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Siebenzehntes Kapitel.

Er lügt, Sir, mit einer Geläufigkeit, daß Ihr glauben könntet, die Wahrheit wäre eine Närrin; Trunkenheit ist sein Hauptvorzug; denn er besäuft sich wie ein Schwein, und am bravsten ist er, wenn er schläft.

Shakespeare.

Als sich Kapitän G .. zeigte, schien er in der besten Laune von der Welt; sobald er mich sah, rief er aus: »ah, so gefällt mir's; nie über Urlaub ausgeblieben, und wären's auch nur fünf Minuten! Weil ich jetzt sehe, daß ich Ihnen trauen darf, können Sie wieder an's Land gehen, sobald es Ihnen gefällig ist.«

Gegen einen Mann vor dem Maste wäre diese Sprache vielleicht sehr angemessen gewesen; aber an einen Offizier gerichtet, schien sie mir roh und ungebildet.

Der Proviantmeister hatte in der Constabelkammer ein Gabelfrühstück zubereitet; es bestand aus Beafsteaks und gebackenen Ochsennieren, mit gedämpften Zwiebeln; der köstliche Geruch stieg in süßen Düften durch die Luftlöcher empor und kitzelte die Nase des Schiffskapitäns. Sein scherzhaftes Geplauder kannte keine Gränzen; er lehnte sich über den Gitterrand und sagte hinuntersehend:

»Ich glaube, da unten wird etwas teufelmäßig Gutes zugerichtet.«

Der erste Lieutenant faßte den Wink und lud ihn ein.

»Nun, es liegt mir nichts daran, ich beiße gern in die Angel.«

Er blinzelte mit einem seiner schalkhaften Augen und war bei diesen Worten bereits die Hauptluke hinunter, weil er die Besorgniß hegte, die besten Leckerbissen möchten verschwinden, ehe er in's Treffen käme. Wir folgten ihm Alle, und als er sich setzte, sagte er: »Ich hoffe, meine Herren, dies ist nicht das letztemal, daß ich in der Konstabelkammer sitze, und daß Sie Alle meine Kajüte als die Ihrige betrachten. Ich mache es meinen Offizieren gern bequem; nichts ist entzückender, als Harmonie auf einem Schiffe, wo jeder Matrose und Schiffsjunge bereit ist, für seine Offiziere zum Teufel zu gehen. Das nenne ich gute Kameradschaft – leben und leben lassen – die gehörige Rücksicht auf die Gefühle seiner Gefährten nehmen; wir werden es bedauern, wenn die Zeit herankommt, wo wir uns trennen müssen. Indessen fürchte ich, daß ich nicht mehr lange bei Ihnen sein werde; denn so theuer mir diese Brigg ist – der Herzog von N .. und Lord George .. haben dem ersten Lord eine verdammte Nase gegeben, daß er mich nicht früher befördert hat; und unter uns gesagt, ich möchte nicht, daß es weiter käme – meine Bestallung als Postkapitän geht mit mir nach Barbados.«

Der erste Lieutenant zuckte mit seinem Auge; aber so schnell auch diese Bewegung war, bemerkte sie der Kapitän doch mit dem Seitenblicke eines von den seinigen, ehe er es auf den Centralgegenstand, die Beafsteaks, Nieren und Zwiebeln richten konnte; aber er ließ es stillschweigend hingehen.

»Ein Kapitalsteak das! Darf ich Sie um etwas Fett und ein wenig Sauce ersuchen? Wir wollen uns noch ein wenig lustig machen, bevor wir unter Segel gehen; aber zuerst wollen wir in's blaue Wasser, dann haben wir weniger zu thun. Weil wir gerade von der Zubereitung der Steaks reden – als ich in Egypten war, brieten wir unsere Beafsteaks auf den Felsen – brauchten kein Feuer – Thermometer auf 200 – heiß wie die Hölle! Ich sah viertausend Mann für die ganze Armee zwanzig- bis dreißigtausend Pfund Steaks auf einmal zubereiten, alle zischend und schmorend auf einmal – just um Mittag, natürlich Sie wissen – kein Funke Feuer! Einige von den Soldaten, die zu Leith als Glasbläser gearbeitet hatten, schworen, sie hätten nie eine solche Hitze erlebt. Ich ging auf einen Augenblick leewärts und dachte an Alt-England; das ist aber doch ein Land, wo man denken und sagen kann, was man will. Aber das Ding dauerte nicht lang, wie Sie sich einbilden können; den Leuten die Augen ausgebraten, Gott straf' mich, in drei bis vier Wochen. Ich war krank gewesen und hatte das Bett hüten müssen, denn ich gehörte zum 72sten Regiment, es war siebenzehnhundert Mann stark. Ich hatte ein Kommando Seeleute bei mir; aber die Augenentzündung wüthete so heftig, daß das ganze Regiment, Obrist und Alle, stockblind wurden – Alle, mit Ausnahme eines Korporals. Sie mögen staunen, meine Herren, aber es ist die reine Wahrheit. Gut, dieser Korporal hatte eine hübsche Aufgabe. Er mußte das ganze Regiment an's Wasser führen–er ging voraus, und auf beiden Seiten hielten sich zwei oder drei an den Flügeln seiner Jacke; diese wurden wieder von eben so vielen gefaßt; und so verdoppelte sich die Anzahl bis zum letzten. Jeder hielt sich am Andern, bis sie Alle am Brunnen getrunken hatten; und nun wollte der Teufel gar, daß wir nur einen einzigen Brunnen hatten. – So pflegte dieser Korporal das Regiment zu tränken, wie ein Reitknecht seine Pferde; Alle ausgespreizt, müssen Sie wissen, wie ein Pfauenschwanz.«

»Wovon der Korporal der Rumpf war,« unterbrach ihn der Doctor.

Der Kapitän warf ihm einen strengen Blick zu.

»Sie fanden es warm in jenem Lande?« fragte der Arzt.

