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Achtes Kapitel.

Da doch für jeden Stand Gesetze sind der Zaun,
Wie kömmt's, daß reicher nicht die Frucht an Tyburus' Baum?

Die Bettleroper.

So lange ich mich an Bord des Flaggenschiffs befand, waren zwei arme Teufel wegen Meuterei hingerichtet worden. Dieser Auftritt war für mich weit feierlicher als Alles, was ich je zuvor gesehen; freilich war es auch das erste Mal, daß ich einer Exekution angewohnt hatte. Wenn man am Lande von Hinrichtungen hört, so ist man immer darauf vorbereitet, von irgend einem schnöden, verruchten Verbrechen, von einem frechen, nicht entschuldigbaren Vergehen gegen die Gesetze einer civilisirten Gesellschaft zu lesen, das eine gerechte und gnädige Regierung nicht ungestraft hingehen lassen kann. Zur See gibt es dagegen mancherlei Abschattungen, und gerade das, was das Dienstregiment als ein sehr ernstliches Verbrechen betrachtet, ist oft weiter nichts, als eine augenblickliche Aufwallung, die sich in einigen Fällen zügeln, in andern aber durch eine zeitgemäße Festigkeit und Milde gänzlich unterdrücken ließe.

Die Schiffe waren lange auf der See gewesen, ohne daß ein Feind zum Vorschein kam – und es zeigte sich eben so wenig Aussicht, denselben zum Schlagen zu bringen, als in den Hafen zurückzukehren. In der That gibt es auch nichts Langweiligeres und Einförmigeres als einen Blokadekreuzzug »in Masse«, wie man es nennt, das heißt, wenn eine Anzahl von Linienschiffen den Auftrag hat, einen Feind zu bewachen. Die Fregatten haben in dieser Hinsicht weit mehr Vortheile, da sie stets an der Küste beschäftigt sind, oft in's Gefecht kommen und sich nur um so wohler befinden, je größer die Anzahl ihrer Gefallenen ist. Eine beklagenswerthe Gährung an Bord des Flaggenschiffs, auf welchem ich mich befand, brach endlich in offene Meuterei aus. Natürlich war sie bald gedämpft und die Rädelsführer wurden vor ein Kriegsgericht gestellt, welches über zwei davon das Urtheil fällte, daß sie an die Nocke ihres eigenen Schiffes gehangen werden sollten. Die Hinrichtung sollte zwei Tage nach dem erlassenen Spruche statthaben.

Unsere Kriegsgerichte werden stets in sehr feierlicher Weise abgehalten, und sind ohne Frage ganz darauf berechnet, die Gemüther Aller, selbst den Kapitän nicht ausgenommen, mit Ehrfurcht zu erfüllen. Das Schiff, auf welchem das Gericht zusammentritt, pflanzt Morgens am Besanmaste die britische Flagge auf und löst eine Kanone. Ist das Wetter schön, so wird das Schiff auf's Zierlichste herausgeputzt; die Decken sind so weiß wie der Schnee, die Hängematten sorgfältig weggestaut, die Taue angespannt, die Raaen hängen unter rechten Winkeln am Mast, die Geschützmündungen blicken durch die Pforten und ein Piquet von Seesoldaten steht unter dem Befehle eines Lieutenants bereit, jedes Mitglied des Kriegsgerichts mit den seinem Range gebührenden Ehren zu empfangen. Vor neun Uhr sind Alle versammelt, die Offiziere in Halbuniform, da Staatsuniform nur dann angelegt wird, wenn über einen Admiral Gericht gehalten werden soll. In der großen Kajüte befindet sich eine lange, mit grünem Tuche bedeckte Tafel, auf welcher Federn, Tinte, Papier, Gebetbücher und die Kriegsartikel zur Benützung eines jeden Richters umhergelegt sind.

»Eröffnet das Gericht!« beginnt der Präsident.

Damit ist das Gericht eröffnet und für die Zuschauer, Offiziere und Soldaten, die bunt durcheinander stehen, Raum gegeben. Die Gefangenen werden von dem Profos, der den gezogenen Säbel in der Hand hat, eingeführt und erhalten ihre Plätze an dem untern Ende der Tafel, von welcher links der Gerichtsadvokat sitzt. Die Mitglieder der Kriegsjury werden darauf beeidigt, ihre Pflicht gewissenhaft zu erfüllen und zweifelhafte Fälle zu Gunsten des Gefangenen gelten zu lassen. Sobald dies geschehen ist, lassen sich die Geschworenen nieder und setzen, wenn sie wollen, ihre Kopfbedeckungen auf. Sodann wird der Gerichtsadvokat beeidigt und der Erlaß, welcher ein Kriegsgericht anordnet, verlesen. Der Gefangene hat nun das Verhör zu bestehen, und wenn er etwas sagt, wodurch er sich selbst bloßstellt, unterbricht ihn das Gericht mit der freundlichen Bemerkung: »Wir verlangen nicht, daß Ihr wider Euch selbst Zeugniß ablegt, sondern brauchen blos zu wissen, was Euch Andere beweisen können.« Dem Unglücklichen wird sodann ein Rechtsbeistand angeboten, und wenn die Verteidigung vorüber ist, muß Alles die Kajüte verlassen, deren Thüren jetzt geschlossen werden. Man prüft nun sorgfältig die Notizen des Gerichtsadvokaten und die Glaubwürdigkeit der Zeugen, worauf der Präsident zuerst an das jüngste Mitglied des Gerichts die Frage stellt: »Erwiesen oder nicht erwiesen?«

