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Eilftes Kapitel

»Ein Segel führt das Boot,
Der Steuermann ist todt.
Wer ist der Lootse kühn,
Mit uns dahin zu ziehn?«
Rief er aus.
Spricht's, und des Todes Pfeile strecken
Die Opfer hin, die See zu decken.
»Und fürchtest du, und fürchtest du?
Und sähest du, und hörtest du?
Und treiben wir nicht frei
Den Grimm der See vorbei.
Ich und du?«

Shelley.

Der Leser denkt vielleicht, ich sei übertrieben empfindsam, wenn ich ihm sage, daß ich den Ekel nicht beschreiben kann, den mir jetzt das liederliche Treiben in der Midshipmen's-Back einflößte; denn wenn auch meine Verbindung mit Eugenien nicht durch die Religion oder Moral geheiligt war, so blieb sie doch in andern Beziehungen rein, uneigennützig und, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, patriarchalisch, insofern sie durch keine Unbeständigkeit, keine Rohheit im Gespräch und keine Völlerei befleckt wurde. Lasterhaft war ich, ich gestehe es zu meiner Schande; aber meine Lasterhaftigkeit war wenigstens durch Eugenien, welche nur Einen Fehler hatte, veredelt.

Sobald ich mich an meinem neuen Bestimmungsorte niedergelassen und so behaglich, als es die Umstände erlaubten, eingerichtet hatte, schrieb ich einen langen Brief an Eugenie, der einen genauen Bericht über Alles enthielt, was seit unserer Trennung vorgefallen war. Ich bat sie, nach Portsmouth zu kommen, um mich dort zu sprechen, und bestellte sie in den »Stern und Orden,« weil dieses Haus zunächst der Küste lag und ich daher, sobald ich am Land war, den Leuten auf dem Schiff am schnellsten aus dem Gesicht kam. Sie schrieb mir zurück, daß sie am folgenden Tage eintreffen wolle.

Die einzige Schwierigkeit war die Aufgabe, an's Land zu kommen. Ich wußte, daß meine ganze Beredsamkeit nicht hinreichen würde, um den ersten Lieutenant zu bewegen, seine Cerberuswache über mich zu mäßigen. Indessen machte ich doch den Versuch und bat ihn sehr angelegentlich um die Erlaubniß, an's Land zu gehen, weil ich mir gewisse Gegenstände verschaffen müßte, die zu Vollendung meiner Einrichtung unumgänglich nothwendig wären.

»Nein, nein,« erwiederte Mr. Talbot, »ich bin zu lange im Dienst, um mich auf diese Weise fangen, zu lassen. Ich habe meine Befehle und würde meinen Vater nicht an's Land lassen, wenn mir der Kapitän die Weisung gegeben hätte, ihn an Bord zu behalten; ich sage Ihnen daher treuherzig, daß Sie das Schiff nicht verlassen, es wäre denn, daß Sie an's Land schwämmen, und das werden Sie wohl nicht versuchen. Um Ihnen übrigens zu beweisen, daß es nicht böser Wille von meiner Seite ist, so lesen Sie hier das Schreiben des Kapitäns.«

Es war kurz, zart gehalten und in Bezug auf mich sehr schmeichelhaft. Der Inhalt lautete, wie folgt:

»Halten Sie den verfluchten jungen Vagabunden Mildmay an Bord.«

»Wollen Sie mir unter diesen Umständen nicht erlauben,« sagte ich, das Schreiben ohne weitere Bemerkung zurückgebend, »wollen Sie mir nicht erlauben, unter Begleitung des Marine-Sergeanten an's Land zu gehen?«

»Das würde,« antwortete er, »eben so sehr gegen meine Verhaltungsbefehle sein, als wenn ich sie allein gehen ließe. Sie dürfen nicht an's Land, Sir.«

Diese Worte äußerte er im Tone des kategorischen Imperativs, worauf er das Verdeck verließ, um mich meinen eigenen Gedanken und meiner Erfindungsgabe zu überlassen.

Einem schriftlichen Verkehr mit Eugenien lag durchaus kein Hinderniß im Wege, aber ich bedurfte mehr. Ich hatte versprochen, sie um neun Uhr Abends zu besuchen, und jetzt war es Sonnenuntergang. Die Boote waren alle aufgezogen, kein Küsten-Kahn in der Nähe, und es blieb mir nichts anderes übrig, als das Mittel zu ergreifen, welches mir Herr Talbot selbst aus dem einfachen Grunde empfohlen hatte, weil er es für völlig unausführbar hielt, nämlich à la nage zu meinem Zweck zu gelangen; aber er kannte mich damals nicht halb so gut, als er mich später kennen lernte.

Das Schiff lag zwei Meilen vom Lande entfernt, der Wind kam aus Südwesten, und die Fluth trieb nach Osten: beides war mir günstig, und ich rechnete darauf, South Sea Castle zu erreichen. Nach Einbruch der Nacht nahm ich meine Stellung in den Vorderrinnen. Es war am 20. März, und sehr kalt. Ich zog mich aus, packte meine Kleider fest zusammen, band sie auf meinen Hut, setzte denselben auf und ließ mich leise in das Wasser hinab, durch das ich mich wie ein zweiter Leander kämpfte, um die Umarmungen meiner Hero zu erobern.

