnung mit Wesendonks war eine zufällige und fand im Garten statt, als Minna, auf ihres Mannes Arm gestützt, einmal Luft schöpfte. Wesendonks Wagen stand gerade zur Abfahrt bereit, er und Mathilde saßen darin steif nebeneinander, die beiden anderen traten ganz unbefangen an den Schlag.

»Meine Frau ist recht krank gewesen«, begann Wagner, »ihr altes Herzleiden hatte sich wieder gemeldet. Da muß man ihr schon mancherlei zugute halten.«

Minna streckte Frau Wesendonk in den Wagen hinein die Hand entgegen, als wäre nun alles wieder in bester Ordnung. Mathilde berührte sie flüchtig mit den Fingerspitzen ihrer Handschuhe, verstört und verwundert blickte sie drein. Nach jenem Auftritt war auch mit Wagner die Verbindung abgerissen. Einen Teil ihres Grolls hatte sie auf ihn übertragen, und er hatte ihr Zeit lassen wollen, sich zu beruhigen.

»Ich bin nun mal eine aufgeregte Person«, erklärte Minna treuherzig, »aber ihr habt mir auch übel mitgespielt.« Und als Mathilde noch immer stumm blieb: »Nun seien Sie nur wieder gut, Frau Wesendonk!«

Otto lächelte spöttisch und ein wenig angewidert.

»Wir möchten nur bitten, daß derartige Auseinandersetzungen nicht zur Regel werden.« Ohne eine Antwort abzuwarten, winkte er dem Kutscher, der ihm als Ohrenzeuge wenig erwünscht war, abzufahren.

Wagner hielt es nun doch für geraten, seine Frau unverzüglich nach ihrem Badeort zu bringen. War sie erst fort, würde sich alles schon wieder einrenken. Wie ein Mustergatte umhegte er Minna mit Fürsorge und zarten Rücksichten, die sie sich nur zu gern gefallen ließ: es war nicht schwer, sie zu versöhnen, und ihr Befinden besserte sich schon dadurch, daß sie sah: die Wesendonk ist mit Richard böse! Noch immer gab sie sich der Einbildung hin, daß sie allein ihres Mannes Herz besäße. Für einen alternden Leichtfuß hielt sie ihn, einen flatterhaften Musikus, der wohl manchmal einen Schritt vom Wege macht, schließlich aber doch von ihr nicht loskommt, weil sie für ihn einfach unentbehrlich ist. Wagner ließ sie in dem Glauben, nicht nur um ihr Aufregungen zu ersparen, sondern auch aus einem tiefen, schmerzlichen Mitleid heraus. Sie war ja das einzige und gänzlich unschuldige Opfer seiner Leidenschaft für Mathilde. Für ihn war die Lage tragisch, da seine Schaffenskraft, seine Existenz davon abhing, daß Mathilde ihm erhalten blieb, für Minna immerhin traurig genug, um sein Gewissen zu belasten.

So reiste er denn mit ihr in den kleinen Kurort Brestenberg und blieb noch einige Tage bei ihr, sich zu versichern, daß sie gut untergebracht war. Bei seiner Rückkehr vernahm er, daß auch Wesendonks sich auf eine Reise begeben hatten. Sie gingen ihm also aus dem Wege! Mathilde wollte ihn nicht mehr sehen! Das traf ihn so schwer, daß er sich gramvoll in seinem Asyl einschloß und für niemanden zu sprechen war. Seine Arbeit stockte, keiner künstlerischen Eingebung war er fähig, wenn die Geliebte, seine Muse, ihm den Rücken wandte.

Nach zwei Monaten, Mitte August, traf Minna gekräftigt wieder ein, munter und guter Dinge. Sie zu erfreuen, war ihm der Einfall gekommen, die Pforte seines Häuschens durch den Knecht mit einer Girlande schmücken zu lasten. Aus einem Kranz von Tannengrün begrüßte sie die farbige Inschrift: »Herzlich willkommen!«

Auf solche kleine Zeichen einer Aufmerksamkeit, die sie für Zuneigung hielt und als bedeutungsvolles Sinnbild wertete, fiel sie leicht herein. Zu Tränen gerührt, schloß sie ihren Richard in die Arme.