»Warm?« rief der Kapitän? »ich will Ihnen was sagen, Doctor, wenn sie hinfahren, wohin Sie schon so manchen Patienten geschickt haben, und wohin sie aus eben diesem Grunde gewiß kommen, so hoffe ich um Ihrer und um Ihres Standes überhaupt Willen nur, daß Sie es dort nicht ganz so heiß finden mögen, wie wir es in Egypten gefunden haben. Was meinen Sie? Neunzehn meiner Soldaten wurden durch die concentrirten Lichtstrahlen getödtet, welche auf die blanken Flintenläufe der Schildwachen fielen und das Pulver entzündeten. Ich befehligte eine Mörserbatterie zu Acre und fügte den Franzosen mit den Haubitzen einen teufelmäßigen Schaden zu. Wahrend sie am Essen saßen, pflegte ich unter sie hineinzuschießen; aber wie meinen Sie, daß mir endlich die Schurken den Wind abgewannen? Gott straf' mich, sie richteten ein Rudel Pudelhunde ab, auf die Haubitzen Acht zu geben, wenn sie niederschlugen, und dann hinzurennen und die Zündlunten abzubeißen. Haben Sie je von solchen verfluchten Schurken gehört? Durch dieses Mittel retteten sie hunderte von Menschen, und verloren nur ein halb Dutzend Bestien – Thatsache, bei Gott; fragen Sie nur Sidney Smith, der wird Ihnen das Gleiche sagen, und noch verdammt viel weiter.«

Der Geläufigkeit seiner Zunge kam nur die Raschheit seiner Erfindungsgabe und die Fertigkeit seines Kauorgans gleich, denn während dieses ganzen unterhaltenden Monodramas waren seine Zähne gleich der Transversalstange eines Dampfbootes in beständiger Bewegung; und da er sowohl unser Kapitän, als unser Gast war, nahm er sich zum wenigsten den Antheil des Löwen von unserem Mahle.

»Aber Soundings,« sagte er, sich vertraulich an den Steuermann wendend, der noch nicht lange an Bord war, »laßt uns einmal sehen, was für eine Art von Stoff Ihr dort vorn gestaut habt. Ihr wißt, ich bin ein Wassertrinker, gebt mir nur das reine, klare Element, und ein Kind kann mich leiten; wenn das Wasser gut ist, rühre ich selten geistige Getränke an.« Mit diesen Worten goß er einen Becher voll und hielt ihn an die Nase; »stinkt wie der Teufel! Wißt Ihr auch gewiß, Meister, daß Ihr an Euren Fässern die Spunten eingeschlagen habt? Die Katzen haben ihren Beitrag zu dem Fluidum gegeben, wir müssen es qualificiren;« nachdem er die Hälfte des Wassers ausgegossen hatte, welches, beiläufig gesagt, sehr gut war, füllte er die dadurch entstandene Lücke mit Rum, kostete das Getränke und sagte: »Kommen Sie jetzt, Miß Puß, das wird Sie jedenfalls heraustreiben.«

Es entstand eine Pause von einem Augenblick, während welcher er das Glas vor sein Auge hielt, und den Inhalt desselben hinuntergoß, ohne ein anderes Zeichen von Bewegung zu verrathen, als einen tiefen Seufzer. »Beiläufig gesagt,« bemerkte er sodann, »da fällt mir eben der Gedanke ein, wir wollten keine Katzen an Bord haben, mit Ausnahme derjenigen, deren Gebrauch dem Bootsmann unglücklicher Weise durch die Verderbniß der menschlichen Natur aufgezwungen wird. Herr Wolkensegel, wollen Sie dafür Sorge tragen, daß alle Katzen über Bord geworfen werden.«

Er ergriff seinen Hut, erhob sich vom Tische und trat auf die Schiffsleiter. »Wenn ich es recht bedenke,« sagte er, sich wieder an Wolkensegel wendend, »will ich die Katzen doch nicht über Bord werfen lassen; die Matrosen haben einen dummen Aberglauben in Bezug auf diese Thiere – es ist verdammt fatal. Nein – stecken Sie dieselben lebendig in einen Brodsack, um sie im Hafenboote an's Land zu schicken.«

Ich erinnerte mich, daß an diesem Tage mein Patentschmaus im Georg stattfinden sollte, und in Rücksicht auf das Versprechen des Kapitäns, ich könnte an's Land gehen, wann es mir beliebe, hielt ich nichts weiter für nöthig, als meinem Vorgesetzten die herkömmliche Meldung davon zu machen. Mit bescheidener Zuversicht trat ich zu ihm, und theilte ihm meine Verbindlichkeit und meine Absicht mit.

»Auf Ehre, Sir,« rief der Kapitän, seine Arme in die Seite stemmend, und mir starr in's Gesicht blickend: »Sie haben einen ordentlichen Vorrath an bescheidener Zuversicht. Kaum find Sie an Bord, als Sie auch schon wieder um Erlaubniß nachsuchen, an's Land zu gehen, und zugleich haben Sie die Unverschämtheit, mir, der ich, wie Sie wissen, das Laster so sehr verabscheue – mir zu sagen, Sie wollen Ihr Patent einweihen, und sich natürlich bestialisch betrinken, sowie auch Andere in denselben gemeinen Zustand versetzen. Nein, Sir, ich muß Ihnen zu wissen thun, daß ich als Kapitän dieses Schiffes, und so lange ich die Ehre habe, es zu befehligen, magister morum bin.«

»Das ist's eben, worauf ich kommen wollte, Sir,« versetzte ich, »als Sie mich unterbrachen. Weil ich weiß, wie schwierig es ist, junge Leute ohne die Gegenwart eines Mannes in Ordnung zuhalten, vor welchem sie Ehrerbietung hegen, und auf welchen sie als auf ein Muster blicken können, war ich im Begriff, mir die Ehre Ihrer Gesellschaft als Gast auszubitten. Meines Erachtens könnte nichts geeigneter sein, jede Neigung zur Ausschweifung zu unterdrücken.«

»Sie sprechen wie ein Kind aus meiner eigenen Schule,« versetzte Kapitän G.., »hätte nicht so viel gesunden Verstand hinter Ihnen gesucht. Ich bin weit entfernt, eine nasse Decke über unschuldige Freuden zu werfen. Es sei, wie ihm wolle, Mensch ist Mensch: gebt ihm blos die nackten Bedürfnisse des Lebens, und er ist nicht weiter, als ein Hund; ein wenig Fröhlichkeit bei einem solchen Anlaß ist nicht nur zu entschuldigen, sondern sogar zu loben. Die Gesundheit eines guten Königs, wie des unsrigen, Gott segne ihn, sollte immer in gutem Weine getrunken werden, und da Sie sagen, daß die Gesellschaft eine auserlesene ist und die Einweihung ihres Patentes feiert, so habe ich nichts dagegen, hinzugehen und den Brautführer zu machen. Aber merken Sie sich 's, keine Saufgelage – keine Unanständigkeit – und ich will mein Bestes thun, nicht nur das junge Blut in Ordnung zu halten, sondern auch mein bescheiden Theil zur Heiterkeit des Abends beizutragen.«

Ich dankte ihm für seine gütige Herablassung. Er gab dem ersten Lieutenant Wolkensegel einige Verhaltungsbefehle, ließ sein Gig bemannen und bot mir zur Ueberfahrt an's Land einen Platz darin an.

