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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

In allen Staaten Europa's gibt es eine Klasse von Menschen, welche sich von ihrer Kindheit an einen Vorrang anmaßen, der von ihrem sittlichen Charakter unabhängig ist. Die Aufmerksamkeit, die ihnen vom Augenblicke ihrer Geburt an erzeigt wird, bringt ihnen den Begriff bei, als seien sie zum Befehlen geschaffen; bald lernen sie sich als eine besondere Menschengattung betrachten, und einer gewissen Rangstufe und Stellung gewiß, geben sie sich keine Mühe, sich derselben würdig zu machen.

Raynal.

Es ist jetzt Zeit, meinen Leser mit meinem neuen Schiffe und neuen Kapitän bekannt zu machen. Das Schiff war eine Fregatte von der größten Art, ausdrücklich dazu erbaut, um sich mit den großen, doppeltgebankten Fregatten der Yankees zu messen, und führte dreißig lange Vierundzwanzigpfünder auf dem Mitteldeck, desgleichen dieselbe Anzahl zweiundvierzigpfündiger Carronaden auf Hinterdeck-Plankengängen und im Vorderkastell.

Bereits war ich eine Woche lang an Bord, wo ich den Tag über meinen Dienst verrichtete, und die Abende bei Herrn Somerville zu Bleakheath den Freuden der Geselligkeit widmete. Noch hatte ich keinen Kapitän gesehen, und der erste Lieutenant war eines Morgens an's Land gegangen, um seine Beine zu strecken. Ich war jetzt kommandirender Offizier. Die ganze Mannschaft saß beim Mittagessen; ein feiner Regen rieselte auf die Erde nieder, und ich ging allein auf dem Hinterdeck auf und ab, als ein Küstenboot anfuhr, worin ein einfach gekleideter Herr saß. Ich schenkte ihm keine Aufmerksamkeit, weil ich ihn für einen Wein- oder Schnapshändler ansah, der um die Erlaubniß nachsuchen würde, das Schiff zu bedienen. Der Fremde betrachtete die schmutzigen Matrosentaue, welche ihm die Wandjungen hinhielten, und fragte, ob sie kein neues Paar hätten. Der Angeredete gab eine verneinende Antwort, und während der Fremde bemerkte, daß dann nichts anderes zu machen sei, faßte er die schmutzigen Taue und erstieg die Schiffswand.

Auf dem Hinterdecke angelangt, trat er auf mich zu und zeigte mir ein paar schwefelgelbe, mit Theer und Schmutz überzogene Handschuhe, indem er in ärgerlichem Tone bemerkte: »Bei Gott, Sir, ich habe ein neues Paar Handschuhe ruinirt.«

»Ich ziehe jedesmal die Handschuhe aus, wenn ich die Wand ersteige,« versetzte ich.

»Aber ich behalte die Handschuhe an,« erwiederte der Fremde, »und warum konnte ich keine neuen Taue bekommen?«

»Weil ich den Befehl gegeben habe,« erwiederte ich, »sie nie hinabzureichen, als wenn ›die Seite gepfiffen‹^ wird.«

»Und warum wurde die Seite nicht für mich gepfiffen, Sir?«

»Weil wir die Seite niemals pfeifen, Sir, wenn wir nicht wissen, für wen.«

»So gewiß ich im Oberhause sitzen werde, will ich Sie dafür bei Ihrem Kapitän melden.«.

»Wir pfeifen die Seite nur für Offiziere in Uniform,« bemerkte ich, »und ich habe noch zu erfahren, mit welchem Rechte Sie diese Ehre in Anspruch nehmen.« .

»Ich bin ...., Sir,« sagte er, mir seine Karte zeigend; »kennen Sie mich jetzt?«

»Ja, Sir,« erwiederte ich, »als einen Gentleman; aber ehe ich Sie in Kapitänsuniform sehe, kann ich Ihnen die Ehre nicht erzeigen, die Sie ansprechen.« Bei diesen Worten berührte ich ehrerbietig meinen Hut

»Dann werde ich Ihnen mehr von dieser Sache zu wissen thun,« sagte er, »so wahr ich im Oberhause sitzen werde.« Und nachdem er noch die Frage gestellt, ob der Kapitän an Bord sei, und eine verneinende Antwort erhalten hatte, drehte er sich um und stieg die Schiffsseite hinab in sein Boot, ohne mir Gelegenheit zu geben, ihm ein paar neue Taue reichen zu lassen. Er ruderte an's Land und ich hörte nie mehr etwas von den schmutzigen Tauen und den ruinirten Handschuhen.

Wie ich nachher erfuhr, hatte dieser Offizier die Gewohnheit, seine Worte mit diesem Lieblingsgegenstande seines Ehrgeizes zu spicken; aber da er jetzt Mitglied des Oberhauses ist, so läßt sich vermuthen, daß er diese Schwurformel gegen eine andere vertauscht hat. So lange er ein Schiff befehligte, pflegte er zu sagen: »So wahr ich im Oberhause sitzen werde, lasse ich dich peitschen, Kerl;« und wenn diese Zusicherung einmal über seine Lippen getreten war, so wurde die Strafe unerläßlich vollzogen. Wir machten die Verneinung dieses Kernspruches zu unserem Sprüchwort; Lieutenants, Midshipmen, Matrosen und Seesoldaten machten ihre Ansprüche auf Wahrheit durch die Betheurung geltend: »So wahr ich nicht im Oberhause sitzen werde.«

Dies war der vornehme Lord, der sich als Befehlshaber eines der Schiffe Sr. Majestät in China von einem Landeseingeborenen abzeichnen ließ. Da die Aehnlichkeit nicht sehr schmeichelhaft war, erhielt der Künstler einen scharfen Verweis von seinem Gönner. Der arme Mann erwiederte: »O weh, Meister, wie kann schön Gesicht machen, wenn schön Gesicht nicht hab' empfangen.« Diese Anekdote wurde gleich einer Menge anderer Erzählungen gestohlen und auf andere Fälle angewendet; aber ich nehme sie als das rechtmäßige Eigenthum der Flotte in Anspruch und vermag ihren Ursprung, wie ich ihn angab, zu verbürgen.

