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Sechstes Kapitel

Hans von Bülow holte zu einem großen Schlage aus. Der Schlag sollte seine musikalischen Gegner treffen, weil es zugleich die Gegner seines Abgotts waren.

Einen Höheren galt es zu verteidigen als Franz Liszt; der saß als Virtuos ja fest in der Gunst des Publikums, und der Rezensentenklüngel, die Schar der Nörgler und Kläffer in der bornierten Musikkritik, hatte sich allmählich auch mit den Lisztschen Kompositionen abgefunden. Gegen den Höheren aber, gegen Richard Wagner, tobte sie noch immer wütend an. Seinem Lehrer Liszt war Hans von Bülow in Liebe und Verehrung zugetan, Richard Wagner aber, den »Heroen der Zukunftsmusik«, den Schöpfer des »Fliegenden Holländer«, des »Tannhäuser« und des »Lohengrin«, vergötterte er. Diese Werke wirkten mit ihrer Vertiefung des dramatischen Vorwurfs und ihrer Abkehr von aller opernhaften Mache auf die meisten Hörer noch befremdend. Ältere Herrschaften, die unter beschaulichem »Musizieren« aufgewachsen waren und sich nicht vorstellen konnten, daß dem klassischen und dem romantischen Stil noch ein dritter, sogar mit dem Anspruch, »Gesamtkunstwerk« zu sein, folgen könne, fühlten sich durch Wagners Ton- und Gedankenfülle aus ihrer Ruhe unsanft aufgestört. Bülow war überzeugt, es müsse gelingen, sie dem Verständnis von Wagners Musik doch noch zu gewinnen, indem man ihnen das Beste aus dessen Werken immer wieder zu Gehör brachte, wenn nicht mit vollem Orchester, so zunächst wenigstens auf dem Flügel.

Er drang bei seinem Direktor Stern vom Konservatorium damit durch, daß auf das Programm des nächsten Konzerts die Ouvertüre zum »Tannhäuser« gesetzt und als dessen Glanzstück in der Presse angezeigt wurde. Obwohl der »Tannhäuser« schon wiederholt mit Erfolg an verschiedenen Provinztheatern aufgeführt worden war, galt es für ein Wagnis; denn in Berlin saßen Wagners und Bülows Gegner am dichtesten gedrängt, nicht nur wegen des überkritischen und zu absprechendem Urteil stets geneigten Geistes der Hauptstadt, sondern auch, weil Bülow hier viele Musiker und Rezensenten persönlich angegriffen hatte. Nun sollte aber Wagners große Kunst mit einer ihrer glänzendsten Schöpfungen selbst die Neider und die verletzten Gemüter überwältigen.

»Ich will ihnen mit der Tannhäuser-Ouvertüre zu einer rechten Aschermittwocheinkehr verhelfen«, sagte Bülow. »Vor der Größe des verkannten Genius werden sie sich in Demut beugen und Asche auf ihr Haupt streuen.«

Von Fastnacht und Aschermittwoch wußten die Berliner der fünfziger Jahre allerdings so gut wie nichts. Die Faschingsfeste waren noch auf den deutschen Süden beschränkt. Niemand maskierte sich, nur die Konzerte und Abendgesellschaften häuften sich in dieser naßkalten Jahreszeit. Unter Weststürmen und Schneetreiben rollten die Equipagen und rumpelten die Droschken durch das Tiergartenviertel nach der Wilhelmstraße und Unter den Linden.

Noch am Nachmittag hatte Bülow im Charlottenburger Schloß einer königlichen Prinzessin Klavierstunde zu geben: viermal wöchentlich war er zu ihr hinaus befohlen. Jeden anderen Unterricht lehnte er jetzt ab, weil er ihm zuviel Zeit und Nervenkraft kostete.

Die Prinzessin war sehr gnädig gewesen, hatte ihm zu seinem Konzert, das nachher, zwei Stunden später, stattfinden sollte, Glück gewünscht und nur zu verstehen gegeben, daß gerade dieser »Tannhäuser« wohl etwas » équivoque« wäre.