Dies war eine Gunst, die er noch keinem Offizier im Schiffe erzeigt hatte, und die sämmtliche Mannschaft erschien unaufgefordert auf dem Verdeck, um den seltenen Anblick zu genießen. Der erste Lieutenant zuckte mit seinem Auge, und sagte damit mehr als deutlich, »das ist zu viel, um lange zu dauern.« Wir bestiegen das Boot und ruderten nach Altsallyport. Die Hafenebbe trieb uns entgegen, und wir kamen hart an der Boje der Boyne vorüber.

»Erinnere mich noch wohl an das alte Schiff; war Midshipman darauf, als es aufflog. War Signal-Midshipman. Stand eben im Begriff, das Nothsignal zu geben, als ich in die Luft geschleudert wurde. Tod und Verdammniß! Dachte nie mehr herunterzukommen.«

»Wirklich, Sir,« bemerkte ich, »ich dachte, es wäre damals Niemand an Bord gewesen.«

»Niemand an Bord?« wiederholte der Kapitän mit einem verächtlichen Zucken seiner Oberlippe; »von wem haben Sie das?«

»Ich hörte es von einem Kapitän, unter dem ich in Amerika diente.«

»Dann richten Sie Ihrem Kapitän einen schönen Gruß von mir aus, und sagen Sie ihm, er wisse keinen Pfifferling von der ganzen Sache. Niemand an Bord! Gott straf' mich, Sir, die Hütte war so gedrängt voll, wie ein Schafpferch, und Alle blöckten nach mir um Hülfe. Ich sagte zu ihnen, sie sollen sammt und sonders in die Hölle fahren, und just in diesem Augenblicke fuhren wir Alle in die Luft. Besinnungslos wurde ich aufgefangen. Ich ließ mir nachher sagen, es sei irgendwo in der Stockesbay gewesen. Sie brachten mich in das Hospital zu Haslar, wo man mich drei Monate lang verloren gab – sprach kein Wort. Endlich wurde ich wieder gesund; und das erste, was ich that, war, ein Boot zu nehmen, nach dem Vorderraume meines alten Schiffes unterzutauchen, und nach hinten in den Brodraum zu schwimmen.«

»Was sahen Sie dort, Sir?« fragte ich.

»Oh, nichts, als ganze Haufen menschlicher Skelette und eine Anzahl Weißfische, die zwischen ihren Rippen umherschwammen. Ich holte meinen alten Quadranten vom Steuerbordflügel, wo ich ihn eben zurecht gesetzt hatte, als der Lärm entstanden war. Er lag just noch auf derselben Stelle, wo ich ihn gelassen hatte. Nie werde ich es vergessen, welch' einen verdammten Streich wir der alten Königin Charlotte mit unserem Steuerbordgeschütze spielten; jede Kanone platzte mit doppelter Ladung hinein. Gott verdamme meine Augen, ich glaube, wir schossen wenigstens hundert Mann zusammen.«

»Wie, Sir,« bemerkte ich, »man sagte mir immer, sie habe bei dieser Gelegenheit nur zwei Mann verloren.«

»Wer sagte Ihnen das?« fragte Kapitän G ... »Ihr alter Kapitän?«

»Ja, Sir,« erwiederte ich, »er war Midshipman auf der Königin Charlotte.«

»Gott verdamme ihn,« sagte mein Kapitän, »ich weiß gewiß, daß drei Lauschenladungen Leichname herausgenommen und nach dem Hospital zur Beerdigung geschafft wurden.«

Als das Boot am Landungsplatze ankam, hatte der vollendete Lügner Zeit, Athem zu holen, und ich hegte in der That die Besorgniß, er möchte seinen Lügenvorrath noch vor der Tafel erschöpfen und nichts mehr zum Nachtische übrig behalten. Er ging in sein altes Gasthaus, den Stern, und ich in den Georg. Beim Scheiden erinnerte ich ihn, daß wir um sechs Uhr zusammenkommen würden.

Seien Sie unbesorgt,« erwiederte er, »ich werde erscheinen.«

Vor seiner Ankunft versammelte ich meine Tischgesellschaft, und sagte meinen Freunden, ich habe die Absicht, ihn betrunken zu machen, sie möchten mir beistehen. Sie versprachen es. Hatte ich diesen Zweck einmal erreicht, so war ich vollkommen überzeugt, daß ich seinen künftigen Reden zu Gunsten der Mäßigkeit ein Ziel gesetzt haben würde. Meine Gefährten, welche ihren Mann kannten, behandelten ihn bei seinem Eintritte mit den schmeichelhaftesten Beweisen der Achtung. Ich stellte ihm alle nach der Reihe auf die förmlichste Weise vor, wie es bei Hofe eingeführt ist – wenn ich Großes mit Kleinem vergleichen darf. Seine gute Laune war auf der Höhe der Springfluth. Sämmtliche Gäste baten sich in der größten Ehrerbietung, jeder einzeln, die Ehre aus, ein Glas Wein mit ihm zu trinken, und auf die herablassendste Weise ward sie ihnen zugestanden.

»Kapitalsache das,« bemerkte der Kapitän, »woher mag sie Billet haben? Beiläufig gesagt, weil wir eben davon sprechen, haben Sie je von den eingepöckelten Lachsen in Schottland gehört?«

Wir bejahten es Alle.

»Oh, Sie verstehen mich nicht recht. Gott straf mich, ich meine nicht todte eingepöckelte Lachse, ich meine lebendige eingepöckelte Lachse, die in den Weihern umherschwimmen, lustig wie Aale, und hungrig wie Ratten.«

Wir drückten Alle unser Erstaunen aus und erklärten, daß wir vorher nie davon gehört hätten.