Meine Tischgenossen trafen nach einander ein, bis unsere Anzahl vollständig war. Endlich kam eine Note in einem Umschlage mit der Aufschrift: »An den Unterlieutenant im Dienst,« und mit dem Namen des adeligen Schreibers unten in der linken Ecke; sie meldete die Ankunft des Kapitäns auf den folgenden Tag. Wir erwarteten ihn natürlich in voller Uniform mit Stülphut und Degen, während die Marinewache unter dem Gewehr stand. Er kam um halb ein Uhr, wo die Mannschaft am Mittagessen saß, an die Schiffswand – eine ungewöhnliche Stunde für einen solchen Besuch, da man nicht gewohnt ist, sie bei ihren Mahlzeiten zu stören, wenn es irgend vermieden werden kann. Er erschien in einem rockartigen Frack mit niederfallendem Kragen und Ankerknöpfen; auf dem Kopfe trug er eine Schützenmütze mit einem breiten goldenen Band; Epaulette hatte er nicht.

Dies war nicht ganz in der Ordnung, aber da er ein Lord war, sprach er ein derartiges Vorrecht an, und auf diesen Felsengrund stützte er sich, wie wir nachher fanden, bei jeder Gelegenheit. Wir wurden ihm alle vorgestellt, und er ließ sich gegen Jeden zu einer Beugung des Kopfes herab. Seine Fragen waren sämmtlich an den ersten Lieutenant gerichtet und bezogen sich alle auf die Behaglichkeit seines Privatlebens. »Wo schläft mein Steward? Wo liegt mein Bedienter? Wo ist mein Kuhstall, und wohin kommen meine Schafe? Nachdem er eine Stunde lang in unserer Gesellschaft gewesen, hatten wir bereits die Entdeckung gemacht, daß sein adeliges Selbst der Gegenstand seines Götzendienstes war. Was die Einzelnheiten des Schiffes und seiner Mannschaft betraf, wie Maste, Takelung, Stauung, Munition, Wasservorrath und Fahrtiefe – dies waren Dinge, womit er seinen Geist nicht ermüdete.

Eine Stunde lang war er an Bord, dann verlangte er sein Boot und kehrte an's Land zurück. Wir sahen ihn erst bei unserer Ankunft in Spithead wieder, wo seine Lordschaft in Begleitung einer Person erschien, in welcher wir bald einen auf halben Sold gesetzten Flottenzahlmeister entdeckten, einen Mann, welcher sich durch die größte Schmeichelei und zahllose kleine Aufmerksamkeiten bei seinem Beschützer so sehr in Gunst gesetzt hatte, daß er ein eben so notwendiger Anhang seiner Reisebedürfnisse geworden war, als der Mantelsack oder der Kammerdiener. Dieser verächtliche Speichellecker war der Doppelgänger seiner Lordschaft, der lebendige Abguß des terenzischen Gnatho; nie konnte ich ihn ansehen, ohne an die Stelle zu denken, welche mit den Worten endet: si negat id quoque nego. Diesem Tropfen war schwarz weiß und weiß schwarz, je nachdem es Seiner Herrlichkeit genügte. Er speiste in der Kajüte, stiftete viel Unheil im Schiff und entging einem Hundstritte blos deswegen, weil er zu verächtlich war, um einen solchen zu verdienen.

Meine schönen Leserinnen werden ohne Zweifel begierig sein, wie ich mich von Emilien trennte, und ich bin wirklich nicht ungeneigt, sie zu verpflichten, wiewohl dies ein zarterer Gegenstand ist. Sobald wir unsere Befehle erhielten, nach Spithead abzugehen, traf Herr Somerville die nöthigen Vorbereitungen zum Umzuge, denn er hatte sich in der Hoffnung, meine Beförderung werde noch vor unserer Abfahrt stattfinden, während der Ausrüstung des Schiffes in seinem Hause zu Blackheath aufgehalten. Auf die erneuerte Anfrage meines Vaters bei der Admiralität wurde mir die Antwort, ich müßte meine Beförderung auswärts holen. Dies bestimmte Herrn Somerville, seine Sommerquartiere sogleich abzuschlagen, denn er war klug genug, um es einzusehen, daß ohne diese Veränderung meine Dienste für mein Schiff verloren wären, und daß ich wahrscheinlich von meinem Kapitän zurückgelassen würde, wenn er und Emilie mich nicht in Woolwich zurückließen. Aus diesen Gründen eröffnete er mir, daß er binnen vierundzwanzig Stunden abzureisen gedenke.

