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Zweites Kapitel.

Unrecht kann man sühnen und verzeihen, Beschimpfungen aber lassen sich nicht wieder gut machen. Sie erniedrigen den Menschen in seinen eigenen Augen und zwingen ihn, sich durch Rache wieder Selbstachtung zu erwerben.

Junius.

Es gibt gewisse Ereignisse in unserem Leben, welche Moore dichterisch schön als »Oasen in der Wüste der Erinnerung« bezeichnet. Zu diesen gehören die Gefühle, welche aus der Erreichung eines lang erstrebten Lieblingsgegenstandes, der Liebe oder des Ehrgeizes, erwachsen: mag nun auch der Besitz späterer Erlebnisse uns beweisen, daß wir unser Glück überschätzt haben, und die Erfahrung uns zeigen, daß »Alles in der Welt eitel ist,« so weilt doch die Erinnerung mit Freudigkeit in dem klopfenden Herzen, wenn wir nur die Gegenwart genossen und uns in sanguinischer Jugendlust das Gemälde in glühenden und entzückenden Farben vorgemalt haben. Nur die Jugend kann dies empfinden: das Alter ist zu oft getäuscht worden – zu oft hat sich in seinem Munde die Frucht in Asche verwandelt. Das Alter blickt mißtrauisch und zweifelhaft in die Zukunft, kummervoll und betrübt in die Vergangenheit.

Einer von den roth bezeichneten Tagen meines Lebens war der, an welchem ich zuerst die Uniform eines Midshipman anzog. Mein Stolz, mein Entzücken war unbeschreiblich. Ich hatte die Schule und die Schullivree hinter mir – hinter mir eine beinahe versumpfte Existenz. Wie ein Schmetterling, der eben der Puppe entkrochen, flatterte ich, meine neuen Kräfte zu prüfen, umher; ich fühlte, daß ich ein fröhliches, schönes Geschöpf war, das über den Reichen der Natur umherschweifen durfte, von den Fesseln der Eltern und Schulmeister befreit, und mein Herz hüpfte mir bei dem Gedanken, daß ich mich nach meinem eigenen Belieben meines Lebens freuen durfte – in meinen Augen der höchste Gipfel des Genusses, welchen die menschliche Existenz gewähren konnte; übrigens bemerke ich zum Voraus, daß mich hier, wie in den meisten andern Fällen, das gewöhnliche Loos traf, mich getäuscht zu sehen. Allerdings ist es wahr, daß ich mich meiner Jugendzeit erfreute: ich war eine Zeitlang glücklich, wenn man es Glückseligkeit nennen kann, doch ich habe es theuer bezahlt. Ich contrahirte eine Schuld, an welcher ich seitdem von Termin zu Termin stets abgezahlt habe, und bin noch nicht fertig damit. Selbst der bescheidene Theil von Glückseligkeit, der mir an diesem denkwürdigen Morgen zu Theil ward, war von kurzer Dauer und bald folgte der hinkende Bote nach.

Doch ich kehre zu meiner Uniform zurück. Ich hatte mich mit derselben geschmückt, den Degen um den Leib gegürtet, den aufgestutzten Hut von ungeheuerem Umfange auf den Kopf gedrückt und war bei der letzten Musterung vor dem Spiegel durch mein Aeußeres ungemein befriedigt. Jetzt klingelte ich zuerst dem Stubenmädchen unter dem Vorwande, ihr die Aufräumung meines Zimmers zu befehlen, doch in der That nur deshalb, daß sie mich bewundere und mir Complimente mache, was sie auch sehr weislich that, und ich war dumm genug, ihr eine Krone zu geben und einen Kuß, denn ich fühlte mich ganz als Mann. Hierauf erschien der Kellner, dem das Stubenmädchen aller Wahrscheinlichkeit nach den Umstand mitgetheilt hatte, verbeugte sich tief; rückte mit denselben Complimenten heraus und empfing dieselbe Belohnung, den Kuß abgerechnet. Höchst wahrscheinlich hätte auch der Stiefelputzer seinen Theil geholt, wenn er bei der Hand gewesen wäre, denn ich war albern genug, alle ihre schönen Redensarten als eine Art schuldigen Tribut aufzunehmen und sie gleichwohl mit klingender Münze zu bezahlen. Ich war der Gründling, sie die Haifische, und bald würden mich ihrer noch mehrere umgeben haben, denn, als sie das Zimmer verließen, hörte ich sie rufen: »Stiefelputzer! Stallknecht!« offenbar blos um ihnen bei Erleichterung meiner Börse beizustehen.

Ich war indeß zu ungeduldig, meinem Kapitän aufzuwarten und mein Schiff zu sehen, weßhalb ich die Treppe herunterstürzte und im Nu auf dem Wege nach Stonehouse war, wo meiner Eitelkeit in einer andern Art geschmeichelt wurde, indem nämlich ein junger Marinerekrut im Vorbeigehen seine Hand an seinen Kopf erhob. Ich nahm es auf, wie es gemeint war, lüpfte meinen Hut und bewegte mich mit großer Gravität weiter. Ich muß übrigens gestehen, eine Bemerkung kränkte mich, daß nämlich die Einwohner mich nicht halb so sehr bewunderten, als ich mich selbst, denn es kam mir nicht in den Sinn, daß es in Plymouth-Dock so viele Midshipmen gebe, als in Port Royal Negerknaben, wenn gleich erstere vielleicht ihrem Herrn nicht so viel werth sein mögen. Ich will den zarten Sinn meinen schönen Leserinnen nicht durch Widerholung all der Anspielungen beleidigen, womit meine neu gebackene Erscheinung begrüßt wurde, als ich an den Ladies von North Corner, denen ich in Fore-street begegnete, Revue passirte. Unverdorben, wie ich damals in manchem, wenigstens diesem Punkte war, hielt ich sie für Frauenzimmer von äußerst schlechter Erziehung. Zum Glück für mich werden die Gebete einer gewissen Raçe von Menschen nicht erhört, sonst würde ich sogleich einem Orte anheimgefallen sein, von welchem mich, fürchte ich, alle Messen von Frankreich und Italien nicht erlöst haben würden.

Ohne, wie Ulysses, an den Mast gebunden zu sein, entrann ich diesen Syrenen; doch, gleich ihm, wäre ich beinahe einem modernen Polyphem zum Opfer gefallen; denn obgleich dieser nicht, wie sein Vorbild, ein Auge mitten auf der Stirn hatte, so vereinigten sich doch die Strahlen seiner beiden Augen auf der Spitze seiner Nase. Unwissenheit, gänzliche Unwissenheit war hier, wie auch in andern Fällen, mein Unglück. Einige Offiziere kamen nämlich in voller Uniform aus einem Kriegsgerichte. »Oho!« sagte ich, »hier kommen einige von uns.« Ich ergriff so, wie ich sah, daß sie ihre Seitengewehre trugen, meinen Degen mit der linken Hand und steckte meine Rechte in den Busen, wie einige von ihnen gethan hatten. Sodann bemühte ich mich, ihre aufrechte, offiziersmäßige Haltung anzunehmen, und rückte meinen Stutzhut so von vorne und hinten, daß die goldene Troddel mir zwischen den Augen baumelte, und ich also nothwendig schielen mußte. Meine Nase streckte ich, wie ein Schwein beim Donnerwetter, hoch in die Luft, Alles in dem süßen Glauben, ihnen ebenso ein Gegenstand der Bewunderung zu sein, wie mir selbst. Wir lavirten in verschiedenen Richtungen an einander vorüber, und unsere respektive Geschwindigkeit hatte uns bis auf eine Entfernung von zwanzig bis dreißig Ellen von einander getrennt, als einer von ihnen mir mit einer offenbar in den Diensten Seiner Majestät gebrochenen Stimme nachrief: »Hollah', junger Herr, kommen Sie zurück.«