»Dachte mir's wohl,« versetzte er, »ist erst seit neuester Zeit in diesem Lande eingeführt worden, durch einen speciellen Freund von mir, Doctor Mac – ich kann mich des verfluchten, kinnbackenverrenkenden schottischen Namens nicht entsinnen; war ein großer Chemiker und Geognost, und was dergleichen Geschichten mehr sind – ein gescheidter Kerl, das kann ich Ihnen sagen, wenn Sie auch darüber lachen. Gut – dieser Kerl, Sir, nahm die Natur bei den Fersen, und überbaumelte sie, wie wir sagen. Ich glaube steif und fest, er hatte sich dem Teufel verschrieben. Gut – was thut er? Er fängt Lachse, setzt sie in Weiher und schüttet jeden Tag mehr Salz hinein, bis das Wasser so dick ist, wie ein Gerstenbrei, und die Fische kaum noch mit ihren Schwänzen wackeln können. Dann warf er ganze Pfefferkörner hinein, ein halb Dutzend Pfund auf einmal, bis es reichte: dann verdünnte er die Brühe mit Essig, bis die Einpöckelung vollendet war. Die Fische konnten dem Ding anfangs gar keinen Geschmack abgewinnen; aber 's ist Alles nur Gewohnheit, und als er mir seinen Weiher zeigte, schwammen sie so lustig d'rinn herum, wie ein Rudel Barben; er fütterte sie mit klein gehacktem Fenchel und schwarzen Pfefferkörnern. ›Gehen Sie, Doctor,‹ sagte ich, ›ich traue keinem Menschen auf's Wort; wenn ich sie nicht koste, so glaube ich meinen eigenen Augen nicht, meiner Zunge kann ich stets glauben.‹ (Wir sahen einander an.) ›Das sollen Sie sogleich,‹ sagte er, und schnellte einen Lachs mit einem Hamen heraus. Ich steckte mein Messer hinein und die Salzbrühe spritzte aus ihm heraus, wie der Wein aus einer Claretflasche; aß wenigstens zwei Pfund von dem Kerl, während er mir mit dem Schwanz in's Gesicht klatschte. Nie habe ich einen Lachs gekostet, wie der war. 's ist der Mühe werth, daß Sie nach Schottland reisen, und wäre es nur, um lebendige eingepöckelte Lachse zu essen. Will jedem von Ihnen einen Brief an meinen Freund mitgeben, er wird eine verdammte Freude haben, Sie zu sehen; dann können Sie sich selbst überzeugen. Geb' Ihnen mein Wort darauf, wenn sie einmal einen solchen Lachs gegessen haben, wollen Sie nie mehr etwas von einem andern wissen.«

Wir sagten Alle, daß wir dies für höchst wahrscheinlich fänden.

Die Champagnerpröpfe flogen so rasch und laut, wie seine Haubitzen in Acre; aber wir verhielten uns Alle leidend und beschränkten unsere Unterhaltung rein auf die Geläufigkeit seiner Zunge; und als ich fand, daß eine frische Brise in derselben aufsprang, lenkte ich schlauer Weise das Gespräch auf Egypten, indem ich einen meiner Freunde bat, eine vor ihm stehende Pyramide Gefrorenes zu demoliren und dem Kapitän etwas davon zu schicken.

Dies war genug. Er begann mit Egypten, und die Zahl und Großartigkeit seiner Lügen wuchs im Verhältnisse mit unserem Beifall. Ein Schnellschreiber hätte bei der Hand sein sollen, denn ein menschliches Gedächtniß konnte diesem modernen Münchhausen keine Gerechtigkeit widerfahren lassen. »Weil wir eben vom Nilwasserreden,« sagte er; »als ich als erster Lieutenant auf dem Bellerophon war, lief ich mit nur sechs Tonnen Wasser in Minorka ein, und in vier Stunden hatten wir 350 Tonnen an Bord, alle weggestauet. Ich ließ die ganze Mannschaft arbeiten; der Admiral selbst stand mit den Uebrigen bis an den Hals im Wasser. ›Gott straf' mich, Admiral‹, sagte ich, ›nur kein Blindekuhspiel‹. Gut – am andern Tage segelten wir, und einen solchen Sturmwind habe ich in meinem Leben nicht gesehen – alle unsere Masten gingen über Bord, und wir wären von der Wetterfluth beinahe ertränkt worden. Eines unserer Boote wurde aus den Barren fortgeblasen, und war uns aus den Augen gekommen, ehe es das Wasser berührte. Sie mögen darüber lachen; aber das war noch nichts gegen die Kriegsschaluppe »Schwalbe«, die uns begleitete. Sie wollte gegen den Wind ankämpfen, aber beim Zeus, er schleuderte sie zwei Meilen weit in's Land hinein – Kanonen, Matrosen und Alles; und am andern Morgen ergab sich's, daß ihr Klüverbaum durch's Fenster geflogen und einem Bilde der heiligen Jungfrau in die Wange geschossen war. Die Eingebornen schworen alle, die verfluchten Ketzer hätten es mit Fleiß gethan. Der Kapitän war genöthigt, seine Mannschaft zu bewaffnen und schlagfertig gegen das Gestade anzurücken, indem er das Schiff dem Volke überließ, welches so erbittert war, daß es dasselbe in Brand steckte, ohne an das Pulver zu denken, das wir an Bord hatten. Alle Geistlichen hatten ihre priesterliche Kleidung an, und sangen in die Wette, um ihre Kirche zu reinigen; es war aber verlorene Mühe, denn in einem Augenblicke fuhren Kirche, Priester, Gemälde und Volk, Alles mit einander zum Teufel.«

Nun begann er, auf eine ganz gemeine Weise, über die Religion und ihre Diener zu schimpfen. Alle Priester waren heuchlerische Schurken. Wenn er überhaupt eine Religion hätte, sagte er, so würde er die römisch-katholische allen übrigen vorziehen, »denn Sie wissen,« fügte er hinzu, »da kann man sündigen, so viel man will, und für ein paar Schillinge bringt man Alles wieder weg. Ich verdanke der Religion meine Anstellung, Gott straf' mich; fand, daß mein alter Admiral ein Psalmensänger war. ›Ha, alter Knabe,‹ dachte ich, ›dann soll dir's nicht fehlen.‹ Ließ mir durch den Bootsmann ein Kissen ausstopfen, und das trug ich überall mit mir herum, denn ich wollte meine Hosen schonen und meinen Knieen nicht wehe thun. So fing ich denn an, betete den ganzen Tag lang und hielt die ganze Nacht durch die Leute durch Psalmensingen wach. Kniete nieder und betete auf dem Hinterdeck, auf dem Hauptdeck und auf dem Unterdeck; predigte der Mannschaft auf den Bugen, wenn sie die Kabeln aufzog, und seufzte tief und laut, wenn ich einen Fluch hörte. Das Ding ging prächtig; der Admiral sagte, ich sei von der guten Art, und machte aus dem größten Gottesläugner auf dem Schiffe einen Kommandeur. Nicht sobald hatte ich mein Schiffspergament, als ich Kissen und Bibel zum Teufel warf.«

Wie lange er noch mit diesem Kauderwälsch fortgemacht hätte, ist schwer zu sagen, aber wir wurden ihn satt, und ließen die Flasche kreisen, bis er mit seinen Erzählungen aufhörte und sich den Aufwallungen der Zärtlichkeit überließ.

