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Fünftes Kapitel.

Mein Leben ist bereits gemessen;
Folgt mir, wie gute Engel, hin zum Tode.

Heinrich VIII.

Ganz leise faßt, wie Fieber, uns Gefahr,
Selbst wenn wir müssig in der Sonne sitzen.

Troilus u. Cressida.

Seit der unglücklichen Angelegenheit auf dem Mastkorbe war es mir nie wieder gelungen, das Vertrauen und die Achtung des ersten Lieutenants zu erringen. Er war allerdings ein vortrefflicher Offizier, nur allzugenau, und konnte namentlich nie ein Benehmen vergessen, das er für einen Ehrenwortbruch hielt. Deßhalb konnte ich mich auch leicht in die Trennung finden, die sich sehr bald nachher zutrug.

In der Bai von Arkasson machten wir auf ein Schiff Jagd, das, nach Franzosenbrauch, unter einer Batterie Schutz suchte, und der Kapitän war entschlossen, englischer Gewohnheit zu Folge, die Prise herauszuholen. Zu diesem Zwecke wurden die Boote bemannt, bewaffnet und Alles zum Angriff für den nächsten Morgen vorbereitet. Der erste Lieutenant erhielt das Kommando und begab sich, hoch erfreut über diesen Auftrag, der ihm Gelegenheit gab, am andern Tage Ehre und Gewinn zu erholen, nach seinem Lager. Seine Bravour und Besonnenheit im Kampf war zum Sprüchwort geworden, so daß ihm die Matrosen mit einer Zuversicht folgten, als ginge es zu einem gewissen Siege.

Ob in selbiger Nacht ominöse Träume seine Ruhe störten oder Betrachtungen über die Schwierigkeit und Gefahr des ihm bevorstehenden Dienstes eine ernste Stimmung zur Folge hatten, weiß ich nicht zu sagen – jedenfalls erschien uns Allen das Benehmen des ersten Lieutenant merkwürdig verändert. Keine Spur von seinem sonstigen Feuer – er ging mit langsamem und gemessenem Schritte auf dem Decke hin und her, augenscheinlich in tiefe Gedanken versunken; dabei war er – ganz gegen seine Gewohnheit – stumm, schwermüthig, zerstreut und achtlos gegen die Anforderungen des Schiffsdienstes.

Die für die Expedition bestimmten Boote waren bemannt und die Offiziere auf ihre Posten eingerückt. Man hielt die Ruder in Bereitschaft, die Augen der jungen Krieger strahlten vor Kampflust, und wir warteten nur noch auf Mr. Handstone, der in tiefe Gedanken versunken auf dem Decke hin- und herging. Endlich wurde er durch den Kapitän aus seinen Träumereien geweckt, der ihn mit ungewöhnlich lauter Stimme fragte, ob er das Kommando der Expedition zu übernehmen gedenke. »Zuverlässig,« lautete seine Antwort, worauf er mit festen, kräftigen Schritten über die Schanze ging und in sein Boot stieg.

Ich folgte ihm und nahm an seiner Seite Platz; er blickte mich mit vorbedeutungsvoller Gleichgültigkeit an, denn wenn er in seiner gewöhnlichen Stimmung gewesen wäre, würde er mich ohne Zweifel nach einem andern Boote kommandirt haben. Wir mußten ziemlich weit rudern, bis wir den Gegenstand unseres beabsichtigten Angriffs erreichten, da derselbe, zu unserem Empfange gut vorbereitet, dicht am Ufer vor Anker lag. Die erste Begrüßung, welche uns zu Theil wurde, bestand aus einer vollen Kartätschenladung, welche übrigens auf unsere Mannschaft nur die Wirkung hervorbrachte, die der Sporn auf ein feuriges Roß übt. Wir ruderten an die Seite des feindlichen Schiffes und begannen so gut wie möglich daran empor zu klettern. In einem Nu hatte Mr. Handstone seine ganze frühere Thatkraft wieder gewonnen; er ermunterte seine Leute und erklomm mit dem Degen in der Faust die Schiffsseite, während unsere Mannschaft zu gleicher Zeit eine Musketensalve gab und ihrem unerschrockenen Führer folgte.

Unser Boot hatte sich zuerst dem Feinde genähert; von seinen vierundzwanzig Mann waren bereits eilf getödtet oder kampfunfähig gemacht. Ohne jedoch hierauf Rücksicht zu nehmen, eilte der Lieutenant hinan. Ich folgte ihm auf der Ferse. Er sprang von der Brüstung auf das Deck; aber ehe ich mein Seitengewehr zu seiner Verteidigung ziehen konnte, stürzte er gegen mich zurück, riß mich in seinem Falle mit zu Boden und war verschieden. Dreizehn Musketenkugeln hatten ihm Brust und Magen durchbohrt.

Ich hatte keine Zeit, den Leichnam von mir abzuwälzen, denn im Nu war ich niedergetreten und fast erstickt von meinen Kameraden, welche in ihrem Eifer, unsern Fall zu rächen und sich die Prise zu sichern, mit furchtloser Tapferkeit vorwärts stürmten. Man hielt mich für todt und behandelte mich auch demgemäß, denn man betrachtete meinen armen Leichnam nur als eine Treppe nach der Laufplanke, deren Leiter weggenommen war. Da lag ich, ohnmächtig von dem Druck und fast erstickt von dem Blute meines tapfern Führers, auf dessen Brust mein Gesicht ruhte, während meine Hände über meinem Hinterhaupte gekreuzt waren, um dasselbe wo möglich gegen die Fersen meiner Freunde und die Säbel der Feinde zu schützen. Auch konnte ich mich, so lange mein Denkvermögen noch andauerte, der Betrachtung nicht erwehren, ich liege ebenso gut hier, als anderswo, und ein Wechsel meiner Lage dürfte leicht noch schlimmer ausfallen.

