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Einundzwanzigstes Kapitel.

Es ist, sagt Blacke, nicht das Geschäft eines Seemannes, sich um Staatsangelegenheiten zu bekümmern, sondern nur darauf bedacht zu sein, daß uns die Fremden nicht für Narren halten.

Blacke's Leben von Dr. Johnson.

Die Fregatte kam dicht unter unserer Leeseite an den Wind, und in wenigen Minuten lag das Boot an unserem Schiffe. Der Offizier, welcher die Prise in Besitz nehmen sollte, eilte die Schiffswand hinauf und war im Augenblick auf dem Verdeck. Ich empfing ihn, sagte ihm mit wenigen Worten Namen und Bestimmung des Schiffes, und stellte ihm den Kapitän und Herrn Green vor, die ich wegen der Güte, welche sie mir erwiesen hatten, seiner besonderen Aufmerksamkeit und Berücksichtigung empfahl. Dann ersuchte ich ihn, in die Kajüte hinabzugehen. Er übergab das Verdeck einem Midshipman, den er mit sich gebracht hatte, und befahl ihm, einstweilen das Hauptsegel aufzuziehen und das Schiff in den gehörigen Stand zu setzen. Die Gefangenen erhielten die Weisung, sich in einer Stunde bereit zu halten.

Nachdem Licht in die Kajüte gebracht worden war, erkannten der Lieutenant und ich einander augenblicklich.

»Gott sei meiner Seele gnädig, Frank,« rief er aus, »wie kommen Sie hieher?«

»Das ist eine lange Geschichte,« erwiederte ich, »mit der ich wohl vor Morgen nicht zu Ende käme; aber sagen Sie mir doch, welches Schiff hat den Yankee genommen? Vermutlich die R – – und welchen Rang bekleidet mein Freund Talbot auf ihr?«

»Ihre Vermuthung ist richtig,« erwiederte er, »es ist die Fregatte R.; wir kreuzen auf der Kapstation. Ich bin erster Lieutenant und hiehergeschickt, um für das Gefecht auf der Basque-Rhede Beförderung zu holen.«

»Hart,« erwiederte ich, »daß Sie so lange auf das warten müssen, was Sie so redlich verdient haben; aber kommen Sie, wir haben viel zu thun. Lassen Sie uns nach den Gefangenen sehen; wenn Sie an Bord zurückkehren und den Kapitän, den Steuermann und einige der unruhigsten und saumseligsten Matrosen, die ich Ihnen bezeichne, mitnehmen wollen, so werde ich Alles thun, was in meinen Kräften steht, um diese Prise mit Tagesanbruch segelfertig zu machen, worauf ich dann Herrn Kapitän T – – meine Aufwartung machen werde, wenn er es gütigst erlauben will.«

Der Vorschlag wurde angenommen. Die von mir bezeichneten Leute mußten das Boot besteigen, wogegen vier Matrosen von der Bootsmannschaft an Bord der Brigg kamen, um mir bei meiner Arbeit zu helfen. Bald hatten wir das Schiff in Stand gesetzt und waren auf Alles vorbereitet. Ein Boot kehrte mit neuer Verstärkung zurück und nahm gegen zwanzig weitere Gefangene mit sich. Der Midshipman, welcher es befehligte, brachte mir einen höflichen Gruß vom Kapitän, und sagte mir in seinem Namen: er freue sich , die Prise in so guten Händen zu wissen, und erwarte mich Morgen um acht Uhr zum Frühstück; inzwischen ersuche er mich, sobald das Schiff segelfertig sei, an der Haupttakelung zwei Lichter in gleicher Höhe aufzuziehen, worauf wir dann mit einfachem Segel nordwärts an den Wind steuern wollten.