»Nun, ich behaupte, – Schluck – Sie sind ein teufelmäßig guter Kerl; aber jenen einäugigen Sohn einer Kanone, den will ich vor ein Kriegsgericht stellen, sobald ich ihn einmal in einem Rausch ertappe; will ihn an die Nocke hängen, und Sie sollen mein erster Lieutenant und custos rottorum sein, Gott straf' mich. Kommen Sie nur und sagen Sie es mir, wenn er einmal zu viel Branntwein unter dem Dach hat; ich will ihm dann schon eine Suppe einbrocken, Gott verdamme sein Schielauge – ein schmutziger Polyphem, der Sohn einer – – (Schluck) eines – Vogelfängers – von Whitechapel.«

Hier verließ ihn sein Gedächtniß; er begann mit sich selbst zu reden und mich mit dem ersten Lieutenant zu verwechseln.

»Ich will ihn lehren, an den Hafen-Admiral zu schreiben – den Sohn eines Schiffskoches.«

Jetzt kam das Finale, und er sang:

»Der Koch wurde trunken,
Fiel die Luke hinab.
Zerbrach seine Flasche Wachholder.«

Sein Kopf sank zurück, er taumelte über den Stuhl hinunter und lag regungslos auf dem Fußteppiche.

Ich hatte schon vorher beschlossen, ihn in diesem Zustande nicht auf die Straße zu lassen, und ihm ein Bett im Gasthofe bestellt. Jetzt zog ich die Glocke, und ließ ihn durch den Hausknecht dahin befördern. Nachdem er sicher untergebracht war, lösten wir ihm die Halsbinde auf, zogen ihm seine Stiefel aus, legten seinen Kopf etwas höher, und kehrten zu der Tafel zurück, wo wir unsern Abend in großer Heiterkeit beschlossen, ohne ein weiteres Beispiel von Trunkenheit zu erleben.

Am andern Morgen besuchte ich ihn; er schien nicht sehr erfreut, mich zu sehen, indem er glaubte, ich wollte ihm seine Unmäßigkeit vorwerfen; aber dies war nicht meine Absicht. Ich fragte ihn, wie er sich befinde, und bedauerte, daß die Heiterkeit des Abends auf eine so unglückliche Weise unterbrochen worden sei.

»Wie meinen Sie das, Sir? Wollen Sie etwa damit andeuten, ich sei nicht ganz nüchtern gewesen?«

»Keineswegs, Sir,« erwiederte ich; »aber wissen Sie, daß Sie mitten in Ihrer anziehenden und köstlichen Unterhaltung in einem epileptischen Anfalle vom Stuhle taumelten? – Sind Sie solchen Zufällen unterworfen?«

»Ja, mein Werthester, das bin ich wirklich; aber ich habe schon so lange keinen mehr gehabt, daß ich mich ganz davon befreit glaubte. Viermal bin ich deßwegen auf der Invalidenliste gestanden, und allemal gerade zu einer Zeit, wo ich meiner Beförderung sicher gewesen wäre, wenn ich hätte ausgehen können.«

Hierauf gab er mir die Erlaubniß, den Tag über am Lande zu bleiben. Ich pries die glückliche Fassungskraft, womit er den Wink über den Anfall aufgefangen, und sobald ich ihn verlassen hatte, stand er auf, ging an Bord und ließ zwei Matrosen peitschen, welche sich am Abend vorher betrunken hatten.

Ich ermangelte nicht, meinen Tischgenossen den ganzen Vorfall zu erzählen, und wenige Tage nachher gingen wir nach Barbados unter Segel. Am ersten Sonntage, den wir auf der See waren, speiste der Kapitän mit den Offizieren in der Constabelkammer. Bald ließ er seine gewöhnliche Ladung Lügen und Prahlereien vom Stapel, welche unsern Doctor, einen verständigen jungen Walliser, jedesmal ärgerten. Bei diesen Gelegenheiten ermangelte er nie, auf Kosten des Kapitäns ein Gelächter hervorzurufen, indem er am Schlusse jeder Anekdote ein paar Worte einstreute, und zwar in einem so ernsten und bescheidenen Tone, daß wer ihn nicht kannte, nothwendig glauben mußte, es sei ihm wirklich Ernst. Der Kapitän gab wieder seine Geschichte mit den Pudeln zum Besten, welche die Zündlunten abbissen. »Ich hoffte, auch unter uns ein solches Korps gebildet zu sehen,« bemerkte er, »und wenn ich der Oberst desselben wäre, so würde ich bald einen Stern auf der Brust tragen.«

»Das wäre ein Hundsstern,« fiel der Doctor mit dem kaltblütigsten Ernste ein.

»Danke Ihnen, Doctor, nicht übel, machen mich zu Ihrem Schuldner.«

Wir lachten; der Doctor behielt seine ernste Miene bei, und der Kapitän sah sich mit einem strengen Blicke um; aber er fuhr in seinen Lügen fort, und berief sich bei seinen Behauptungen, wie gewöhnlich, auf Sir Sidney Smith. Wenn Sie mir nicht glauben wollen, so fragen Sie nur Sir Sidney Smith; er wird Ihnen 36 Stunden lang in einem Zuge von Acre erzählen, ohne nur einmal Athem zu schöpfen. Sein Beischiffführer bekam endlich die Sache so satt, daß er ihm den Spitznamen »Acrelang« beilegte.

Der arme Doctor mußte es entgelten. Am folgenden Tage bemerkte er, daß das Verdeck über seiner Kajüte einen Leck hatte, und ihm das Wasser in's Bett lief. Er begann, ein Stück getheerten Segeltuchs zum Abhalten des Wassers festzunageln, als der Kapitän die Hammerschläge hörte und auf die Meldung, daß der Doctor so lärme, Ruhe gebot. Der Doctor versetzte, er wolle nur einige Löcher über seinem Kopfe vernageln; allein der Kapitän meinte, sie dürfen nicht verstopft werden, ein Loch oder Lauchbett sei für einen Walliser eine köstliche Lagerstätte.

