Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Es rauschet Englands Macht herauf,
Den Kampfplatz zu erreichen;
Doch schneller noch in ihrem Lauf
Sieht man der Vorhut Zeichen.
»Auf. Bravo!« ruft der Hauptmann. Die Kanonen
Entsenden aus dem ehrnen Mund
Des Todes Schatten um die Schiffe rund,
Dem Orkan gleich, der aus der Tiefen Grund
Sein Dunkel breitet bis hinauf zur Sonnen.

Campbell.

In Betracht meiner Jugend und Unerfahrenheit, so wie der geringfügigen Nachlässigkeit, deren ich beschuldigt wurde, wird es wohl selbst unter den strengsten Eiferern der Disciplin wenige geben, welche es nicht gestehen, daß ich vom ersten Lieutenant ungerecht und rücksichtslos behandelt wurde, indem er sich (allen Respekt sonst vor ihm!) auf die Seite meiner Feinde stellte. Der zweite Lieutenant und Murphy verhehlten bei dieser Gelegenheit ihre Gefühle durchaus nicht, sondern frohlockten über meine Ungnade.

Plötzlich wurde unser Schiff nach Portsmouth beordert, wo der Kapitän, der in Urlaub war, zu uns kommen sollte. Dieß geschah auch bald nach unserer Ankunft, und der erste Lieutenant machte seinen Rapport über die gute und schlechte Aufführung der Leute während seiner Abwesenheit. Ich hatte meinen Dienst ungefähr zehn Tage im Vortop versehen, und Mr. Handstone beabsichtigte – auch der Kapitän schien dieser Maßregel durchaus nicht abgeneigt – mich wegen der zwei verlorenen Matrosen an der Kanone durchpeitschen zu lassen. Diese Exekution unterblieb jedoch. Ich fuhr fort, die Midshipmensmenage zu beziehen, durfte aber nicht in's Speisezimmer kommen: man schickte mir die Mahlzeiten, die ich allein auf meinem Kasten verzehrte. Die Jüngeren sprachen mit mir, jedoch nur verstohlen, weil sie die Aelteren fürchteten, die den strengsten Verruf gegen mich verordnet hatten.

Mein Dienst im Vortop bestand im Grunde nur dem Namen nach. Beim Verlesen, oder wenn ich die Wache hatte, stieg ich hinauf und unterhielt mich mit einem Buche, bis wir wieder herabkamen, soferne ich nicht irgend einen kleinen Dienst zu thun hatte, der meine Kräfte nicht zu übersteigen schien. Die Matrosen liebten mich als einen Märtyrer ihrer Sache, und machten sich ein Vergnügen daraus, mich in der Kunst des Knotenschlingens und Einflechtens, im Takeln, Reefen, Aufrollen u. dgl. m. zu unterrichten; ich gestehe daher redlich, daß ich meine glücklichsten Stunden auf diesem Schiffe während meiner Verweisung unter die Topmannschaft verlebte. Ob meine Feinde dies entdeckten oder nicht, kann ich nicht sagen; aber bald nach unserer Ankunft ließ mich der Kapitän nach seiner Kajüte bescheiden, wo mir wegen meiner üblen Aufführung, das heißt, wegen meinem angeblich reizbaren und händelsüchtigen Charakter, wie auch wegen Verlustes zweier Matrosen aus meinem Boote, tüchtig der Text gelesen wurde.

»Wenn Sie sich nicht sonst im Allgemeinen gut betragen hätten,« fügte er bei, »so wäre Ihnen eine weit schärfere Strafe zu Theil geworden; ich zweifle jedoch nicht, daß diese kleine Strenge zur rechten Zeit Sie veranlassen wird, sich in Zukunft passender zu benehmen. Der schimpfliche Dienst, zu dem Sie verurtheilt wurden, soll Ihnen fortan erlassen sein, und ich erlaube Ihnen, zu Ihren Verrichtungen auf dem Halbdeck zurückzukehren.«