Der Kampf währte etwa acht Minuten, obgleich mir in den unbehaglichen Umständen, in welchen ich mich befand, diese Zeit wie eine halbe Ewigkeit vorkam. Ehe sie noch abgelaufen, war ich, wie gesagt, ohnmächtig geworden, und als ich wieder zur Besinnung kam, lag das Schiff außer Schußweite der Batterie vor Anker.

Sobald das Gemetzel vorüber war, schickte man sich alsbald an, die Todten und Verwundeten zu untersuchen. Ich wurde unter die ersteren gerechnet und neben Handstone wie auch neben einigen andern Leichen zwischen die Kanonen gelegt. Eine frische Brise, die durch die Stückpforten blies, belebte mich wieder ein wenig, obgleich ich in meinem Schwächezustande weder die Kraft noch die Neigung hatte, mich zu bewegen. Mein Gehirn war wirre – ich konnte mich nicht erinnern, was vorgegangen war, und lag in einer Art von Betäubung da, bis die Prise neben unserer Fregatte anlangte und ich durch den Siegesjubel derjenigen, welche am Bord geblieben waren, geweckt wurde.

Jetzt ward ein Boot ausgesetzt, um den Wundarzt und dessen Gehilfen auf das genommene Schiff zu schaffen, damit sie die Todten besichtigen und den Verwundeten Beistand leisteten. Murphy brachte sie heran. Er war nicht bei der Partie der Enterer gewesen, und als er meines leblosen Körpers ansichtig wurde, gab er demselben einen leichten Fußtritt, dazu sprechend: »Da liegt auch ein Schnapphahn, der ausgekräht hat! Schade, daß der Galgen so um sein Eigenthum betrogen werden mußte!«

Die Stimme dieses verhaßten Kerls würde hingereicht haben, mich aus dem Grabe zu wecken, falls mich Freund Hain bereits seiner Rekrutenliste hätte einverleibt gehabt. Ich rief daher mit mattem Tone: »Du bist ein Lügner!« was, ungeachtet der schauerlichen Umgebung, ein allgemeines Gelächter auf seine Kosten veranlaßte. Ich wurde nach dem Schiff gebracht, zu Bette geschafft und reichlich mit Aderlaß behandelt, wodurch ich bald in die Lage kam, die Einzelnheiten meines Abenteuers zu berichten; indeß blieb ich noch geraume Zeit gefährlich krank.

Murphy's Monolog über meiner vermeintlichen Leiche und meine lakonische Antwort erregte auf dem Schiffe viele Heiterkeit. Die Midshipmen ärgerten ihn damit, daß sie behaupteten, er habe mir das Leben gerettet, denn nur seine verhaßte Stimme sei im Stande gewesen, mich aus dem Todesschlafe zu wecken.

Das Schicksal des ersten Lieutenants wurde von uns Allen nach Gebühr beklagt, obgleich ich nicht in Abrede ziehen will, daß ich mich recht ergebungsvoll in den Willen der Vorsehung fand – ebenso, wie bei einer früheren Gelegenheit, als es ihr gefiel, mir die Zeugen meiner Schwäche für immer aus dem Wege zu räumen; denn da ich sah, wie unmöglich es war, mir seine gute Meinung wieder zu gewinnen, so dünkte es mir nicht beklagenswerth, daß unsere gegenseitigen Beziehungen aufgelöst waren. Augenscheinlich hatte er eine Vorahnung von seinem Tode gehabt, und obgleich ich oft von ähnlichen Beispielen hörte, so hatte ich doch nie zuvor mir einen derartigen Fall so deutlich vorstellen können.

Die Prise hieß L'Aimable Julie und war mit Kaffee, Baumwolle und Indigo beladen; sie hatte vierzehn Kanonen und führte bei dem Beginne des Kampfes siebenundvierzig Mann, von denen acht gefallen und sechszehn verwundet waren. Die Zeit unserer Rückkehr in den Hafen fiel so ziemlich mit dem ebenerwähnten Glückswurfe zusammen, und wir segelten sofort nach Spithead, wo unser Kapitän von dem Admiral herzlich bewillkommnet wurde.

Nachdem die »Fleischersrechnung« – das heißt, die Liste der Getödteten und Verwundeten – nebst einem Rapport über unsere Beschädigungen übergeben war, erging die betreffende Meldung an die Admiralität, welche uns mit umgehender Post Befehl ertheilte, uns für weiteren auswärtigen Dienst zu rüsten. Obgleich übrigens Niemand am Bord, nicht einmal der Kapitän, den Strich, für den wir bestimmt waren, kannte, so theilten uns doch die Mädchen von Spithead mit, daß es nach dem mittelländischen Meere gehe, was sich auch später als richtig erwies.