Noch war ich keine zwanzig Ellen vom Schiffe, als mich die Schildwache bemerkte. Sie hielt mich natürlich für einen gepreßten Matrosen, der zu entkommen suchte, und rief mich zurück. Da ich dem Rufe nicht Folge leistete, so ließ der wachhabende Offizier auf mich feuern. Eine Kugel pfiff über meinem Kopfe hin, und schlug zwischen meinen Händen in's Wasser. Ein Dutzend andere folgten: sie waren alle ziemlich gut gezielt, aber ich griff ordentlich aus, und die befreundete Schatten der Nacht, nebst der zunehmenden Entfernung vom Schiffe, brachten mich bald in Sicherheit. Ein Kahnführer, der den Blitz des Feuers sah und den Knall der Kugeln hörte, glaubte sich zu dem Schlusse berechtigt, einen Passagier zu bekommen. Er ruderte auf mich zu; ich rief, und er nahm mich in seinen Kahn, als ich kaum eine Achtelsmeile vom Schiffe entfernt war.

»Ich zweifle, Bursche, ob du auf diesem Gange je das Land erreicht hättest,« sagte der alte Mann. »Du verließest dein Schiff zwei Stunden zu früh; die Ebbe wäre dir stark aus dem Hafen entgegen gekommen, und hättest du deinen Kopf über dem Wasser erhalten können, so wärest du an einem ganz andern Orte gelandet.«

Während der Alte ruderte und schwatzte, zitterte ich und kleidete mich an, ohne ihm eine Antwort zu geben; ich bat ihn nur, mich an den ersten Landungsplatz der Southseabucht zu bringen, den er erreichen könnte. Es geschah. Ich gab ihm eine Guinee, worauf ich ohne eine weitere Störung in die Garnison und nach Pointstreet, in den »Stern und Orden« eilte, um von Eugenien empfangen zu werden, welche mich mit großer Gegenwart des Geistes, so lange uns die Leute im Hause hören konnten, ihren lieben, theuren Gatten nannte. Meine nassen Kleider zogen ihre Aufmerksamkeit auf sich, und ich sagte ihr, was ich gethan hatte, um sie zu sehen. Sie schauderte vor Entsetzen, und mir klapperten die Zähne vor Frost. Ein behagliches Feuer, ein heißes und ziemlich starkes Glas Grog, verbunden mit ihren Thränen, ihrem Lächeln und ihren Liebkosungen stellten mich jedoch bald wieder her. – Der Leser wird sich hier ohne Zweifel des minder angenehmen Gegenmittels erinnern, welches bei mir angewendet wurde, als ich den Unterlehrer tauchte, und das ich für ähnliche Fälle selbst empfahl, weil ich seine guten Wirkungen erfahren hatte. Wie viel mehr ich es bei dieser Gelegenheit verdiente, als bei jener frühern, brauche ich nicht zu erwähnen.

Diese verstohlene Zusammenkunft war so süß, daß ich in meinem Innern das feierliche Gelübde that, mich in der folgenden Nacht derselben Gefahr auszusetzen. Unsere Unterhaltung handelte bald von unsern künftigen Aussichten, und da unsere Zeit kurz zugemessen war, so hatten wir uns viel zu sagen.

»Frank,« sprach das arme Mädchen, »ehe wir uns wiedersehen, werde ich wahrscheinlich Mutter sein, und nur diese Hoffnung lindert den tödtlichen Schmerz der Trennung; denn wenn ich dich auch nicht besitze, so wird mich wenigstens dein Bild beglücken. Wollte Gott, es wäre ein Knabe, um in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, und kein Mädchen, um so elend zu sein, wie seine Mutter. Du trittst jetzt in weiter Ferne einen gefahrvollen Dienst an; das natürliche Feuer deines Geistes vergrößert die Gefahren zehnfach. Wir werden uns vielleicht nie wiedertreffen, oder wenn es geschieht, in einer sehr fernen Zeit. Ich bin dir stets treu gewesen, und werde dir treu bleiben bis in den Tod; aber von deiner Seite erwarte – ja verlange ich nicht einmal eine solche Erklärung. Andere Scenen, neue Gesichter, jugendliche Leidenschaften werden sich vereinigen, um mich für einige Zeit aus deinen Gedanken zu verdrängen. Wenn du in die Jahre der Reife getreten sein wirst und einen Rang in der Flotte bekleidest, wie er deinen Verdiensten und Verbindungen angemessen ist, so wirst du dich in deinem Kreise der Gesellschaft vermählen; auf alle diese Dinge mache ich mich gefaßt, als auf Ereignisse, welche Statt haben müssen. Deine Person kann ich nicht besitzen, das weiß ich – aber verbanne mich nicht – ich bitte, verbanne mich nicht aus deinem Herzen. Ich werde nie eifersüchtig sein, so lange ich weiß, daß du glücklich bist, und deine unglückliche Eugenie immer noch liebst. Dein Kind soll dir nicht zur Last fallen, bis es ein Alter erreicht haben wird, in welchem es in die Welt eingeführt werden muß: ich weiß, um seiner Mutter willen wirst du es dann nicht verlassen. Lieber Frank, mein Herz ist gebrochen, aber dich trifft kein Vorwurf; und wenn es der Fall wäre, so würde ich noch im Tode Segen auf dich herabstehen.« Bei diesen Worten weinte sie bitterlich.

Ich versuchte jedes Mittel, das mir zu Gebot stand, um das bezaubernde, außerordentliche Mädchen zu trösten und zu ermuntern, indem ich weder Schwüre, noch Versprechungen versäumte, die ich auch damals durchaus zu halten im Sinne hatte, zugleich ihr ein baldiges und, wie ich hoffte, glückliches Wiedersehen versprechend. »Des Herrn Wille geschehe,« entgegnete sie, »komme, was da will. Und nun, mein lieber Frank, lebe wohl – setze dein Leben und deine Aussichten nicht mehr um meinetwillen auf's Spiel, wie gestern Nacht. Ich war selig in deiner Gesellschaft, und selbst wenn ich das Elend meiner Zukunft in's Auge fasse, so kann ich die Vergangenheit nicht bereuen.