»Kommt nicht die Göttin Venus darin vor, inmitten ihres mangelhaft bekleideten Hofstaats?«

»Das schon, Königliche Hoheit«, antwortete Bülow, ein sarkastisches Lächeln unterdrückend, »doch in der Ouvertüre tritt sie noch nicht auf.«

»Man soll schon in der Ouvertüre ihre anstößigen Damen aus den Geigen- und Flötentönen heraus geradezu skandalös kichern hören?«

»Ich kann mich dessen nicht entsinnen, Königliche Hoheit, so genau ich auch die Ouvertüre kenne.«

»Nun, dann bin ich wohl falsch berichtet. Auf jeden Fall alles Gute zu Ihrem Versuch, Herr von Bülow!«

Zu Hause fand er seine Damen schon in Abendkleidern vor. Sie hatten sich alle drei schön gemacht zu dem verheißungsvollen Abend. Cosima überstrahlte die Schwester wieder einmal, sowohl mit ihrer heiteren Zuversicht wie mit der wunderbaren Toilette. Sie trug über der weit ausladenden Krinoline einen gedoppelten Rock aus stahlblauem Taffet, von dem sich die auf weiße Seide gearbeitete Brüsseler Spitzentaille in schneeigem Glanze abhob.

»Hans, wie ist Ihnen zumute?« rief sie munter. »Haben Sie auch kein Lampenfieber?«

»Nicht das geringste. Heute muß es gelingen!«

»So sagst du jedesmal«, grämelte die Mutter. »Vielleicht wäre es doch richtiger gewesen, du hättest die Ouvertüre zu vier Händen angezeigt, mit Cosima zusammen.«

»Ja, Hans. Sie wissen, mit welcher Wonne ich an Ihrer Seite vor den Feind getreten wäre.«

»Der Applaus wäre dann allerdings von vornherein sicher und ungeheuer gewesen«, erwiderte er galant und überzeugt davon. »Ein Erfolg aber, den die Ouvertüre nur Ihrer Schönheit zu verdanken hätte, würde ihr wenig dienen: durch sie selber soll sie wirken, auch meiner Hände Werk kann nicht viel dazu helfen.«

Obwohl seines Sieges gewiß, war Hans doch den ganzen Tag über fahrig und verkrampft gewesen, Cosima dagegen, trotz ihrer gelinden Zweifel an seinem Erfolg, in gehobener Stimmung. Nach Tisch hatte sie gegen ihre Gewohnheit ein wenig geruht und in einem kurzen aber tiefen Schlummer für die Anforderungen des Abends Kräfte gesammelt. Dabei war ihr ein seltsam stärkender Traum zu Hilfe gekommen: sie sah sich in die antike Welt zurückversetzt, in männermordende Kämpfe gepanzerter Helden, denen sie von olympischer Höhe aus zusah und in die sie zuletzt doch eingreifen mußte. Eine Schlacht um die Feste Ilion schien es ihr zu sein: denn Streitwagen, auf denen hinter dem Lenker die Helden standen, rasten durch aufwirbelnden Staub um gewaltige, von Verteidigern besetzte Mauern, und Scharen von Kriegsleuten stürmten mit Speeren oder kurzen Schwertern widereinander an. Zwei der Helden zogen, Seite an Seite, goldglitzernd unter wehendem Helmbusch aus, stießen auf Vorkämpfer des Feindes und wurden mit ihnen handgemein. Den Achill und seinen Freund Patroklos erkannte sie in ihnen und in sich selbst die schirmende Göttin Pallas Athene. Vom Olymp herab eilte sie ihnen zu Hilfe. Schon aber stürzte Patroklos, von Lanzen durchbohrt, nur den Achilleus konnte ihr Schild noch decken ...

Beim Erwachen klang ihr noch des Patroklos verzweifelter Aufschrei im Ohr und das Prasseln der Waffen auf ihren, den Feinden unsichtbaren, von Zeus geweihten Schild. Ihr Herz schlug höher, in raschem Schlag. Sie hatte das ihrige getan, einen Großen gerettet, freilich auf Kosten seines Waffengefährten, der ihr auf einmal nichts mehr zu bedeuten schien. Ein erhebendes Gefühl erfüllte sie ganz: was auch geschehen mag, alles wird gut! Den Traum schüttelte sie ab, verwundert über sich selber lächelnd. Dem Konzert aber sah sie nun mit froher Spannung entgegen, wobei ihr einfiel, daß Konzertieren ursprünglich ja nichts anderes heißt als zusammen streiten.