Man hatte uns zu unserer notdürftigen Ausrüstung nur zwei Tage Zeit gelassen, während welcher Frist ich an meine Eltern schrieb. Die Antwort darauf war das Gewünschte – nämlich ein hübscher Wechsel, für den ich noch gebührendermaßen in ein paar Zeilen meinen Dank abstattete, als wir bereits die Anker lichteten. Wir fuhren aus und langten bald, ohne irgend eine Zufälligkeit zu befahren, vor Gibraltar an, wo wir einen Generalbefehl für jedes englische Schiff, das in diese Gegend kommen sollte, vorfanden, vermöge deß uns Auftrag ertheilt wurde, uns bei Malta dem Admiral anzuschließen. In ein paar Stunden hatten wir den nöthigen Mund- und Wasservorrath eingenommen; doch that's uns nicht so eilig, Malta zu erreichen, als Gibraltar zu verlassen, da wir uns gerne an die spanische Küste hielten – in der Hoffnung, etwas aufzufinden, was uns zu la Valette einen ebenso herzlichen Willkomm bereiten könnte, als der gewesen war, der uns bei unserer letzten Rückkehr nach Portsmouth zu Theil wurde.

Früh am Morgen des zweiten Tages nach unserer Abreise kamen wir in die Nähe des Kaps von Gaete, und mit dem Grauen des Tages entdeckten wir in der Richtung des Windes vier Segel, die dicht unter der Küste lagen. Der Wind war leicht, weßhalb wir alle unsere Leinwand ausbreiteten, um auf die Schiffe Jagd zu machen. Es währte viele Stunden, bis wir denselben an Fahrt einigen Vortheil abgewannen, und gegen Abend trat Windstille ein. Jetzt erhielten die Boote Befehl zum Nachsetzen; sie stießen in verschiedenen Richtungen ab, oder um mich des französischen Ausdruckes zu bedienen, deployirten, um desto besser mit den Fahrzeugen des flüchtigen Gegners zusammenzutreffen. Ich befand mich mit dem Schiffsmeister in dem Gig, und da dieses der beste Läufer unter unseren Booten war, so stießen wir bald mit einer der Felucken zusammen. Wir gaben ihr eine Musketensalve, konnten sie aber, da eine leichte Brise wehte, nicht zum Beilegen bringen. Jetzt nahmen wir den Steuermann auf's Korn und trafen ihn auch richtig; er aber schob das Ruder nur aus der rechten Hand in seine linke und fuhr in seinem Kurse fort. Demungeachtet aber unterhielten wir unser Feuer auf diesen unerschrockenen Burschen, obschon mir das Ganze wie ein eigentlicher Mord vorkam, da er keinen Widerstand leistete, sondern unablässig zu steuern fortfuhr. Endlich gelangten wir unter den Stern der Felucke und schlugen unsere Bootshaken ein. Die Spanier machten sich jedoch wieder los und wir blieben zurück, weil unsere Ruder bereits eingelegt waren. Da jedoch mit Einem Male der Wind völlig aufhörte, so wurde es uns möglich, das feindliche Fahrzeug wieder einzuholen und davon Besitz zu nehmen. Der arme Steuermann saß noch immer, aus vielen Wunden blutend, auf seinem Posten. Wir boten ihm allen Beistand an und fragten ihn, warum er sich nicht schon früher ergeben hätte, erhielten aber nur die Antwort, daß er ein alter Castilianer sei. Ob er meinte, eine frühere Unterwerfung würde ihn beschimpft haben, oder ob er früheren Erfahrungen zufolge der Ansicht war, man müsse bis auf den letzten Augenblick hoffen, weiß ich nicht zu sagen. Soviel ist übrigens gewiß, daß sich nie ein Mann wackerer benommen hat, und ich würde gerne meine ganze Habe geopfert haben, wenn dadurch die Wunden des geduldigen und furchtlosen Alten geheilt worden wären, der keinen Klagelaut äußerte, sondern sich mit einer Seelengröße, die sogar einem Sokrates Ehre gemacht hätte, in sein Schicksal ergab. Sein Körper war von vier Musketenkugeln durchbohrt, und er überlebte seine Gefangennehmung nur wenige Stunden.

Zu unserer Ueberraschung fanden wir, daß dieses Fahrzeug, wie auch die drei andern, von denen unsere Boote noch eines genommen hatten, von Lima kam. Sie waren nur mit einem einzigen Maste versehen, führten etwa dreißig Tonnen Last an Kupfer, Häuten, Wachs und Cochenille, hatten zwölf Mann an Bord und befanden sich etwa fünf Monate auf dem Wege. Ihr Bestimmungsort war Valencia, von dem sie nur noch eine Tagfahrt entfernt waren, als sie von uns aufgegriffen wurden. So ist das Geschick des Krieges! Jener tapfere Steuermann würde nach einer Reise voll unglaublicher Mühen und Beschwerden in wenigen Stunden seine Familie umarmt und sie mit dem Erwerbe seines ehrlichen Fleißes und einer glücklich durchgeführten Unternehmung erfreut haben; diese Hoffnung sollte aber in einem Nu vernichtet werden durch unser gesetzliches Mord- und Raubsystem. An dem Prisengeld, das in unsere Taschen kam, klebten die Thränen, wo nicht gar die Flüche und Verwünschungen von Wittwen und Waisen!

In Folge einer Kunde, welche der Kapitän von einer der Prisen erhielt, mußten wir nach den balearischen Inseln steuern. Wir segelten auf Ivika zu und daran vorbei, um in die Palmenbai an der Insel Macorka einzulaufen, fanden aber zu unserem großen Verdrusse nichts, weßhalb wir unsern Kurs um das Eiland fortsetzten.