Emilie bedauerte dies in eben so hohem Grade, wie ich selbst. Ich machte ihr freundliche Vorwürfe über ihre Grausamkeit, aber sie antwortete mir mit einer Festigkeit des Charakters und einer Klarheit des Verstandes, die ich nur bewundern konnte: ich habe nur Einen Rathgeber, ihren Vater, und bis sie sich vermähle, gedenke sie, auch nie einen andern zu nehmen; auf seine Ermahnung habe sie die Verbindung aufgeschoben, »und da wir Beide noch nicht über die Jahre hinaus sind,« fügte sie hinzu, »so vertraue ich auf Gott, daß wir einander wiedersehen.« Ich bewunderte ihren Heldenmuth, gab ihr einen Kuß, hob sie in den Wagen, und wir drückten einander die Hände zum Abschied. Ich brauche kaum zu sagen, daß ich ein paar Thränen in ihren Augen erblickte. Herr Somerville sah, daß eine ganze Fluth hereinbrechen wollte, zog das Wagenfenster in die Höhe, nickte mir noch einmal freundlich zu und ließ die Pferde dahintraben. Das Letzte, was ich von Emilien sah, war ihre rechte Hand, welche ihr Taschentuch an die Augen hielt.

Nachdem die theuren Bewohner das Haus verlassen hatten, wandte ich voll Verdruß der Thüre den Rücken und rannte nach meinem Boote, wie ein Hund, der gestohlen hat. Als ich an Bord kam, war mir der Anblick jeder Person und der Geruch jeder Sache verhaßt. Pech, Tünche, Raumwasser, Theer und Rum hatten sich zu einem furchtbaren Vereine gegen mich verschworen, und ich war so krank und elend, wie nur ein liebekranker Seefahrer sein kann. Ich habe vorhin bemerkt, daß wir zu Spithead angekommen waren, und da ich von diesem Orte nichts mehr zu sagen weiß, will ich sogleich in See stechen.

Wir gingen nach Nordamerika unter Segel – der angenehmsten Station, die ich finden konnte, nachdem ich einmal von Emilien getrennt war. Unsere Ueberfahrt war verdrießlich, und wir wurden auf kurze Wasserportionen gesetzt. Nur wer es selbst erfahren hat, weiß, was das ist. Alle hatten darunter zu leiden, blos der Kapitän fühlte keinen Mangel; er sprach sein Vorrecht an und verwendete täglich ein Dutzend Gallonen zu seinen Fußbädern, welche er kaum beendigt hatte, als die Matrosen schon gierig über das Wasser herfielen. Es entstand ein Gemurmel, welches dem Kapitän zu Ohren kam. Mit der zu Almack einheimischen Gefühllosigkeit bemerkte er:

»Gut; Sie wissen aber, wenn man kein Vorrecht hat, wozu nützt es dann, Kapitän zu sein?«

»Sehr wahr, Mylord,« sagte der Speichellecker mit einer tiefen Verbeugung.

Ich will hier eine kurze Beschreibung Seiner Lordschaft versuchen. Er war ein schmucker, gelenkiger, schön gewachsener Mann, mit einem hübschen, aber nicht sehr geistreichen Gesicht, verwandte eine besondere Sorgfalt auf seine Person, und verdankte den Aufmerksamkeiten Herrn »Kriechers« eine sehr hohe Meinung von seinem Selbst; dabei war er stolz auf seine aristokratische Geburt, aber noch viel eitler auf seine Persönlichkeit. Seine Kenntnisse waren beinahe in allen Stücken Stückwerk – die vornehme Welt und verschiedene Anekdoten, die sich daran knüpften, bildeten die gewöhnlichen Gegenstände seines Gesprächs. An seinem Tische führte er meistens die ganze Unterhaltung allein, und während ihm seine Gäste den Wein abtranken, »lachten sie mit nachgeahmter Laune« u.s.w. Seine Forschungen in der Literatur beschränkten sich auf zwei Oktavbände, die Denkwürdigkeiten des Grafen von Grammont – ein anziehendes, aristokratisches Werk, das nie aus seiner Hand kam. Er war eine Reihe von Jahren auf der See gewesen, aber unerklärlicherweise verstand er nichts – buchstäblich nichts von seinem Berufe. Im Seewesen, in der Schifffahrtskunde und in allen Fächern des Flottendienstes war er völlig unwissend. Ehe er zu uns an Bord kam, hatte ich oft von ihm als einem guten Offizier reden hören, und ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er von Natur ein gutes Herz hatte und, wie ich glaube, eben so viel Muth besaß, wie irgend Einer, der je den Degen zog.

Selten machte er eine Bemerkung im Dienste, denn er war sich seines Mangels an Kenntnissen bewußt und besaß Klugheit genug, sich nie über seine Tiefe hinauszuwagen. Wenn er auf's Hinterdeck kam, sah er gewöhnlich nach der Wetterhauptbrasse, und war diese nicht so straff, wie eine Streckstange, so befahl er sie so zu straffen. Dabei konnte er sich nicht leicht bloßstellen. Aber dieses straff wurde bei uns ein stehendes Beiwort, wenn wir unten über ihn lachten. Er hatte die seltsame Gewohnheit, die Namen der Personen und Sachen zu vergessen, oder vergessen zu wollen, vermutlich weil sie zu tief unter ihm standen, und statt der Namen gebrauchte er dann die zierlichen Redensarten: »Was für einen Namen,« »wie nennen Sie es,« und »Dings da«.