Thränen, wie sie mir keine Rohheit oder Mißhandlung hätten erpressen können, strömten reichlich über meine Wangen, und es stand einige Minuten an, bis ich mich hinreichend erholt hatte, um ihm für seine Güte zu danken und den Grund meiner Ungnade namhaft zu machen. Ich theilte ihm mit, daß ich, freilich ohne sein Vorwissen, seit meiner Anwesenheit auf dem Schiff, wie ein Hund behandelt worden sei, und daß er allein mit Menschlichkeit sich gegen mich benommen habe. Ich erzählte ihm sodann meine ganze Leidensgeschichte, von dem verhängnißvollen Glas Wein an bis zu dem gegenwärtigen Augenblicke, ohne ihm zu verhehlen, daß ich Murphy's Hängematte durchschnitten und ihm den Leuchter an den Kopf geworfen hatte, versicherte ihm aber zugleich, daß ich nie der erste Angreifer gewesen sei, sondern nur Genugthuung genommen habe, wenn ich zuerst schimpflich behandelt wurde. Ferner erklärte ich, daß ich mir nie einen Schlag oder einen ungebührlichen Namen gefallen lassen würde, ohne nach Kräften Rache zu nehmen; dies liege einmal in meiner Natur, und ich könne nicht anders, selbst wenn ich dafür todtgeschlagen werden sollte.

»Seit ich am Schiff bin,« fügte ich bei, »und auch schon früher, sind viele Matrosen desertirt, ohne daß die Offiziere, deren Obhut sie anvertraut waren, mehr als einen Verweis erhalten hätten, während ich, der ich kaum erst zur See gekommen bin, die größte und beschimpfendste Strenge erfahren mußte.«

Der Kapitän hörte meine Verteidigung aufmerksam an, und es kam mir vor, als ob sie einen nicht unbedeutenden Eindruck auf ihn geübt hätte. Ich erfuhr nachher, daß Mr. Handstone wegen seines harten Benehmens gegen mich einen Verweis erhalten und er darauf bemerkt habe, wenn ich mich mit der Zeit nicht auszeichne, so solle ich zum Teufel fahren.

Ich sah nun ziemlich klar, daß ich mir doch einige mächtige Freunde, darunter namentlich den Kapitän, erworben hatte, wie sehr auch der Stolz meiner älteren Tischgenossen durch meinen Widerstand gegen ihre Willkür gereizt und zur Rachsucht angespornt worden sein mochte. Viele von den Offizieren bewunderten den störrischen, durch nichts zu bewältigenden Geist, mit dem ich mir ohne Unterlaß Genugthuung zu verschaffen wußte, und sahen sich zu der Anerkennung genöthigt, daß das Recht auf meiner Seite sei. Wie sehr sich die Stimmung zu meinen Gunsten änderte, ersah ich aus den häufigen Einladungen zur Mahlzeit in der Kajüte und in der Konstabelkammer. Die jüngeren Midshipmen rechneten sich zur Ehre, mich wieder offen als einen der Ihrigen anerkennen zu dürfen, während die älteren mich eben so eifersüchtig und argwöhnisch bewachten, wie etwa eine unpopuläre Regierung einen beliebten, radikalen Parlamentsredner.

Ich entwarf bald mit den jungen Leuten von meinem Alter einen Plan zum Widerstand, oder vielmehr zur Selbstvertheidigung, der in unserem künftigen Kriege große Bedeutsamkeit gewann. Ein paar hatten Kraft genug, ihn in Ausführung zu bringen, während die übrigen schöne Versprechungen machten, aber in der Stunde der Prüfung abfielen. Mein Codex enthielt nur zwei Verpflichtungen: die erste lautete, schnell eine Flasche, einen Krug, einen Leuchter, ein Messer oder eine Gabel Jedem an den Kopf zu werfen, der es wagen sollte, einen von uns zu schlagen, es müßte denn sein, daß der Angreifer an Kräften nicht so weit überlegen war, um eine ehrliche Boxerei mit ihm zulässig zu machen. Der zweite Artikel bestimmte, daß wir uns nie unbilligerweise um unsere Rechte verkürzen lassen sollten; was wir wie Andere bezahlten, wollten wir auch ebenso haben, und brauche man gegen uns Gewalt, so müßten wir uns durch List helfen.