Es war eben vier Uhr Morgens vorüber, als wir das Signal gaben. Wir hielten uns auf der Wetterseite der Fregatte. Ich legte mich auf ein paar Stunden schlafen, wurde um sechs Uhr geweckt, kleidete mich an und war um halb acht Uhr bereit, an Bord zu gehen. Als ich mit Trommeln und Pfeifen das Signal auf die Wache geben hörte – nächst der himmlischen Stimme Emiliens die süßeste Musik, die je mein Ohr entzückt hatte – rannen Thränen der Dankbarkeit gegen Gott über meine Wangen, weil ich mich wieder unter den Schutz meiner geliebten Flagge gestellt sah. Die Fregatte legte bei, und bald darauf wurde das Gig niedergelassen, um mich abzuholen. Ein reiner weißer Mantel wurde auf den Spiegelbänken ausgebreitet, die Matrosen trugen Fräcke und Hosen von weißer Farbe, so rein, als man sie mit Wasser und Seife nur machen konnte, nebst niedlichen Strohhüten und Segeltuchschuhen. Ohne Verzug bestieg ich das Boot, und mein Herz pochte vor Entzücken, als der Bootsmannsgehülfe auf dem Plankengange das Signal zur Schiffswand für mich pfiff.

Ich war von dem Kapitän und den Offizieren mit der ganzen Herzlichkeit bewillkommt, die wir einander bei solchen Gelegenheiten erzeigen. Der Kapitän richtete tausend Fragen an mich, und die Lieutenants und Midshipmen drängten sich herzu, um meine Antworten zu hören. Die Schiffsmannschaft war eben so begierig, unsere Geschichte zu vernehmen, und ich ersuchte den Kapitän, das Gig nach Thompson zurück zu schicken, welcher zur Befriedigung der allgemeinen Neugierde beitragen könne. Dieß geschah, und der Brave kam an Bord. Seine erste Frage war: »Wer feuerte den ersten Schuß auf die Prise ab?«

»Der erste Marinelieutenant, Herr Spears,« antwortete einer der Matrosen.

»Dann soll Herr Spears für heute meinen Grog haben,« sagte Thompson, »denn ich gelobte es gestern Nacht, und ich werde meinem Worte nie untreu.«

»Das kann ich beschwören,« bemerkte der Kapitän des Kapers. »Ich habe Leute von guten Grundsätzen gekannt, und davon seid Ihr einer, aber ich habe auch Leute von schlechten Grundsätzen gekannt, und davon war derjenige einer, den Ihr gestern Abend zur ewigen Rechenschaft abgeschickt habt; und es war ein Glück für Euch, daß Ihr es thatet; denn so gewiß Ihr jetzt hier stehet, so gewiß würde Euch dieser Mann entweder mit dem Dolch, oder durch das Wasser, oder mit Gift aus der Welt befördert haben. Ich habe noch nie von einem Menschen gehört, welcher Peleg Oswald ungestraft geschlagen oder beleidigt hätte. Er war ein Mann aus Kentucky im Ohio-Staate, wo er sich ›niedergekauert‹ hatte, wie wir es nennen. Zwei Männer erschoß er mit seinem Stutzer, weil sie sich geweigert hatten, Grund und Boden mit ihm zu tauschen. Einem Dritten schlug er ein Auge aus, weil er nicht völlig mit seiner Meinung übereinstimmte. Diese Handlungen nöthigten ihn, das Land zu verlassen, denn er wurde nicht nur von den Dienern der Gerechtigkeit verfolgt, sondern auch von dem Manne, dem er ein Auge ausgeschlagen hatte, mit dem andern um so schärfer auf's Korn genommen, und eine Büchsenkugel wäre ihm gewiß gewesen, wenn er sich nicht ostwärts geflüchtet hätte und wieder in See gegangen wäre, wozu er ursprünglich erzogen war. Wir waren schon lange mit einander an Bord, als ich seine Geschichte erfuhr. Er wäre auf Tod und Leben angeklagt worden, aber weil er sich einige Prisengelder erobert hatte, gelang es ihm, sich von seinen Verfolgern loszukaufen. Wenn es Gott gefallen hätte, uns eine Rückkehr zu gestatten, so würde ich ihn bei meiner nächsten Expedition aus meinem Schiffe entfernt haben.«

Während Peters diese kurze Schilderung aus dem Leben seines hingeschiedenen Untersteuermannes entwarf, wurde das Frühstück des Kapitäns angesagt, und die beiden amerikanischen Kapitäne dazu eingeladen. Als wir die Treppe hinab unter das Halbdeck gingen, warfen Peters und Green unwillkührlich einen Blick der Bewunderung auf das reine und blanke Verdeck, die schöne Form der Kanonen, und die vollkommene, unnachahmliche Verschmelzung des Nützlichen mit dem Schönen, die man bisweilen auf unseren Kriegsschiffen findet. Des Kapitäns Frühstück zeichnete sich durch nichts, als durch Reinlichkeit, Fülle, Herzlichkeit und Frohsinn aus.