Eines Tages kam er auf's Verdeck und gab mir buchstäblich folgende höchst verständliche Weisung. »Herr, wie ist der Name, haben Sie die Güte, das – wie nennen Sie es – das – das Dings da –«

»Aha Mylord,« erwiederte ich, »Hinterwache! die Wetterhauptbrasse angestrafft.« Dies war es genau, was er gewollt hatte.

Er war höchst eigen und empfindlich, wenn er nicht gehörig angeredet wurde. Nicht ungewöhnlich antwortet man auf den Befehl eines kommandirenden Offiziers: »Sehr gut, Sir,« um damit anzudeuten, daß man ihn vollkommen verstanden habe und freudig gehorchen wolle. Ich hatte mir diesen Ausdruck angeeignet und bediente mich einst seiner gegen den Lord, indem ich auf eine Weisung, die er mir ertheilt hatte, die Antwort gab: »Sehr gut, Mylord.«

»Herr Mildmay,« bemerkte Seine Lordschaft, »ich vermuthe keineswegs, daß Sie absichtlich die Ehrerbietung aus den Augen setzen, aber ich werde es Ihnen Dank wissen, wenn Sie mich in Zukunft mit dieser Antwort verschonen; der Ausdruck ›sehr gut‹ geziemt sich für mich, nicht für Sie, denn Sie heißen dadurch meinen Befehl gut, und das gefällt mir nicht; ich bitte Sir, es nicht wieder zu thun – Sie verstehen mich.«

»Sehr gut, Mylord,« versetzte ich – so tief wurzelt die Gewohnheit, »ich bitte Eure Lordschaft um Vergebung, ich wollte sagen ›sehr wohl‹.«

»Der junge Mann gefällt mir nicht sehr,« bemerkte Seine Lordschaft zu ihrem Speichellecker, der auf dem Hinterdeck neben ihm auf- und abschritt, während er gleich dem »stumpfgeschwänzten Affen« seinem Herrn in's Gesicht sah. Ich hörte die Antwort nicht, aber natürlich war sie ein Echo.

Wir refften zum erstenmale in See die Topsegel ein. Der Kapitän war auf dem Verdeck; er sah dem Geschäfte zu, ohne ein Wort zu sprechen. Das zweitemal fanden wir, daß er die sämmtlichen Worte des ersten Lieutenants aufgefangen hatte, denn er wiederholte sie mit lauter, pomphafter Stimme, ohne zu wissen, ob sie auf den gegebenen Fall anwendbar waren, oder nicht. Das drittemal glaubte er schon allein gehen zu können, und stürzte; er machte wirklich einen traurigen Mißgriff. »Das Vortopsegel gehißt,« rief der erste Lieutenant. »Das Vortopsegel gehißt,« sagte der Kapitän. Die Matrosen stampften im Hinterschiffe, und die Topsegelraaen erhoben sich schnell gegen die Mastspitze, als sie durch ein plötzliches Zusammenstoßen mit den Vortopsegelfallen aufgehalten wurden.

»Wo fehlt's?« rief mir der erste Lieutenant zu, denn ich stand auf meinem Posten im Vorderkastell.

»Am Topsegellien ist etwas nicht in der Ordnung,« erwiederte ich.

»Was fehlt dort vorn?« fragte der Kapitän.

»Das Topsegellien ist nicht in der Ordnung, Mylord,« antwortete der erste Lieutenant.

»Verdammt sei das Topsegellien! Schneidet es ab. Heraus mit dem Messer, da oben, ich will, daß das Topsegel gehißt werde; schneidet das Topsegellien ab««

Für diejenigen Leser, welche mit dem Seewesen weniger vertraut sind, muß ich hier bemerken, daß das Topsegellien gerade das Tau war, an welchem in diesem Augenblicke die Raa hing. Wurde nun dasselbe abgeschnitten, so wurde dadurch das Schiff so lange außer Thätigkeit gesetzt, bis es wieder hergestellt war, und hätte man dem Befehle Folge geleistet, so wären aller Wahrscheinlichkeit nach die Topsegel selbst auf der Kappe gesprungen, oder abgebrochen.

Wir kamen nach Halifax, ohne mit einem feindlichen Schiffe zusammen zu treffen, und sobald wir in den Hafen gelaufen waren, ging ich an's Land, um meine sämmtlichen Herzallerliebsten zu besuchen und jeder derselben die Versicherung zu geben, daß ich einzig und allein um ihretwillen meinen ganzen Einfluß aufgeboten hätte, um wieder auf diese Station geschickt zu werden. Zum Glück für sie und für mich war es mir nicht lange gestattet, meine Zeit zu vertändeln. Wir erhielten den Befehl, an der nordamerikanischen Küste zu kreuzen. Es war Winter und sehr kalt; wir hatten manchen wilden Sturm auszuhalten, wobei wir von den häufigen und plötzlichen Nordoststößen mit Schneegestöber und durchdringender Kälte viel zu leiden hatten. Es fror wirklich so stark, daß unsere bewegliche Takelung beinahe nicht mehr gehandhabt werden konnte, und wir siedendes Wasser in die Blockscheiben gießen mußten, um das Eis zu schmelzen und den Tauen den Durchzug zu öffnen.

Der Kapitän war gegen den Frost so sehr empfindlich, daß er uns nie mehr als einmal innerhalb vierundzwanzig Stunden die Ehre seiner Gegenwart auf dem Verdeck schenkte.