Ich setzte meinen Genossen auseinander, daß wir uns durch Befolgung des ersten Grundsatzes wenigstens Höflichkeit sichern würden, denn da Tyrannen in der Regel Feiglinge seien, so würden sich unsere Quäler wohl in Acht nehmen, Jemand zu einem Zorne zu reizen, der in einem unglücklichen Augenblicke verhängnißvoll für sie werden und ihnen wohl gar an's Leben gehen könnte. Durch Handhabung unseres zweiten Artikels wahrten sie sich einen gleichen Antheil an jenen Lebensannehmlichkeiten, welche die Mehrzahl der älteren für sich in Anspruch nahmen. In letzterer Hinsicht bestand auch größere Einmüthigkeit, als in Artikel Nummer Eins, da man dabei weniger persönliche Gefahr zu besorgen hatte. In Betreff der Beischaffung von Lebensmitteln entwarf ich sämmtliche Pläne, die auch in der Regel zu ihrem Ziele führten.

Endlich segelten wir ab, um uns der unter Nelson's stehenden Flotte vor Cadix anzuschließen. Ich will es nicht versuchen, die Fahrt durch den Kanal und über die Bay von Biscaya zu schildern, denn ich war so seekrank, wie eine Dame in einem Dower-Packetboot, bis ich, durch die unbarmherzige Verwendung zum Dienst sowohl im Mast oben, als bei Ablösung der Deckwachen, an die Bewegung des Schiffes gewöhnt wurde.

Wir erreichten unsere Station und schlossen uns dem unsterblichen Nelson nur wenige Stunden vor der Schlacht an, in welcher dieser Held sein Leben verlor und das Vaterland rettete. Die Geschichte jenes denkwürdigen Tages ist so oft und so umständlich geschildert worden, daß ich dem bereits Veröffentlichten nicht viel weiter beizufügen weiß; überhaupt kann ich mich auch nicht genug wundern, wie in Anbetracht der Verwirrung und des ewigen Wechsels während einer Seeschlacht nur so viel bekannt werden konnte. Eine Bemerkung fiel mir jedoch damals auf, an die ich seit jener Zeit mit immer größerer Ueberzeugung oft gedacht habe – daß nämlich der Admiral nach Beginn der Schlacht aufhören mußte, als Admiral thätig zu sein, denn er konnte weder selbst sehen, noch gesehen werden, und war daher eben so sehr außer Stande, von der schwachen Seite des Feindes Vortheil zu ziehen, als seine eigene zu vertheidigen; sein Schiff, die Victoria, eines unserer schönsten Dreidecker, war so zu sagen gefesselt an die Seite eines französischen achtzig Kanonen-Schiffes.

Da ich dieselben Wahrnehmungen auch in irgend einem nautischen Werke gelesen habe, so findet diese meine Angabe auch noch weitere tatsächliche Bekräftigung. So jung ich auch war, konnte ich mich doch, als ich die edlen Führer unserer zwei Reihen dem vereinigten Feuer so vieler Schiffe ausgesetzt sah, eines ängstlichen Gefühles um den Ruhm meines Vaterlandes nicht erwehren. Ich meinte, daß Nelson zu sehr bloßgestellt sei, und bin auch jetzt noch dieser Ansicht. Die Erfahrung hat bestätigt, was mir mein jugendliches Vorstellungsvermögen eingab. Das feindliche Centrum hätte durch unsere sieben Dreidecker macadamisirt werden sollen, nun aber befanden sich einige davon so weit in der Nachhut, daß sie nur wenig Antheil am Gefecht nehmen konnten und, wäre es nicht um ihres einschüchternden Anblicks gewesen, eben so gut in Spithead hätten liegen können. Ich beabsichtige übrigens durchaus keinen Tadel gegen die Offiziere, die dieselben befehligten, denn die Zufälligkeiten eines leichten Windes und ihrer Stellung in der Linie, warfen sie so weit von dem Feinde zurück, daß sie den größten Theil des Tages im Hintergrunde bleiben mußten.