»Jetzt sind wir quitt, Doctor, das ist nur für Ihren Hundsstern. Sie glauben vermutlich, es könne auf dem Schiffe Niemand außer Ihnen Pulver oder Pillen machen?«

»Wenn meine Pillen nicht besser wären, als Ihr Pulver, so wären wir übel daran.«

Hierauf verbot der Kapitän dem Zimmermann, den Doctor mit Nägeln oder irgend einem Werkzeuge zu versehen; ja er sagte dem armen Arzte, er wisse nicht einmal, wie man eine Pille mache, und sei so unnütz, als die Flottencommission. Auch in anderen Theilen seines Berufes beschuldigte er ihn der Unwissenheit, und ließ alle Kranken auf's Verdeck führen und mit Tau-Enden peitschen, um ihr Blut in raschere Bewegung zu bringen und sie etwas lebendig zu machen.

Ich habe manchen armen Kranken auf die unbarmherzigste Weise peitschen sehen, und wundere mich nur, warum die Matrosen ihren Kapitän nicht über Bord warfen; aber ich glaube, blos die Ehrfurcht und Liebe gegen die Offiziere konnte sie davon abhalten. Wir waren nicht sobald in blaues Wasser gekommen, wie er es nannte – d. h. in eine See, wo man mit dem Loth keinen Grund mehr fand – als er seine Quälereien begann, mit denen er nicht mehr aufhörte, bis wir Carlislebay erreichten. Offiziere und Matrosen wurden auf gleiche Weise mißhandelt, und mußten sich Alles gefallen lassen, denn Keiner von uns wagte es, ihn vor ein Kriegsgericht zu stellen. Es war sein steter Grundsatz – »treibet die Matrosen zur Arbeit an, so treibet ihr ihnen den Teufel aus – die ganze Mannschaft muß die ganze Tagwache thun und die ganze Nacht wachen.«

»Kein Mensch,« sagte Jacky – so nannte ihn das Schiffsvolk, »soll an Bord meines Schiffes müßiges Brod essen; die Arbeit treibt den faulen Schlingeln den Scharbock aus den Knochen.«

Die ganzen ersten drei Wochen über durfte kein Offizier oder Matrose während des Tages unten Wache halten. Sie wurden beinahe zu Tode geplagt und ein Geist der Meuterei und Unzufriedenheit herrschte im ganzen Schiff. Einer der besten Matrosen sagte vor den Ohren des Kapitäns, seit das Schiff in See sei, habe er nur drei Wachen unten gehabt.

»Und wenn ich es gewußt hätte,« versetzte der Kapitän, »so hättet Ihr auch die nicht gehabt.«

Er ließ die Mannschaft auf's Verdeck pfeifen, und ihm vier Dutzend aufzählen.

So oft er die Matrosen peitschen ließ, worin er unermüdlich war, beschuldigte er sie stets des Undankes, und warf ihnen die Nachsicht vor, die er mit ihnen hätte.

»Bei Gott, es gibt kein Schiff bei der Flotte, welchem so viel nachgesehen würde,« sagte er. »Alles, was ihr zu thun habt, ist, das Schiff rein zu halten, die Raaen zu setzen, euren Mundvorrath an Bord zu nehmen und zu essen, euren Grog an Bord zu nehmen und zu trinken, und die leeren Fässer auf die Seite zu schaffen; aber der Himmel selbst könnte es einer solchen Bande verfluchter, fetter, fauler, mißvergnügter Schurken nicht recht machen.«

Seine Sprache gegen die Offiziere übertraf Alles, was ich jemals aus dem Munde eines Menschenkindes vernehmen zu können glaubte. Eines Tages erregte der Steuermann seinen Zorn, und er sagte auf die gemeinste Weise zu dem Armen, er solle in die Hölle fahren.

»Ich hoffe, Sir,« erwiederte der Steuermann,« »ich habe so viel Aussichten auf den Himmel, als Sie.«

»Sie auf den Himmel?« rief der Kapitän. »Sie auf den Himmel! Lassen Sie sich dort blicken – sogleich will ich hergehen und Ihnen einen Tritt versetzen, daß Sie hinausfliegen.«

Dadurch bewies er offenbar, wie weit er seine Tyrannei treiben würde, wenn er könnte; aber unser Gemüth kann durch diese erklärte Gotteslästerung nicht sehr erschüttert werden, wenn wir bedenken, daß der Arme ein Atheist war, und sich den Himmel wie ein Zimmerchen im Stern vorstellte, worin es nicht an einem freundlichen Feuer, einer gehörigen Menge Grog und Pfeifen und Tabak fehlte.

Er hatte keinen Tisch, und trank niemals Wein, außer wenn er mit uns speiste; aber im Schiffsbranntwein betrank er sich jeden Abend mehr oder weniger in seiner Kajüte; deßhalb war er auch Abends am heftigsten. Die einzige Rache, die wir an ihm nehmen konnten, war das Gelächter über die Lügen, die er uns aufband, wenn er Sonntags bei uns zu Gast war. Eines Abends kam sein Diener und sagte dem Midshipman, der die Wache hatte, der Kapitän läge in seiner Kajüte bewußtlos am Boden. Ich erfuhr es und beschloß, es so gut als möglich zu benutzen. Mit dem wachhabenden Midshipman, dem Deckmeister und zwei verläßlichen Matrosen ging ich in die Kajüte, und nachdem der Wassertrinker zu Bett gebracht war, schrieb ich den Zustand, in welchem wir ihn fanden, sammt dem Datum und den Namen der Zeugen auf, um davon Gebrauch zu machen, sobald wir den Admiral treffen würden.