Wir warfen auf der Höhe eines Küstenstriches Anker, der nicht in Vertheidigungsstand gesetzt war. Da die Leute von ihrer Regierung nicht geschützt wurden, so betrachteten sie sich als neutral und lieferten uns Fische, Geflügel und Vegetabilien, so viel wir verlangten. Während wir hier lagen, gingen Kapitän und Offiziere häufig auf kurze Zeit an's Land, ohne irgend eine Belästigung zu erfahren. Eines Abends erhob sich nach der Rückkehr des Kapitäns ein Sturmwind mit Schneegestöber. Man vergaß des Kapitäns Gig aufzuhissen; das Bindsel riß und das Boot trieb in See; es dauerte einige Zeit, bis man es vermißte. Am andern Morgen stellte man Nachforschungen an und erfuhr, daß es wenige Meilen von unserm Ankerplatze an's Land getrieben, von Amerikanern in Besitz genommen und zweiundzwanzig Meilen weiter nach einem feindlichen Theile der Küste geführt worden war. Den Kapitän verdroß der Verlust seines Bootes nicht wenig, da er es als sein Privateigenthum betrachtete, wiewohl es von des Königs Leuten und mit des Königs Planken und Nägeln auf dem Schiffe erbaut worden war.

»Als mein Privateigentum,« bemerkte Seine Lordschaft, »muß es herausgegeben werden, wie Sie wissen.«

Ich sagte nichts davon, daß ich mit angesehen hatte, wie der Ankerstempel in der Planke, aus der man es erbaut hatte, von der Säge durchschnitten, und die besagte Planke in dem Ausgaben-Verzeichniß auf einen andern Gebrauch eingetragen worden war. Dies war nicht meine Sache; auch ließ ich mir nicht träumen, daß der Verlust dieses kleinen Bootes mich selbst an den Rand des Verderbens führen würde, was wirklich geschah, wie überhaupt dieser Zufall sehr ernste Folgen nach sich zog.

»Sie müssen Privateigentum achten, wie Sie wissen,« sagte der Kapitän zum ersten Lieutenant.

»Ja,« antwortete der erste Lieutenant; »aber sie wissen nicht, daß es Privateigenthum ist.«

»Sehr wahr, deßhalb will ich Jemand hinschicken und es Ihnen sagen lassen.« Mit diesen Worten ging er in seine Kajüte hinab, um sein Mittagessen zu sich zu nehmen.

Wir erhielten Befehl, die Dolle auszurüsten und mit Tagesanbruch hinabzulassen, und mir wurde die Weisung ertheilt, mit ihr abzufahren. Um neun Uhr des andern Morgens ward ich in die Kajüte beschieden; Seine Lordschaft lagen noch im Bett, und die grünseidenen Vorhänge am Rahmengestell waren fest zugezogen.

»Herr Dings da,« sagte seine Lordschaft, »Sie werden das, wie nennen Sie's, holen, wie Sie wissen.«

»Ja, Milord,« erwiederte ich.

»Und Sie werden nach der Stadt fahren und mein Dings da verlangen.«

»Ihr Gig, Mylord,« erwiederte ich.

»Ja, weiter nichts.«

»Aber, Mylord, gesetzt, sie wollen's mir nicht geben?«

»Dann nehmen Sie's.«

»Gesetzt, das Gig ist nicht dort, Mylord, und wenn es dort ist, sie weigern sich, es herauszugeben?«

»Dann nehmen Sie jedes Schiff, das im Hafen ist.«

»Sehr wohl, Mylord. Soll ich eine Kanone in's Boot nehmen, oder bloß Kleingewehr?«

»O nein, keine Waffen – nehmen Sie eine Friedensflagge – Nro. 8.(eine weiße Flagge) ist hinreichend.«

»Gesetzt, sie wollen die Friedensflagge nicht anerkennen, Mylord?«

»O sie wollen: Sie achten die Friedensflagge jederzeit, wie Sie wissen.«

»Ich bitte Ihre Lordschaft um Vergebung, aber ich meine, ein paar Musketen im Boote könnten nichts schaden.«

»Nein, nein, nein – keine Waffen. Sie würden sie umsonst anwenden; Sie haben Ihre Befehle, Sir.«

»Ja, die habe ich,« war mein Gedanke. »Wenn's glückt, so bin ich ein Räuber, und wenn's nicht glückt, so hängen Sie mich an den nächsten besten Baum.«

Ich verließ die Kajüte und ging zum ersten Lieutenant, dem ich meine Befehle mittheilte. Dieser Offizier hatte, wie schon oben bemerkt, keine Freunde, und da in Folge dessen seine Beförderung rein vom Kapitän abhing, scheute er sich, den Befehlen Seiner Lordschaft, wenn sie auch noch so albern waren, zuwider zu handeln. Was immer auch der Kapitän befohlen haben möge, erklärte ich ihm, keinesfalls werde ich ohne Waffen abfahren.

»Die Befehle Seiner Lordschaft müssen befolgt werden,« sagte der Lieutenant.