Ich umarmte sie zärtlich, sprang bei Point in einen Kahn und ersuchte den Schiffer, mich nach Spithead an Bord der J.. zu bringen. Der erste Lieutenant war auf dem Verdeck, als ich an der Schiffswand hinaufstieg.

»Vermuthlich waren Sie es, auf den wir gestern Abend feuerten?« fragte er lachend.

»Ja, Sir,« antwortete ich, »die unumgängliche Notwendigkeit zwang mich, an's Land zu gehen, sonst würde ich zu keinem so außerordentlichen Mittel gegriffen haben.«

»O hätten Sie mir gesagt, daß Sie an's Land zu schwimmen gesonnen seien,« erwiederte der Offizier, »so hätte ich Ihnen nicht das Mindeste in den Weg gelegt; ich hielt Sie für einen Gepreßten und befahl der Wache, Feuer auf Sie zu geben.«

»Die Gepreßten sind Ihnen außerordentlich verbunden,« dachte ich.

»Fanden Sie es nicht verzweifelt kalt?« fuhr der Lieutenant in einem Anflug guter Laune fort, die ich durch den Ton meiner Antworten noch mehr ermunterte.

»Allerdings, Sir,« erwiederte ich.

»Und die Bursche feuerten ziemlich brav, nicht wahr?«

»Recht brav, Sir; ich wollte nur, sie hatten sich etwas Besseres zur Zielscheibe gewählt.

»Ich verstehe Sie,« versetzte der Lieutenant; »aber da Sie Ihre Zeit noch nicht ausgedient haben, so wäre die Erledigung für Sie von keinem Nutzen gewesen. Ich muß die Sache dem Kapitän melden, wiewohl ich nicht glaube, daß er Notiz davon nehmen wird; er liebt den Unternehmungsgeist an sich selbst zu sehr, um ihn bei Andern zu unterdrücken. Zudem ist eine Dame stets eine annehmbare Entschuldigung, obschon wir hoffen, Ihnen bald ein höheres Wild zu zeigen.«

Bald nachher kam der Kapitän an Bord. Er nahm von meinem wilden Urlaub keine Notiz und machte, während er sein Auge auf mich heftete, eine Bemerkung, die, wie ich später erfuhr, nicht ungünstig für mich war. Nach wenigen Tagen gingen wir unter Segel und kamen bald auf Basque-Rhede an. Die britische Flotte hatte längs der Insel Aix in einer Linie vor den französischen Schiffen geankert. Das Fahrzeug, zu welchem ich gehörte, nahm einen thätigen Antheil an der Arbeit, welche die Flotte vor sich hatte, und die meisten von uns sahen mehr, als wir gern besprachen; aber da es bei dieser Gelegenheit viel böses Blut gab und einige höchst unangenehme Kriegsgerichte gehalten wurden, so will ich versuchen, bei meiner persönlichen Geschichte stehen zu bleiben und Alles zu vermeiden, was den betreffenden Theilen Anstoß geben könnte. Einige Tage gingen mit Ausrüstung der Brander dahin, und nachdem Alles zum Versuche einer Vernichtung des feindlichen Geschwaders vorbereitet war, begannen wir in der Nacht des 11. April 1809 den Angriff. Ein verwegeneres Unternehmen ist noch nie ausgeführt worden, und wenn es zum Theil fehlschlug, so sind diejenigen unschuldig, welche es leiteten, da sie Alles thaten, was Menschen zu thun vermochten.

Die Nacht war sehr finster, und eine frische Brise wehte gerade gegen die Insel Aix und die feindliche Flotte an. Zwei von unsern Fregatten waren vorher so vor Anker gelegt worden, daß sie als Leuchtfeuer für die Richtung der Brander dienten. Beide verbreiteten ein Helles, strahlendes Licht, und die Brander mußten zwischen ihnen hindurchsteuern. Der Weg nach der Vorbarre des feindlichen Ankergrundes war offen und konnte nicht leicht verfehlt werden.

Ich erbat mir die Erlaubniß, an Bord eines der Explosionsschiffe zu gehen, welche den Brandern vorausgingen. Sie waren mit Lagern von Haubizen und Pulverfässern angefüllt, die auf einander gehäuft lagen; die Menge dieser Zerstörungswerkzeuge war ungeheuer. Ein weiterer Offizier, drei Matrosen und ich bildeten die ganze Bemannung unseres Fahrzeugs. Wir nahmen ein vierrudriges Gig, ein kleines, schmales Ding, das die Matrosen spottweise »Sarg« nannten, mit uns, um vermittelst desselben unsern Rückzug zu bewerkstelligen.

Nachdem Alles vorbereitet war, stießen wir ab. Es war ein furchtbarer Anblick. Der Wind wurde frisch und pfiff durch unser Takelwerk; auch war die Nacht so finster, daß wir unser Bugspriet nicht sehen konnten. Wir hatten nur unser Vordersegel gesetzt; aber mit einer starken Fluth und einem günstigen, überreichen Wind schossen wir wie ein Pfeil zwischen den voraussegelnden Fregatten durch. Es dünkte mich, als ging es durch die Pforten der Hölle; und wie wir so reißend dahin flogen und unsere Schiffe in der dichten Finsterniß verschwanden, gedachte ich der Inschrift Dante's, über dem Eingangsthor der Hölle: – »Die ihr hineingehet, lasset die Hoffnung hinter euch.«