Hier trug sich ein Vorfall zu, der so sonderbar war, daß man ihn kaum glauben kann; indeß ist die Thatsache genügend verbürgt, da außer mir noch viele andere Zeugen zugegen waren. Die See war ruhig und der Tag merkwürdig schön. Wir standen ungefähr vierundfünfzig Meilen von der Küste ab, als der Kapitän, der die Schußweite seiner Hauptdeckkanonen, die aus Achtzehnpfündern bestanden, probiren wollte, weßhalb er dem Geschützmeister befahl, eine derselben zu richten und gegen das Land abzufeuern. Der Geschützmeister fragte, ob er irgend einen Gegenstand zum Ziele nehmen solle. Wir bemerkten auf dem weißen, sandigen Gestade einen Menschen, und weil nicht die geringste Wahrscheinlichkeit vorhanden war, daß man ihn treffen könnte (denn er sah mir wie ein Punkt aus), so gab der Kapitän Befehl dorthin zu feuern. Der Geschützmeister gehorchte und der Mann fiel. In demselben Augenblicke sahen wir eine Heerde Stiere aus den Wäldern herunterkommen, weßhalb man einige Boote mit Mannschaft ausschickte, die einige Stücke davon für den Schiffsbedarf schießen sollten.

Als wir landeten, fanden wir, daß die Kugel den armen Mann mitten entzwei gerissen hatte. Der Umstand wurde um so verdrießlicher, da der Getödtete augenscheinlich den besseren Ständen angehörte. Er war gut gekleidet, trug schwarze Beinkleider mit seidenen Strümpfen und hatte eben in Ovid's Metamorphosen gelesen. Ich nahm ihm das Buch aus den erstarrten Händen.

Wir hatten schon oft von den wunderbaren Kräften gehört, die man Zufallsschüssen zuschreibt, hätten aber nie geglaubt, daß diese teuflische Kugel so weit reichen oder ein solches Unheil anrichten würde. Wir begruben die Ueberreste des Unglücklichen in den Sand, nahmen dann zwei oder drei Stücke von der Heerde auf's Korn, schoßen sie, zerlegten sie in Viertel, beluden unsere Boote damit und kehrten an Bord zurück.

Außer dem Buche hatte ich dem Getödteten das Miniaturporträt eines schönen Frauenzimmers, das ihm um den Hals hing, abgenommen, deßgleichen auch eine Busennadel, was ich sammt und sonders dem Kapitän einhändigte, welchem ich über das Vorgefallene Bericht erstattete. Er gab mir die Gegenstände wieder zurück und forderte mich auf, ich solle sie behalten, bis ich einen von den Verwandten des Hingeschiedenen träfe. Ueberhaupt war er über den ganzen Vorgang so sehr betrübt, daß er desselben nie wieder erwähnte, und im Laufe der Zeit kam er bei ihm und fast bei Allen in Vergessenheit. Die Hinterlassenschaft des Unglücklichen blieb viele Jahre in meinem Besitze, ohne daß ich ihrer weiter gedachte.

Zwei Tage nachher trafen wir auf ein Schiff von verdächtigem Aussehen, und da eben Windstille herrschte, mußten die Boote Jagd machen. Als man sich demselben näherte, entdeckte man eine Schebecke unter französischer Flagge, die jedoch bald gestrichen wurde, ohne daß andere Farben aufgezogen worden wären. Sobald wir uns in Rufweite derselben befanden, wurde uns die Drohung entgegengeschickt, daß man Feuer auf uns geben würde, wenn wir näher kämen oder entern wollten. Dieß war jedoch nicht die Art und Weise, um einen britischen Offizier, namentlich aber so rüstige Kämpfer, wie die unsrigen waren, abzuschrecken. Wir ruderten daher darauf zu und nun erfolgte ein verzweifelter Kampf, da die Streitkräfte von beiden Theilen ziemlich gleich waren, der Feind aber noch den Vortheil des eichenen Deckes und der Brüstungen hatte. Demungeachtet gelangten wir aber an Bord und bemächtigten uns des Schiffes mit einem Verlust von sechszehn Mann, während der Gegner sechsundzwanzig Todte und Verwundete zählte. Zu unserem großen Leidwesen mußten wir aber jetzt entdecken, daß wir außer unserem eigenen auch das Blut unserer Freunde vergossen hatten. Die Schebecke war ein Kaper aus Gibraltar, der uns für Franzosen gehalten hatte, weil die Ruderklampen unserer Boote nach französischer Manier angefertigt waren, während wir aus den Farben und der Sprache, in welcher wir angeredet wurden, einen gleichen Schluß zogen. Wir zählten bei diesem Gefechte drei Offiziere und einige unserer besten Leute unter die Todten oder Verwundeten. Die Mannschaft des Kapers bestand aus einem Gemische von allen Nationen, hauptsächlich aber aus Griechen; obgleich er übrigens Ostentations halber mit einer Vollmacht des Gouverneurs versehen war, so unterlag es doch keinem Zweifel, daß er es mit den Flaggen der Schiffe, die ihm begegneten, nicht sonderlich genau nahm, falls sie ihm nicht zu stark waren.

Nach diesem unglücklichen Irrthum setzten wir unsere Fahrt nach Malta fort, und der Kapitän sah einer strengen Rüge von Seite des Admirals entgegen, weil er in seiner Uebereiltheit die Boote abgeschickt hatte, um ein Schiff anzugreifen, dessen Stärke ihm nicht bekannt war. Zum Glück war jedoch der Admiral eben nicht anwesend, und ehe wir ihn trafen, war die Anzahl unserer Prisen als hinreichend erfunden worden, um in seinen Augen der Sünden Menge zu decken, weßhalb denn auch nachher die Sache nicht weiter zur Sprache kam.