»Wenn das ist,« erwiederte ich, über seine Tollheit ergrimmt, »so sind Sie eben so pfiffig, als der Befehlshaber des Schiffs.« Dies betrachtete er als eine so grobe Beleidigung, daß er mit den Worten in seine Kajüte lief: »Darüber sollen Sie mir noch Rede stehen, Sir.«

Ich schloß aus dieser Aeußerung, er sei gesonnen, mich vor ein Kriegsgericht zu ziehen, dem ich mich durch das unüberlegte Wort ausgesetzt hatte, und ging einstweilen auf's Hinterdeck, um während seiner Abwesenheit so viel Flinten und Kriegsbedarf in's Boot zu schaffen, als ich bedurfte. Kaum war dieses geschehen, als der Lieutenant wieder herauf kam und mir einen Brief in die Hand steckte, worin nichts weiter und weniger enthalten war, als die höchst tröstliche Nachricht, daß er nach meiner Rückkehr von der Expedition, auf die ich ausgeschickt wäre, Genugthuung für den Schimpf erwartete, den ich ihm angethan hätte. Ich war froh, daß es nichts schlimmeres war, und lachte über seine Drohung, denn da das Wesentliche meiner Beleidigung bloß darin bestand, daß ich ihn mit dem Kapitän verglichen hatte, so konnte er aus Furcht, seinem Gönner zu mißfallen, seinen Verdruß nicht öffentlich an den Tag legen, da er dadurch dem Manne, von dem er seine Beförderung erwarten mußte, keine größere Beleidigung zufügen konnte, und folglich alle seine goldenen Aussichten selbst zertrümmerte.

Ich steckte die zeitgemäße Ausforderung in die Tasche, stieg an der Schiffseite hinunter in mein Boot und stieß ab. Eine Stunde vor Sonnenuntergang erreichte ich die Stelle, an der man das satanische Gig vermuthete; am Himmel stiegen finstere Vorzeichen eines nahenden Sturmes auf und ich glaube, daß auf der ganzen Flotte kein Kapitän mehr zu finden gewesen wäre, der in einer solchen Jahreszeit ein Boot so weit von seinem Schiffe fortgeschickt und wegen eines so werthlosen Gegenstandes einem feindlichen Land und einer Leeküste preisgegeben hatte.

Meine Mannschaft bestand aus zwanzig Matrosen und einem Midshipman. Als wir vor der Einfahrt des Hafens anlangten, sahen wir vier Schiffe vor Anker liegen und steuerten geradenweges hinein. Wir hatten jedoch keine Zeit, einen Versuch mit unserer Friedensflagge zu machen, denn sobald wir in den Bereich der feindlichen Kugeln kamen, schickten uns zweihundert im Hinterhalt liegende Landwehrsoldaten eine Salve zu, welche vier meiner Matrosen niederstreckte. Es blieb uns nichts übrig, als die Schiffe zu entern und aus dem Hafen zu führen. Zwei von diesen Fahrzeugen saßen auf dem Grunde, denn wir hatten diesen Morgen mit der Abfahrt so lange gezögert, daß wir gerade zur Zeit der todten Ebbe ankamen. Wir steckten sie in Brand, und während dieses Geschäftes wurden noch einige weitere Matrosen verwundet. Die beiden andern Schiffe nahm ich in Besitz und übergab eines derselben dem Midshipman, einem ganz jungen Menschen, mit der Weisung, seine Anker zu lichten. Auch das Boot überließ ich ihm und behielt von dessen Mannschaft nur vier Matrosen für mich. Der arme Bursche verlor wahrscheinlich noch mehr Leute, denn er kappte sein Kabel und fuhr vor mir aus dem Hafen. Ich wand meinen Anker auf und verlor während dieses Geschäftes noch einen von meinen Matrosen durch eine feindliche Kugel. Bald fuhr ich meinem Midshipman nach, und wir hatten uns ungefähr vier Meilen von der Küste entfernt, als sich ein deftiger Sturm mit Schneegestöber erhob. Die Segel, die zu dem Schiffe gehörten, waren alle sehr alt und im Augenblicke zerfetzt. Es blieb mir nichts übrig, als beizulegen; ich ankerte auf einer Sandbank in fünf Faden Tiefe. Das andere Schiff verlor ebenfalls seine sämmtlichen Segel, und da es keinen Anker hatte, wie ich damals vermuthete und später erfuhr, trieb es an den Strand und scheiterte, wobei die Mannschaft entweder erfror oder verwundet und gefangen genommen wurde.