Wir hatten den Befehl, das Schiff an der Barre anzulegen, welche die Franzosen an den äußersten Ankern ihrer Linie befestigt hatten, und kaum waren wir einige Minuten lang an den Fregatten vorübergefahren, als wir uns dicht vor derselben befanden. Unser Boot war am Spiegel in's Tau genommen und hatte drei Matrosen an Bord, von denen der eine das Tau führte, jeden Augenblick bereit, es loszulassen, während der andere steuerte, und der dritte das Wasser ausschöpfte, welches bei der reißenden Geschwindigkeit unserer Fahrt das Boot versenkt haben würde. Der Offizier, welcher mich begleitete, steuerte das Schiff, und ich hielt die Lunte. Mit entsetzlichem Krachen fuhren wir an der Barre an; mein Begleiter drehte das Steuer und legte uns breit. Die Gewalt der Fluth, welche gegen den Rumpf andrang, und die Stärke des Windes, der auf das Vorsegel drückte, hatte die Wirkung, daß das Fahrzeug aufsprang, und ich vermochte mich nur mit Mühe auf den Beinen zu halten. In diesem Augenblicke lief unser Boot die größte Gefahr, neben uns zu versinken. Er war am Spiegel angelegt und die Fluth hätte es beinahe über die Barre gehoben; die Mannschaft machte es mit großer Anstrengung los und legte sich auf ihre Ruder. Fluth und Wind bildeten eine wallende kurze See, welche es fast begrub. Mein Begleiter bestieg es und gab mir die Weisung, das Portfeuer anzuzünden und ihm zu folgen. Wenn ich je das Gefühl der Furcht kannte, so war es in dem Augenblicke, als ich dieses Portfeuer angezündet hatte, das mit dem Zündlien in Verbindung stand. Meine Gefühle, die ich aus dem Bereiche der unvermeidlichen Explosion, welche mit jedem Nu erfolgen konnte, gekommen und sicher im Boote war, lassen sich nicht beschreiben. Ich stand auf einer Mine. Irgend ein Fehler am Portfeuer, der bisweilen vorkommt, oder die geringste Menge Schießpulver, die etwa in den Ritzen des Verdecks liegen konnte, würde das Ganze in einem Augenblicke gesprengt haben; und wenn meine Hand gezittert hätte – aber ich sage es mit Stolz, sie zitterte nicht – so wäre dasselbe erfolgt. Für das Portfeuer waren nur anderthalb Minuten bestimmt; ich hatte also keine Zeit zu verlieren. In dem Augenblicke, als ich es angezündet hatte, legte ich es ganz behutsam nieder und sprang mit einer Behendigkeit in das Gig, welche der Gelegenheit entsprach. In einem Nu waren wir abgestoßen. Ich führte das Streichruder, und, zwar in meinem Leben nie mit größerem Eifer. Nicht zweihundert Ellen waren wir vom Fahrzeuge entfernt, als die Explosion erfolgte.

Einen schrecklicheren und schöneren Anblick kann man sich nicht denken; aber wir waren nicht sicher genug, um ihn mit Muße genießen zu können. Die Haubizen flogen zu einer ungeheuren Höhe empor. Einige zerplatzten beim Aussteigen, andere beim Niederfallen. Der Feuerregen floß rings um uns her; aber wir entgingen ihm ohne Verletzung. Wind und Fluth waren uns so stark entgegen, daß wir nur langsam vorwärts kamen, und wir hatten das Vergnügen, zwischen allen übrigen Brandern Spießruthen zu laufen, welche ebenfalls angezündet worden waren und, vorn und hinten in Flammen stehend, auf uns eintrieben. Ihr Takelwerk war mit kongrevischen Raketen behangen, und wenn diese Feuer fingen, schössen sie gleich großen, feurigen Schlangen, mit einem betäubenden Krachen nach allen Richtungen durch die Luft.

Dennoch kamen wir wohlhabend an Bord. Wir meldeten uns beim Kapitän, der die Brander von den Hängematten aus beobachtete. Einer derselben war zu früh entzündet worden; das Steuer war nicht fest gebunden, und er hatte sich dicht neben unserer Fregatte breit gelegt. Obgleich ich für diese Nacht schon genug Abenteuer bestanden zu haben glaubte, waren mir doch noch mehr vorbehalten.

»Herr Mildmay,« sagte der Kapitän, »Sie scheinen den Spaß zu lieben; springen Sie noch einmal in Ihr Gig, wählen Sie sich vier frische Matrosen (ein frischer Midshipman wäre auch nicht übel, dachte ich), gehen Sie an Bord jenes Schiffes und setzen Sie ihm den Schnabel zurecht.«

Diese Anmuthung behagte mir gar nicht. Das Schiff stand vom Klüverbaum bis zum Topsegel in Flammen, und ich gestehe, ich hätte lieber den bereits gewonnenen Ruhm genossen, als einem weitern und dazu so unsichern nachgejagt. Indessen machte ich nie Schwierigkeiten, und dieß war nicht die Zeit, von meinem Grundsatze abzugehen. Ich rührte an meinen Hut, erwiederte »sehr wohl, Sir,« und forderte vier Freiwillige auf. In einem Augenblick hatte ich deren fünfzig. Ich las mir die vorgeschriebene Zahl aus, und fuhr zu meiner neuen Expedition ab.

Als ich mich dem Schiffe näherte, konnte ich anfangs gar keine Stelle entdecken, die nicht von Flammen ergriffen war, deren Hitze auf zwanzig bis dreißig Fuß selbst in dieser kalten Nacht nichts Behagliches hatte. Die Wetterseite war am wenigsten ergriffen, aber aus den Kajütenfenstern schlugen die Flammen mit Wuth empor. Mit der größten Schwierigkeit erklomm ich an einer noch nicht brennenden Stelle das Verdeck. Einer der Matrosen folgte mir. Der Hauptmast stand in Feuer und die Flocken, die vom brennenden Giekbaumsegel auseinander trieben, fielen gleich einem Schneegestöber auf uns nieder. Der vordere Theil des Handgriffes war zu Kohlen verbrannt, aber um den mittlern schlang ich ein Seil, wodurch ich das Steuer mit Hülfe des Matrosen drehte und das Schiff vor den Wind brachte.