Ich schloß daraus, sie wollten mir über den Schnitt meines Rockes Complimente machen, mich um die Adresse meines Schneiders fragen und den verwogenen Sitz meines Hutes bewundern. Ich begann jetzt zu glauben, es werde sich ein Wettstreit unter diesen Herren des Oceans erheben, wer mich zum Musterkadetchen auf seinem Hinterdecke bekommen solle, und sann schon auf eine Entschuldigung gegen den Freund meines Vaters, daß ich nicht auf sein Schiff komme. Aber welche Ueberraschung und Kränkung, als der älteste Offizier in einem zornigen und drohenden Tone mich fragte:

»Heda, Sir! zu welchem Schiffe gehören Sie?«

»Sir,« sagte ich stolz, so befragt zu werden, »ich gehöre zu Seiner Majestät Schiff, dem Le – –« (da es einen französischen Namen führte, so setzte ich, um dadurch mehr Eindruck zu machen, beide Artikel, den französischen und englischen, vor denselben).

»So, so,« sagte der Veteran mit der Miene bewußter Superiorität; »dann werden Sie so gut sein, umzukehren, nach Mutton Cove herunter zu gehen, ein Boot zu nehmen und Ihre Person mit der möglichsten Geschwindigkeit an Bord von Seiner Majestät Schiff dem Le – « (er ahmte mein Stottern nach) »bringen zu lassen; ferner dem ersten Lieutenant meinen Befehl zu überbringen, daß man Ihnen, so lange das Schiff im Hafen liegt, keinen weiteren Urlaub bewillige; und Ihrem Kapitän will ich's sagen, er solle seinen Offizieren bessere Manieren beibringen, damit sie nicht mehr am Hafenadmiral vorüber gehen, ohne an den Hut zu greifen.«

Während dieser Rede stand ich in einem Kreise, dessen Mittelpunkt ich war und dessen Peripherie der Admiral und die Kapitäne bildeten. Das bischen Luft, das noch da war, nahmen sie mit ihrer Masse weg, so daß ich mich nicht blos in einem Schwitzbade befand, sondern auch noch obendrein wie niedergedonnert dastand. »Sie haben mich gehört, Sir – Sie können gehen.«

»Ja ich habe Sie gehört,« dachte ich, »aber wie zum Teufel kann ich von euch wegkommen?« denn die verdammten Kapitäns standen, wie Schulknaben um eine Mäusefalle, so dicht um mich herum, daß ich mich nicht vom Flecke rühren konnte. Glücklicherweise rettete mich dießmal diese Blokade, mit der sie sich ohne Zweifel nur einen Spaß hatten machen wollen. Ich faßte mich wieder und sagte mit erkünstelter Einfalt, »ich habe diesen Morgen meine Uniform zum erstenmale angezogen, habe meinen Kapitän noch nie gesehen, und sei meiner Lebtage an keinem Bord eines Schiffes gewesen.« Bei dieser Auseinandersetzung verzog sich das Gesicht des Admirals zu Etwas, was ein Lächeln vorstellen sollte, die Kapitäns aber lachten alle hell auf.

»Nun, junger Mann,« sagte der Admiral – der im Grunde ein gutmüthiger, aber sonderbarer Kauz war – »nun, junger Mann, wenn Sie noch nie auf der See gewesen sind, so entschuldigt dieß einigermaßen Ihre Unkenntniß guter Manier; dann brauchen Sie dem Lieutenant meine Botschaft nicht zu überbringen; doch gehen Sie an Bord Ihres Schiffes.«

Nachdem die Kapitäns mich so hatten braten sehen, öffneten sie sich rechts und links und ließen mich passiren. Als ich sie verließ, horte ich Einen sagen: »Gerade erwischt, trägt vom Hundszahn die Spur in der Ferse, dafür stehe ich.« Ich hielt mich nicht auf, um eine Antwort zu geben, sondern schlich gekränkt und gedemüthigt weg, und gewiß führte ich diesen ersten Befehl, den ich im Dienste erhalten, mit größerer Pünktlichkeit aus, als je einen nachher.

Auf meinem weiteren Wege stach ich für jeden, der mir begegnete, an den Hut. Ich beehrte mit meiner Begrüßung Midshipmen, Steuermannsmaten, Marinesergeanten und sogar zwei Korporale. Auch wurde ich meine übertriebene Höflichkeit nicht inne, bis ein junges, anständig gekleidetes Frauenzimmer, die mehr vom Seewesen wußte, als ich, mich fragte, ob ich gekommen sei, um als Kandidat für den Marktflecken aufzutreten. Ohne zu wissen, was sie meinte, sagte ich »Nein.«

»Ich dachte nicht anders,« fuhr sie fort, »da ich sehe, wie Sie gegen Jedermann so verdammt höflich sind.«

Ich glaube wahrhaftig, ohne den freundlichen Wink hätte ich beinahe vor einem Tambour salutirt.

Nachdem ich diese Feuerprobe überstanden hatte, kam ich im Gasthofe zu Plymouth an, wo ich meinen Kapitän fand und meines Vaters Brief überreichte. Er musterte mich vom Wirbel bis zu den Zehen, und bat sich das Vergnügen aus, um sechs Uhr in meiner Gesellschaft zu speisen. »Da es jetzt eilf ist,« sagte er, »so können Sie inzwischen an Bord gehen und sich dem ersten Lieutenant, Mr. Handstone, vorstellen. Er wird dafür sorgen, daß Ihr Name in die Bücher eingetragen wird, und Ihnen erlauben, daß Sie zum Essen wieder herkommen.« Ich verneigte und entfernte mich, und auf dem Wege nach Mutton Cove wurde ich von Frauenzimmern mit dem Namen »Königlicher Reffer« (Seekadett) und »Zwiebacknager« begrüßt; doch verstand ich dieß weder, noch kümmerte ich mich darum.

Ich kam glücklich in Mutton Cove an. Zwei Frauenzimmer, die mein forschendes Auge und meine nagelneue Uniform bemerkt hatten, fragten mich, auf welches Schiff sie »Meiner Gnaden« bringen sollten. Ich nannte ihnen das Schiff, an dessen Bord ich zu gelangen wünschte.

»Das liegt unterm Obelisk,« sagte die ältere, die ungefähr vierzig Jahre alt zu sein schien; »für einen Schilling wollen wir Euer Gnaden hinfahren.«

Ich war damit zufrieden, sowohl der Neuheit der Sache wegen, als auch aus angeborner Galanterie und Vorliebe für weibliche Gesellschaft. Die ältere Weibsperson verstand sich auf ihr Handwerk und schlug das Ruder mit großer Gewandtheit; doch Sally, die jüngere und ihre Tochter, war noch in der Lehre. Sie war hübsch, sauber gekleidet, hatte weiße Strümpfe an und zeigte einen niedlichen Fuß.

»Sieh dich vor, Sally,« sagte die Mutter. »Acht auf's Ruder, oder du wirst einen Krebs fangen.«

»Ohne Sorgen, Mutter,« erwiederte die zuversichtliche Sally.