Am andern Morgen sah ich das Wrack des zerschellten Schiffes mit einer Eisrinde bedeckt am Strande liegen. Der Anblick war um so trauriger für mich, da ich nicht wußte, was aus der Mannschaft geworden war. Meine eigene Lage fand ich jedoch kaum beneidenswerther. Das Schiff war gebrechlich und hatte eine schwere Ladung Salz an Bord; was, wenn es irgend naß wird, noch schlimmer ist, als Wasser, da es nicht ausgepumpt werden kann und schwerer als Blei wird. Nichts konnte uns in diesem Falle flott erhalten, und wir hatten nicht einmal ein Boot, um uns bei eintretender Gefahr zu retten. Außer der Leiche in der Kajüte hatte ich drei Mann bei mir und eine leere Vorratskammer, nicht Ein eßbarer Gegenstand befand sich an Bord. Von der Küste waren wir vier Meilen entfernt, und der heftige Sturm, der sich gegen uns erhoben hatte, vollendete das Unangenehme unserer Lage durch sein Schneegestöber und die bitterste Kälte, die ich je erfahren habe. Wir untersuchten das Schiff näher und fanden, daß es eine Menge Segel und Segeltücher an Bord hatte, die nicht für das Schiff paßten, aber in der Absicht angekauft schienen, um sie für dasselbe zurecht zu machen, wenn man ihrer bedürfen sollte. Auch fanden wir eine Menge Segelmacherhandschuhe, Nadeln und Zwirn, aber nichts zu essen als Salz, und nichts zu trinken als eine Tonne süßes Wasser. Wir zündeten ein Feuer in der Kajüte an und wärmten uns, so gut wir konnten, indem wir dann und wann auf dem Verdecke nachsahen, ob das Schiff trieb oder der Wind nachließ. Das Fahrzeug kippte schwer, das Vorderschiff wurde mit ganzen Wogenbergen überfluthet und das Wasser gefror auf dem Verdeck. Am andern Morgen fanden wir uns eine Meile näher an die Küste getrieben; der Sturm hatte noch nicht von seiner Heftigkeit verloren. Das andere Schiff lag ohne Mast zertrümmert am Strande und starrte uns gleichsam in terrorem in's Gesicht. Wir empfanden den nagendsten Hunger. Brennstoff hatten wir am zweiten Tage nur noch so viel, als wir von dem Getäfel der Kajüte abschlugen. Nun beschäftigten wir uns unten mit Anfertigung einer Segelgewandung für das Schiff und tranken dabei warmes Wasser, um die Kälte abzuhalten; aber dies konnte nicht mehr lange dauern. Der Frost wurde immer grimmiger, und bei unserer Freigebigkeit gegen den Ofen, der uns erwärmen mußte, hatten wir die Prise schon zweimal in Brand gesteckt. In unserem Kessel gefror der obere Theil des Wassers, und das Eis schmolz erst durch die von unten eindringende Hitze. Die zweite Nacht brachten wir auf dieselbe Weise zu, wie die erste, und am folgenden Morgen fanden wir, daß wir nur noch zwei Meilen vom Lande entfernt waren. Wir wurden an diesem Tage mit der Anfertigung unseres kleinen Segelwerks fertig, und mit vieler Anstrengung gelang es uns, dasselbe zu befestigen. Jetzt war die Mannschaft von Kälte und Hunger erschöpft; sie machte den Vorschlag, unser Kabel zu kappen und an's Land zu segeln, aber ich bat sie, noch bis zum folgenden Morgen zuzusehen, da diese Stürme selten lange anhielten. Sie waren es zufrieden, und wir kauerten uns wieder zusammen, um uns warm zu halten. Der Matrose auf der Außenseite schmiegte sich an die Leiche an, um sie als Schutzwehr zu benützen. Während der Nacht ließ der Sturm nach und gegen Morgen hatten wir schönes Wetter, wiewohl uns der Wind entgegenblies und es uns unmöglich machte, zum Schiffe hinauf zu laviren. Weil das Wasser fortwährend gefror, waren die Wasserstagen und das Takelwerk mit einer fünf bis sechs Zoll dicken Eisrinde überzogen, und das Vordercastell mit einer zwei Fuß dicken Eisdecke bekleidet, welche so durchsichtig war, daß man alle Taue sah, die darunter lagen.

Jetzt war nichts mehr anzufangen; ich ließ das Kabel kappen und entschloß mich, an's Land zu segeln und mich zu ergeben. Ich ließ das Vordersegel hissen und steuerte auf die Küste zu, in der Absicht, mich und die Mannschaft in einer großen Stadt zu ergeben, die, wie ich wußte, ungefähr zwölf Meilen weiter oben an der Küste lag. Mich auf dem Platze zu stellen, wo ich die Schiffe genommen hatte, hielt ich nicht für klug.

Als wir am dritten Morgen die Segel spannten, waren wir noch eine halbe Meile vom Lande entfernt und befanden uns ganz in der Nähe des Hafens, von dem wir ausgelaufen waren. Man hatte grobes Geschütz zur Stelle geschafft, das uns in der Schußlinie aber nicht erreichen konnte. Ich setzte immer mehr Segel bei und steuerte die Küste entlang, bis ich auf ein paar Kabellängen dem Damme nahe war, auf welchem sich Männer, Weiber und Kinder versammelt hatten, um uns landen zu sehen. Plötzlich erhob sich wieder ein Sturm mit Schneegestöber; der Wind sprang um und blies mit solcher Heftigkeit, daß ich weder den Hafen sehen, noch windwärts hineinsteuern konnte, und da ich wußte, daß ich mein Eigenthum nicht erhalten konnte, beschloßen wir, den günstigen Wind zu benützen, das Steuer umzuwenden und auf unser Schiff loszusegeln, das ungefähr vierzig Meilen entfernt sein mochte.

Alles ging prächtig von Statten; um eilf Uhr Nachts riefen wir die Fregatte an und verlangten ein Boot. Sie hatten uns herankommen sehen; das Boot erschien im Augenblicke, führte uns Alle an Bord der Fregatte und ließ frische Leute auf der Prise zurück.