Sobald Alle ihre Antwort abgegeben und sieben den Beweis anerkannt, sechs aber denselben verworfen haben, so wird das Urtheil der Mehrzahl als maßgebend zu Protokoll genommen. Die nächste Frage – wenn sich's um Meuterei, Desertion oder ein anderes Capitalverbrechen handelt – lautet: »Peitsche oder Tod?« Die Stimmen werden in der früheren Weise abgegeben. Spricht sich die Mehrzahl für Todesstrafe aus, so schreibt der Gerichtsadvokat das Urtheil, das von allen Mitgliedern dem Alter nach unterzeichnet wird; nur der Präsident und der Gerichtsadvokat machen hievon eine Ausnahme, indem der Eine zuerst, der Andere zuletzt die Namensunterschrift beifügt. Jetzt wird die Kajüte wieder geöffnet und der Gefangene hereingebracht. Allenthalben herrscht ehrfurchtsvolles, tiefes Schweigen. Die Mitglieder des Gerichts bedecken ihre Häupter und nehmen Platz; alle Uebrigen, mit Ausnahme des Profos, haben keine Kopfbedeckung.

Sobald der Gerichtsadvokat das Urtheil verlesen hat, wird der Gefangene vermöge Präsidialmandats dem Profos zur Haft überantwortet, in welcher Letzterer denselben bis zur Zeit der Urteilsvollstreckung zu halten hat.

Nachmittags um drei Uhr ließ mich einer der Gefangenen bitten, ich möchte zu ihm kommen, da er mit mir zu sprechen wünsche. Ich folgte dem Profos nach dem Verschlage in der Constabelkammer, wo die Verurtheilten in Eisen lagen. Die Fessel besteht aus einer langen Stange und einer Reihe von Ringen, die sich öffnen lassen, damit man sie dem Beine über dem Knöchel anlegen kann. Die Stange wird vorn durch ein Oehr geschoben und mit einem Schlosse festgemacht. Ich fand die armen Bursche auf einer Munitionstruhe sitzen. Ihr kleines Mahl stand noch unberührt vor ihnen und Einer davon weinte bitterlich, während der Andere, der Strange hieß, sich ruhiger benahm, obschon er augenscheinlich gleichfalls tief ergriffen war. Der Letztere hatte in seiner Jugend eine ziemlich gute Erziehung genossen, war aber auf Abwege gerathen, die ihn in sehr verfängliche Lagen brachten; um sich einer schweren Züchtigung zu entziehen, war er seinen Verwandten entlaufen und an Bord eines Kriegsschiffes gegangen. Hier fand er in dienstfreien Stunden Gelegenheit, zu lesen und nachzudenken, wurde düster und verschlossen, so daß er sich ganz von den Belustigungen seiner Kameraden zurückzog, und wahrscheinlich hatte sein finsteres Temperament zuerst zu den meuterischen Bewegungen Anlaß gegeben, um deren willen er den Tod erleiden sollte.

Dieser Mann bat mich, wegen der Freiheit, die er sich gegen mich genommen, um Entschuldigung, indem er beifügte, daß er mich nicht lange aufhalten wolle. »Sie sehen,« fuhr er fort, »daß mein armer Freund von dem Entsetzen seiner Lage ganz überwältigt ist und ich wundere mich nicht darüber; welch' großer Unterschied zwischen ihm und den verhärteten Uebelthätern, die am Lande hingerichtet werden! Wir fürchten uns nicht, zu sterben, aber ein Tod wie dieser, Mr. Mildmay – wie ein Hund aufgehangen zu werden, zum abschreckenden Beispiel für die ganze Flotte und zur Schande und Schmach für unsere Freunde, – das ist's, was uns am Herzen zehrt! Ich habe Sie um meiner armen Mutter willen zu mir bitten lassen. Ich sah, wie Sie über Bord sprangen, um einen armen Teufel dem Tode des Ertrinkens zu entreißen, und so glaubte ich, es würde Ihnen auch nicht darauf ankommen, an einem andern unglücklichen Matrosen ein gutes Werk zu üben. Ich habe mein Testament aufgesetzt, und Sie darin als den Vollstrecker desselben namhaft gemacht. Haben Sie die Güte, als mein Sachwalter zu handeln, meinen Sold, wie auch meine Prisengelder einzuziehen und diese Hinterlassenschaft meiner guten Mutter einzuhändigen, deren Adresse Sie hier aufgeschrieben finden. Ich sehe mich zu dieser Bitte veranlaßt, weil ich nicht wünsche, daß sie etwas von der Geschichte meines Todes höre. Sie können ihr sagen, ich sei für das Wohl des Vaterlandes gestorben, was auch ganz richtig ist, denn ich erkenne die Gerechtigkeit meines Urtheils an und weiß, daß ein strenges Beispiel nöthig ist. Ich habe England seit eilf Jahren verlassen und diese ganze Zeit über treu gedient; auch ließ ich mir nie eine üble Aufführung zu Schulden kommen, als in diesem einzigen Falle. Wenn unser König meine traurige Geschichte kennen würde, so glaube ich, daß er Gnade für Recht ergehen ließe – – doch Gottes Wille geschehe! Ich hätte nur noch einen einzigen Wunsch, daß wir nämlich auf die feindliche Flotte treffen könnten, und ich sterben dürfte, wie ich gelebt habe – in Verteidigung meines Vaterlandes. Jetzt muß ich aber noch eine wichtige Frage an Sie stellen, Mr. Mildmay – Glauben Sie, daß es ein zukünftiges Leben gibt?«