Während dieses Geschäftes erinnerte ich mich unwillkürlich an mein Vorbild Don Juan. Beinahe wäre ich vor der Vollendung meines Werkes erstickt. Wir stießen wieder ab, und dahin flog der Brander vor dem Winde. »Dießmal gehe ich nicht mit,« sagte ich; »J'ai été, wie der Franzose meinte, als er zu einer englischen Fuchsjagd eingeladen wurde.«

Als ich an Bord zurückkehrte, war ich schwarz, wie ein Mohr, und verschmachtete vor Durst.

»Sehr gut gemacht, Mildmay,« sagte der Kapitän; »fanden Sie es warm?«

Ich deutete auf meinen Mund, der so trocken war, daß ich nicht sprechen konnte, und eilte nach der Wassertonne, um einen Zug daraus zu thun, mit dem ein Nachen flott gemacht werden konnte. Als ich wieder zu sprechen vermochte, waren meine ersten Worte: »Verflucht sei der Brander und der Tölpel, der ihn anzündete.«

Am andern Morgen erblickten wir das französische Geschwader in einem höchst zerrütteten Zustande. Die Schiffe hatten ihre Kabel abgehauen und rannten in jeder Richtung nach der Küste. Nur die Flaggenschiffe des Admirals und Contre-Admirals lagen noch auf ihren Ankern und konnten sich nicht eher entfernen, bis die Höhe der Fluth eintrat. Wir hatten damals das erste Viertel, und so mußten sie noch fünf gute Stunden warten. Ich verweise meine Leser in Betreff einer Geschichte dieser Ereignisse auf das Kriegsgericht; auch Zeitgenossen haben in ihren Schriften mit mehr oder weniger Strenge darüber geurtheilt. Nur bemerke ich, daß, hätten die Kapitäne Sr. Majestät mehr nach Gutdünken verfahren können, weit mehr versucht worden wäre – aber mit welchem Erfolg, wage ich nicht zu bestimmen.

Was unsern Kapitän betrifft, so hatte er kaum sein Ziel entdeckt, als er die Anker lichtete, darauf zusegelte und die Batterien beschoß, indem er zugleich seine Kanonen gegen die Boote der feindlichen Schiffe richtete, welche am Strande auf der Seite lagen. Die Insel Aix bereitete uns einen warmen Empfang. Ich stand im Vorderschiffe und sah, wie dem Vortopkapitän von einer Kanonenkugel der Kopf weggerissen wurde. In diesem Augenblicke kam der Schiffskapitän auf das Vorderschiff und sagte: »Der arme Bursche! werft ihn über Bord, wir haben hier keine Zeit zu einer Leichenschau.« Der Kampf mit den Batterien und den nahe gelegenen Schiffen dauerte lange, bis wir endlich von unsern Schiffen Beistand erhielten.

Während desselben erlebte ich ein höchst merkwürdiges Beispiel von Muskelthätigkeit. Ein Bursche von achtzehn Jahren war eben in der Back, als ihm eine Kugel den ganzen Unterleib zerriß; die Gedärme flogen einem andern Midshipman und mir in's Gesicht und blendeten uns beinahe. Der Getroffene stürzte und lag kaum einige Sekunden am Boden, als er plötzlich wieder aufsprang, uns mit einem gräßlichen Blicke anstarrte und todt niedersank. Der Rückgrath war nicht durchschossen, aber sonst der ganze Oberleib vom Unterleib getrennt.

Als unsere Schiffe uns in einem so heißen Kampfe begriffen sahen, setzten sich endlich einige derselben zu unserm Beistande in Bewegung. Dabei hielt sich ein Linienschiff so ritterlich, daß es wirklich einen glorreichen Anblick gewährte. Es war ein schönes Fahrzeug, »hoch gepreßt,« wie wir es nennen, und erschien wie ein lebendiges Wesen, das sich seiner Ueberlegenheit über seinen Gegner bewußt ist. Es verachtete den dichten Kugelregen und nahm kaltblütig eine bewunderungswürdige Stellung zur Schlacht an. Nachdem es die Segel gesetzt und die Raaen gerichtet, als wäre es zu Spithead, kamen die Matrosen vom Gestänge herab, traten zu ihren Kanonen und eröffneten ein solches Feuer auf die feindlichen Schiffe und Batterien, daß sich selbst der große Nelson, wenn er hätte Zeuge sein können, darüber gefreut haben würde. Die Ergebnisse dieses Gefechtes sind bekannt, und es ist unnöthig, sie hier zu wiederholen. Es war eines von den Ereignissen, welche das Ende des Krieges herbeiführten. Die Franzosen, welche so lange gezaudert hatten, ihren untergeordneten Rang auf der See anzuerkennen, unterwarfen sich jetzt schweigend, und von dieser Zeit an traf der Sturm des Krieges das Landheer.

Die Vertheidiger des Fatalismus oder der Prädestination können zum Beweise ihrer Lehre ein auffallendes Beispiel an dem Tode des Kapitäns eines der vernichteten französischen Schiffe anführen. Dieser Offizier war von einem unserer Boote auf unsere Fregatte gebracht worden; plötzlich erinnerte er sich, daß er nautische Instrumente von großem Werthe an Bord zurückgelassen habe, weßhalb er unsern Kapitän ersuchte, mit ihm im Gig hinzufahren, um sie abzuholen, ehe das Schiff verbrannt wäre. Sie bestiegen das Boot und setzten sich, da es sehr schmal war, auf einem kaum zwei Fuß langen Brette, das aus Mangel an geeigneten Bänken über den Spiegel gelegt wurde, dicht neben einander. Eines von den französischen Schiffen brannte; seine Geschütze gingen in dem Augenblicke los, als sie vom Feuer erreicht wurden. Eine Kugel riß das Brett unter den beiden Kapitänen fort, der englische Kapitän wurde nicht verletzt, aber dem französischen fuhren die Splitter in den Leib und tödteten ihn. Spät Abends wurden die übrigen französischen Linienschiffe, die an der Küste lagen, in Brand gesteckt, und gaben uns eine prachtvolle Beleuchtung. Wir lagen hart vor ihnen, und die Splitter und Bruchstücke ihrer Wracke flogen auf unsern Bord.