Andere dagegen waren in beneidenswerthen Positionen, benahmen sich aber nach den Aeußerungen der Offiziere nicht ganz so, als es hätte sein können. Dieser Mangel auf unserer Seite wurde jedoch durch gleiche Nachtheile, welche bei dem Feinde aus ganz ähnlichen Ursachen erwuchsen, hinreichend überwogen, und so blieb uns ein glänzender Sieg. Die Gesammtheit der brittischen Flotte ist gut und tapfer; wir können daher mit Recht sagen, daß nur wenige die Hoffnungen ihres Vaterlandes täuschten, wenn England erwartete, daß jeder einzelne Mann seine Pflicht thue.

Nie und nimmer werde ich der elektrischen Wirkung vergessen, welche das ewig denkwürdige Signal auf die ganze Flotte übte. Ich kann sie mit nichts vergleichen, als mit der einer Lunte, die an eine lange Linie von Schießpulver gelegt wird. Da in Vaterlandsfragen alle Engländer sich gleich sind, so verbreitete sich dasselbe Gefühl, dieselbe Begeisterung durch alle Schiffe, und manchem edlen Streiter rannen Thränen über die Wangen, als der ergreifende Aufruf bekannt gemacht wurde. Er erinnerte an alle vergangene Siegestage und erfüllte das Heer mit frohen Vorahnungen, die für viele leider nicht verwirklicht werden sollten. In besonnener Ordnung begab man sich an die Geschütze, und ein ruhiger, überlegter Muth schien von diesem Augenblicke an auf dem Gesichte eines Jeden, den ich sah, zu ruhen.

Obgleich mein Kapitän nicht in der Linie stand, so ließ er doch sein Geschütz nicht unthätig sein; es gehörte zwar nicht zu seinem Berufe, in die Schußweite des Feindes zu laufen, bis er durch Signal aufgefordert wurde, hielt es aber demungeachtet für seine Pflicht, sich so nahe als möglich an unsere im Kampfe begriffene Schiffe zu halten, um ihnen im Nothfalle Beistand zu leisten. Ich stand an den vordersten Kanonen des Hauptdeckes und das Schiff wurde für das Treffen geräumt; aber obschon der Maßstab nur klein zu nennen war, so kann ich mir doch kaum einen feierlicheren, großartigeren oder eindrucksvolleren Eindruck denken, als jene Vorbereitungen in einem solchen Augenblicke. Die edlen Geschützreihen, die sich in einer sanften Krümmung von dem Centrum abbogen, das Takel quer über dem Deck, Kugeln und Kartätschen nebst Patronen und Propfen in reichlicher Masse aufgehäuft, die Pulverjungen, jeder auf einem gefüllten Kasten sitzend und mit vollkommener Gleichgültigkeit dem Beginnen des Kampfs entgegensehend; die Constabler mit um den Leib geschnallten Zündbüchsen neben ihrem Geschütze; die um die Kanonen befestigten Spannstricke und Aufholer, und endlich die Offiziere, welche mit gezogenen Degen bei ihren Abtheilungen standen!

Auf dem Halbdecke führte der Kapitän das Kommando; ebendaselbst befand sich der erste Lieutenant, der Lieutenant der Seesoldaten mit einer Abtheilung seiner Leute, der Mate, eine Partie Midshipmen und ein Matrosenhaufen, um die Brassen und die Halbdeckkanonen zu bedienen. Der Hochbootsmann war in der Back, der Geschützmeister theilte in der Pulverkammer den Schießbedarf aus, und der Zimmermann beobachtete und rapportirte von Zeit zu Zeit die Tiefe des Wassers in dem Pumpenfond; deßgleichen durchwandelte er die Flügel oder freien Räume zwischen den Schiffsseiten und den Ankertauen oder andern Vorräthen, während seine Gehülfen stets mit Schußpropfen, Werg und Talk zur Hand waren, um sogleich jedes durch eine Kugel gemachte Leck zu verstopfen.

Der Wundarzt befand sich mit seinen Gehülfen in dem Krankenverschlag und hatte Messer, Sägen, Tourniquet, Schwämme, Becken, Wein und Wasser bereit, um ohne Zögerung sein Werk an dem ersten besten unglücklichen Verwundeten beginnen zu können. Von Allem übte dies den unheimlichsten Eindruck auf mich.