Und in demselben Augenblicke, just als wenn die Warnung dagegen die Ursache davon gewesen wäre, tauchte ihr Ruderblatt nicht in's Wasser. Da der Riem keinen Widerstand fand, fuhr der Handgriff gegen den Busen der unglücklichen Sally, drückte sie rücklings zu Boden, die Fersen flogen in die Luft, und der Kopf fiel in den Boden des Boots. Wie sie so das Ruder mit Gewalt nach sich zog, berührten ihre Füße beinahe die Troddel meines Stülphuts.

»Da hast's, Sally,« sagte die schlaue Mutter, »ich sagt' dir's, wie's kommen würd' – ich wußt' du würd'st 'nen Krebs fangen.«

Sally faßte sich schnell; sie erröthete ein wenig und legte wieder Hand an's Werk.

»Das nennt man hier zu Land 'nen Krebs fangen,« sagte die Alte.

Ich erwiederte, dieß scheine mir ein recht hübsches Vergnügen zu sein, und bat Sally, noch einen zu fangen; allein sie schlug es mir ab, und inzwischen hatten wir die Seite des Schiffs erreicht.

Nachdem ich meine Najaden bezahlt hatte, ergriff ich, wie sie mir's zeigten, die Hauptmastleine und erstieg die Seite. Ich erreichte die Laufplanke und wurde von einem Midshipman in runder Jacke und Pumphosen, einem Hemde, das just nicht zu den reinsten gehörte, und einem schwarz seidenen Tuch, lose um den Hals gewunden, angeredet.

»Wen suchen Sie, Sir?«

»Ich wünsche den ersten Lieutenant, Mr. Handstone, zu sprechen,« erwiederte ich.

Er sagte mir, derselbe sei hinuntergegangen, um die Briefe zu überschreiben; doch sobald er auf's Deck käme, wolle er ihm mein Hiersein melden.

Nach diesem Zwiegespräche überließ man mich auf der Backbordseite des Hinterdecks meinen eigenen Betrachtungen. Das Schiff wurde gerade ausgebessert und befand sich, wie wir zu sagen pflegen, in den Händen des Dock-Yard, worin das Schiff einen liebenswürdigen Anblick gewährt. Die Karonaden des Hinterdecks waren vorn und hinten zusammengefahren, die Travehölzer von den Seiten losgeriegelt, die verschiedenen Decken mit frisch in die Planken eingelassenem Pech bedeckt, und die Kalfaterer saßen auf ihren Brettern, bereit, ihre geräuschvolle Arbeit von Neuem zu beginnen, sobald die Mittagsstunde vorüber sein würde. Indessen nahmen von der Steuerbordseite des Hinterdecks aus die Midshipmen meine Höhe und stellten Vermuthungen auf, ob ich wohl ihr Tischgenoß werden würde und was für eine Art von Kerlchen ich sein möchte – ein paar Punkte, über die sie bald Gewißheit erhalten sollten.

Der erste Lieutenant kam auf's Deck, und der Midshipman von der Wache stellte mich ihm vor, worauf ich meinen Namen nannte und den Auftrag des Kapitäns ausrichtete.

»'s ist Alles richtig, Sir,« sagte Mr. Handstone. »Hier, Mr. Flyblock, nehmen Sie diesen jungen Herrn an Ihren Tisch; Sie können ihn, sobald Sie wollen, hinunterführen und ihm zeigen, wo er seine Hängematte aufzuhängen hat.«

Ich folgte meinem neuen Freunde die Leiter hinab unter das Halbdeck, wo ein Weib saß, das den Matrosen Brod, Butter und Bücklinge feilbot; auch hatte sie Kirschen, gestandene Milch und ein Faß starkes Bier, welches sehr in Anspruch genommen wurde. Wir gingen an dieser Frau vorbei und stiegen eine zweite Leiter hinunter, die uns in das Zwischendeck und das Volkslogis führte, woselbst ich an der Backbordseite des Sternes, dem Hauptmaste gegenüber, meine zukünftige Residenz fand – ein enges Loch, das sie eine Schlafstelle nannten; es war zehn Fuß lang, sechs Fuß breit und ungefähr fünf Fuß vier Linien hoch; eine kleine Oeffnung, ungefähr neun Linien im Quadrat, führte uns das, was wir am meisten brauchten, nämlich frische Luft und Tageslicht, nur sehr sparsam zu. Ein hölzerner Tisch nahm einen bedeutenden Raum dieses engen Gemaches ein. Auf demselben stand ein kupferner Leuchter mit einem gegossenen Lichte, dessen Docht einer voll aufgeblühten Nelke glich. Das Tischtuch war aufgedeckt, und Portwein und Fettflecken zeigten, wie das schmutzige Hemde des Midshipman, nur zu sichtlich, daß der Sonntag herannahe. Ein Negersklave war damit beschäftigt, den Mittagstisch zu serviren, und man zeigte mir den Platz, den ich einnehmen sollte.

»Gütiger Himmel,« dachte ich, als ich mich zwischen die Schiffswand und den Speisetisch quetschte, »und dieß soll mein künftiger Aufenthalt sein? – Lieber zur Schule zurückkehren; da gibt es doch wenigstens frische Luft und weiße Wäsche.«

Ich würde sogleich an meine theure, tief betrübte Mutter geschrieben und ihr gemeldet haben, wie gern ihr verlorner Sohn in ihre Arme zurückkehren möchte, wenn mich nicht erstens mein Stolz, und zweitens der Mangel an Schreibmaterialien davon abgehalten hätte. Ich beschwor deßhalb meine ganze Philosophie herauf, als ich an der Tafel meinen Platz einnahm, und erheiterte meinen Geist durch die Reflexion des Gil Blas, als er sich in der Räuberhöhle befand, »siehe da den würdigen Neffen meines Onkels, Gil Perez, gefangen gleich einer Ratte in der Falle.«

Die meisten von meinen Gefährten waren im Dienste abwesend. Das Zwischendeck war mit Fässern, Kisten und Kasten, Säcken und Hängematten angefüllt; der Lärm der Kalfaterer hatte über meinem Kopfe und rund um mich herum wieder begonnen; der Gestank des Raumwassers, verbunden mit dem Rauch von Tabak und der Ausdünstung des Genevers und Bieres; das Braten von Beafsteaks, Zwiebeln und Bücklingen – das Drückende einer dunkeln Atmosphäre und ein schwerer Regenschauer, Alles dieß vereinigte sich, meinen Geist herabzustimmen, und mich zur elendesten Kreatur zu machen, die jemals lebte. Ich wollte beinahe verzweifeln, als ich mich der Einladung des Kapitäns erinnerte und Flyblock davon in Kenntniß setzte. »Gerade recht,« sagte dieser; »Murphy speist auch mit ihm: ihr könnt miteinander hingehen. Ich bin überzeugt, Ihre Gesellschaft wird ihm sehr angenehm sein.«

Ein Kapitän wartet selten auf einen Midshipman, und wir trugen daher Sorge, daß er es nicht nöthig hatte. Das Essen war in jeder Beziehung ein Dienstessen. Der Kapitän sprach sehr viel, die Lieutenants sehr wenig, und die Midshipmen gar nichts; aber gerade umgekehrt ging es beim Zusprechen mit Messer und Gabel und Weinglas zu (so weit man dessen habhaft werden konnte). Die Gesellschaft bestand aus meinem Kapitän, zwei andern, unserm ersten Lieutenant, Murphy und meiner Wenigkeit.