Der überfüllte Saal bot den üblichen Anblick: in den vorderen Reihen eine gewählte Besucherschar, rings um Frau von Bülow und die Schwestern viele bekannte Gesichter aus der Gesellschaft, die ihnen freundlich zunickten, auf den Eckstühlen die strengen oder gelangweilten Mienen namhafter Rezensenten, in der Mitte ein musikliebendes Bürgertum, ganz hinten auf Stehplätzen unerkennbar schwärzliches Gedränge.

Die Nummern des Programms, das Hans von Bülow allein bestritt, enthielten Klavierstücke von Schubert, Schumann und Mendelssohn, also nur anerkannte und beliebte Musik. Sie wurden lebhaft beklatscht, nicht zuviel und nicht zu wenig. Neugierig wartete alles den Abschluß des Abends, die Tannhäuser-Ouvertüre, ab.

Kaum hatte Bülow die ersten Akkorde gegriffen, als es hinten im Saal unruhig wurde – da gab es Leute, die sich räusperten, zu husten begannen und mit den Füßen scharrten. Beim Aufmarsch der Tristen, die das Thema des Pilgerchors begleiten, verstärkten sich die gehässigen Geräusche; die Inhaber der vorderen Reihen wandten sich entrüstet um und geboten Ruhe, die Lärmmacher entgegneten mit höhnischen Zurufen. Einige Rezensenten grinsten vergnügt in den Bart.

Bülow ließ sich nicht stören. Leichenblaß, aber mit sicherer Beherrschung des Instrumentes führte er trotz des wachsenden Lärms die Ouvertüre zu Ende. Da brach ein ohrenbetäubendes Johlen und Pfeifen aus, das allen Beifall erstickte, pflanzte sich bis in die Mitte des Saales und längs der seitlichen Reihen fort. Bülow erhob sich, schlug den Deckel des Flügels dröhnend zu und ging, ohne das Publikum eines Blickes zu würdigen, langsamen Schrittes nach dem Künstlerzimmer.

Die am Spektakel unbeteiligten Zuhörer verließen fluchtartig den Saal, unter ihnen auch Frau von Bülow und Blandine, die sich tief beschämt vorkamen und den Tränen nahe waren. Cosima folgte ihnen nicht, sondern blieb, straff aufgerichtet, zornig um sich schauend an ihrem Platze stehen, die erhobenen Hände in den weißen Glacéhandschuhen taktmäßig aneinander schlagend.

Erst als sich der Saal geleert hatte, ging auch sie – aber nicht hinaus an die Auffahrt, wo Frau von Bülows Wagen noch immer auf sie warten mochte. Sie mußte Hans vor allem sehen und ihm die Hand drücken; an seine Seite gehörte sie jetzt!

Im Künstlerzimmer fand sie ihn vor – bewußtlos auf dem Diwan liegend, umstanden von dem ratlosen Direktor Stern und zwei Saaldienern.

»Ach, Sie – Fräulein Liszt!« rief der Direktor verstört sie an. »Gut, daß Sie kommen! Ich fand ihn wie tot auf dem Teppich ausgestreckt. Was fangen wir nun mit ihm an? Man möchte wohl nach einem Arzte schicken?«

Cosima trat neben ihren Freund und ergriff seine Hand; eiskalt und wie leblos hing sie herab.

»Er wird sich auch ohne Arzt erholen, hoffe ich«, meinte sie. »Nur ein Glas Wasser, bitte!« Ein Diener sprang davon und holte es.