Während wir im Hafen von Malta waren, fiel mein Feind Murphy eines Abends, nachdem die Boote schon hereingehißt waren, über Bord. Da er nicht schwimmen konnte, so würde er ohne Zweifel ertrunken sein, wenn ich ihm nicht nachgesprungen und ihn so lange emporgehalten hätte, bis ein Boot zu unserem Beistande niedergelassen wurde. Die Offiziere und Geschützmannschaft schlugen diese That weit höher an, als sie es in Wirklichkeit verdiente. Sie meinten, es sei schon vornweg eine edle That, wenn man unter solchen Umständen was immer für einer Person das Leben rette; aber die Gefährdung der eigenen Person um eines Menschen willen, der seit meinem Eintritte auf das Schiff mein bitterster Feind gewesen, überschreite alle Erwartung und sei ohne Frage die edelste Rache, die ich habe nehmen können. Sie waren jedoch im Irrthum – sie kannten mich nicht. Nur meine Eitelkeit und der Wunsch, meinen Feind unter der unerträglichen Last einer derartigen Verbindlichkeit zu erdrücken, hatten mich veranlaßt, ihm nachzustürzen. Als ich von der Laufplanke aus zusah, wie er um sein Leben kämpfte, fühlte ich noch außerdem, daß ich all der Rache verlustig gehen würde, die ich ihm längst vorbehalten hatte – mit einem Worte, ich konnte ihn noch nicht entbehren und rettete ihn nur, wie etwa die Katze der Maus schont, um ihn zu quälen.

Murphy erkannte seine tiefe Verpflichtung gegen mich an und gestand, daß die Schrecken des Todes ihn bereits erfaßt hätten; da er jedoch schon nach wenigen Tagen Alles, was ich für ihn gethan, vergessen hatte, so drückte er in den Augen der ganzen Schiffsmannschaft seiner Schmach die Krone auf und hob meinen Charakter zum Nachtheile seines eigenen. Bei einem ganz geringfügigen Anlaß schleuderte er mir, als ich durch das Volkslogis ging, einen Becken voll schmutzigen Wassers in's Gesicht, was mir eine so schöne Gelegenheit verschaffte, meiner Lieblingsleidenschaft Raum zu geben.

Ich hätte längst gerne mit ihm angebunden, da er aber während unserer ganzen Fahrt von Gibraltar nach Malta krank gewesen war, so ließ es schon mein Stolz nicht zu, angreifend gegen ihn zu verfahren. Jetzt hatte er sich wieder erholt und befand sich im vollem Besitze seiner früheren Kraft, weßhalb ich ihn mit dem ersten Schlage überraschte.

Es folgte nun ein Kampf, in welchem ich meine angelernten Fertigkeiten im Vereine mit meiner persönlichen Stärke zur Anwendung brachte, und natürlich wurde der Nachdruck meiner Hiebe durch die Erinnerung an die erlittenen Unbillen noch gesteigert. Ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er sich auf's Ernstlichste anstrengte – es stand aber auch bei ihm Alles auf dem Spiele; denn wenn ich geschlagen wurde, blieb ich nur, was ich zuvor gewesen, während sich's bei ihm ganz anders verhielt. Ein gefallener Tyrann hat keine Freunde. Die erfolgreichen Streiche, die ich nach seinem Gesichte führte, reizten ihn bis zum Wahnsinn und brachten ihn ganz außer Fassung, während ich völlig ruhig blieb. Er boxte mit wilder Leidenschaft, aber ich fing alle seine Streiche auf und gab sie ihm mit Wucher zurück. In dreiundvierzig Gängen hielt er Stand, dann aber ergab er sich: seine Augen waren ganz zerbläut, und sein Gesicht so aufgeschwollen und blutrünstig, daß ihn nicht einmal seine Freunde mehr erkannten, wenn er welche hatte.

Ich hatte kaum eine Spur von Beschädigung erlitten. Die meisten unserer Midshipmen befanden sich auf den Prisen und nur die zwei Aeltesten unserer Back, ein alter Schiffsmeistermate, der seine Beförderungsperiode bereits überlebt hatte, und der Chirurgengehülfe, der mir bei Gelegenheit meiner früheren Züchtigung den Puls fühlte, waren während des Kampfes als Murphy's Sekundanten zugegen. So oft ich eine Schlacht gewonnen hatte, pflegte ich die daraus erfolgten Vortheile zu verfolgen. Ein Siegesjubel erscholl in der Back – die jüngeren stimmten in meinen Triumphgesang ein und erregten dadurch bei dem Kleeblatt argen Anstoß. Der junge Aeskulap, ein blaßgesichtiger, ungesund aussehender, pockennarbiger, einfältiger Mensch, vermaß sich zu sagen, wenn ich auch Murphy überwunden habe, so solle ich ja nicht glauben, daß ich in der Back den Meister spielen dürfe. Ich antwortete ihm nur damit, daß ich ihm zum Zeichen der Herausforderung einen Zwiebacklaib an den Kopf warf. Dann schoß ich, ehe er sich noch unter dem Tisch hervorarbeiten konnte, herzu, steckte meine Finger in seine Halsbinde und drehte sie so fest zu, daß er beinahe erstickte, indem ich zu gleicher Zeit seinen Kopf etliche Male gegen die Schiffswand stieß.