Sobald das Tischtuch abgenommen war, goß der Kapitän mir ein Glas Wein ein, sagte mir, ich solle trinken und dann sehen, wie der Wind stehe. Diesen ersten anmahnenden Wink nahm ich in seinem buchstäblichen Sinne, und da ich einen in der That sehr mangelhaften Begriff von den Linien des Kompasses hatte, so muß ich gestehen, daß ich mich ein wenig verlegen fühlte, wie ich mir die nothwendige Notiz verschaffen sollte. Glücklicherweise befand sich auf dem alten Kirchturme ein Wetterhahn; er hatte vier Buchstaben, die, wie ich wußte, die vier Hauptgegenden vorstellen sollten. Einer davon schien mir so genau mit dem Zeiger übereinzustimmen, daß ich mich davon überzeugt hielt, der Wind komme von Westen, und sogleich zurückkam, um meinem Kapitän die gewünschte Nachricht zu bringen, nicht wenig stolz auf den so schnell gewonnenen Erfolg. Aber wie groß war mein Erstaunen, als ich erfuhr, daß man meiner Bemühung keinen Dank wußte; die Gesellschaft lächelte, und winkte einander, der erste Lieutenant schüttelte den Kopf und sagte: »Doch noch gar zu grün;« der Kapitän aber brachte die Sache nach den in solchen Fällen auf der See gebräuchlichen Sitten und Gebräuchen wieder in's Geleise, indem er sagte: »Hier, junger Herr, ist ein anderes Glas für Sie: trinken Sie, und Murphy wird Ihnen bedeuten, was ich meine.« Murphy war also mein Begleiter; auf Einen Zug stürzte er seinen Wein hinunter, setzte das Glas mit Energie auf den Tisch, verbeugte sich und verließ das Zimmer.

Als wir die Halle erreicht hatten, entspann sich folgendes Zwiegespräch:

»Was zum Henker brachte Sie denn wieder zurück, Sie verdammter Grünschnabel, Sie? Konnten Sie den Wink nicht verstehen und sich aus dem Staube machen, wie es der Kapitän wollte? So muß ich durch ein so verwettertes, junges Kalb, wie Sie, um meinen Wein kommen. Aber warten Sie, ich will's Ihnen heimgeben, mein geschniegeltes Herrchen, ehe wir noch viele Wochen beisammen sind.«

Ich hörte diese zierliche Anrede mit einiger Ungeduld, aber mit noch weit mehr Indignation an und sagte dann:

»Ich kam zurück, um dem Kapitän zu melden, wie der Wind stehe.«

»Der Teufel soll Sie haben,« erwiederte Murphy; »glauben Sie denn, der Kapitän wisse nicht, wie der Wind steht? Und wenn er es nicht wüßte, meinen Sie nicht, daß er einen Seemann, wie mich, geschickt haben würde, und nicht ein so lümmelhaftes Kalb wie Sie?«

»Was der Kapitän meinte,« sagte ich, »weiß ich nicht. Ich that, was er verlangte – aber was meinen denn Sie damit, wenn Sie mich ein Kalb nennen? Ich bin so wenig ein Kalb, als Sie?«

»So, also nicht?« erwiederte Murphy, indem er mich bei einem Ohre nahm, und es so unbarmherzig herumzerrte, daß es um ein Beträchtliches seine Gestalt veränderte und ungefähr die Form des Leebords einer holländischen Schuyte annahm.

Dieß war nicht zu ertragen. Zwar zählte ich nur dreizehn, er aber siebenzehn – auch war er ein handfester Bursche, weßhalb ich also keine Händel mit ihm hätte suchen sollen. Er hatte jedoch selbst angefangen: meine Ehre stand auf dem Spiele, und ich wundere mich nur, daß ich meinen Degen nicht zog, und ihn todt zu meinem Füßen niederstreckte. Zu meinem Glücke vergaß ich in der Wuth, daß ich etwas der Art an der Seite hatte, dachte aber doch an meine Uniform und an die Schande, die ihr widerfuhr, an die Bewunderung des Stubenmädchens, an die Honneurs der Schildwache, und dieses Alles setzte mein Gehirn in Feuer und Flammen. Wie der Blitz fuhr ich auf und schnellte meine Faust, die Waffe, die ich am besten zu führen gewohnt war, mit einer Gewalt und Bestimmtheit, der selbst Crib seinen Beifall gezollt haben würde, in das linke Auge meines Gegners. Murphy taumelte bei diesem Schlage zurück und ich schmeichelte mir einen Augenblick, daß er genug daran hätte.

Aber nein – ach, dieser Tag war ein Unglückstag: er hatte sich blos zurückgezogen, um einen Ansatz zu nehmen; dann kam er auf mich zu, wie die Leibgarden vor Waterloo, und sein Angriff war unwiderstehlich. Ich wurde niedergeworfen, mit Fäusten zerbläut, gestoßen, getreten, und würde aller Wahrscheinlichkeit nach einen Gegenstand für den Leichenbeschauer abgegeben haben, wären nicht der Kellner und das Stubenmädchen zu meiner Rettung herbeigeeilt. Die Zunge der Letzteren war besonders thätig zu meinen Gunsten; nur hatte sie unglücklicherweise keine andere Waffe bei der Hand, sonst würde es Murphy schlecht ergangen sein. »Pfui!« rief sie, »pfui, ein so großer Lümmel einen armen, kleinen, unschuldigen, wehrlosen jungen Burschen schlagen. Was würde wohl seine Mutter sagen, wenn sie ihn so behandelt sähe?«

»Der Teufel hole seine Mutter und Sie dazu,« sagte Pat, »da sehen Sie mein Auge an.«

»Ich pfeife auf Ihr Auge,« versetzte der Kellner; »'s ist Jammer und Schade, daß er Ihnen das andere nicht ebenso bedient hat: es wäre Ihnen gerade recht geschehen, da Sie ein Kind schlagen. Der Knabe ist guter Leute Kind und das ist mehr, als Sie von sich rühmen können; er ist so viel werth, als alle Bursche von Ihrem Gelichter, die zwischen hier und dem Eisenstuhle von Barbican Platz haben.«

»Ich möchte ihn nur darin untertauchen sehen,« sagte das Mädchen.

Inzwischen hatte ich meine verteidigende Haltung wieder angenommen. Ich hatte keine einzige Klage laut werden lassen und mir dadurch das Wohlwollen aller Umstehenden gewonnen, unter welchen nun auch mein Kapitän mit seinen Freunden erschien. Das Blut strömte mir aus dem Munde, und ich trug die deutlichsten Spuren der Züchtigung eines mir überlegenen Feindes an mir, der für sein Alter als ein guter Faustkämpfer bekannt war und den Hieb von mir nicht bekommen haben würde, wenn er mir die Frechheit eines Angriffs hätte zutrauen können. Murphy erzählte den Hergang nach seiner Weise: er sagte Alles, nur nicht die Wahrheit. Hierin hätte ich ihn auch wohl überwinden können, doch da bei dieser Gelegenheit die Wahrheit meinem Zwecke mehr entsprach, als die Lüge, so erzählte ich, nachdem er geendet, die Sache einfach, wie sie sich zugetragen hatte, und sah, obgleich auf dem Felde geschlagen, doch bald klar und deutlich, daß ich im Kabinete den Vortheil hatte. Murphy wurde in Ungnaden entlassen und befehligt, so lange an Bord zu bleiben, bis sein Auge wieder hell sei.

»Ich hätte Ihnen Schiffsarrest gegeben.« sagte der Kapitän, »doch der Knabe hat es für mich gethan: Sie können sich mit diesem blauen Auge am Lande nicht blicken lassen.«

Sobald er gegangen war, wurde ich ermahnt, in Zukunft vorsichtiger zu sein.