Unter unsern Tobten befand sich ein holländischer Bootsmannsgehülfe, der sein Weib an Bord hatte und wegen gewisser Fälle von Untreue den Stock, den er vermöge seines Dienstes zu tragen berechtigt war, häufig auf den Schultern seiner Ehehälfte tanzen ließ, wobei ich, ungeachtet meiner großen Achtung für das schöne Geschlecht, nicht zu läugnen vermag, daß sie diese Strafe gewöhnlich verdiente. Als sie die Kanonenkugel ihres gesetzlichen Beschützers und Ehrenretters beraubt hatte, setzte sie sich neben die verstümmelte Leiche und machte einige erfolglose Anstrengungen, zu weinen; eine Thräne lief aus dem einen Auge über die Wange hinunter und verlor sich in ihrem Mund, eine zweite brach zu gleicher Zeit aus dem andern Auge, blieb aber aus Mangel an Zufluß auf ihrem Wangenbeine sitzen, zog den uns umgebenden Rauch und Pulverdampf an sich, formirte eine kleine, schwarze Halbinsel und Landzunge auf ihrem Gesicht, und bildete sich zur wahren Trauerthräne, die ihren Heldenschmerz ausdrückte. Von diesem Beweise ehelicher Zärtlichkeit trennte sie sich erst am folgenden Tage; als sie den irdischen Ueberresten ihren treuen Achilles die letzte Ehre erweisen sah, wusch sie ihr Gesicht, nahm ihr Lächeln wieder an, und bewies der Schiffsmannschaft ihre Dankbarkeit für die ihr bewiesene Theilnahme.

Wir wurden mit Depeschen nach Spithead beordert, und lange vor unserer Ankunft hatte sie den Marinesergeanten zum Glücklichsten unter den Männern gemacht, nachdem er ihr zuvor versprochen, sie noch vor unserm Absegeln zum nächsten Kreuzen in der Kirche zu Kingston mit ihr trauen zu lassen, ein Versprechen, das auch gewissenhaft gehalten wurde.

An Bord der Fregatte wurde eine Midshipmanstelle frei, die der Kapitän mir anbot, und ich mit Freuden annahm. Der Kapitän war in guter Laune, und ich bat ihn um eine Woche Urlaub. Er willfahrte mir mit dem Zusatze: »Nur keinen französischen Abschied mehr, wenn ich bitten darf.« Ich brauche nicht zu sagen, daß ich keine Stunde desselben meinem Vater oder auch meiner theuren Emilie bestimmte; nein, Eugenie, die Geliebte, in ihren interessanten Umständen forderte meine ungetheilte Aufmerksamkeit. Ich flog nach G . . und traf daselbst die Schauspielergesellschaft; aber sie, – ach sie hatte dieselbe schon vor vierzehn Tagen verlassen, und Niemand wußte, wohin sie sich gewendet hatte.

Durch diese traurige Nachricht betäubt, sank ich beinahe bewußtlos auf einen Stuhl, als mir eine von den Schauspielerinnen einen Brief brachte. Ich erkannte die Hand, er war von Eugenien. Sogleich eilte ich in ein leeres Zimmer, erbrach das Siegel und las:

»Glaube mir, mein theuerster Mildmay, nur die Dringendste Nothwendigkeit konnte mich bestimmen, dir den Kummer zu verursachen, den du, wie ich bestimmt weiß, beim Lesen dieser Zeilen empfinden wirst. Umstände haben sich seit unserer Trennung ereignet, die es nothwendig machen, daß ich dich nicht nur verlasse, sondern auch einige Zeit lang nicht wiedersehen darf, und daß du über meinen Aufenthalt in Ungewißheit bleiben mußt. Unsere Trennung kann lange dauern, aber ich hege die gewisse Zuversicht, daß sie nicht ewig währen wird, wiewohl Jahre verfließen mögen, bis wir uns wiedersehen. Das Opfer ist groß für mich, aber eine Ehre und Wohlfahrt erfordern es. Ich hege noch dieselbe glühende Liebe, die ich stets für dich empfand, und um deinetwillen werde ich auch dein Kind lieben. Eine Hoffnung tröstet mich in meiner Trübsal, die Hoffnung der Wiedervereinigung. Gott im Himmel segne dich und kröne alle deine Unternehmungen mit Erfolg. Folge deinem Berufe, ich werde beständig von dir hören und Kunde von allen deinen Bewegungen erhalten. Ich werde den Himmel bitten, dich aus allen Gefahren zu erretten, zu deren Bestehung dein Muth dich drängen wird. Lebe wohl und vergiß diejenige nicht, welche dich keinen Augenblick aus ihren Gedanken verliert.