Die Unterhaltung drehte sich um den Charakter, die Eigenschaften und die Zahl der Matrosen auf dem Kaper. »Sie sind sämmtlich Seeleute,« sagte Peters, ausgenommen die zehn Schwarzen.«

»Vermutlich sind sie zum Theil Engländer,« bemerkte ich.

»Es ist nicht meine Sache, aus der Schule zu schwatzen,« erwiederte der schlaue Amerikaner. »Es hält immer schwer, zu erfahren, ob ein Mann, der sich in beiden Ländern viel herumgetrieben hat, aus Boston in Linkolnshire oder aus Boston in Massachusetts gebürtig ist, und bisweilen wissen Sie es vielleicht selbst nicht. Wenn sich ein Matrose auf einem unserer Schiffe einschreiben läßt, vergeuden wir unsere Zeit nicht mit Fragen.«

»Sie haben eine Menge englischer Matrosen sowohl bei Ihrer Seemacht, als auf Ihren Kauffahrteischiffen,« sagte unser Kapitän.

»Ja,« versetzte Green, »und wir werden auch nicht sobald Mangel leiden, so lange Sie für uns pressen.«

» Wir für Sie pressen?« sagte der Kapitän T. .; »wie wollen Sie das beweisen?«

»Ihr Preßsystem füllt unsere Schiffe,« erwiederte der Amerikaner. »Ihre Matrosen wollen sich demselben nicht aussetzen, und von zwei, die Sie mit Gewalt nehmen, bekommen wir einen freiwillig, verlassen Sie sich darauf.«

Peters widersprach dieser Behauptung heftig und schien über Green erzürnt, daß er sie aufgestellt hatte. »Ich sehe keinen Grund ein, dieß zu bezweifeln,« sagte Green. »Ich weiß, wie unsere Kriegsschiffe sowohl, als unsere Kauffahrer bemannt werden, und will einen Eid darauf ablegen, daß mehr als zwei Drittheile unserer Matrosen von der britischen Flotte desertirt sind, weil sie gepreßt wurden. Sie haben es vor meinen Ohren selbst gesagt, Peters. Betrachten Sie nur Ihre eigene Mannschaft.«

Peters war überwiesen; er gerieth in den heftigsten Zorn über Green und beschuldigte ihn, Dinge an den Tag gegeben zu haben, die man nie einem britischen Offizier hatte gestehen sollen. Es sei wahr, fuhr er fort, daß Amerika das englische Preßsystem als den Hauptanker seines Seewesens betrachte; aber es schmerze ihn, daß einem Amerikaner ein solches Geheimniß habe entschlüpfen können.

»Was mich betrifft,« begann Green auf's Neue, »so fühle ich mich diesem wackeren jungen Engländer für die Güte, die er mir erzeigt hat, so tief verpflichtet, daß ich für immer sein und seines Landes Freund bin, und gelobt habe, nie mehr die Waffen gegen Großbritannien zu ergreifen, es sei denn zur Abwehrung eines Einfalles in mein eigenes Vaterland.«

Nachdem das Frühstück beendet war, gingen wir Alle auf das Verdeck! das Schiff und seine Prise war beigelegt, die Mannschaft wurde heraufgepfiffen, alle Boote ausgesetzt, die Gefangenen mit ihrem Gepäcke aus der Prise geführt, und als sie an Bord kamen, auf dem Hinterdeck versammelt, wo viele von ihnen als Engländer erkannt und überwiesen wurden. Als man ihnen Vorwürfe über ihr schändliches Benehmen machte, rechtfertigten sie sich mit der Angabe, ihnen verdanke man die Wegnahme des Kapers, denn sie halten das untere Beisatzsegel absichtlich an dem Nachtkopf hängen und im Wasser schleppen lassen, um den Lauf des Fahrzeuges dadurch zu hemmen.