»Zuverlässig,« versetzte ich, »obgleich wir Alle leben, als ob wir nicht an Etwas der Art glaubten. Doch, warum zweifelt Ihr daran?«

»Ich war einmal Dienstmann eines Offiziers,« entgegnete der arme Kerl, »und als ich eines Tages den Tisch der großen Kajüte beschickte, hörte ich den Kommandanten einer Kriegsschaluppe, welcher mit seinem Sohne bei uns an Bord dinirte, die Behauptung aufstellen, es sei Alles Unsinn, denn es gebe kein zukünftiges Leben und die Bibel sei nichts als ein Lügenbuch. Seitdem bin ich meines Lebens nicht wieder froh geworden.«

Ich erwiederte ihm, es thue mir außerordentlich leid, daß ein Offizier, namentlich in seiner Gegenwart, solche Ausdrücke habe brauchen mögen; ich sei übrigens außer Stande, ihm seinen Seelenfrieden wieder zu geben, und wolle ihm daher empfehlen, alsbald nach dem Kaplan zu schicken, der ihm, wie ich nicht zweifle, jeden Trost, dessen er bedürfe, zu verschaffen im Stande sei. Er dankte mir für meinen Rath und machte sich denselben, wie er mir in seinen letzten Augenblicken betheuerte, zu Nutzen.

»Und jetzt gestatten Sie mir, Sir,« entgegnete er, »daß ich auch Ihnen einen kleinen Rath ertheile. Wenn Sie einmal Kapitän sind, wozu Sie's zuverlässig bringen, so quälen Sie Ihre Leute nicht bis zur Meuterei, indem Sie allzusehr auf ein sogenanntes ›schmuckes‹ Schiff halten. Reinlichkeit und gute Ordnung hat der Matrose gern, aber das Schniegeln und Bügeln, das Poliren der Eisenstangen, der Ringbolzen und andere derartige Arbeit ist ihm ärger verhaßt, als die neunschwänzige Katze. Wenn Sie im Reffen der Topsegel etwa eine Minute später daran sind, als ein anderes Schiff, so lassen Sie das hingehen, wenn nur die Segel gut gerefft und in der Lage sind, einem Sturme Stand zu halten. Wie vieles Tuch geht nicht durch schlechtes Reffen zu Schanden, und mancher brave Matrose hat durch jene thörichte Hast, welche in der Flotte schon unglaublichen Schaden stiftete, sein Leben verloren. Was kann grausamer und ungerechter sein, als daß man den, der zuletzt von der Raa herunterkömmt, peitschen läßt? Ohne Frage ist er wohl der thätigste gewesen, und er kann nicht zurückkommen, ohne die größte Halsgefahr, abgesehen davon, daß doch Einer der Letzte sein muß. Verlassen Sie sich darauf, Sir, daß nichts gut ausgeführt werden kann, was so in der Eile gefertigt werden soll. Ich habe Sie aber schon zu lange aufgehalten. Gott behüte Sie; vergessen Sie meine arme Mutter nicht! Vielleicht sehen wir uns morgen früh noch einmal in der Back.«

Der verhängnißvolle Morgen kam. Es war acht Uhr. Die Kanone wurde gelöst und das Exekutionssignal an den Mast gehißt. Die Unglücklichen riefen mit einem tiefen Seufzer: »Herr, habe Erbarmen mit uns! – unsere Erdenmühen werden jetzt bald vollendet sein!« Der Profos kam herein, öffnete das Schloß an dem Stangen-Ende, löste die Fußschellen und forderte die Schildwachen auf, die Gefangenen nach dem Halbdeck zu führen.

Nun trat ein feierlicher Augenblick ein, den ich kaum zu schildern mich getraue. Der Tag war schön und klar; die oberen Bramraaen standen auf allen Schiffen in's Kreuz und die Wimpeln flatterten. Sämmtliche Matrosen, welche weiße Beinkleider und blaue Jacken trugen, hingen wie Bienenschwärme in jener Seite des Takelwerks, welche unserem Schiffe zugekehrt war, und eine Wache von Schiffssoldaten unter dem Gewehr stand auf jeder Laufplanke, während auf unserem Schiffe ein ähnliches Piquet statt des Ganges nach dem Halbdecke beordert war. Jedes Schiff hatte zwei Boote, je mit einem Lieutenant und einer Corporals-Wache, die ihre Bajonette aufgepflanzt hatte – an unsere Seite geschickt. – Der Hochbootsmann und seine Maten versammelte durch einen schrillenden Pfeifenton und durch den Ruf durch die Lucken hinunter – »Alles Volk hat bei der Exekution zu erscheinen!« die Mannschaft des Flaggenschiffs.