Während Cosima dem Ohnmächtigen die Stirn benetzte, den Kragen öffnete und Luft zufächelte, jammerte Direktor Stern:

»Eine nette Bescherung! Für ihn wie für mein Institut! Warum mußte er sich auch auf die unselige Ouvertüre versteifen.«

»Warum? Das sollten Sie doch einsehen!« erwiderte Cosima schroff. »Weil es seine Sendung ist, für einen großen Meister sich zu opfern.«

Hans kam bald wieder zu sich. Als seine Augen sich öffneten und zuerst auf Cosima fielen, glänzten sie freudig auf. Mit ihrer Hilfe stand und ging er wieder und nahm den Arm, den sie ihm bot. Sein erstes Wort aber war an Stern gerichtet:

»Verzeihen Sie den Skandal, Direktor, an dem ich die Schuld trage! Ich konnte solch eine Niederträchtigkeit nicht voraussehen. Ganz augenscheinlich war es bestellte Arbeit, für den Komponisten also keine Niederlage.«

»An bestochene Spektakelmacher glaube ich auch, Herr von Bülow. Na, lassen wir's gut sein und ziehen Sie eine Lehre daraus!«

»Nein, Hans«, fiel Cosima ein, »wiederholen Sie den Versuch so bald wie möglich, wenn nicht hier, dann an besserer Stelle, und nehmen Sie mich dazu mit an den Flügel!« Sie nickte dem verärgerten Direktor einen kühlen Gruß zu und führte den Freund hinaus.

In einer Droschke, die sie herbeirief, kehrten sie an diesem Fastnachts-Dienstag heim. Bülow hatte mit seiner bei aller Anfälligkeit zähen Natur den Rest von körperlicher Schwäche überwunden. Er scherzte:

»Nun müssen Sie auch noch Samariterin bei mir spielen, Fräulein Cosima. Selbst das steht Ihnen vorzüglich.«

»Wie ist Ihnen denn? Wie fühlen Sie sich?«

»Getröstet und über Erwarten aufgerichtet. Sogar Appetit habe ich auf einen kräftigen Bissen und einen Schluck Wein.«

»Das finden Sie zu Hause vor. Wir müssen Ihre tapfere Tat doch feiern!«

Sie hatte noch vor der Abfahrt ins Konzert für ein kleines Festmahl Sorge getragen und erwartete, Tante Franziska mit Blandine am gedeckten und mit Blumen geschmückten Tische vorzufinden. Allein zu ihrer peinlichen Überraschung waren sie sogleich zu Bett gegangen. Die Mutter wollte Hans nach solch einem Mißerfolg am liebsten gar nicht sehen.

»So wird es eben ein Tete-a-tete werden, so ungestört und gemütlich, wie ich es mir mit meinem verehrten Lehrer immer schon gewünscht habe.«

»Mein schönster Lohn für die Anstrengung des Abends, Fräulein Cosette! Selbst wenn es gelungen wäre, hätte ich ihn am liebsten nur mit Ihnen begangen.«

Eine Flasche Champagner stand im Eiskühler bereit. Hans ließ den Pfropfen springen und leerte das erste Glas auf Cosimas Wohl und Zukunft; dann warf er es zu Boden, daß es klirrend zersprang. Für das zweite holte er zu einem kurzen Trinkspruch aus:

»Cosima Liszt, Sie waren all die Monate schon mein guter Engel. Heute aber fühle ich Sie neben mir wie einen Cherub mit feurigem Schwert. So haben Sie mich vorhin ins Leben zurückgerufen, so stehen Sie glorreich zwischen mir und meinen Feinden, daß mir das Pack zu Dunst zerrinnt und aus dem Gedächtnis schwindet. Ich tue mir viel darauf zugute, Hans von Bülow zu sein, aber ungewohnte Demut beschleicht mich vor der Cosima Liszt, wie sie sich mir heute abend offenbart hat. – Cosima Liszt, bin ich der Ehre wert, mit Ihnen Brüderschaft zu trinken?«

»Hans von Bülow«, gab sie zur Antwort, mit einem Ernst in der Miene, der zu den heiteren Worten in seltsamem Widerspruch stand, »die Ehre ist auf meiner Seite. – Du darfst!«

Sie stießen mit den Gläsern an. Cosima küßte ihn auf die Stirn, und er nahm ihre Lippen, die sie ihm willig ließ.

»Darf ich noch mehr ... mehr sein als dein Bruder?«

»Auch das! Mein Kamerad fürs Leben – mein Mann.«


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