»Wie bald,« dachte ich, »liegst auch du verstümmelt und blutend auf diesem Tische ausgestreckt und hast Gelegenheit, die Geschicklichkeit des Mannes und den Werth der Instrumente, die du jetzt vor dir siehst, zu erproben!« Ich wandte mich ab und gab mir Mühe, die schreckliche Schaustellung zu vergessen.

Sobald die Flotte dem Feinde näher rückte, um mit ihm anzubinden, zogen auch wir nach, und hielten uns dabei so nah wie möglich an den Admiral, dessen Signal wir weiter zu verbreiten hatten. Ich war nicht wenig erstaunt über die Geschicklichkeit, mit welcher dies ausgeführt wurde, denn mit wunderbarer Schnelligkeit wehten dieselben Flaggen, welche das Admiralschiff aufgehißt hatte, von unseren Mastspitzen – nur um so wunderbarer, da die Flaggen des letzteren in runden Bällen in die Höhe stiegen und nicht eher zu flattern begannen, bis sie die Topenden erreicht hatten; die Signaloffiziere eines Repetirschiffs mußten also die maskirte Flagge schon während des Aufhissens an der Nummer erkannt haben. Dies war nur durch gute Teleskope und häufige Uebung möglich, wobei allerdings hin und wieder auch durch eine Divination des nächsten Signals das Werk gefördert wurde.

Der Leser weiß vielleicht nicht, daß in den Seekriegen gebildeter Nationen Linienschiffe nie auf Fregatten feuern, wenn letztere nicht selbst angreifen oder eine derartige feindliche Demonstration durch Eindringen zwischen die im Kampf begriffenen Schiffe herbeiführen; ersteres war auf dem Nil der Fall, als Sir James Saumarez, der den Orient kommandirte, sich genöthigt sah, die Verwegenheit der Artemise dadurch zu bestrafen, daß er sie mit einer einzigen vollen Lage in den Grund schoß. Vermöge dieser friedlichen Uebereinkunft im Kriege hätten wir schußfrei ausgehen können, wenn uns nicht allzufreigebig die Kugeln zugekommen wären, die größeren Schiffen zugedacht waren, aber demungeachtet ernstlichen Schaden unter unserer Mannschaft anrichteten.

Der großartigste Anblick, dessen ich Zeuge gewesen, waren die zwei parallel laufenden britischen Linien, welche beinahe senkrecht gegen den offenen Halbmond der feindlichen Flotte standen. Sobald sich unsere Vorhut in dem Bereiche der gegnerischen Schußweite befand, wurde das Feuer gegen den Royal Souvereign und die Victoria eröffnet; als aber das erstere dieser beiden edlen Schiffe, unter dem Stern der Santa Anna umholte, und die Victoria sich urplötzlich an den Bord des Redoutable festlegte, hüllte eine Wolkenmasse beide Flotten ein, so daß man wenig mehr erkennen konnte, als hin und wieder das Fallen eines Mastes und, wenn sich der Pulverdampf verzog, ein völlig abgetakeltes Schiff.

Zu den letzteren gehörte auch ein englisches Schiff, das zwischen zwei feindlichen stand, weßhalb unser Kapitän hinan segelte, um es in's Schlepptau zu nehmen. Zu gleicher Zeit eröffnete eines unserer Linienschiffe ein schweres Feuer auf ein französisches, das unglücklicherweise in gerader Linie zwischen uns lag, weßhalb die Kugeln, die den Feind fehlten, bisweilen zu uns an Bord kamen. Ich sah eben zu der Bugpforte hinaus, als ein Schuß den Spiegel unseres Schiffes zwischen Wind und Wasser traf. Nie zuvor war ich Zeuge der Wirkung einer schweren Kugel gewesen; sie machte, wie mich damals dünkte, ein ganz entsetzliches Geräusch und spritzte mir eine Masse Wasser in's Gesicht. Natürlich fuhr ich zurück, und es wäre wohl manchem braven Kerl ebenso ergangen; indeß wurde ich dafür von zwei Matrosen, welche bei meinem Geschütze aufgestellt waren, ausgelacht. Dies beschämte mich und ich faßte den Entschluß, künftig keine Schwäche mehr zu zeigen.