Kapitän Peters war erstaunt, als er dieses Geständniß hörte, und der Kapitän der Fregatte bemerkte ihm, er habe von einem Verräther an seinem Lande kein anderes Benehmen erwarten können; dann wandte er sich zu den Gefangenen mit den Worten: »Die Schändlichkeit eures ersten Verbrechens konnte kaum überboten werden; aber eure Verrätherei an der neuen Regierung, unter die ihr euch gestellt habt, macht euch des Namens Männer unwürdig. Auch habt ihr nicht einmal das elende Verdienst, auf das ihr Anspruch macht, zur Wegnahme des Schiffes beigetragen zu haben, denn von dem ersten Augenblicke an, wo wir die Brigg sahen, verloren wir sie nie mehr aus den Augen, und sobald sie ihren Wind anholte, wußten wir, daß sie unser war.« Sie ließen die Köpfe sinken, und als sie entlassen wurden, um hinunter zu gehen, wollte sie keine von den Tischgenossenschaften der Fregatte annehmen, aber die wirklichen Amerikaner wurden freundlich behandelt.

Wir richteten unsern Lauf nach der Simonsbay, wo wir eine Woche nach der Wegnahme des Schiffes anlangten.

Der Admiral der Station weigerte sich, die Gefangenen vor ein Kriegsgericht zu stellen; er sagte, dieß sei mehr eine Staatsfrage, und er wolle sie insgesammt nach England schicken, wo die Lords der Admiralität mit ihnen verfahren könnten, wie sie es für Recht fänden.

Der Vollblut-Yankee wurde im Vice-Admiralitäts-Gerichtshofe der Kapstadt als gesetzliche Prise verurtheilt und zum Dienste angekauft. Es war in seiner Art ein schönes Schiff, und der Admiral war so gütig, mir zur Entschädigung für die vielen Unfälle, die ich erlitten, den Befehl desselben zu übertragen und mich mit einigen Depeschen, die ihrer Beförderung schon lange entgegenharrten, nach England zu schicken.

Dieß war eine weit vorteilhaftere Anordnung für mich, als ich erwarten konnte; aber noch annehmlicher wurde sie dadurch, daß mein Freund Talbot, welcher der erste gewesen war, der mir an Bord der Prise die Hand gedrückt hatte, um die Heimfahrt mit mir nachsuchte, indem er mit dem letzten Packetboote seine Commandeurs-Bestallung erhalten hatte. Auf meine Verwendung gab der Admiral auch den beiden Kapitänen Peters und Green die Erlaubniß, mit mir nach England zu fahren. Auch der Neger Mungo und der Deckmeister Thompson nebst dem Midshipman, der mit mir im Boote gewesen war, gehörten zu meiner Mannschaft. Uebrigens kann man sich vorstellen, daß diese keineswegs aus den besten Matrosen bestand; aber ich war nicht im Falle, Schwierigkeiten zu machen, und ergänzte mit einem halben Dutzend weiterer Neger, die ich aus dem Kauffahrer genommen hatte, ein Schiffsvolk, dem ich die Möglichkeit zutraute, Spithead zu erreichen.

Am Kap nahmen wir einen ordentlichen Vorrath Lebensmittel ein. Die Amerikaner baten um die Erlaubniß, ihren Antheil zu bezahlen, aber ich schlug es auf's Bestimmteste aus und erklärte ihnen, daß ich mich höchst glücklich schätze, sie als meine Gäste zu bewirthen. Ich kaufte dem Kapitän Peters seinen gesammten Vorrath an Wein und Proviant ab, und bezahlte ihm den vollen Werth dafür. Mungo wurde als Steward angestellt, denn ich hatte ihn sehr lieb gewonnen. Nachdem mein Freund Talbot seine sämmtlichen Habseligkeiten an Bord geschafft, und mir der Admiral meine letzten Verhaltungsbefehle gegeben hatte, verließ ich die Simonsbay und ging nach England unter Segel.

Eine derartige Heimfahrt ist gewöhnlich mit wenig Abenteuern verbunden. Ich hatte keine Weisung bekommen, bei St. Helena anzuhalten und fühlte keine Neigung, meine Reise zu verzögern. Tag und Nacht hielt ich alle Segel aufgespannt, die ich führen konnte. Talbot und ich wurden unzertrennliche Freunde, und unsere Tischgesellschaft in der Kajüte war vollkommen einig. Wir vermieden alle nationalen Anspielungen und sprachen so wenig, als möglich von Politik. Ich machte Talbot zum Vertrauten meiner Liebe zu Emilien. Von der armen Eugenie hatte ich ihm schon längst vorher Vieles erzählt.