Als ich fand, daß er im Gesicht ganz schwarz wurde, ließ ich ihn mit der Frage los, ob er noch weiter Satisfaktion verlange; er antwortete mit Nein und erwies sich von Stund an gegen mich sehr ergeben und unterthänig. Der bejahrte Mate, ein stämmiger Kauffahrer-Matrose, schien sich über die Niederlage seiner Verbündeten höchlich zu entsetzen, und hätte, wie ich glaube, wohl gerne einen Separatfrieden geschlossen. Er that nicht ein einziges Mal dergleichen, als ob er dem Doktor Beistand leisten wolle, trotzdem dieser ihn mit den kläglichsten Geberden darum anflehte.

Dieß machte mir im Innern viel Vergnügen, und ich würde um so lieber einen Strauß mit ihm angefangen haben, je mehr ich seine Abneigung dagegen bemerkte. Ich hatte mir jedoch vorgenommen, das Haupt meiner Tischgenossenschaft zu werden. In selbiger Nacht wurde ich um zwölf Uhr von der ersten Wache abgelöst, und als ich herunter kam, fand ich den alten Maten in einem Zustande viehischer Betrunkenheit. Er schleppte sich nach seiner Hängematte und schlief ein. Während er so da lag, nahm ich ein Stück Höllenstein, feuchtete es an, zog Linien und Figuren in sein verwittertes Gesicht und vermehrte seine natürliche Häßlichkeit in einem so abschreckenden Grade, daß er wie ein neuseeländischer Krieger aussah. Am andern Morgen, als er seine Toilette machen wollte, hatte sich meine Partie bereits versammelt, um die nun folgende Scene mit anzusehen. Er öffnete seinen schmutzigen, kleinen Koffer, zog ein altes Rasiermesser ab, machte in einer hölzernen Seifenschale, die gleichfalls sehr antik aussah, Schaum an, lehnte ein dreieckiges Spiegelfragment gegen den offenen Kofferdeckel und begann die Operation des Bartscheerens. Aber nun das entsetzte Zurückfahren, als er sein Gesicht erblickte – nein, ich werde es nimmer vergessen! Wahrhaftig, es machte die Mimik des Roscius zu Schanden, wenn derselbe des Geistes von Hamlet's Vater ansichtig wird. Der alte Mate netzte seinen Zeigefinger mit der Zunge an und versuchte die Spuren des Aetzmittels zu vertilgen, aber die »verdammten Flecken« wollten nicht weichen, und wir umtanzten ihn, wie eben so viele junge Kobolde, mit brüllendem Gelächter.

Ich erklärte ihm keck, daß er jetzt meine Denkzeichen eben so gut trage, als Murphy und der Doktor, und fügte mit einem grausamen Hohne, der eigentlich hätte unterbleiben können, bei, es habe mir passend geschienen, heute alle meine Diener in Schwarz zu kleiden. Ich fragte ihn noch ferner, ob er sich mit dieser Maßregel zufrieden gebe, oder ob er gegen meine Entscheidung appelliren wolle, worauf er erwiederte, daß er nichts mehr zu sagen habe.

So bändigte ich in 24 Stunden die große Allianz, die mich geraume Zeit so schwer bedrückt hatte, und bewirkte dadurch eine entschiedene Revolution. Der Doktor wurde sofort des Dienstes eines Proviantmeisters überhoben und ich übernahm selbst diese Stelle, die ich mit unparteiischer Gerechtigkeit verwaltete. Die älteren mußten mir jetzt so gut, wie die jüngeren, ihre Menage bezahlen, was bisher nicht sehr regelmäßig gehandhabt worden, und alle Bequemlichkeiten, welche sich früher die Senioren ausschließlich angemaßt hatten, wurden jetzt gleichförmig vertheilt. In dieser Weise stellte ich, wie ich mir schmeichelte, einigermaßen das goldene Zeitalter einer Midshipmens-Back wieder her. Es gab keine Kämpfe mehr, da sich Niemand an mich wagte und Nichts mehr da war, was man mit der Faust hätte erringen müssen; auch machte ich von meiner Kraft nie einen weiteren Gebrauch, als zum Schutze der jüngern. Damit bewies ich, daß ich nicht streitsüchtig war, sondern nur um meine Emancipation kämpfte. Sobald diese errungen war, gab ich mich zufrieden. Mein Benehmen kam auch zu den Ohren des Kapitäns und der Offiziere, und da es nach allen Seiten beleuchtet wurde, so kam mir gedachte Meldung sehr zu statten. Man erwies mir jetzt Achtung und behandelte mich mit Merkmalen des Vertrauens, wie sie gewöhnlich nicht an so junge Personen verschwendet werden.

Wir verließen Malta in der Hoffnung, unsern Oberbefehlshaber in der Höhe von Toulon zu finden; indeß trifft sich's selten, daß ein Fregatten-Kapitän pressirt, wenn es gilt, seinem Admiral sich anzuschließen, es müßte denn sein, daß er wichtige Depeschen zu besorgen hätte. Da letzteres bei uns nicht der Fall war, ließen wir uns von einem starken Levanter im mittelländischen Meere hinunter treiben, und dann mußten wir uns wieder an der spanischen und französischen Küste zurückarbeiten, 's muß ein schlimmer Wind sein, der Niemand was Gutes zuweht, und wir fanden es auch an uns bewährt, denn wenn wir vor Toulon mit der Flotte Prisen machten, so waren diese nicht sonderlich anzuschlagen, da sie in gar viele Theile gingen. Unser Kapitän war in Kriegslisten geübter, als irgend einer, den ich je gesehen oder von dem ich gehört habe, und hatte zwei gute Gründe, um seine Prisen nach Gibraltar zu schicken – denn einmal hielt er es für wahrscheinlich, daß wir dahin gesendet würden, um unsere Mannschaft vollzählig zu machen, und so den Vortheil eines Kreuzzugs aus dem Rückwege hätten, und dann kannte er nur zu gut die bestechliche Praxis des Admiralitätshofs zu Malta.