Genanntem Schuß folgten bald einige andere, die nicht so ganz unschädlich abliefen. Eine Kugel flog durch die Bugpforte herein und tödtete die beiden Männer, welche Zeugen meines Schreckens gewesen waren. Ihr Lachen hatte meinen Stolz verletzt und ich gestehe, daß ich mich heimlich freute, als ich sah, wie sie jetzt nichts mehr ausplaudern konnten.

Es würde schwer sein, meine Gefühle bei dieser Gelegenheit zu schildern. Noch vor sechs Wochen war ich der Dieb im Hühnerhof und Garten – der Held in einer Pferdeschwemme, der einen Unterlehrer tauchte – und nun befand ich mich mit einemmale in der Mitte eines Gemetzels, ein mitwirkendes Glied an einem jener großen Ereignisse, durch welches das Schicksal der civilisirten Welt zur Entscheidung gebracht werden sollte.

Der beschleunigte Kreislauf meines Bluts, vielleicht auch die Furcht vor einem plötzlichen Tode und die noch größere vor Schande, zwang mich zu einem öfteren Wechsel meiner Stellung; auch bedurfte es einiger Zeit und der kräftigsten Selbstermuthigung, um mich in eine Stimmung zu versetzen, die mich so gleichgültig und sicher sein ließ, wie wenn ich im Hafen gewesen wäre. Ich brachte es übrigens endlich so weit, und schämte mich bald der Angst, die mich bei dem Beginnen des Feuers ergriffen hatte. Es ist zwar wahr, daß ich betete – doch war es nicht das Gebet des Glaubens, des Vertrauens oder der Hoffnung, da es blos Abwendung einer plötzlichen und unmittelbaren Gefahr betraf: auch bestand es nur aus ein paar kurzen, inbrünstigen Stoßseufzern, ohne eine Spur von Reue über die Vergangenheit, oder einem Gedanken an Besserung für die Zukunft.

Als wir jedoch einmal tüchtig im Feuer standen, fühlte ich keine derartige Anwandlungen mehr, denn ich konnte jetzt mit derselben Kaltblütigkeit durch eine Kugel einen armen Nebenmenschen entzwei reißen sehen, als ich sonst Zeuge war, wenn ein Fleischer einen Ochsen schlachtete. Ob mein Herz schlecht war oder nicht, kann ich nicht sagen; so viel aber ist richtig, daß die Befriedigung meiner Neugierde die Erschütterung meiner Gefühle überwog, als einmal ein Schuß sieben Mann tödtete und drei weitere verwundete. Es that mir zwar Leid um die Leute, und ich hätte ihnen nicht um die Welt etwas Böses gewünscht, aber ich hatte einige Anlage zum Philosophen, verglich gerne Ursache und Wirkungen, und war es in meinem Innern nicht unzufrieden, Zeuge von dem Effekte eines scharfen Schusses zu sein.

Gegen vier Uhr Nachmittags begann das Feuern nachzulassen; der Pulverdampf verzog sich und die ruhige See wurde durch eine stärker und stärker werdende Brise gekräuselt. Die beiden feindlichen Flotten betrachteten jetzt die gegenseitigen Verheerungen. Wir hatten neunzehn oder zwanzig Linienschiffe genommen. Einige der feindlichen Fahrzeuge flüchteten sich nach Cadix, während vier andere windwärts von unserer Flotte Reißaus nahmen. Ich sprang in ein Boot, das von uns aus zu einem benachbarten Schiffe ging, und erfuhr daselbst Lord Nelson's Tod, welchen ich meinem Kapitän rapportirte. Nachdem derselbe dem Andenken des großen Mannes den gebührenden Zoll abgetragen hatte, betrachtete er mich sehr wohlgefällig. Ich war der einzige von den jüngeren Cadeten, der sich besonders thätig erwiesen hatte, und er entsandte mich alsbald mit einem Auftrage nach einem nahe gelegenen Schiffe. Der erste Lieutenant fragte, ob er nicht einen Offizier von mehr Erfahrung schicken solle. »Nein,« versetzte der Kapitän, »dieser soll gehen. Der Junge weiß recht wohl, was er zu thun hat.« Ich entfernte mich daher mit nicht geringem Stolze auf das auf mich gesetzte Vertrauen.