Man hörte rasches Fußgetrappel auf den Leitern, aber keine Sylbe wurde gesprochen. Die Gefangenen standen mitten auf dem Halbdecke, während der Kapitän das Urtheil des Kriegsgerichts und den Exekutionsbefehl des Oberbefehlhabers verlas. Nachdem der Kaplan mit viel Andacht und Gefühl die geeigneten Gebete gesprochen hatte, wurden die Unglücklichen gefragt, ob sie bereit seien, worauf Beide mit Ja antworteten, aber zuvor noch um ein Glas Wasser baten, das ihnen alsbald gereicht wurde. Nachdem sie getrunken, verbeugten sie sich achtungsvoll gegen den Kapitän und die Offiziere.

Der Admiral erschien nicht, da es gegen die Etikette war; die Verurtheilten baten aber, man möge ihm ihren Dank für früher genossene Güte vermelden. Dann ersuchten sie den Kapitän und alle Offiziere um die Erlaubniß, ihnen die Hände drücken und eine Anrede an die Schiffsmannschaft halten zu dürfen. Der Kapitän ertheilte Befehl, daß sich die Matrosen hinten auf dem Mars und auf dem Halbdecke versammeln sollten. Tiefe Stille herrschte und kein Auge war thränenleer.

William Strange, der Mann, der mich hatte zu sich bitten lassen, begann mit lauter Stimme:

»Brüder, Matrosen! hört auf die letzten Worte eines Sterbenden. Wir befinden uns hier in Folge Verlockung von Einigen unter euch, die sich jetzt sicher unter der Menge bergen. Ihr habt uns bethört und wir fallen als Opfer der Gerechtigkeit. Was hätten die Folgen einer glücklichen Durchführung unseres verbrecherischen Anschlags sein können? Elend und Verderben – endloses Verderben für uns und unsere Familien! Wir hätten unserem Vaterlande Schande gemacht und die Verachtung derjenigen Fremdlinge auf uns gezogen, denen wir das Schiff auszuliefern gedachten. Danken wir Gott, daß er nicht gelang! Aber laßt unser Schicksal euch zur Warnung dienen, und bemüht euch, durch euer künftiges Benehmen zu zeigen, wie sehr ihr die Vergangenheit bereut. Jetzt, Sir,« fügte er gegen den Kapitän bei, »sind wir bereit.«

Diese schöne Rede aus dem Munde eines Matrosen wird den Leser ebenso überraschen, als sie damals den Kapitän und die Offiziere des Schiffs in Erstaunen setzte. Indeß habe ich bereits bemerkt, daß Strange kein gewöhnlicher Mensch war, sondern sich einer guten Erziehung erfreut hatte, leider aber, wie viele Rädelsführer in der Meuterei von Nore, durch das Gefühl, zum Befehlen geboren zu sein, zu dem Irrthum verleitet wurde, den Gehorsam zu verweigern. Die Arme der Gefangenen wurden nun gebunden; der Kaplan ging, Gebete lesend, voran, und der Profos, nebst zwei Seesoldaten, führte sie über die Laufplanke des Steuerbords nach der Back. Hier war zu jeder Seite über dem Katzenkopf ein Gerüst aufgeschlagen, zu welchem Stufen hinaufführten. An der Bügel für die Leesegelspieren, außen am fernsten Ende einer jeden Focknocke, befand sich ein Sterzblock, durch welchen ein Seil gegen das Gerüst hinunterlief, während das andere Ende desselben längs der Raa in die Schwigtingen der Wand und von da nach dem Hauptdecke führte. An der Vorderseite des Schiffes, unmittelbar unter dem Schaffote, stand eine bereits mit Zündkraut versehene Kanone und ein Constabler mit brennender Lunte daneben.

Ich wich bis zum letzten Augenblicke nicht von der Seite des armen Strange. Er bat mich, ich möchte Acht haben, daß der Strick, welcher ungefähr die Dicke eines Wäscheseils hatte, gehörig um seinen Hals befestigt werde, denn er habe mit angesehen, wie mancher Unglückliche aus Vernachlässigung dieser Vorsichtsmaßregel entsetzlich gelitten habe. Nun setzte man Beiden eine weiße Mütze auf, die man ihnen, sobald sie auf der Plattform standen, über die Augen zog. Sie drückten mir, ihren Kameraden und dem Kaplan die Hand, indem sie zugleich dem letztern versicherten, daß sie in der zuversichtlichen Hoffnung auf die Verheißungen ihres Heilandes gerne stürben. Dann blieben sie ruhig stehen, bis die Nockentaue vermittelst eines Knebels an dem laufenden Knoten des Strickes befestigt waren; die anderen Enden der ersteren wurden zu beiden Seiten des Hauptdeckes von etwa zwanzig oder dreißig Mann gehalten, denen zwei Lieutenants des Schiffs beigegeben waren.

Wie Alles bereit war, schwenkte der Kapitän ein weißes Schnupftuch; die Kanone wurde abgefeuert und in einem Nu sah man die Unglücklichen an den beiden Nocken pendeln. Sie trugen blaue Jacken nebst weißen Beinkleidern und waren überhaupt ein Paar ausgezeichnet schöne junge Leute. Ihr Tod schien nicht sehr schmerzlich zu sein. Nach Ablauf einer Stunde wurden die Leichen herabgenommen, in Särge gelegt und zur Beerdigung an's Land geschickt.