Die Fahrzeuge, welche wir bisher gekapert hatten, wurden daher sammt und sonders zur Abschätzung nach Gibraltar geschickt, und wir boten nun Allem auf, ihre Anzahl zu vergrößern. Wir hatten das Glück, ein großes, mit spanischer Soda beladenes Schiff und eine Brigg, deren Cargo aus Tabak und Wein bestand, zu nehmen. Mit der Escorte des letztern wurde ich beehrt, und kein Premierminister hat wohl je bei einem schwer verantwortlichen Posten so heillose Untergebene gehabt.

Die Mannschaft der Fregatte war durch ihre früheren Prisengefechte und durch den unglücklichen Kampf mit dem Malteser-Kaper so gemindert worden, daß man mir nur drei Leute geben konnte. Mein erstes Kommando entzückte mich jedoch dermaßen, daß ich mich, glaube ich, glücklich geschätzt haben würde, wenn man mir nur einen Hund und ein Schwein mitgegeben hätte.

Das Fregattenboot brachte uns an Bord. Der Wind blies steif aus Osten und ich hob alsbald das Steuer auf, meinen Kurs nach dem alten Felsen richtend. Die Brise verstärkte sich bald zu einer Kühlte, vor der wir herliefen; doch fanden wir es bald nöthig, die Oberbramsegel einzuziehen. Wir kamen allmählig damit zu Stande. Wir hielten es dann für räthlich, die Marssegel zu reffen, fanden dieß aber unmöglich, weßhalb wir es mit einem spanischen Reff versuchten – d. h. wir ließen die Raaen auf das Eselshaupt nieder, und die Brigg flog nun vor der Kühlte dahin, die sich nun zu einer sehr ernstlichen Höhe gesteigert hatte. Unser Wein und Tabak war aber unglücklicherweise von einem Spanier und nicht von einem Engländer geladen worden, was für mich einen sehr wesentlichen Unterschied ausmachte, denn ein Brite würde, weil ihm die schwache Seite seiner Landsleute nicht unbekannt ist, den Wein unten und den Tabak oben verpackt haben. Leider fand jedoch bei dem meiner Obhut anvertrauten Schiffe das Gegentheil statt, und meine Mannschaft bediente sich bald so reichlich, daß sie mir beinahe ganz nutzlos und auf dem ganzen Wege betrunken war.

Wir kamen indeß ziemlich gut vorwärts – bis gegen 3 Uhr Morgens, um welche Zeit der Mann am Steuer, welcher die beiden andern Matrosen nicht zu wecken vermochte, damit sie ihm ein Tröpflein brächten, der Meinung wurde, er könne die Brigg wohl eine Minute sich selbst steuern lassen, während er hinginge, um an dem Weinfasse seinen Durst zu löschen. Er hatte sich aber kaum vom Steuer entfernt, als das Schiff beidrehte, d. h. seine Breitseite Wind und Wellen bot, und im Nu ging der große Mast über Bord. Zum Glück blieb der Fokmast stehen. Der Steuermann hatte nicht Zeit gehabt, völlig betrunken zu werden, und die beiden Andern machte jetzt der Schrecken nüchtern.

Wir räumten die Trümmer so gut ab, als es ging, brachten die Brigg wieder vor den Wind, und verfolgten den Kurs weiter. Ein britischer Matrose ist jedoch, obschon der Waghalsigste unter allen Sterblichen, in gleicher Weise äußerst rücksichtslos gegen verwarnende Winke und die Folgen seiner Handlungen. Statt daß der Verlust des großen Mastes meine Leute auf das Unsinnige der Trunkenheit hätte aufmerksam machen sollen, bewirkte er gerade das Gegentheil. Wenn sie sich schon mit zwei Masten betrinken konnten, um wie viel mehr durften sie es nicht jetzt thun, da sie nur nach der Hälfte der Segel zu sehen hatten? Gegen eine derartige Regel de tri half keine Vorstellung; sie hausten darauf los, was das Zeug hielt, und wurden die ganze Fahrt über nicht nüchtern.

Indeß verfolgt uns das Glück oft, wo wir es am wenigsten verdienen.

»Der kleine Cherub in den Lüften«,

wie Dibdin sagt, hatte ein Auge auf uns. Ich wußte, daß wir nicht leicht durch die Straße von Gibraltar kommen konnten, ohne es zu merken, und demgemäß wurden wir am dritten Morgen nach unserer Abfahrt von der Fregatte des Felsens ansichtig. Nachmittags um 2 Uhr umschifften wir die Spitze von Europa. Ich hatte Befehl ertheilt, das Ankertau bereit zu haben, und bildete mir nach der Weise aller andern jungen Offiziere ein, es sei geschehen, weil man mir so meldete und weil ich Auftrag dazu gegeben hatte. Es fiel mir nicht ein einziges Mal ein, selbst nachzusehen, ob mein Geheiß befolgt worden sein, da ich auch, um die Wahrheit zu sagen, anderweitig hinreichend in Anspruch genommen war. Ich hatte von Nachts 12 Uhr bis Morgens 6 Uhr am Steuer gesessen und nach Land ausgesehen; dann ließ ich mich durch einen meiner Leute ablösen, gab ihm die nöthige Anweisung, wie er steuern solle, und verfiel in einen tiefen Schlaf, der bis 10 Uhr währte, nach meinem Erwachen mußte ich jedoch meinen ganzen Scharfsinn aufbieten, um in die Bay zu gelangen und nicht in's weite Meer hinausgeblasen zu werden, so daß ich das Kabel ganz vergaß und mich desselben erst wieder erinnerte, als man es für den Anker brauchte.