Eines Tages kamen wir über Tisch auf das Schwimmen zu sprechen. »Ich glaube,« bemerkte Talbot, »daß mein Freund Frank ein so guter Schwimmer ist, als irgend einer von uns. Erinnern Sie sich noch, wie Sie von der Fregatte zu Spithead fortschwammen, um Ihrer Freundin Melpomene zu Point einen Besuch zu machen?«

»Allerdings,« erwiederte ich, »und ich erinnere mich auch noch, mit welcher Freigebigkeit Sie mir einen Kugelregen dafür um die Ohren sausen ließen.«

»Daß Sie unter so vielen Andern auch bei dieser Gelegenheit weder ertranken, noch erschossen wurden,« bemerkte der Commandeur, »ist mir ein trübes Vorzeichen für Ihr künftiges Schicksal.«

»Das mag sein,« erwiederte ich, »aber ich bestreite die Gesetzlichkeit Ihres Verfahrens, indem Sie mich zu tödten suchten, bevor Sie wußten, wer ich war, oder was ich im Sinne hatte. Sie wußten ja nicht, ob ich nicht wahnsinnig war, oder vielleicht zu einem andern Schiffe gehörte, und wenn Sie mich getödtet hätten, und mein Leichnam wäre gefunden worden, so würde jedenfalls die Todtenschau ziemlich hart und das Schwurgericht noch härter mit Ihnen verfahren sein.«

»Ich hätte sie ausgelacht,« sagte Talbot.

»Sie würden die Sache nicht sehr lächerlich gefunden haben,« bemerkte ich.

»Wie so?« versetzte Talbot, »wozu werden denn Schildwachen ausgestellt und ihre Gewehre scharf geladen?«

»Um das Schiff zu vertheidigen,« erwiederte ich; »um vor herannahender Gefahr zu warnen; um die Matrosen zu verhindern, das Schiff ohne Erlaubniß zu verlassen; aber nie um einem Manne das Leben zu nehmen, es sei denn zur Verteidigung ihres eigenen, oder wenn es die Sicherheit des Schiffes Seiner Majestät erfordert.«

»Ich läugne Ihre Schlußfolge,« versetzte Talbot; »die Kriegsartikel sprechen über alle Deserteure den Tod aus.«

»Ganz richtig,« bemerkte ich, »auch noch gegen eine Menge anderer Verbrecher verhängen sie die Todesstrafe: aber vor Allem müssen diese Verbrechen vor einem Kriegsgericht erwiesen sein. Nun können Sie aber nicht erweisen, daß ich desertirte, und wenn Sie es könnten, so hatten Sie kein Recht, den Tod über mich zu verhängen, wenn ich nicht zum Feinde überging. Ich gestehe es, daß ich Ihrem Befehle ungehorsam war, aber dieß würde mir nur eine leichte Strafe zugezogen haben, wahrend Ihre willkührliche Handlung den König eines Unterthanen berauben konnte, der, wie ich mir schmeichle, zu den treuen und nicht ganz unbrauchbaren gehört. Und wenn man meinen Leichnam nicht aufgefunden hätte, so wäre aus dieser Strenge auch dem Dienste nichts Gutes erwachsen; im Gegentheil, es hätten manche geglaubt, ich sei entkommen, und waren dadurch zu dem gleichen Versuche ermuthigt worden.«

»Es thut mir jetzt mündlich leid,« sagte Talbot, »daß ich Ihnen kein Boot nachschicken ließ, indessen gereichte es mir, so oft ich daran dachte, zur Beruhigung, daß die Kugeln fehlten.«

Damit endete das Gespräch über diesen Gegenstand. Wir gingen noch eine Zeitlang auf dem Verdecke auf und nieder, sprachen von unseren Liebchen, richteten den Lauf des Schiffes für die Nacht, um Fayal zu erreichen, von dem wir nicht mehr fern waren, und gingen endlich zu Bette.