»Wie schön!« schluchzte sie. »Damit hast du das Rechte getroffen, das macht alles wieder gut!«

Drei Tage später waren auch Wesendonks wieder daheim. Wagner wies den Knecht an, die Girlanden abzunehmen, aber Minna, die dazukam, erteilte Gegenbefehl: »Meine Ehrenpforte soll so bleiben, wie sie ist – so lange, bis das Tannengewinde zu Reisig verdorrt!« Ihrem Manne raunte sie grimmig zu: »Du hast wohl Angst, die da drüben könnte blind davon werden? Sie soll es sich nur anschauen, nun gerade! Da merkt sie gleich, daß ich wieder als Herrin in meinem Hause von dir anerkannt bin!« Wagner hatte dabei gar nicht an Mathilde gedacht, nun ahnte er, daß, was er so gut gemeint, Anlaß zu neuem Unheil werden würde.

Der Knecht stand mit dem Gesinde der Wesendonkschen Villa auf kameradschaftlichem Klatschfuß. Auf diesem Wege erfuhr Mathilde schon tags darauf von der zum Triumphbogen erhobenen Willkommspforte. Auch Frau Wagners bissig stolze Glossen wurden ihr von ihrer scheinbar entrüsteten Zofe hinterbracht. In wenigen kühlen Zeilen fragte sie bei Wagner an, ob er die Auffassung seiner Gattin teile. Ließe er die für sie so demütigende Girlande nicht sofort beseitigen, würde sie ihre Folgerungen daraus ziehen. Wagner versuchte nochmals, Minna ihren Eigensinn auszureden, natürlich vergebens: als er zu flehen begann, brach sie in spöttisches Gelächter aus und wachte nun erst recht über die Inschrift wie über ein kostbares Dokument.

Freundschaftliche Besuche zu wechseln war nun aussichtsloser denn zuvor geworden. Als Wagner sich bei Mathilde melden ließ, war sie für ihn nicht zu sprechen. Er griff zur Feder, stellte ihr Minnas leidenden Zustand, die Notwendigkeit, sie zu schonen, vor, blieb aber trotz der glühenden Liebesschwüre, mit denen er schloß, ohne Antwort. Als sich die beiden Frauen im Garten zufällig begegneten, kam es abermals zu unerquicklichen Wortgefechten, aus denen Minna dank ihrer derberen Zunge als Siegerin hervorging.

Wagner rief ihre Gutmütigkeit an, ihren so oft bekundeten guten Willen zur Versöhnung. Die weibliche Logik entgegnete ihm: »Was geht sie meine Ehrenpforte an! Ich rede ihr doch auch nicht in ihren Zimmerschmuck hinein!«

Er verlor die Geduld. In heftigen Worten suchte er ihr klarzumachen, wogegen ihr Gefühl sich sträubte, daß sie Frau Wesendonk mit Achtung und freundschaftlicher Gesinnung zu begegnen habe, daß er als Mieter, Nachbar und Schützling ihres Mannes diese Frauenfehde nicht dulden könne, daß es an ihr sei, den ersten Schritt zur Versöhnung zu tun. Minna bäumte sich wütend gegen solch eine Zumutung auf, sie geriet ins Keifen, verfiel abermals in Herzkrämpfe: täglich erneuerte sich der lärmende Zwist; das Haus war kein Asyl mehr sondern eine Hölle.

Mitten in einen dieser Spektakel fiel die Ankunft von Hans und Cosima. Wagner hatte in seiner Aufregung die Stunde vergessen, zu der sie sich angesagt. Seine zornige Stimme und Minnas lautes Weinen scholl den Gästen durch die offenen Fenster entgegen.

Ihr Fuß stockte. Am liebsten wären sie auf der Stelle umgekehrt. Doch der Knecht hatte sie bereits gemeldet.

Frau Minna eilte, tränenüberströmt, Cosima entgegen und klammerte sich an sie.

»Gut, daß Sie da sind! Nein, bleiben Sie nur! Bitte, bleiben Sie! Allein mit ihm halte ich es nicht mehr aus!«


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