»Sie sind,« sagte der Kapitän, »wie ein junger Bär. Die Welt liegt vor Ihnen mit allen ihren Sorgen. Wenn sie für jedes harte Wort, das man Ihnen sagt, einen Hieb austheilen, so kann man Ihnen Ihr Schicksal voraussagen: sind Sie schwach, so wird man Sie zur Mumie schlagen – sind Sie stark, so wird man Sie hassen. Ein händelsüchtiges Gemüth wird Ihnen in jedem Range, den Sie einnehmen, Feinde machen; man wird Sie mit mißtrauischem Auge überwachen, da wir alle wohl wissen, daß derselbe Geist von Trotz und Auflehnung, den Sie in dem Krankenverschlag zeigen, Ihnen auf das Hinterdeck folgen und mit Ihnen im Dienste zunehmen wird. Zu Ihrem eigenen Besten gebe ich Ihnen diesen Rath – nicht daß ich mich in dergleichen Dinge mischte, denn Alles findet sein Gegengewicht auf einem Kriegsschiffe; ich wünsche bloß, daß Sie einen Unterschied machen zwischen Widerstand gegen Unterdrückung, den ich bewundere und hochschätze, und zwischen händelsüchtiger Raufsucht, die ich verachte. Jetzt waschen Sie Ihr Gesicht und gehen Sie an Bord. Geben Sie sich alle Mühe, ihre übrigen Tischgenossen für sich zu gewinnen, denn auf den ersten Eindruck kömmt Alles an, und Sie können sich darauf verlassen, daß Murphy nicht zu Ihren Gunsten repontiren wird.

Dieser Rath war sehr gut, nur kam er leider um eine halbe Stunde zu spät. Den ganzen Streit hatte ich dem ungeeigneten Benehmen des Kapitäns, so wie den Seemannssitten und Gebräuchen des neunzehnten Jahrhunderts zu verdanken. Die Tischgespräche unter den Personen höheren Dienstranges waren dazumal, wenn nicht gerade Damen zugegen waren, größtentheils der Art, daß ein Knabe sie ohne Verletzung seiner besseren Gefühle nicht anhören konnte. Ich wurde deshalb weggewiesen; aber, allen Respekt vor meinem Kapitän, der noch lebt – man hätte mich an Bord meines Schiffes schicken und vor den schlechten Gewohnheiten der Einwohner von North-Corner und Barbican warnen sollen. War ich nicht befähigt, der mysteriösen Unterhaltung einer Kapitänstafel beizuwohnen, so hätte man mich in klaren und deutlichen Ausdrücken wegschicken können, ohne mich durch jenen Wink, den ich nicht verstand und nicht verstehen konnte, unnöthigerweise in Verlegenheit zu bringen.

Um acht Uhr kam ich wieder an Bord, wo mir Murphy einen nichts weniger, als angenehmen Empfang bereitet hatte. Anstatt in meinem Speisezimmer bewillkommt zu werden, empfing man mich mit Kälte. Ich ging auf's Hinterdeck zurück, wo ich so lange umherschritt, bis ich müde war und mich dann an eine Kanone lehnte. Aus dieser vorübergehenden Erholung wurde ich durch ein donnerndes Geschrei: »Weg von der Kanone!« aufgeschreckt. Ich fuhr zusammen, faßte an den Hut und setzte meinen einsamen Spaziergang fort, indem ich dann und wann auf den zweiten Lieutenant blickte, der mich so rauh angelassen hatte. Es überkam mich eine Niedergeschlagenheit, ein Gefühl der Verlassenheit und des Elends, das ich nicht beschreiben kann. Ich hatte nichts Böses gethan und doch litt ich, als wenn ich ein Verbrechen begangen hätte. Ich wurde gekränkt und hatte mich gerächt, so gut ich konnte. Ich glaubte mitten unter Teufeln, nicht unter Menschen zu sein, und meine Gedanken wandten sich heimwärts. Ich dachte an meine arme Mutter, wie sie in ihrem unbeschreiblichen Kummer auf dem Sopha lag; mein gefühlloses Herz empfand jetzt, daß es liebevoller Tröstung bedurfte. Ich hätte weinen mögen, doch wohin gehen? denn ich konnte mich doch nicht an Bord eines Schiffes in Thränen erblicken lassen. Mein Stolz fing an sich zu demüthigen: ich fühlte das Elend der Abhängigkeit, obgleich es mir nicht an pecuniären Mitteln mangelte, und gerne hätte ich alle meine Aussichten dafür hingegeben, noch einmal mit Seelenruhe zu Hause sitzen zu können.

Bald kam der erste Lieutenant an Bord und ich hörte ihn mein Abenteuer dem zweiten Lieutenant erzählen. Jetzt wandte sich die Fluth augenscheinlich zu meinen Gunsten. Ich wurde in die Offizierskajüte hinab eingeladen, und nachdem ich alle Fragen zur Befriedigung beantwortet, schickte man nach Flyblock, dessen Schutz ich nochmals empfohlen wurde. Ich schmeichelte mir, die Gunst des ersten Lieutenants würde mir wenigstens für kurze Zeit ordinäre Höflichkeit zusichern.

Ich hatte nun mehr Muße, meinen neuen Aufenthaltsort, wie auch meine neuen Genossen zu betrachten. Letztere, aus dem Arsenal, wo sie Dienst gehabt hatten, zurückgekehrt, waren alle im Speisezimmer versammelt, rings um den Tisch auf Kasten sitzend, welche dem doppelten Zwecke von Sesseln und Behältnissen entsprachen. Um jedoch zum Sitzen zu kommen, mußte man entweder über die Rücken der Andern steigen oder sich dem Quetschen des später Kommenden aussetzen. Solch eine nahe Berührung ist selbst bei guten Freunden eben nicht wünschenswerth, aber bei warmem Wetter, eingeschlossener dumpfer Luft und offenbarem Mangel an reiner Wäsche, wurde sie im höchsten Grade unangenehm. Die Masse der hier Speisenden überstieg für die Enge des Raumes wohl alle sonst gewöhnlichen Grenzen, und ich glaube nicht, daß Menschen in andern nur denkbaren Lebensverhältnissen, ausgenommen auf einem Sklavenschiffe, je so eng auf einander gepreßt wurden. Die Midshipmen, acht ältere und vier jüngere, saßen ohne Jacken und Westen da; einige von ihnen hatten ihre Hemdärmel aufgestreift, um dadurch entweder die Beschmutzung derselben am Aermelpreischen zu verhindern oder den bereits daselbst befindlichen Schmutz zu verdecken. Das Mahl bestand aus einer Kanne oder einem weiten Schleifkruge Dünnbier und einem lackirten Brodkorbe voll Schiffszwieback. Um diese einfache Kost zu verherrlichen und zugleich die drückende Atmosphäre zu kühlen, war der Tisch durch einen großen, grünen Teppich mit gelbem Rande und noch manchen anderen gelben Flecken bedeckt, wo sich die Farbe durch umgegossenen Essig, heißen Thee u. dgl. verändert hatte; in einer Ecke stand ein Sack mit Kartoffeln und die dicht über unsern Köpfen befindlichen Gesimse waren vollgestopft mit Tellern, Gläsern, Quadranten, Messern und Gabeln, Zuckerhüten, schmutzigen Strümpfen und Hemden, noch schmutzigeren Tischtüchern, aufgestülpten Hüten, Degen, Querpfeifen, Mahagonischreibpulten, einem Teller gesalzener Butter und zwei bis drei Paar Halbstiefeln. Ein einziges Licht diente dazu, die Finsterniß zu beleuchten, und der Gestank überwältigte mich beinahe.