Als ich neun Monate später wieder in England anlandete, entledigte ich mich meines Versprechens, indem ich an William Strange's Mutter den Sold und die Prisengelder des Unglücklichen, welche gegen fünfzig Pfund betrugen, ausbezahlte. Ich sagte der armen Frau, ihr Sohn sei wie ein Christ und für das Wohl des Vaterlandes gestorben; nach dieser Mittheilung verabschiedete ich mich jedoch alsbald von ihr, weil ich fürchtete, sie möchte weitere Fragen stellen.

Daß die Hinrichtung eines Menschen an Bord eines Kriegsschiffes auf die Gemüther der Schiffsjungen nicht immer eine geeignete Wirkung übt, ist aus folgender Thatsache wahrzunehmen.

Auf unserem Schiffe befanden sich zwei kleine Knirpse, von denen der eine der Sohn unseres Zimmermanns, der andere der des Hochbootsmannes war. Die Exekution setzte Beide in großes Erstaunen, wirkte aber nicht in gleichem Grade erschütternd. Am andern Morgen saß ich in einem der Flügel und las eben bei der dünnen Hellerkerze des Zahlmeisters ein Buch, als die genannten Jungen an einer der Kabeln durch die Hauptlucke herunterrutschten. Ob sie mich sahen und der Meinung waren, ich würde sie nicht angeben, oder ob sie mich für schlafend hielten, weiß ich nicht zu sagen; kurz, sie setzten sich mitten in den Kabelring hinein und schienen sich eine Weile angelegentlich zu unterhalten. Sie hatten einige Gegenstände in ein schmutziges, gewürfeltes Hemd und in ein Taschentuch eingeschlagen und blickten jetzt nach den Latten hinauf, an welchen die Hängmatten befestigt waren; dann brachten sie eine lange Schnur zum Vorschein und machten den Versuch, es über eine der Latten wegzuschlingen; da sie aber nicht so weit reichen konnten, kletterte der eine Knabe dem andern auf den Rücken, machte das eine Ende der Leine fest und stieg dann wieder herunter. Jetzt rollten sie das Hemd auf und nahmen zu meinem großen Erstaunen das etwa drei Monate alte Kätzchen des Hochbootsmannes heraus; die Vorderpfoten waren demselben auf den Rücken gebunden, die Hinteren gleichfalls zusammengefesselt, und an letzteren ein Stück Blei von einem Fischnetze angebracht; auch war dem armen Thierchen ein weißer Lappen als Mütze um den Kopf geknüpft.

Es war nun ziemlich klar, welch' ein Schicksal dem armen Kätzchen zugedacht und warum das Blei an seine Füße befestigt worden war. Die Schnur wurde ihm um den Hals gelegt, worauf Jeder eine der Pfoten ergriff und sich anstellte, als weine er Abschiedsthränen. Einer der Buben hatte eine Pfeife in der Hand, in welche er aus seinem Schnupftuche so viel Mehl schüttete, als hineinging, während der andere das Ende der Schnur hielt. Nun wurde jede Ceremonie durchgemacht, deren sie sich erinnerten.

»Bist du fertig?« fragte der Henker oder derjenige, welcher die Leine hielt.

»Alles bereit,« versetzte der Knabe mit der Pfeife.

»So feuere die Kanone ab,« sagte der Henker.

Der Knabe brachte das eine Ende der Pfeife an seinen Mund und blies alles Mehl hinaus. Während dieser bescheidenen Nachahmung des Pulverdampfes wurde das arme Kätzchen nach der Latte hinaufgezogen, wo es hängen blieb, bis es todt war. Ich schäme mich, gestehen zu müssen, daß ich keinen Versuch machte, das Leben des armen Thieres zu retten, obgleich ich Sorge dafür trug, daß sein schnöder Mord durch die Katze gerächt wurde. Nachdem die Leiche eine Weile gehangen hatte, wurde sie wieder heruntergenommen und in dem Kugelkasten begraben; dies war ein unbestreitbares Verbrechen, wie wir namentlich auch auf Kosten unserer Nasen erfahren haben würden, weßhalb ich den Vorgang zur Anzeige brachte. Das todte Thier wurde gefunden, und da die Thatsachen klar erwiesen waren, so nahm das Gesetz seinen Lauf zur großen Belustigung aller Umstehenden, welche die Bälge an eine Kanone anbinden und tüchtig durchpeitschen sahen.

Der Hochbootsmann aß das Kätzchen, einmal, wie er sagte, weil er in Spanien gelernt hatte, Katzenfleisch zu speisen, und zweitens, weil das Thier keines natürlichen Todes gestorben wäre. Sein letzter Grund war jedoch noch der auffallendste von allen: er hatte nämlich in einer spanischen Kirche ein Gemälde gesehen, die Vision des heiligen Petrus darstellend, in welcher etliche Thiere in einem Tuche vor ihm niedergelassen werden, und unter diesen hatte sich auch eine Katze befunden. Als er den skeptischen Blick meines Auges bemerkte, hielt er es für passend, seine Behauptung mit einem Eide zu bekräftigen.

»Könnte es nicht auch ein Kaninchen gewesen sein?« fragte ich.