Weitere Einzelnheiten über diesen bedeutungsvollen Tag finden sich in unseren vaterländischen Geschichtsbüchern; es wird daher zwecklos sein, sie hier zu wiederholen. Als ich zum Nachtessen nach der Midshipmen's-Back ging, that es mir sehr leid, unter meinen Tischgenossen auch noch Murphy zu sehen. Ich hatte mir geschmeichelt, daß mich irgend ein glücklicher Schuß um seinetwillen aller Sorge entheben würde; doch seine Zeit war nicht gekommen.

»Der Teufel hat heute eine schöne Ernte gehabt!« sagte ein alter Schiffmeistersmate, als er ein Glas Grog leerte.

»Schade, daß ihm du und einige Andere, die ich nennen könnte, nicht gleichfalls unter die Sichel geriethen!« dachte ich in meinem Innern.

»Ich hoffe, es ist ein hübsches Häuflein Lieutenants auszufüllen,« sagte ein anderer, »daß es doch einige Aussicht auf Beförderungen gibt!«

Sobald die Mannschaft verlesen wurde, stellte es sich heraus, daß wir neun Todte und dreizehn Verwundete hatten. Bei dieser Kunde sah es aus, als ob sich eher ein allgemeines Lächeln der Beglückwünschung, nicht aber ein Bedauern wegen des Verlustes der Gefallenen über alle Anwesenden verbreite. Die Eitelkeit der Offiziere schien durch das unverhältnißmäßige Gemetzel auf einer Fregatte von unserer Größe, wenn man es mit dem verglich, was die Linienschiffe gelitten hatten – gekitzelt zu werden.

Ich begleitete den Wundarzt in das Zwischendeck und nach dem Platze, wohin die Verwundeten gebracht wurden. Mit Gelassenheit sah ich daselbst den vorgenommenen Amputationen zu, während Männer, die sich bei dem Gefechte äußerst brav benommen hatten, bei dem Anblicke fast ohnmächtig wurden. Ja, ich fürchte sogar, daß ich beinahe ein Vergnügen an den Operationen des Wundarztes fand, ohne auch nur ein einziges Mal an die Schmerzen zu denken, welche die Patienten auszustehen hatten. Die Gewohnheit hatte bereits angefangen, mein Gemüth zu verhärten. Von Natur war meine Sinnesart nicht grausam, aber ich liebte es, verborgenen Dingen auf den Grund zu gehen, und die Schlacht dieses Tages verschaffte mir eine sehr klare Einsicht in die menschliche Anatomie, da ich bald einen Leib durch eine Kugel entzweireißen, bald durch Splitter zerfleischen, mit Messern zerschneiden oder mit Sägen zertrennen sah! Kurze Zeit nach dem Treffen erhielten wir Befehl zu einer Eilfahrt nach Spithead. Eines Morgens hörte ich einen Midshipman sagen, er wolle seinem alten Papa neues Rüstzeug abzwacken. Ich fragte ihn, was er damit sagen wolle, und wurde zuerst für meine Unwissenheit ein Grünschnabel genannt, worauf er mir die Sache auseinander setzte.

»Weißt du nicht,« sagte mein Lehrer, »daß nach jedem Treffen in den Schiffsrechnungen weit mehr Segeltuch, Tauwerk und Farbe aufgeführt ist, als durch den Feind verderbt wurde.«