Am folgenden Tage schien er zu argwöhnen, was ich gethan hatte, und beinahe wäre es mir übel bekommen. Es wehte ein frischer Passatwind, und das Schiff rollte sehr tief. Da befahl er die Barren loszukappen und neu zu stauen. Dieß war nichts Anderes als Mord und Wahnsinn, aber trotz aller Einsprache beharrte er darauf, und die Folgen waren fürchterlich. Nicht sobald waren die Schlingen gelöst, als ein überzähliger Topmast herabfiel und einen Matrosen tödtete: genug Unheil für einen Tag; aber der Teufel war noch nicht fertig. Die Barren waren wieder angelegt, und die Matrosen erhielten Befehl, das Takelwerk niederzulassen, eine Arbeit, die bei dem schweren Rollen des Schiffes noch gefährlicher und wo möglich nutzloser war, als die erste. Er wurde gewarnt, aber vergeblich, und die Leute waren noch keine zehn Minuten oben, als ein Mann über Bord fiel. Warum ich mein Leben wieder auf's Spiel setzen wollte, weiß ich mir um so weniger zu erklären, als ich auf meiner letzten Seereise eine so ernste Warnung bekommen hatte; vielleicht war es Eitelkeit, was ich im Wasser zu leisten vermöchte. Ich kannte meine Kräfte, und in der Hoffnung, dieses unglückliche Opfer der Tollheit und Grausamkeit des Kapitäns zu retten, stürzte ich mich in die See, indem ich mir bewußt war, daß ich beinahe einen Selbstmord beging. Ich ergriff den Matrosen und hielt ihn eine Zeitlang empor; wenn der geringste Eifer und seemännische Geist gezeigt worden, so hätte ich ihn auch gerettet. Aber auf die Meldung, daß ich über Bord sei, schien der Kapitän fest entschlossen, sich meiner zu entledigen, um sich selbst zu erhalten; er bot Alles auf, um die Aussetzung des Bootes zu verhindern. Der Matrose war erschöpft. Ich hielt mich frei von ihm, während ich um ihn herumschwamm, und schob ihn von Zeit zu Zeit in die Höhe, wenn er sinken wollte; endlich aber sah ich, daß er unwiderruflich verloren war – denn so fest ich ihn immer hielt, sank er doch immer tiefer und tiefer – und als ich in die Höhe blickte, fand ich mich selbst schon so tief unter der Oberfläche, daß das Wasser über meinem Kopfe dunkelte. Da stemmte ich meine Kniee auf die Schultern des Mannes, gab mir durch den Widerstand einen kleinen Stoß und tauchte über dem Wasserspiegel empor. Aber ich war so sehr erschöpft, daß ich mich keine halbe Minute mehr hätte halten können. Glücklicherweise kam endlich das Boot heran und nahm mich auf.

Die Zögerung mit dem Beilegen des Schiffes schrieb ich dem Auftritte zu, welchen ich den Abend vorher mit angesehen hatte, und hierin bestätigte mich das Zeugniß der Offiziere. Nachdem der Kapitän durch sein unseemännisches Betragen zwei Matrosen verloren hatte, wollte er seine Schuld noch durch den überlegten Mord eines dritten Mannes vergrößern, um der Strafe zu entgehen, welche, wie er wußte, seiner wartete. Er setzte seine Tyrannei fort, und ich hatte fest beschlossen, ihn in dem Augenblicke, wo wir den Admiral treffen würden, vor ein Kriegsgericht zu ziehen, mochte daraus entstehen, was da wollte; ich glaubte meinem Vaterlande und der Flotte einen Dienst zu erweisen, wenn ich sie von einem solchen Ungeheuer befreite.

Einige von den Offizieren hatten Arrest, und trotz der Hitze ihrer Kajüten in diesem warmen Klima beständig eine Schildwache vor der Thüre. In Folge dieser grausamen Behandlung verlor einer von ihnen den Verstand. Wir kamen nach Barbados; und als wir die Needham-Spitze umfuhren, um in die Carlisle-Bay einzulaufen, sahen wir zu unserem großen Schrecken, daß weder der Admiral, noch überhaupt irgend ein Kriegsschiff da war, und folglich unser Kapitän im Hafen befehligte. Aus diesem Grunde wurde er außerordentlich freundlich, indem er sich mit der Hoffnung schmeichelte, wenn der böse Tag hinausgeschoben werde, so könne er ihn auch ganz abwenden; mich behandelte er mit besonderer Aufmerksamkeit, indem er hoffte, wir würden uns einen Spaß am Lande machen. Weil der Admiral noch nicht gekommen sei, sagte er, wollen wir ihn erwarten; müde, sich ewig auf der See herumschaukeln zu lassen, schaffe er seine Siebensachen aus dem Schiff, und lege sich am Lande vor Anker, um nicht eher auszulaufen, als bis wir die Admiralsflagge begrüßen würden. Weder der erste Lieutenant noch ich glaubten ein Wort von dem Allem. Ja wir nahmen immer das Gegentheil von dem an, was er sagte, und in diesem Falle thaten wir wohl daran. Nachdem wir Anker geworfen hatten, ging er an's Land, und kehrte nach einer Stunde mit der Meldung zurück, der Admiral werde erst im folgenden Monate erwartet; er nehme deßhalb seine Wohnung bei Jemmy Kavan und werde das Schiff vor der Ankunft des Admirals nicht mehr mit seiner Gegenwart belästigen. Hierauf verließ er uns, und nahm seinen Koffer und all seine schwarze Wäsche mit, die denn freilich schwarz genug war.

Unglücklicherweise glaubten es Einige von den Offizieren, daß wir längere Zeit hier bleiben würden, und folgten dem Beispiele des Kapitäns, indem sie ihr Leibweißzeug an's Land schickten, um es waschen zu lassen. Wolkensegel und ich ließen uns nicht hinter's Licht führen. »Verlassen Sie sich darauf, Kamerad,« sagte der Lieutenant, mit seinem Auge zuckend; »es ist etwas im Wind. Ich habe ein Hemde an's Land geschickt, um es waschen zu lassen, und wenn es kommt, schicke ich wieder eines hin. Verliere ich das auch, so ist's doch nur eine Kleinigkeit.«

Um zehn Uhr Abends kam Kapitän Jacky an Bord, und brachte seinen Koffer und sein Leibweißzeug wieder mit. Er ließ die Mannschaft auf's Verdeck pfeifen, lichtete die Anker und ging in See; die meisten Offiziere mußten ihre Wäsche zurücklassen. Dieß war eine von seinen Tücken. Als er am Morgen landete, fand er seine Befehle vor; sie warteten auf ihn, und er holte seine Habe nur deßhalb an's Land, um uns treuherzig zu machen und durch den Verlust unseres Weißzeuges zu zwingen, eben so schmutzig zu erscheinen, als er selbst einherging, denn er hatte ja den Grundsatz, seinen Offizieren so viel Bequemlichkeit als möglich zu verschaffen.