»Ein Kaninchen, Sir? Hole mich Dieser und Jener – meinen Sie denn, ich wisse nicht eine Katze von einem Kaninchen zu unterscheiden? Die eine hat kurze Ohren und einen langen Schwanz, und bei dem andern ist's gerade wice wersa, wie wir's nennen.«

In Minorka sollte zu Ehren der Engländer eine große Carneval-Maskerade abgehalten werden. Der für die Schaustellung auserkorene Ort war die etwa eine Meile von der Stadt entlegene Kirche, denn eine derartige Wertschätzung eines heiligen Gebäudes schien sich mit dem Katholicismus der Spanier recht gut zu vertragen. Ich maskirte mich als Narr und begegnete an dem Orte, wo die Festlichkeit abgehalten wurde, vielen anderen Offizieren. Es war ein komischer Anblick, wie die wunderlichen Gruppen nach den Bildnissen der Jungfrau Maria und sonstiger Heiliger hinstierten, deren Altäre für den gegenwärtigen Anlaß mit Wachskerzen erleuchtet waren. Der Admiral, der Contreadmiral und die meisten Flottenoffiziere waren anwesend.

Da ich mir einen Narrenanzug zugelegt hatte, so machte ich mich auch mit dem geeigneten Thiere, nämlich mit einem Esel, beritten, und hinter mir drein zog ein jubelnder Haufe von tausend schmutzigen Gassenjungen. Bei meiner Ankunft fing ich an, Burzelbäume, Sprünge und alle Arten von praktischen Spaßen zur Schau zu stellen. Die Art, wie ich meine Rolle durchführte, verursachte ein kleines Gedränge um mich her. Einen Admiral oder Kapitän redete ich nie an, wenn er es nicht zuerst that, dann fing er aber auch in der Regel seinen Treffer ab. Ich kannte die Verhältnisse der Schiffe auf der Station ganz genau, und als mich einmal ein Kapitän, der seine Leute tüchtig schor, fragte, ob ich nicht auf seinem Schiffe eintreten wolle, antwortete ich: »Nein, denn du würdest mir gleich drei Dutzend aufzählen lassen, wenn ich meine Hängematte nicht gehörig aufgebunden hätte.«

»Kommt mit mir!« sagte ein Anderer.

»Nein,« entgegnete ich, »deine Klingelschur ist zu kurz – du kannst sie nicht erreichen, um eine weitere Flasche Wein zu bestellen, bis alle Offiziere deinen Tisch verlassen haben.« Ein Anderer versprach mir eine gütige Behandlung und Wein in Fülle.

»Bewahre,« erwiederte ich; »aus deinem Schiffe würde ich sein, was die Kohlen zu New-Castle; außerdem ist dein Koffer zu schwach – dein Aufwärter nimmt nur zwei Loth auf sechs Tassen.«

Diese Stiche verbreiteten viel Heiterkeit unter der Gesellschaft, und selbst der Admiral beehrte mich mit einem Lächeln. Ich verbeugte mich achtungsvoll gegen seine Herrlichkeit, welche blos sagte: »Was willst du von mir, Narr?« »O nicht viel, Mylord; ich hätte mir nur eine kleine Gunst von dir zu erbitten.« »Und die wäre?« fragte der Admiral. »Ich wünschte weiter nichts, als daß du mich zum Kapitän machst, Mylord.« »Nichts da,« sagte der Admiral; »wir machen nie Narren zu Kapitänen.« »Der Tausend,« erwiederte ich, meine Arme recht unverschämt in die Seite stemmend, »vermuthlich also ein ganz neuer Erlaß? Seit wann hat der Geheimrath dieses Dekret ausfertigen lassen?«

Der gutgelaunte alte Krieger lachte über dieses Pröbchen von Unverschämtheit recht herzlich, aber der Kapitän, dessen Schiff ich erst kürzlich verlassen hatte, war einfältig genug, die Sache als beleidigend zu nehmen. Er erkannte mich und beschwerte sich am anderen Tage bei meinem Kapitän, der ihn jedoch nur auslachte und sich dahin äußerte, daß er den Einfall für einen vortrefflichen Witz halte. Er lud mich desselbigen Tages zum Diner.

Unser Schiff wurde nach Gibraltar beordert, wo wir bald nachher landeten und ein englisches Paketschiff trafen, durch welches ich Briefe von meinem Vater erhielt. Sie brachten mir die Kunde von dem Tode meiner lieben Mutter. Ach, wie bedauerte ich jetzt all' den Kummer, den ich ihr bereitet. Wie unablässig folterte mich mein Gedächtniß mit meinen boshaften Streichen, indem es mir zugleich den Augenblick zurückrief, in welchem ich sie zum letzten Mal gesehen hatte! Nie hätte ich geglaubt, daß ich ihren Verlust nur halb so sehr beklagen würde! Mein Vater theilte mir mit, sie sei in ihrer Sterbestunde noch sehr wegen meiner Wohlfahrt bekümmert gewesen. Sie fürchtete, die Laufbahn, welche ich angetreten, sei nicht sehr geeignet, mein ewiges Heil zu fördern, wie günstig sich auch meine zeitlichen Vortheile dadurch gestalten möchten. Auf ihrem Sterbebette hatte sie mir noch eingeschärft, die Grundsätze der Religion, in welcher sie mich erzogen, nie zu vergessen, und unter Ertheilung ihres mütterlichen Segens bat sie mich dringend, fleißig in der Bibel zu lesen und sie zur Richtschnur meines Lebens zu machen.