Ich fiel in einen festen Schlaf, und es war natürlich, daß die Unterhaltung des Abends meinem Geiste vorschwebte. Eine seltsame Mischung unzusammenhängender Gedanken, ein Gemenge von Vernunft und Wahnsinn beängstigte mich bis zum Morgen. Trinidad und Emilie, der Kegelfelsen und die geheimnißvolle Eugenie mit ihrem muthmaßlichen Sohne; das sinkende Wrack und der gescheiterte Schooner – Alles zog einzeln und im Gesammtbild vor meinem inneren Auge vorüber.

»Ruft die Natur.
So wacht statt ihrer das Gebild des Traumes.«

Emilie stand auf der Spitze des Kegelfelsen, wie Nelson auf dem Denkmal in Dublin oder Buonaparte auf der Vendomesäule; aber ihre Gestalt übertraf beide Statuen in demselben Maße an Grazie, als der Kegelfelsen diese Werke der menschlichen Kunst an Majestät und Naturgröße übertrifft. Sie war in die tiefste Trauer gehüllt, aber so schwermüthig auch der Ausdruck ihrer Züge war, so strahlte sie doch in der Fülle der Gesundheit und des Liebreizes. Das theure Bild schien mir zuzurufen: »ohne deinen Beistand werde ich nie von dieser Kuppe herabkommen.« »In diesem Falle,« dachte ich, »wirst du nie herabkommen.« Dann war Eugenie Königin von Trinidad, und sie hatte Emilie aus meinem Bereich auf den Felsen verbannt; ich flehte sie an, Emilie herunter zu lassen; da pochte Thompson an meiner Kajütenthüre und sagte, der Tag sei angebrochen, und man könne die Insel Fayal in einer Entfernung von etwa sieben Meilen gegen Nordost sehen.

Ich kleidete mich an und ging auf's Verdeck, wo ich das Land und ein fremdes nach Westen steuerndes Schiff sah. Der verdammte Traum spuckte mir noch immer im Kopfe. Es ging mir, wie Adam, »es gefiel mir nicht,« und doch schalt ich mich einen Narren, daß ich die dummen Gedanken nicht los werden konnte; alle meine Bemühungen waren vergeblich. Bald darauf kamen die Amerikaner auf's Verdeck, und als sie das westwärtssegelnde Schiff sahen, fragten sie mich, ob ich es anzurufen gedenke. Ich gab eine bejahende Antwort. Wir hatten damals alle Segel beigesetzt, die wir führen konnten; und da uns das Schiff nicht auszuweichen suchte, sondern seinen angenommenen Strich verfolgte, so lagen wir bald an seiner Seite. Es ergab sich, daß es ein Cartelschiff war, welches mit amerikanischen Gefangenen nach Neu-York segelte. Für den Fall, daß wir ein nach den vereinigten Staaten fahrendes Schiff treffen sollten, hatte mir der Admiral die Erlaubniß gegeben, meine Gefangenen in ihre Heimath zurück zu schicken, ohne sie nach England zu führen. Ich hatte dieses Umstandes aus Furcht, eine eitle Hoffnung in ihnen zu erwecken, weder gegen Peters noch gegen Green erwähnt, aber nun ich sah, daß ich so befriedigend über sie verfügen konnte, machte ich sie mit meiner Absicht bekannt. Ihre Freude und Dankbarkeit übertrafen jede Beschreibung. Tausendmal wiederholten sie ihre Dankbarkeit für die Güte, die Talbot und ich ihnen erwiesen hätten.

»Lieutenant,« sagte Peters, »ich bin an die Gesellschaft von euch Engländern nicht sehr gewöhnt, und wenn ich euch stets für eine Rotte Tyrannen und Eisenfresser hielt, so war es nicht meine Schuld. Ich glaubte, was man mir sagte; aber jetzt habe ich mich mit meinen eigenen Augen überzeugt, und finde, daß der Teufel nie so schwarz ist, als man ihn malt.« Bei dieser Yankeeschmeichelei machte ich eine Verbeugung. »Dem sei jedoch, wie ihm wolle,« fuhr er fort, »es würde mich jedenfalls freuen, im ordentlichen Kampf ein paar Dutzend Kugeln mit euch zu wechseln. Bringen Sie diese Brigg in unsere Gewässer; ich hoffe wieder eine andere zu bekommen, die ihr ganz gleich ist, und weil ich weiß, daß Sie ein verdammt wackerer Bursche sind, und eben so gern Pulverdampf einathmen, als sich 's an der Tafel wohl sein lassen, wäre es mir recht lieb, einen Versuch zu machen, ob ich den Vollblut-Yankee nicht wieder unter meine Befehle bekäme.«