Der Empfang, den man mir angedeihen ließ, war nicht geeignet, diese schrecklichen Eindrücke zu mildern. Ein Neger, bloß mit einem schmutzigen Hemde und Hosen bekleidet und durchaus nicht nach Ambra duftend, stand mitten in der Thür, bereit, den verschiedenen Befehlen zu gehorchen, die man ihm aufbürdete. Das stinkende Handtuch in seiner Hand, womit er die Teller und Gläser abwischte, vollendete meine Unbehaglichkeit, und ohnmächtig fiel ich auf den mir zunächst stehenden Stuhl. Nachdem ich mich wieder, ohne die Hülfe eines rettenden Engels, erholt hatte, zog ich meine Pupillen zusammen und wagte es, um mich zu blicken. Der erste, auf den mein Blick fiel, war mein neuer Feind; er trug die Spuren des Kampfes an sich, denn über sein Auge war ein Stück Löschpapier gelegt, welches von einem darüber gebundenen schmutzigen seidenen Schnupftuche gehalten wurde; das andere richtete er lebhaft auf mich, und mit wilder und brutaler Unverschämtheit schwur er mir die grausamste Rache. Hierin unterstützte ihn ein anderer bösaussehender Bursche mit einem großen Knebelbarte.

Es wird nicht nöthig sein, alle die eleganten philippischen Reden zu wiederholen, mit denen ich beehrt wurde. Genug, ich fand die Großen sämmtlich gegen mich und die Kleinen neutral. Der Proviantmeister, welcher sich dachte, ich hätte hinreichende Ermahnungen für meine künftige Aufführung bekommen und sei gehörig eingeschüchtert, um Frieden zu halten, schickte alle jüngeren aus dem Speisezimmer. »Und Sie, Mr. Raufbold,« sagte er zu mir, »Sie mögen auch mit der Brut gehen und sich selten machen, wie Hochländer Hosen.«

Die Knaben gehorchten stillschweigend dem Befehle, und es war mir nicht unangenehm, ihnen zu folgen. Als ich hinausging, rief er mir noch nach: »So, Mr. Rumbusticus, Sie können gehorchen, wie ich sehe, und das ist Ihr Glück, denn ich hatte schon einen Zwiebacklaib für Ihren Kopf in Bereitschaft.« Nach Allem, was ich schon erduldet hatte, war ich wohl gezwungen, diese Beschimpfung einzustecken; aber das konnte ich nicht begreifen, was der Admiral damit meinte, wenn er sagte, die Leute gehen zur See, »um Manieren zu lernen«.

Mit den jüngeren meiner Tischgenossin wurde ich bald bekannt. Wir zogen uns auf das Vorderschiff zurück, den einzig geeigneten Theil des Fahrzeuges für die Natur der Unterredung, die wir pflegen wollten. Nach einstündiger Berathung wurde ich, obgleich es die erste Nacht war, die ich am Bord eines Schiffes zubrachte, einstimmig zum Anführer der kleinen Bande erwählt. Ich wurde der Wilhelm Tell der Gesellschaft, weil ich der erste gewesen war, welcher sich der Tyrannei der Aelteren und besonders des Tyrannen Murphy widersetzt hatte. Ich wurde in alle Geheimnisse der Tischgenossenschaft eingeweiht, welcher der Kapitän die Jüngeren zugetheilt hatte, um belehrt und in Ordnung gehalten zu werden. Aber ach! was konnten wir hier lernen, als fluchen, und in welcher anderen Ordnung wurden wir gehalten, als daß wir unsere Kost bezahlten und uns derjenigen Artikel enthielten, die man mit unserm Geld gekauft hatte! Mein Blut kochte, als meine Kameraden mir erzählten, was sie alles ausgestanden, und ich schwur, eher zu sterben, als mich einer solchen Behandlung zu unterwerfen.

Die Stunde des Schlafengehens war gekommen. Man zeigte mir, wie ich in die Hängematte gelangen könne, und lachte, als ich auf der andern Seite herauspurzelte. Wohl oder übel mußte ich mir diesen Stolz selbstbewußter Ueberlegenheit von solchen Krabben gefallen lassen, die sich bloß mit ein paar Monaten längerer praktischer Erfahrung brüsten konnten, und mich deshalb Grünschnabel nannten. Doch alles dies thaten sie auf eine gutmüthige Art, und nachdem meine Kameraden mich ein paar Mal herzlich ausgelacht hatten, gewann ich den Mittelpunkt meines hängenden Bettes, in welchem ich sehr bald in einen gesunden Schlaf verfiel. Ich konnte mich jedoch dessen bloß bis vier Uhr Morgens erfreuen, um welche Zeit das Kopfende meiner Hängematte heruntersank und ich auf's Deck fiel, mit den Füßen noch in der Luft, wie die arme Sally, als sie einen Krebs fing. Dumpf und betäubt vom Falle, verwirrt durch den heftigen Stoß und die unbekannten Gegenstände um mich herum, blieb ich in einer Art von Traumleben liegen, und es vergingen einige Minuten, bis ich mich wieder zurecht fand.

Die Schildwache an der Thüre der Constabelkammer, welche meinen Unfall mit angesehen und auch die Person bemerkt hatte, der ihr diesen Genuß verdankte, kam mir freundlich zu Hülfe. Der Mann knüpfte die Hängeschlinge wieder an und hing mein Bett an seine vorige Stelle, konnte mich aber nicht überreden, daß ich mich auf's Neue solch tückischen Bettpfosten anvertraute; denn ich glaubte, die Stricke wären gerissen, und hatte dergestalt Angst vor einem zweiten Falle, daß ich eine Decke nahm, mich in einiger Entfernung auf eine Kiste niederlegte und mein schlafloses Auge unverwandt auf den Schauplatz des so eben überstandenen Ungemachs heftete.

Dies war mein Glück, denn nach einigen Minuten kam Murphy, der von der Mittelwache abgelöst worden war, herunter. Als er sah, daß meine Matte wieder eingehängt war, zog er in der Meinung, ich liege darin, sein Messer heraus und schnitt sie durch. »So,« sagte ich zu mir selbst, »du warst es also, der meinen Schlaf störte und mir beinahe das Gehirn zerschmetterte – und jetzt hast du den zweiten Versuch gemacht.« Dem Himmel schwur ich es zu, daß ich Rache haben wollte, und ich hielt diesen Schwur. Wie ein nordamerikanischer Wilder kauerte ich mich, damit er mich nicht gewahre, zusammen und wartete geduldig ab, bis er sich in seine Hängematte gelegt hatte und in einen tiefen Schlaf gefallen war. Dann rückte ich leise einen Kugelkasten unter das Kopfende seiner Matte und stellte die Ecke desselben so, daß sein Kopf darauf fallen mußte, denn ich war so erbittert und voll Rache, daß ich es mit Ruhe hätte ansehen können, wenn er den Schädel daran zersplittert hätte. Vorsichtig und leise schnitt ich dann die Hängeschlinge durch: er fiel und sein Kopf stürzte gegen die Ecke des Kugelkastens, worauf er tief aufächzte und liegen blieb. Ich zog mich augenblicklich nach meinem Kasten unter die Decke zurück und that, als wenn ich schnarchte, während die Schildwache, die zu meinem Glücke gesehen, daß Murphy mich zuerst herunter geschnitten hatte, mit einer Laterne kam und, da sie ihn für todt da liegen sah, den Kugelkasten auf die Seite rückte; sie eilte sodann zum Sergeanten und bat denselben, den Wundarztgehülfen herbeizuholen.