Meines Vaters Brief enthielt eine eben so rührende als nachdrückliche Ermahnung, und in meinem ganzen späteren Leben fühlte ich mich nie so ergriffen, als bei dieser Gelegenheit. Mit schmerzendem Kopfe und fast gebrochenem Herzen begab ich mich nach meiner Hängematte; ein Rückblick auf mein Leben gewährte mir keinen Trost. Die zahllosen Ausbrüche von Verderbtheit, Hochmuth, Rachsucht oder Hinterlist, deren ich mich schuldig gemacht hatte, stürmten durch meine Seele, wie ein Orkan durch das Takelwerk, und weckten in mir die ernstlichsten und wehmüthigsten Betrachtungen. Es stund eine geraume Weile an, ehe ich meine Gedanken sammeln und meine Gefühle zergliedern konnte; als ich mir aber alle meine Unthaten in's Gedächtniß rief – als ich bedachte, wie sehr ich abgewichen war von dem Pfade der Tugend, den mir die zärtliche Mutter so oft und klar vorgestellt hatte, da wurde ich von Schmerz, Scham und Reue überwältigt. Ich erwog, wie oft ich am Rande der Ewigkeit gestanden hatte, und wenn ich in allen meinen Sünden weggerafft worden wäre, welch ein Loos hätte ich zu gewärtigen gehabt? Ich schrak entsetzt vor der Gefahr zurück, der ich entgangen war, und blickte mit düsterer Besorgniß auf diejenigen, welche mir noch bevorstanden. Umsonst spähete ich in all' meinem Treiben, seit ich der Obhut meiner Mutter entnommen war, auch nur nach einer einzigen Handlung, die aus einem löblichen Sinne ihren Ursprung genommen hätte. Allerdings fehlte es mir nicht an äußerer Politur für das Auge der Welt, aber in meinem Innern herrschte Finsterniß und ich fühlte, daß ein schärferes Auge, als das der Sterblichkeit – ein Auge, vor dem keine Täuschung bestehen konnte, meine Seele durchforschte.

Ich hatte noch kein Auge geschlossen, als ich um Mitternacht auf das Deck gerufen wurde, da die Mittelwache von Mitternacht bis Morgens um vier Uhr an mich kam. Wir hatten Tags zuvor einen Quartiermeister begraben, der den Eckelnamen »Tabakskäuer« führte. Er war ein alter Seemann, der sich – was in Sr. Majestät Dienste nicht selten vorkommt – durch Trinken zu Grund gerichtet hatte. Die Leiche eines Menschen, der seine Säfte durch Unmäßigkeit verderbt hat, geht in der Regel unmittelbar nach dem Tode in Fäulniß über, welche, namentlich in warmen Klimaten, sehr rasch um sich greift. Der Tabakskäuer war kaum ein paar Stunden todt, als sein Körper eine Ausdünstung verbreitete, welche seine alsbaldige Bestattung nöthig machte. Er wurde daher in eine Hängmatte genäht; und da das Schiff in tiefem Wasser lag, desgleichen eine Brandung um die Bay fegte und die Boote sämmtlich in dem Arsenal beschäftigt waren, so ließ der erste Lieutenant ein paar Stückkugeln an den Beinen der Leiche befestigen, worauf sie nach Verlesung der Begräbnißgebete von der Laufplanke aus über Bord gelassen wurde. Ich ging in einem nicht sehr glücklichen Gemüthszustande auf dem Decke hin und her und stellte ernstliche Verachtungen über einzelne Stellen jener Bibel an, die ich seit mehr als zwei Jahren nicht ein einziges Mal angesehen hatte – da lenkten sich denn meine Gedanken plötzlich unter anderem auch auf den Tod des armen Quartiermeisters und auf die Schönheit des Gebetes, welches über seiner Leiche verlesen worden war: »Ich bin die Auferstehung und das Leben.« Der Mond, welcher bisher verdunkelt gewesen, trat nun auf Einmal hinter einer Wolke hervor, und der Ausluger auf der Laufplanke des Steuerbordes stieß einen lauten Schrei aus. Ich eilte nach der Stelle hin, von wo aus der Ruf erschollen, um nach der Ursache zu fragen, und traf den Mann in einem so aufgeregten Zustande, daß er nur das Wort »Tabakskäuer« hervorbringen konnte, während er zu gleicher Zeit mit dem Finger auf das Wasser deutete. Ich blickte über Bord und sah dort zu meinem Erstaunen die Leiche des genannten Mannes