»Wenn Sie Ihre nächste Brigg ebenso bemannen, wie Ihre letzte bemannt war, und Ihre besten Matrosen alle Engländer sind,« erwiederte ich, »so fürchte ich, daß mir meine Verteidigung nicht gar leicht werden dürfte.«

»Das möchte der Fall sein,« sagte der Kapitän; »kein Mensch wehrt sich besser, als wer einen Strick um den Hals hat, und erinnern Sie sich, was Nachbar Green gesagt hat, denn er hat ›die Katze bereits aus dem Sack gelassen‹, wir würden keine Engländer auf unserer Flotte haben, wenn Sie nicht auf die Ihrige gepreßt würden.«

Ich konnte diese Begrüßung nicht erwiedern, denn es ging mir, wie dem Feuerwerker auf dem Landguardfort – ich hatte kein Pulver und fühlte den Vorwurf in der That.

Green stand neben uns, aber kein Wort kam über seine Lippen, bis der Kapitän ausgesprochen hatte; dann reichte er mir die Hand und seine Augen füllten sich mit Thränen. Mit bebender Stimme sagte er: »Leben Sie wohl, vortrefflicher Freund; ich werde Sie nie vergessen. Sie haben einen Elenden gefunden und unter dem Beistande Gottes einen ehrlichen Mann aus ihm gemacht. Nie, nie werde ich den Tag vergessen, an dem Sie mit Gefahr Ihres Lebens einen Menschen retteten, der Ihres Schutzes so unwürdig war; aber Gott segne Sie! Und wenn Sie je der Wechsel des Kriegsglücks als Gefangenen in mein Vaterland schicken sollte, hier ist meine Adresse – was mein ist, gehört Ihnen – und so sollen Sie es finden!«

Der Matrose, welcher die Meuterei im Boote angestiftet hatte und nachher an Bord des Kapers in Dienst getreten war, jetzt aber mit mir nach England geschickt wurde, um vor Gericht gestellt zu werden, streckte nach Kapitän Green, der eben an ihm vorüber ging, seine Hand aus, aber dieser wandte sich weg und sagte: »ein Verräther an seinem Vaterlande ist ein Verräther an seinem Gott. Ich vergebe Euch, was Ihr an mir zu thun beabsichtigtet, und zwar um so bereitwilliger, als ich fühle, daß ich es selbst verschuldet hatte, aber ich kann mich nicht so tief herabwürdigen, Euch die Hand der Genossenschaft zu reichen.«

Mit diesen Worten folgte er dem Kapitän Peters in's Boot. Ich begleitete sie auf das Cartelschiff, und nachdem ich mich überzeugt hatte, daß sie mit allen Bedürfnissen versehen waren, verließ ich sie. Green war so sehr ergriffen, daß er nicht sprechen konnte, und der arme Mungo vermochte blos hervorzubringen: »Leb' wohl, Massa Leftenant, mich dünkt Euch sehr gut Mann.«

Ich kehrte an Bord meines Schiffes zurück und verfolgte meinen Lauf nach England. Bald begrüßten wir die weißen Küsten von Albion, die jedem treuen englischen Herzen so theuer sind. Nur wer von der geliebten Heimath verbannt war, vermag das Entzücken der Freude bei einer solchen Gelegenheit zu würdigen. Wir liefen durch die Nadeln, und nach einer Abwesenheit von vierzehn Monaten ankerte ich wieder zu Spithead. Ich machte dem Admiral meine Aufwartung, zeigte ihm meine Papiere, und erhielt den Befehl von ihm, die Gefangenen auf das Flaggenschiff zu schicken. »Und nun,« sagte er, »will ich Ihnen nach Ihrer wunderbaren Rettung Urlaub geben, damit Sie in die Stadt fahren und Ihre Familie besuchen können, für die Sie ohne Zweifel ein Gegenstand großer Theilnahme sein werden.

Hier ist eine kurze Abschweifung nöthig.


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