Ich bejahte dies auf Treu und Glauben, ohne zu wissen, ob sich's so verhielt oder nicht, worauf er fortfuhr: »Wie könnten wir weiße Hängemattenzeuge, Wolkensegelmasten und sonstigen Zierrath, außerdem auch alle sechs Wochen einen frischen Anstrich haben, wenn wir nicht sämmtliche derartige Dinge im Treffen verlören und angäben, sie seien über Bord gefallen oder zerstört worden. Die Defektenliste wird dem Admiral übergeben, der dieselbe unterzeichnet, und dann muß der Arsenalkommissär damit ausrücken, mag er nun wollen oder nicht. Ich war einmal auf einer Kriegsschaluppe, als eine große Vierundvierzigkanonenfregatte gegen unsern Bord rannte, und unsern Klüverbaum abstieß, so daß das große, schöne Luvklüver an unserer Fockraa hängen blieb. Es war aus schönem russischen Segeltuch gemacht, aber wir gewannen dabei nicht nur eine hübsche Ausstattung von Hängemattenzeug für das Vorder- und Hinterschiff, sondern auch weiße Beinkleider für die Mannschaft. Du siehst nun, wie wir Onkel George für unsere Beschädigungen büßen lassen, und so gedenke ich es auch mit meinem eigenen Geräthe zu halten. Ich habe im Sinn, meine Koffer mit meinem gesammten Rüstzeug über Bord fallen zu lassen und zu meinen werthgeschätzten Eltern in einem Zustande zurückzukehren, daß sie mich ganz nach neuester Mode herausstaffiren lassen können.«

»Du gedenkst also wirklich, deinen Vater und deine Mutter in dieser Weise zu täuschen?« versetzte ich mit scheinbarer Unschuld. »Ob ich gedenke? warum sollte ich nicht, du Einfaltspinsel? Wie kann ich meine Equipirung in Ordnung halten, wenn ich von einer Schlacht, wie die war, welche wir mitgemacht haben, nicht den geeigneten Nutzen ziehe?«

Ich schrieb mir diesen Wink hinter's Ohr, denn es fiel mir nie ein, daß meine Eltern mit Freuden Alles bestritten haben würden, was ich zu einem anständigen Auftreten auf dem Halbdeck nöthig hatte, wenn ich ihnen offen und ehrlich meine Bedürfnisse namhaft gemacht hätte. Ich hatte aber bereits die Schule der Verschmitztheit durchgemacht, und obgleich ich wohl auch die Wahrheit sagen konnte, wenn sie meinen Zwecken dienlich war, so hielt ich doch in dem gegenwärtigen Falle die Täuschung für ein Verstandespröbchen, auf das ich mir etwas zu Gute thun konnte, weßhalb ich beschloß, sie in Anwendung zu bringen, wäre es auch nur, um mich in der guten Meinung meiner unwürdigen Kameraden ein wenig zu heben. Die Gewohnheit hatte mir eine Vorliebe für den Betrug eingeflößt, und ich zog es vor, meinen Witz in Ueberlistung meines Vaters zu üben, obschon ich durch offene und ehrliche Mittel das gleiche Ziel erreicht haben würde.

Das Schiff bedurfte einiger Ausbesserungen, und da der Kapitän mit meinem Betragen sehr zufrieden war, so erwies er sich nachsichtsvoll genug, mir Urlaub zu ertheilen, obgleich mir meine Anwesenheit während der Reparatur um der dabei zu erlangenden technischen Kenntnisse willen, weit besser zu Statten gekommen wäre. Dadurch verlor ich die Gelegenheit, zu lernen, wie ein Schiff ab- und aufgetakelt wird, wie man die Vorräthe, die Masten und den Ballast herausnimmt, und wie man es angeht, ein Schiff in die Docke zu bringen – deßgleichen auch, wie der Kiel beschaffen sein muß, um die Bewegung eines Schiffes zu beschleunigen oder zu verzögern. Doch all dies opferte ich der Ungeduld, meine Eltern wieder zu sehen, der Eitelkeit, mich mit einer Schlacht zu brüsten, bei der ich gegenwärtig gewesen war, und vielleicht auch der Aussicht, über Dinge zu lügen, die ich nie gesehen, oder von Heldenthaten zu sprechen, die ich nie verrichtet hatte. Ich liebte es, Aufsehen zu machen, und da ich mit meiner Schwester in Korrespondenz stand, so wurde es mir möglich, für die Rückkehr in das Vaterhaus eine Zeit abzupassen, in welcher eben eine große Gesellschaft zu einer üppigen Mittagstafel geladen war. Allerdings hatte meine Fahrt nur drei Monate gedauert, aber es war meine erste, und dann »hatte ich ja so viel gesehen und mich in so höchst interessanten Lagen befunden«.


 << zurück weiter >>