Wie ich mit fliegender Prisenflagge unter dem Stern eines der in der Bucht liegenden Kriegsschiffe vorbeikam, breyete mich der Offizier vom Deck aus an und sagte mir, ich würde gut thun, die Segel zu kürzen. Und das war auch mein Gedanke, aber wie sollte ich es angreifen? Meine ganze Schiffsmannschaft war viel zu betrunken für ein solches Geschäft, und obgleich ich mir von Sr. Majestät Schiff einigen Beistand erbat, wehte doch der Wind so steif und die Brigg flog so schnell vorwärts, daß man mich nicht hören konnte, selbst wenn man bereit gewesen wäre, mir zu helfen. Die Noth kennt kein Gesetz. Unter andern Schiffen sah ich in der Bay ein großes Transportfahrzeug, von dem ich glaubte, es sei besser im Stande, den ihm zugedachten Stoß auszuhalten, als jedes andere, denn ich hatte gehört, daß alle Eigenthümer solcher Lieferungsschiffe die Regierung um viele Tausende jährlich betrögen – eine Wahrheit, von der ich mich mit der Zeit völlig überzeugte. Das Fahrzeug lag gerade in jenem Theile der Bay, welcher den Prisen angewiesen war, und da ich keine andere Möglichkeit absah, das Schiff vor Anker zu bringen, so steuerte ich auf die Hummersmacke los, gegen deren Bord ich zum größten Erstaunen des Schiffsmeisters, des Mate und der Mannschaft, anrannte.

Die gewöhnliche Explosion von Flüchen und Verwünschungen, die wie Kartätschenhagel auf unsere tölpelhaften Köpfe niederregneten, folgten dem Anpralle. Ich hatte dieß erwartet und war völlig darauf gefaßt, desgleichen auch auf den Sturz meines Fokmastes, der die Fokraa des Transportschiffes zertrümmerte, über unsern Steuerbord fiel und mir alles weitere Segelkürzen ersparte. In dieser Weise war meine nette Brigg zunächst in eine Schaluppe und dann in einen Hulk umgewandelt worden, dessen Boden übrigens zum Glücke noch kerngesund war. Ich hatte mich bald von dem Transportschiffe losgemacht, und rief nun mit gar mannhafter Stimme: »Anker aus!« Dem Befehl wurde alsbald Folge geleistet und der Anker ging allerdings hinunter – aber zum Teufel! es war kein Kabel daran, und da meine Leute sich in einem Zustande völliger Trunkenheit befanden, so mußte ich es geschehen lassen, daß meine Brigg vor den Ankertauen einer Fregatte vorbei triftete. Der kommandirende Offizier derselben sah, daß ich kein Ankertau ausgeworfen hatte, weßhalb er mir gar freundlich ein paar Matrosen zum Beistand schickte. Um fünf Uhr lag ich wohlbehalten in der Rhede von Gibraltar und stolzierte, in meiner eigenen Meinung so groß als Kolombus, nachdem er die amerikanischen Inseln entdeckt hatte, auf meinem Halbdecke auf und ab.

Aber wie gar kurz währte meine Macht! Schon am nächsten Morgen langte meine Fregatte an. Der Kapitän ließ mich rufen, und ich erstattete meinen Bericht über den Verlauf und das Unglück meiner Reise. Er tröstete mich sehr freundlich wegen meines Mißgeschicks, und weit entfernt, daß er mir wegen des Mastenverlustes gezürnt hätte, sagte er, es sei unter allen Umständen ein Wunder, daß es mir gelungen sei, das Schiff zu retten. Wir lagen erst vierzehn Tage bei Gibraltar, als die Kunde anlangte, daß die Franzosen in Spanien eingedrungen waren, und sehr bald nachher lief von England aus Befehl ein, alle Feindseligkeiten gegen die Spanier einzustellen. Dieß war uns sehr ärgerlich, weil uns dadurch fast jede Möglichkeit, Prisengelder zu gewinnen, benommen wurde. Gleichwohl mehrten sich jedoch unsere Anstrengungen, und unsere Thätigkeit wurde in einer sehr überraschenden Weise gespornt, da sich uns jetzt weit interessantere Scenen boten, als eine Fortsetzung des Krieges gegen Spanien je hätte liefern können.

Wir erhielten Befehl, uns dem Admiral vor Toulon anzuschließen, zugleich aber auch auf unserm Wege von dem Hafen Carthagena Einsicht zu nehmen, und über den Zustand des spanischen Geschwaders in dem dortigen Arsenale Bericht zu erstatten. Wir wurden von dem Gouverneur und den Offizieren der daselbst liegenden spanischen Flotte mit großer Höflichkeit aufgenommen. Wir fanden in ihnen überhaupt Männer von Talent und Bildung; ihre Schiffe waren meist abgetakelt, und es fehlte an Mitteln, sie wieder auszurüsten.


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