»ganz eingehüllet in die grause Matte«

wie sie, mit dem Kopf und den Schultern über das Wasser erhaben, in völlig aufrechter Stellung einherschwamm. Ein leichtes Wogen der Wasserfläche gab ihr den Anschein, als ob sie mit dem Kopfe nicke, während die Strahlen des Mondes uns in den Stand setzten, die Umrisse des Körpers im Wasser zu unterscheiden. Ein paar Augenblicke fühlte ich mich über alle Beschreibung entsetzt, so daß ich den Gegenstand mit stummem Grausen betrachtete. Das Blut rann mir eiskalt durch die Adern und es war mir, als stünden mir alle Haare zu Berge. In dem Uebermaße meiner Ueberraschung meinte ich, der Verschiedene habe sich aufgerichtet, um mich zu warnen; in Bälde sammelte ich mich jedoch wieder, und es stand nicht lange an, bis ich den Grund dieses Wiederauftauchens der Leiche entdeckte. Ich ließ den Kutter bemannen und begab mich in der Zwischenzeit nach der Constablekammer hinunter, um dem ersten Lieutenant den Vorgang zu melden. Er lachte und entgegnete: »Vermutlich sagt dem alten Knaben das Salzwasser nicht ganz so gut zu, als der Grogg. Binden Sie ihm noch ein paar Kugeln an die Füße, daß er wieder seinen Ankergrund erreicht, und sagen Sie ihm, wenn er das nächste Mal abtrifte, solle er nicht mehr gegen unsern Bord laufen. Er hat seine regelmäßige Gebetration gehabt und soll auch kein Titelchen weiter kriegen, da Alles, was im Buche stand, über ihn verlesen wurde.« Mit diesen Worten legte er sich auf die andere Seite.

Dieser scheinbar auffallende Umstand läßt sich leicht erklären. Körper, die sich in rascher Fäulniß zersetzen, erzeugen eine Menge von Gas, durch welches sie zu einem ungeheueren Umfang angeschwellt und schwimmend erhalten werden. Die Leiche dieses Mannes war über Bord geworfen worden, als sich der Entmischungsprozeß im besten Fortgange befand, und die an seinen Füßen befestigten Kugeln hatten eben zugereicht, sie zum Sinken zu bringen. Nach ein paar Stunden vermochten sie jedoch nicht mehr den Körper auf dem Grunde zu erhalten, weßhalb er in der genannten senkrechten Stellung nach der Oberfläche stieg. Die Strömung in der Bay war gerade schwach oder unregelmäßig, weßhalb er sich an der Stelle wieder hob, wo man ihn in's Wasser gelassen hatte.

Der Kutter wurde niedergelassen und die Mannschaft beauftragt, die Leiche durch Anhängen von noch mehr Kugeln zu versenken. Als man sie mit dem Ende der Haken fassen wollte, wich sie der Berührung aus, drehte sich etliche Male, tauchte unter und kam wieder zum Vorschein, als ob sie mit den Matrosen des Bootes nur ihr Spiel treiben wolle. Indeß wurde Letzteren durch einen Zufall alle weitere Mühe erspart, denn der vorderste Ruderer, welchem die Uebrigen Vorwürfe machten, daß er den Körper nicht fasse, wurde unwillig und stieß ihm die Spitze des Bootshakens in den Bauch, worauf das angesammelte Gas mit einem lauten Zischen entwich und die Leiche augenblicklich wie ein Stein untersank. Bei dieser Gelegenheit fielen manche Scherzreden; aber ich war nicht in der Stimmung, über ernste Gegenstände zu spaßen, und ehe die Wache aus war, hatte ich mir vorgenommen, nach Hause zu gehen und den Dienst zu verlassen, da ich andern Falls keine Möglichkeit absah, den Einschärfungen meiner sterbenden Mutter zu gehorchen.

Des anderen Morgens trug ich dem Kapitän meine Wünsche vor, ohne jedoch meiner Absicht, aus der Flotte auszutreten, zu erwähnen, indem ich nur sagte, daß ich wegen Familienangelegenheiten in die Heimath reisen müsse. Diese war nun für mich gerade eben so unerläßlich, als eine Pilgerfahrt nach Jerusalem. Der Kapitän hatte bereits von der traurigen Post, die mir zugegangen, Kunde erhalten, und nachdem ich ihm Alles mitgetheilt, was ich zu sagen wußte, antwortete er, es wäre besser für mich, wenn ich mich anders besinnen und bei ihm bleiben wollte. »Sie sind jetzt an meine Art und Weise gewöhnt,« fügte er bei, »kennen Ihren Dienst und finden sich gut in Ihre Obliegenheiten; auch habe ich in meinem letzten, öffentlichen Bericht an die Admiralität ehrenvoll Ihrer gedacht. Freilich müssen Sie selbst am besten wissen, was Sie zu thun haben;« (hier war er im Irrthum, denn wegen der von mir angegebenen Gründe hätte er mich nicht abreisen lassen sollen) »indeß rathe ich Ihnen als Freund, zu bleiben.« Ich dankte ihm für seine Güte – da ich aber fest entschlossen war, nach Hause zu gehen, so willfahrte er meinem Gesuch, indem er mir Urlaub ertheilte und mir ein sehr gutes Zeugniß über mein Wohlverhalten ausstellte, in welchem er die gewöhnlichen Formen weit überschritt; auch sagte er mir, er wolle, falls ich auf sein Schiff zurückzukehren gedächte, eine Stelle für mich offen halten. Nicht ohne Schmerz verabschiedete ich mich von den Offizieren, meinen Tischgenossen und der ganzen Mannschaft.

Ich war nun schon mehr als drei Jahre an Bord gewesen und mein stürmischer Anfang hatte einer ruhigen und friedlichen Anerkennung meiner Ueberlegenheit in der Back Platz gemacht; auch war ich durch mein Benehmen der allgemeine Liebling geworden, weßhalb ich, als ich das Schiff verließ, von den herzlichsten Wünschen für mein Wohl begleitet wurde. Der Kutter brachte mich an Bord eines Linienschiffs, welches mich nach England zurückführen sollte.


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