Als der Sergeant gekommen war, wisperte mir die Schildwache leise zu: »Nur ruhig geblieben; ich sah Alles. Wenn man Sie hier außen fände, so könnte es Ihnen schlecht ergehen.«

Wie es schien, hatte Murphy wenig Freunde auf dem Schiffe, denn Alle freuten sich über den Unfall. Ich hielt mich ruhig in meiner Decke, während der Chirurgengehülfe die Wunde verband und nach Verfluß einer geraumen Zeit den Patienten wieder zur Besinnung brachte, obschon derselbe noch vierzehn Tage lang das Bett hüten mußte. Entweder warf man keinen Argwohn auf mich oder wußte man, daß ich nicht angefangen hatte. Das Geheimniß wurde wohl bewahrt, dem Soldaten gab ich eine Guinee und nahm ihn als valet de place in meinen Dienst.

Und nun, lieber Leser, erlaube mir zu meiner Rechtfertigung einige wenige Bemerkungen: sie mögen bis auf einen gewissen Grad das ausgelassene Treiben beschönigen, wovon die folgenden Seiten melden werden. Die unseren gefallenen Naturen eingepflanzten Leidenschaften – Stolz und Rache, die durch meine Erziehung, wenn auch nicht ausgerottet, doch wenigstens so lange, als möglich im Schlummer hätten erhalten werden sollen – waren durch den Unverstand derer, denen man mich anvertraut hatte, schon in sehr frühem Alter zur vollständigen Thätigkeit geweckt worden. Das von meinen Eltern ausgestreute Samenkorn, welches vielleicht gekeimt und Früchte getragen hätte, war weder begossen noch sonst im Mindesten gepflegt worden. Unkraut hatte sich an dessen Stelle gedrängt und den Boden eingenommen, welcher jenes hätte nähren sollen, und in welch' eine Lage wurde ich gerade in der Periode geworfen, in welcher die sorgfältigste Pflege nothwendig gewesen wäre, um eine erfreuliche Ernte zu gewinnen? In ein Schiff mit dreihundert Mann, von denen nahezu Jeder mit einem unglücklichen Weibsbilde auf der niedrigsten Stufe der Entwürdigung zusammen lebte – wo jeder Ausspruch von Flüchen und Lästerungen begleitet, wo die Religion gänzlich vernachlässigt wurde und die einzige Ehre, die man dem Allmächtigen erwies, in einem weißen Hemde am Sonntage bestand – wo unbedingter Gehorsam gegen einen Offizier für wichtiger galt, als die Beobachtung der zehn Gebote, ja wo Gottes Gebote sogar in gewisser Art durch die Kriegsartikel abgeschafft waren, da man den ersteren ungestraft zuwider handeln durfte und sogar noch dafür gepriesen wurde, während auf jeden Verstoß gegen die letzteren die strengste Strafe gesetzt war! So viel vom Schiffe im Allgemeinen; jetzt wollen wir einen Blick in das Speisezimmer der Midshipmen werfen. Hier finden wir dieselbe Sprache und dieselben Sitten, die kaum einen Schatten mehr von feinerer Bildung an sich tragen. Ihr einziges Thun und Treiben am Lande war Berauschung oder noch schlimmere Ausschweifungen, auf die sie sich bei ihrer Rückkehr an Bord sehr viel zu Gute thaten. Mein Kapitän sagte, daß auf einem Kriegsschiffe Alles sein Gegengewicht finde. Wohl wahr; aber auf einem Kadettenzimmer war dieses Gegengewicht dasselbe, wie bei den Wilden, wo Körperkraft die Bedingung sine qua non ist und entscheidet, ob man die Rolle eines Tyrannen oder Sklaven spielen wird. Die Zucht der öffentlichen Schulen, so schlecht und verderblich sie auch sein mag, ist, mit der Tyrannei in einem Kadettenspeisezimmer von 1803 verglichen, noch golden.

Er herrschte lange die irrige Meinung, daß es den Knaben Nutzen bringe, wenn sie in den Schulen tyrannisch unterdrückt wurden, und wir müssen beständig öffentliche Schulen und Seekadettenstuben namentlich dafür loben hören, daß »die Bürschchen hier zur Besinnung gebracht werden«. Ich will nicht läugnen, daß die Vornehmen durch Reibung mit den Geringeren sich bessern und daß ein aristokratisches Kerlchen durch eine tüchtige Prügeltracht von einem Handwerkersohne oft zur Vernunft kommt. Aber wer als Sklave erzogen wird, wird zum Tyrannen, sobald er zur Macht gelangt; die niedrigsten unserer Leidenschaften sind diejenigen, Andern das Uebel fühlen zu lassen, das wir selbst erduldet zu haben uns brüsten. Der Muth und der unerschrockene Geist eines edelherzigen Jungen wird entweder durch Mißhandlung, welchen zu widerstehen er nicht die Macht hat, gebrochen, oder wenn sein Stolz derselben trotzt, in den finstern Geist tückischer Widersetzlichkeit und unversöhnlicher Rache verwandelt, der ihm sein ganzes künftiges Leben vergiftet.

Letzteres war mein Loos, und meine Leser mögen nicht erstaunen noch unwillig werden, wenn sich im Verlauf dieser Abenteuer einige Früchte von diesem unglückseligen, so früh und so reichlich in meinem Busen gestreuten Samen zu Tage fördern. Wenn mich bei meiner ersten Ankunft auf dem Schiffe Schauder und Entsetzen vor den erwähnten Lästerungen und Unfläthereien ergriff – wenn ich meine Augen dem ungebührlichen Zusammenleben beider Geschlechter verschloß, so dauerte dieß nicht lange. Unmerklich wurde ich mit dem Laster vertraut, verstockt gegen seine Berührung und in wenigen Monaten war ich beinahe eben so verdorben, wie die Andern. Allerdings hätte ich länger widerstehen können; doch wenn auch die Festung der Tugend offenen Stürmen zu begegnen im Stande gewesen wäre, so vermochte sie doch den Minen des Spottes nicht zu widerstehen. Meine jungen Kameraden, die, wie ich schon bemerkte, bloß sechs Monate Dienstzeit vor mir voraus hatten, waren in der Verworfenheit bereits alt geworden. Sie lachten über meine Zimperlichkeit, nannten mich eine Milchsuppe und Schulmamsell, und machten mich bald so schlecht, als sie selbst waren. Wir hatten allerdings noch nicht das ausübende Alter erreicht, doch waren wir vollkommen darauf vorbereitet.

Ich befand mich noch nicht zwei Tage an Bord, als die Jüngeren mir den Vorschlag machten, den Hauptmast zu ersteigen. Ich war stets ein guter Kletterer gewesen und klomm daher mit voller Zuversicht an den Tauen hinauf; doch war ich noch nicht weit, als der Topkapitän mit noch einem Andern mich ergriff und mit vieler Gelassenheit an das Tauwerk festband. Alle meine Vorstellungen wurden verlacht. Auf meine Frage, was dies bedeuten solle, sagte der Topkapitän sehr höflich, indem er den Hut dabei abnahm, so ergehe es allen jungen Herren, wenn sie zum erstenmale hinaufkämen, und ich müsse mich auslösen. Ich sah mich auf dem Hinterdeck nach Hülfe um, doch alles lachte mich aus und selbst den kleinen Spitzbuben von Midshipmen, die mich verführt hatten, gefiel der Spaß. Da ich sah, wie die Sachen standen, fragte ich nur nach, was ich zu zahlen hätte. Der Topkapitän sagte, ein Siebenschillingstück würde recht sein. Ich versprach ihnen dies und auf meine Versicherungen hin wurde ich losgebunden. Als ich auf das Hinterdeck kam, bezahlte ich das Geld.