Eugenie.«

Nachschrift. »Du bist vielleicht nicht immer bei Kasse – ich weiß, du bist in dieser Beziehung äußerst sorglos. Ein Brief unter der beigefügten Adresse wird stets berücksichtigt werden und Alles zu deiner Verfügung stellen, was du zu deiner Einrichtung bedarfst. Stolz kann dich bestimmen, dieses Anerbieten auszuschlagen, aber bedenke, daß es Eugenie ist, die es dir macht: und wenn du sie liebst, wie sie glaubt, so wirst du es von ihr annehmen.«

Hier hatte ich Geheimnisse und Widersprüche in verworrener Fülle. Durch Umstände gezwungen, mich zu verlassen – mir ihren Aufenthaltsort zu verheimlichen – und doch nicht blos für sich selbst über Geldquellen zu gebieten, sondern auch mir jede Summe anzutragen, deren ich bedürfte! Ich begab mich zu Bette, aber der Schlaf floh mich, und ich fühlte auch kein Bedürfniß darnach, denn ich hatte zu viel zu denken und keinen Schlüssel zur Lösung meiner Zweifel. Ich betete zum Himmel für ihr Wohlergehen, gelobte ihr ewige Treue und fiel endlich in Schlaf. Am nächsten Morgen nahm ich von meinen ehemaligen Genossen Abschied und kehrte nach Portsmouth zurück, indem ich weder meinen Vater, noch meine Verwandte, noch auch nur meine sanfte Emilie sehen mochte. Indessen fiel mir ein, daß derselbe Agent, welcher Geld vorstrecken konnte, auch einen Brief zu befördern im Stande war, und so schrieb ich denn einen solchen, worin ich alle meine Gefühle ausdrückte. Es erfolgte keine Antwort, aber da der Brief nicht wieder zurückkam, so war ich überzeugt, daß sie ihn erhalten hatte, und sandte ihm von Zeit zu Zeit andere nach, mit deren Inhalt ich jedoch den Leser verschonen will; er wird mir's auch gewiß Dank wissen, denn Liebesbriefe sind für Jeden, der nicht dabei betheiligt ist, das Albernste, was es in der Welt geben kann.

Da ich Eugenien nicht sehen konnte, so vernahm ich mit Freuden, daß wir wieder zum aktiven Dienste ausgesendet werden sollten. Man bereitete damals die Schelde-Expedition vor, und unsere Fregatte erhielt den Befehl, zuerst unter Segel zu gehen, aber unser tapferer und beliebter Kapitän durfte uns nicht begleiten; es wurde ein Stellvertreter angestellt, und Alles auf die gehörige Ausrüstung des Schiffes verwandt. Die Stadt war damals so gedrängt voll Soldaten, als Spithead mit seinem Hafen voll Transportschiffe. Wir segelten gegen Ende Juli's ab und nahmen zwei Kanonenboote in's Tau, die wir zu bemannen hatten. Ich erbat mir den Befehl über eines derselben, denn ich war gewiß, daß ich hier mehr vom Dienste sehen, und folglich auch mehr Vergnügen haben würde, als wenn ich an Bord der Fregatte bliebe. Vierzig bis fünfzig Transportschiffe mit Reiterei wurden unter unsern Schutz gestellt, und wir brachten sie auch alle sicher bei Cadsand vor Anker.

Das Wetter war schön und das Wasser still. Kein Augenblick wurde verloren, die Truppen und Pferde auszuschiffen, und ich erinnerte mich, daß ich weder vorher noch nachher je ein anziehenderes Schauspiel genossen habe. Zuerst wurde die Mannschaft mit Sattel und Zeug an's Land geschickt; dann die Pferde in Schlingleinen in's Wasser hinabgelassen, wo die letzteren im Augenblicke gelöst wurden. Die Thiere fühlten sich kaum frei, als sie an die Küste schwammen, welche sie beim Landen mit lautem Gewieher begrüßten. Im Raum von einer Viertelmeile sah man drei- bis vierhundert Pferde im Wasser, die alle zu gleicher Zeit an's Land schwammen, wahrend die Reiter ihre Ankunft begierig am Ufer erwarteten. Der Anblick war für mich ebenso neu als malerisch.

Ich fand den Dienst auf dem Kanonenboot sehr hart. Wir waren vor Batz stationirt und wurden in beständiger Bewegung erhalten; doch mit der Uebergabe von Vließingen erhielten wir mehr Muße, die wir zur Anschaffung einiger Bedürfnisse für unsern Tisch verwandten, welche uns so lange fremd geblieben waren. Unser Geld hatten wir für Champagner und Claret ausgegeben, und da wir mit diesen Kostbarkeiten nicht sehr haushälterisch umgingen, konnten wir nur wenige Gulden auf den Ankauf von Geflügel und frischem Fleisch verwenden; wir mußten uns also diese Nahrungszweige durch dieselben Mittel verschaffen, womit wir uns die Insel Walcheren verschafft hatten, nämlich durch Pulver und Blei. Die Landleute waren etwas knurrig und durchaus nicht aufgelegt zum Tauschhandel, und da wir überhaupt nichts zu tauschen hatten, so vermieden wir nutzlose Erörterungen. Truthähne wurden von uns kurzsichtigen Sterblichen häufig für Fasanen, Hähne und Hühner für Rebhühner, zahme Enten und Gänse für wilde gehalten; kurz, wir übersprangen Gräben, erklommen Dämme und durchwateten Sümpfe mit einer Eile und Verwirrung, daß selbst Buffon den Unterschied zwischen einer Gans und einem Pfauen nicht mehr hätte angeben können. Unsere Jagdtaschen waren so geräumig als unsere Gewissen, und unsere Sicherheit im Treffen so groß als unser Appetit.