Wir kamen zu Nassau, in Neuprovidence, an, ohne etwas Besonders zu erleben, wiewohl der Dienst immer in der gleichen unangenehmen Weise verrichtet wurde. Ich ließ nicht ab, bis ich Urlaub bekam, an's Land zu gehen, und da ich keine Aussicht hatte, den Kapitän der Gerechtigkeit zu übergeben, beschloß ich, wo möglich das Schiff zu verlassen. Ein Zufall kam mir zu Hülfe, sonst hätte es wohl viele Mühe gekostet, mich los zu machen. Beim Landen fiel ich zwischen das Boot und die Werfte, und in Folge des plötzlichen Stoßes sprang ein kleines Blutgefäß in meiner Brust. Die Verletzung hatte an sich wenig zu bedeuten, aber in diesem Klima erforderte sie eine besondere Pflege, und ich vergrößerte sie gewaltig. Man wollte mich wieder an Bord führen, aber ich bat, in den Gasthof getragen zu werden. Der Wundarzt des hier liegenden Regimentes behandelte mich, und ich ersuchte ihn, die Sache so schlimm als möglich zu machen. Der Kapitän kam zu mir und fand mich sehr krank. Seine Theilnahme glich dem Mitleiden eines Inquisitors vom heiligen Gericht, der sein Opfer nur deßwegen herstellt, um es in Stand zu setzen, weitere Martern zu ertragen. Die Zeit der Abfahrt rückte heran, und ich wurde zu krank gemeldet, um eine Ortsveränderung mit mir vornehmen zu lassen. Fest entschlossen, mich an Bord zu nehmen, verlängerte er seinen Aufenthalt. Ich wurde besser; der ärztliche Bericht lautete günstiger, aber ich hatte immer noch den gleichen Widerwillen gegen meine Einschiffung. Endlich schickte er mir eine zärtliche Botschaft, und ließ mir sagen, wenn ich nicht käme, werde er mich durch ein Kommando Marinesoldaten holen lassen; ja er kam sogar selbst und drohte mir. Allein, da wir unter vier Augen waren, sagte ich ihm offen, es sei sein eigenes Verderben, wenn er darauf beharre, mich an Bord zu nehmen, denn ich sei fest entschlossen, ihn in dem Augenblicke, wo wir den Admiral treffen würden, wegen Trunkenheit und gemeinen Benehmens vor ein Kriegsgericht zu stellen. Hierauf erzählte ich ihm, in welchem Zustande ich ihn gefunden habe, und hielt ihm seine Gotteslästerungen und seinen Wahnsinn vor, wodurch er den Verlust der beiden Matrosen veranlaßt hatte. Er starrte mich an und bat mich um nähere Erklärung, aber ich war kurz und bündig, und als er sah, daß ich ihn in meiner Gewalt hatte, brach er in Thränen aus und wurde kleinlaut.

»Wohlan denn, mein Werthester,« sagte Jacky, »da Sie so bedeutend krank sind, so muß ich mich, so sehr ich auch Ihren Verlust bedaure, in Ihr Bleiben fügen. Es wird mir schwer fallen, Sie zu ersetzen; aber weil ich die Bequemlichkeit und das Wohlergehen meiner Offiziere stets zum Hauptgegenstande meiner Sorge mache, so will ich lieber mir selbst wehe thun, als Ihnen.« Mit diesen Worten reichte er mir die Hand, und ich drückte sie mit aufrichtiger Theilnahme, indem ich die zuversichtliche Hoffnung hegte, daß wir uns weder in dieser, noch in jener Welt wieder begegnen würden.

Später wurde er, wegen wiederholter Trunkenheit und Mißhandlung seiner Untergebenen vor ein Kriegsgericht gestellt und endlich seines Dienstes entlassen.

Bei dieser Schilderung der Eigentümlichkeiten G .. 's darf man sich nicht zur Vermuthung verleiten lassen, als ob damals solche Charaktere auf der Flotte häufig gewesen wären. Ich habe bereits gesagt, daß er einzig in seiner Art war. Das Preßsystem und der Offiziersmangel im Anfange des Krieges hatten ihm Gelegenheit verschafft, eine Lieutenantsstelle zu erhalten. Er faßte den Admiral an seiner schwachen Seite und erlangte durch wiederholte Bewerbung bei der Admiralität und Berufung auf seine vieljährigen Dienste die Commandeurstelle auf seiner Schaluppe. Durch die Zulassung von Matrosen auf dem Hinterdeck waren dem Flottendienst wesentliche Nachtheile erwachsen. Es gab zwei Klassen von Seeoffizieren – Männer von Rang und Geburt, und Leute, die, wie man sich ausdrückte, durch die Kabellöcher hinaufgeschlüpft waren. Die ersten wurden in ihrer Jugend begünstigt und erwarben sich nicht die hinreichenden Kenntnisse in ihrem Berufe; die letztern zeigten sich mit wenigen Ausnahmen, aus Mangel an Erziehung, je weiter sie vorrückten, desto untauglicher für ihre Stellen. Diesen Mängeln ist jetzt abgeholfen; und da alle jungen Männer, welche in den Flottendienst treten, eine regelmäßige Erziehung genossen haben, folglich aus dem gebildeten Stande hervorgegangen sein müssen, so ist dadurch ein Gleichgewicht hergestellt, welches die Begünstigung in gewissem Grade ausschließt und Männern, wie Kapitän G.. war, den Zutritt gänzlich versagt.

Nach der Schlacht von Trafalgar, wo die brittische Flotte die Sicherheit Englands und Europa's rettete, wurde der Seedienst volksthümlich, und die Aristokratie drängte sich zu der Flotte. Dieß war von der erfreulichsten Wirkung, und unter der folgenden Marineverwaltung wurden in Beziehung auf Mannschaft, Offiziere und Schiffe, allmählig und ohne irgend ein Aufsehen dauernde Verbesserungen vorgenommen. Die Flotte wurde noch glücklicher, als ein Offizier in den Admiralitätsrath kam, der durch vieljährigen aktiven Dienst vor dem Frieden von Paris mit den Mängeln und Mißbräuchen der Marine vertraut geworden war. Keiner Partie angehörig und durch keine Gewalt eingeschüchtert, wagte er es, seine Pflicht zu thun, und es gereicht dem ersten Lord, welcher so lange den Vorsitz bei der Flottencommission führte, zur größten Ehre, daß er den Vorschlägen dieses Offiziers die erforderliche Aufmerksamkeit schenkte. Ich kann deßhalb meinen Lesern die Versicherung geben, daß sie nicht zu befürchten haben, einen Kapitän G.. zu treffen, so lange man diesem Manne Gehör schenkt.


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