Bis jetzt hatte ich am Bord nichts als Grausamkeiten und Erpressungen erfahren, und bereute schmerzlich den unglücklichen Gedanken, zur See zu gehen, wobei mich nichts zu trösten vermochte, als daß ich Murphy mit verbundenem Kopfe in der Hängematte liegen sah. Dies war Balsam für mich. »Ich harre meiner Zeit,« sagte ich, »und werde mich noch an euch Allen rächen.« Und so kam es auch. Keiner entschlüpfte mir; ich bekam sie Alle nach der Reihe und kühlte an ihnen meinen Muth.

Ich war drei Wochen an Bord, nach welcher Zeit das Schiff als segelfertig gemeldet wurde. Durch die anhaltende Aufmerksamkeit in der Leistung der kleinen Dienste, die mir der erste Lieutenant übertrug, hatte ich mir dessen Gunst erworben. Ich war einer Wache zugetheilt, im Vortop postirt und lag auf dem Hauptdeck bei dem Vordermastgeschütze. Die Kleinen hatten mir gesagt, der erste Lieutenant sei ein barscher Offizier und unversöhnlich, wenn er einmal einen Groll auf Jemanden fasse; doch war sein Wesen, selbst bei der größten Aufregung, stets das eines vollendeten Gentleman, und ich stellte mich vortrefflich gut mit ihm. Aber mit dem zweiten Lieutenant war ich nicht so glücklich. Er hatte mir befohlen, eine Yolle zu nehmen und ein Weibsbild an's Land zu bringen, die er unterhielt; ich machte Gegenvorstellungen, weigerte mich förmlich, und von diesem Augenblicke an waren wir nie mehr gut Freund.

Inzwischen hatte sich Murphy von seinem Falle erholt und trat wieder in den Dienst ein. Sein Zorn gegen mich hatte sich gesteigert und ich fand weder Ruhe noch Frieden in seiner Gegenwart. Eines Tages warf er mir einen Zwieback an den Kopf und gab mir dabei einen Namen, der die Gesetzlichkeit meiner Geburt in den gemeinsten und niedrigsten Ausdrücken zweifelhaft machte. In diesem Augenblicke waren alle Ermahnungen, die ich empfangen, und Alles, was ich der Heftigkeit meines Temperaments wegen schon erduldet hatte, vergessen; das Blut kochte mir in den Adern und träufelte von meiner verwundeten Stirne. Schwindelnd und beinahe blind vor Wuth, ergriff ich einen messingenen Leuchter, dessen Boden (um ihn auf der See stehend zu erhalten) mit Blei ausgegossen war, und warf ihn mit aller Macht gegen Murphy. Hätte er, wie ich es beabsichtigt, getroffen, so wäre dieß seine letzte Beleidigung gewesen. Er verfehlte jedoch das Haupt meines Gegners und traf den dienenden Neger an die Schulter; der arme Kerl lief heulend zum Wundarzt und blieb lange Zeit in Behandlung. Murphy sprang auf, um augenblicklich Rache zu nehmen, doch die Aelteren hielten ihn zurück, indem sie einstimmig erklärten, daß solch' eine Beleidigung mit mehr Feierlichkeit bestraft werden müsse. Ein Scheingericht, das auf die mir zugefügte Beleidigung keine Rücksicht nahm, fand mich der Insubordination »gegen die Aelteren« und des bösen Beispiels, das ich den Jüngeren gäbe, schuldig. Ich wurde verurtheilt, mit einem Strumpfe voll nassen Sandes bearbeitet zu werden. Vier kräftige Midshipmen drückten mir das Gesicht auf den Tisch, der Wundarztgehülfe mußte mir dabei fortwährend den Puls fühlen, ob er Erschöpfung andeute, und Murphy wurde nach seinem ausdrücklichen Verlangen der Exekutor. Wäre es ein Anderer gewesen, so hätte ich durch Geschrei meiner Todespein Luft gemacht, doch, einem grimmigen Eber gleich, beschloß ich, eher den Tod zu erdulden, als ihm mit irgend einer Aeußerung von Schmerz Freude zu machen. Nach einer höchst derben Strafe wurde der Wundarzt endlich durch einen kalten Schweiß und eine Ohnmacht etwas unruhig. Man ließ mich los, gab mir aber den Befehl, vierzehn Tage lang allein auf meinem Kasten zu essen. Sobald ich wieder stehen und Athem schöpfen konnte, erklärte ich auf das Feierlichste, daß die Wiederholung eines ähnlichen Angriffes mich zu der That, um deren willen ich gelitten habe, treiben und ich den Kapitän um Gerechtigkeit anflehen würde. Dann wandte ich mich an Murphy und sagte zu ihm: »Ich war es, der Ihre Hängematte herunter geschnitten hat, so daß Ihr Gehirn beinahe zerschmettert wurde. Ich that es, um Ihren feigen Angriff auf mich zu erwiedern, und ich werde es wieder thun, sollte ich auch als Märtyrer dafür büßen: für jeden Akt der Tyrannei, den Sie an mir verüben, will ich Rache nehmen. Probiren Sie wieder einmal eine ungerechte Kränkung, und Sie werden sehen, ob ich mein Wort halte.«

Er grinste und wechselte die Farbe; doch unternahm er nichts mehr gegen mich, denn er war ein Feigling.

Man befahl mir, das Zimmer zu verlassen, und als ich ging, hörte ich Einen sagen: »Gott straf' mich, ein eingefleischter Teufel.«

Dieser Akt der Gewaltthätigkeit führte eine Art Einstellung der Feindseligkeiten herbei. Murphy wußte, daß er eine Karaffe an den Kopf oder ein Messer in die Seite zu erwarten hatte, wenn er mich reizte, und die Ruhe, die ich seinem Mitleiden nicht abgewonnen, zwang ich seiner Furcht ab. Die Sache machte auf dem Schiffe Aufsehen. Bei den Offizieren büßte ich ein, weil sie falsch berichtet wurden; bei den Untergebenen dagegen gewann ich, da sie Murphy haßten. Sie wußten, wie es hergegangen war, und bewunderten meinen entschlossenen Widerstand.

Die Ungnade der Offiziere veranlaßte mich, die Gesellschaft der Matrosen zu suchen. Schnell lernte ich den praktischen Theil meines Dienstes, und zog aus dem ungehobelten Urtheil dieser rauhen Kriegsleute über die mangelhafte Seefahrerkunde ihrer Vorgesetzten manchen Vortheil. Wir hatten eine Art Bündniß mit einander geschlossen: sie versprachen mir, daß, wenn sie je desertirten, dieß nicht von dem Boote aus geschehen sollte, auf welchem ich den Dienst hätte, und ich versprach, sie in Wirthshäuser gehen und trinken zu lassen, so lange ich sie entbehren könnte. Trotz dieses gegenseitigen Einverständnisses brachen zwei von ihnen Tags zuvor, eh' wir in die See stachen, ihr Versprechen und desertirten von meinem Boote, und da ich durch meine Nachsicht, sie in's Wirthshaus zu lassen, Ungehorsam bewiesen hatte, so wurde ich bei meiner Rückkehr auf das Schiff vom Hinterdeck weggeschickt und erhielt Befehl, meinen Dienst auf dem Vordertheil zu verrichten.


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