Die Bauern verschlossen all' ihr Geflügel in ihren Scheunen und ließen sehr freigebig allen ihren Flüchen freien Lauf. So blieben uns alle Hülfsmittel abgeschnitten und das Fouragiren war zuletzt nicht nur mit Beschwerden, sondern auch mit Gefahr verknüpft. Ich ging mit unserer Mannschaft an's Land, lud eine Kugel in meine Vogelflinte, und schoß meiner Meinung nach ein Reh, aber bei näherer Untersuchung ergab es sich, daß es ein Kalb von vier Monaten war. Ein solcher Mißgriff hätte jedem Menschen begegnen können. Da das Thier zu schwer zum Tragen war, schnitten wir es in zwei Hälften, nicht von vorn nach hinten die Rückenwirbel entlang, wie unsere dummen Fleischer, sondern quer über das Kreuz: eine weit kürzere und für das Tragen förderliche Methode. Wir nahmen die Keulen, das Kreuzstück sammt dem Nierenstück mit uns, gebrauchten aber zuvor noch die Vorsicht, das Kopf- und Schulterstück mit den beiden Bugen im Felde zu vergraben, indem wir gesonnen waren, den Schatz in der folgenden Nacht abzuholen.

Wir wurden zum Theil gesehen und von einem nahen Kanonenboote, dessen Mannschaft ohne Zweifel eben so hungrig war, als wir selbst, bei unserer Arbeit aufmerksam belauscht. Unsere Leidensgefährten ergriffen einen von den Unserigen, und dieser ließ, wie der Narr die Katze aus dem Sack, als man Grog hineingoß. Der Bursche deutete ihnen an, wo die andere Hälfte liege, und die pflichtvergessenen Schurken gingen hin, mit dem festen Entschlusse, sich dieselbe anzueignen, wurden aber ertappt, wie sie es für ihre Treulosigkeit verdienten. Der Pächter, welchem das Kalb gehörte, hatte Wind bekommen, und da er fand, daß wir die andere Hälfte desselben vergraben hatten, verschaffte er sich eine Abtheilung Soldaten, die auf unsere Rückkehr lauerten, um uns zu greifen. Die Mannschaft des anderen Kanonenbootes machte sich nach Einbruch der Nacht auf den Weg, ermittelte den Ort, wo der Schatz begraben lag, und war eben eifrig beschäftigt, ihren Raub auszuscharren, als sie überfallen, ergriffen und in's britische Lager abgeführt wurden, ohne das Thier mitnehmen zu können.

Wir wußten von all' dem nichts, gingen bald nachher auf unsere Beute aus, fanden das Kalb und nahmen es mit. Mittlerweile waren die Gefangenen an Bord des Flaggenschiffes gebracht und des Raubes angeklagt worden, eine Anklage, die um so stärker gegen sie zeugte, als sie in Flagrantri ergriffen worden waren. Vergebens behaupteten sie, daß sie nicht die Schlächter gewesen seien, sondern nur gesucht haben, was Andere getödtet. Der Admiral, ein herzensguter Mann, meinte, das sei eine recht hübsche Erzählung, aber sie möchten alten Schelmen nichts dergleiches vorlügen. Er ließ sie sämmtlich einsperren, zugleich aber in dem Vorrathsraume des anderen Kanonenbootes eine strenge Nachsuchung anstellen, um wo möglich den Rest des Kalbes zu entdecken. Wir hatten dieß vorausgesehen und steckten es deßhalb in einen von den Matrosensäcken, den wir an einem Bleilien drei Faden tief versenkten. Als die Nachsuchung vorüber war, zogen wir es hervor, bereiteten es zu und hielten eine vortreffliche Mahlzeit, wobei wir auf den guten Erfolg der Waffen Sr. Majestät zu Wasser und zu Land tranken.

Ob ich mich mit Speise und Trank überlebt hatte, weiß ich nicht, kurz, ich bekam das Walcherenfieber und wurde auf einem Linienschiffe nach Hause geschickt; und vielleicht gereichte mir dieß zum Besten, wie Pangloß sagt, denn ich wußte, daß ich meine eingewurzelten Gewohnheiten nicht lassen konnte, und es wäre höchst unangenehm für mich und betrübend für meine Freunde gewesen, wenn diese Denkwürdigkeiten beim Beginne des zweiten und anziehendsten Theiles durch den Uebelstand abgebrochen worden wären, daß man den Verfasser mitten in seiner glänzenden Laufbahn unter der Leitung des schändlichen Profos wie eine Vogelscheuche aufgehangen hätte, und zwar aus keinem andern Grunde, als weil er auf dem Gute eines Walcherenpächters jagte. Ueberdieß schienen mir die Holländer der Freiheit unwürdig, wie schon daraus hervorging, daß sie den Männern, welche sie aus der Knechtschaft zu befreien gekommen waren, ein paar Hühner oder eine Kalbskeule mißgönnten. Und dann gar ihr Wasser; wer hat je so etwas getrunken! Ich für meine Person habe es nie gekostet, wenn ich irgend etwas Besseres bekommen konnte. Ihre gräulichen Sümpfe und Moräste – nun die waren freilich für solche quackende Gesellen gut genug; aber wie könnte sich ein Engländer entschließen, unter ihnen zu leben, wenn es nicht des Vergnügens wegen wäre, Franzosen todt zu schießen, oder Wildpret! Wurden uns diese Erholungen geraubt, was durch die Uebergabe von Vließingen wirklich geschah, so war Walcheren mit seinen Augenentzündungen und Wechselfiebern kein Aufenthaltsort mehr für einen Gentleman. Zudem sah ich deutlich, daß, wenn man je die Absicht gehabt hatte, nach Antwerpen vorzudringen, die Zeit vorüber war; und da uns die Franzosen verlachten, und ich nie große Lust hatte, Andern, besonders solchen verzwickten Burschen zur Zielscheibe zu dienen, so verließ ich den Schauplatz Unserer Beschwerden und Schmach ohne Bedauern. Der Abschied Voltaire's kam mir in den Sinn: Adieu Canaux, Canardes et Canaille.

Ich kehrte in das Haus meines Vaters zurück, um mich von meiner Schwester pflegen zu lassen, und unsere Nachbarn mit der Erzählung unserer Wunderthaten in Erstaunen zu setzen.


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