Ich war wahnsinnig vor Hunger und Kälte, und meine ganze Mannschaft so erschöpft und entkräftet, daß wir kaum die Schiffswand hinaufkamen. An Bord angekommen, ward ich in die Kajüte beschieden, denn es war dem Kapitän zu kalt, um sein holdes Antlitz auf dem Verdecke zu zeigen. Seine Lordschaft saß vor einem behaglichen Feuer, seine Füße gegen das Kamingitter gestützt; eine Krystallflasche Meideira stand nebst einem Weinglase auf dem Tisch, und zu meinem großen Glück, wiewohl nicht zu meinem Gebrauche bestimmt, ein großer Pokal daneben. Mit der einen Hand ergriff ich den Becher, mit der andern die Flasche, goß ihn bis an den Randvoll und stürzte in einem Augenblicke den Inhalt hinunter, ohne nur Seiner Lordschaft Gesundheit zu trinken. Er starrte mich an und hielt mich ohne Zweifel für wahnsinnig; auch muß ich gestehen, daß meine Kleidung und meine ganze äußere Erscheinung meinen Handlungen völlig entsprach. In den drei Tagen meiner Abwesenheit hatte ich mich weder gewaschen noch rasirt noch gesäubert. Mein Bart war lang, meine Wangen hohl, meine Augen eingefallen, und über meinen Magen mögen die unglücklichen Franzosen urtheilen, welche aus dem russischen Feldzug zurückkamen, denn sie allein vermögen meine Leiden zu schätzen. Mein ganzes hageres Knochengerüste war in einen weiten blauen Vließinger Rock eingewickelt, der gleich einer Gußtorte mit Eis und Schnee überdeckt war. Sobald ich der Sprache mächtig war, sagte ich: »Um Vergebung, Mylord, so lange ich vom Schiffe abwesend war, habe ich nichts zu essen und nichts zu trinken gehabt.«

»O dann sind Sie mir willkommen,« erwiederte Seine Lordschaft; »ich glaubte, Sie nicht mehr zu sehen.«

»Wenn dies der Fall ist, weßhalb schickten Sie mich denn fort?« dachte ich bei mir selbst.

Während dieses kurzen Zwiegesprächs hatte er mir weder einen Stuhl noch irgend eine Erfrischung angeboten, deren ich doch so sehr bedurfte; und wenn es mir möglich gewesen wäre, so hätte ich ihm stehend Bericht über meine Abenteuer erstatten müssen. Ich war im Begriff, zu beginnen, als mir der Wein in den Kopf stieg, und ich gegen die Rückenlehne eines Stuhles taumelte, um mich zu halten.

»Lassen wir das,« sprach der Kapitän, durch meine Lage augenscheinlich aus seiner stumpfen Gefühllosigkeit emporgerüttelt; »gehen Sie und machen Sie sich's bequem, ich kann das Alles morgen hören.«

Dies war der einzige Beweis von Güte, den er mir je gegeben hatte, und er kam so sehr à propos, daß ich mich ihm dafür verpflichtet fühlte. Ich dankte ihm und ging in die Constabelkammer hinab, wo ich trotz Allem, was ich von den Gefahren der Ueberfüllung nach langem Fasten gehört und gelesen hatte, Speisen und Getränke mit heißhungriger Gier verschlang, während ich in den einzelnen Zwischenräumen meinen Tischgenossen, welche mir mit Erstaunen zusahen, erzählte, wie nahe wir daran gewesen, den Leichnam zu zerschneiden und zu kochen. Als Augenzeugen meines Appetits setzten sie nicht das geringste Mißtrauen in meine Glaubwürdigkeit. Die drei Matrosen, welche ich zurückgebracht hatte, empfahl ich der Pflege des Schiffsarztes und gab mit seiner Erlaubniß jedem derselben eine Pinte reichlich versüßten Grogs zum Schlaftrunk.

Nachdem ich diese Vorsichtsmaßregel ergriffen und die Forderungen der Natur von meiner Seite, sowie die Forderungen der Neugierde von Seiten meiner Tischgenossen befriedigt hatte, ging ich zu Bett und schlief einen gesunden Schlaf, der bis an den folgenden Mittag anhielt.

Also endete diese ungereimte und verhängnißvolle Expedition – ein Gesandter mit der heiligen Friedensfahne ausgeschickt, um unter ihrem Schutze eine Handlung der Feindseligkeit zu vollführen! Unter solchen Umständen gefangen zu werden, wäre unser Todesurtheil gewesen; man hätte uns wie Hunde am ersten besten Baume aufgehängt, und unbewaffnet abzufahren, wäre Tollheit gewesen; deßwegen hatte ich es auch über mich genommen, einem ungerechten und vernunftwidrigen Befehle entgegen zu handeln. Dies müssen jedoch nicht die niedereren Offiziere als ein nachzuahmendes Beispiel, sondern die höheren als eine Warnung betrachten; für jene ist Gehorchen stets der sicherste Weg, für diese ist es Pflicht, keinen Befehl zu geben ohne zuvor die Folgen genau erwogen zu haben. In gegenwärtigem Falle verlor die Flotte Seiner Majestät achtzehn wackere Bursche unter den grausamsten Leiden, und zwar wegen eines Bootes, das der Kapitän ein Privateigenthum nannte und Jedermann für zwanzig Pfund zu theuer gefunden hätte.

Kaum war ich angekleidet, als mir der erste Lieutenant sagen ließ, daß er mich zu sprechen wünsche. Ich erinnerte mich an die unbedeutende Geschichte mit der Ausforderung, und sagte bei mir selbst: »Ein köstliches Nachspiel der Tragödie, vom ersten Lieutenant erschossen zu werden, weil ich ihn eben so pfiffig fand, als den Kapitän.« Der Lieutenant hatte jedoch keine solche barbarische Absichten; er hatte die Wahrheit meiner Bemerkung eingesehen und anerkannt, und da er ein gutmüthiger Nordländer war, reichte er mir seine Hand. Ich hatte genug durchgemacht, um sie nicht freudig zu ergreifen.


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