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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

So war mein Bruder auch,
In solcher Tracht stieg er in's feuchte Grab;
Und kann ein Geist Gestalt und Kleidung borgen,
So kommt Ihr, uns zu schrecken.

Der Dreikönigsabend.

Bald nachdem sich die Fregatte, welche mich von Neu-Providence mitgenommen, von der amerikanischen Prise getrennt hatte, an deren Bord ich geschickt worden war, prahlte die Mannschaft der ersteren gegen die amerikanischen Gefangenen mit den Prisengeldern, die sie erhalten würden.

»Eure Prise werdet Ihr nie mehr sehen,« erwiederten die Yankees, »und eben so wenig irgend Einen, der ihre Planken betreten hat.«

Diese Worte wurden dem Kapitän der Fregatte hinterbracht, der sodann den Gehülfen und die Mannschaft befragte und die ganze Schandthat erfuhr. Sie sagten, das Schiff sei bereits eingesunken, als sie es verlassen hatten, und sie hätten sich aus diesem Grunde so eilig in's Boot gedrängt. Der Steuermann bemerkte, es wäre unmöglich, an die Lecke zu gelangen, weil sie sich im Vorderschnabel und im Raume unter dem Kajütenboden befänden; es nähme ihn wunder, daß es ihnen Kapitän Green nicht gesagt hätte, aber vermuthlich wäre er betrunken gewesen. »Das Schiff,« fuhr der Steuermann fort, »muß zwölf Stunden nach unserer Abfahrt untergegangen sein.«

Dieß wurde von meinem Kapitän der Admiralität berichtet, welche meinem armen Vater amtlich von dem traurigen Vorfall in Kenntniß setzte. Fünf Monate waren verflossen, seit man nichts mehr von mir gehört hatte, und folglich jede Hoffnung verschwunden. Aus diesem Grunde fand ich den Diener in Trauerkleider gehüllt, als ich an die Thüre pochte. Er war erst seit meiner Abreise angenommen worden und kannte mich nicht. Natürlich drückte er keine Ueberraschung aus, mich zu sehen.

»Gott im Himmel!« rief ich, »wer ist denn gestorben?«

»Meines Gebieters einziger Sohn, Sir,« antwortete der Mann, »Herr Frank, auf der See ertrunken.«

»Oh, ist das Alles?« sagte ich, »freut mich, daß es nichts Schlimmeres ist.«

Der Mensch mußte mich für ein gefühlloses Stück Vieh halten, und starrte mir mit einem dummen Gesichte nach, als ich an ihm vorüberflog und die Treppe hinauf nach dem Gastzimmer eilte. Ich hätte vorsichtiger sein sollen; aber ich folgte, wie gewöhnlich, dem Drang meiner Gefühle. Als ich die Thüre öffnete, sah ich meine Schwester in tiefer Trauer mit einer andern jungen Dame am Tische sitzen, die mir den Rücken zukehrte. Meine Schwester stieß bei meinem Anblicke einen lauten Schrei aus. Die andere Dame wandte sich um, und ich erblickte meine Emilie, meine theure, theure Emilie. Sie war ebenfalls in tiefe Trauer gehüllt. Nach dem Schrei fiel meine Schwester ohnmächtig nieder. Emilie folgte ihrem Beispiele, und da lagen sie beide am Boden, wie zwei versteinerte Königinnen in der Westminster-Abtei. Es war ein schöner Anblick, »reizend, aber qualvoll.«

Ich war äußerst bestürzt, und vermuthete, daß ich recht thöricht gehandelt hätte; aber da ich keine Zeit zu verlieren hatte, zog ich heftig die Glocke, und als ich einige Gefäße mit frischen Blumen sah, ergriff ich sie, und goß den jungen Damen reichliche Libationen auf Gesicht und Nacken; aber Emilie bekam bei weitem den größten Theil davon – ein Beweis, daß ich weder meine Geistesgegenwart, noch meine Liebe zu ihr verloren hatte.

Meiner Schwester Kammermädchen, Higgins, war die erste, die auf den Ruf der Glocke erschien, deren heftiges Stürmen einen ernsten Unfall andeutete. Wie eine Riccochetkugel prallte sie in's Zimmer. Sie war eine alte Bekannte von mir; ich hatte sie als Knabe oft geküßt, und sie mir dagegen eben so oft eins auf die Ohren gegeben. Bisweilen hatte ich ihr auch ein Band gekauft, um ihr den Mund zu verbinden, indem ich ihr sagte, sie bedürfe eines Maulkorbes. Als diese Abigail mich, den sie für einen Geist hielt, bolzgerade dastehen, und die beiden Damen, die sie todt glaubte, am Boden liegen sah, stieß sie gleich einer ächten Kammerjungfer einen lauten und höchst liebenswürdigen Schrei aus und rettete ihr Leben durch die Flucht, indem sie aus dem Zimmer stürzte und beinahe den Bedienten über den Haufen rannte, der eben herein kam.

Dieser Bursche, der Sohn eines von meines Vaters Pächtern, ein Bauernlümmel, steckte nur den Kopf durch die Thüre, als er die Damen auf dem Teppiche liegen sah. Die Art und Weise, in welcher ich die Nachricht von meinem eigenen Hintritt aufgenommen hatte, mochte ihm nicht die vorteilhafteste Meinung von mir beigebracht haben, und er verrieth einen sehr starken Reiz, auch die Rolle eines Mandarins zu spielen, d. h. mit dem Kopf zu wackeln und still zu stehen.

»Ruft sogleich einige Frauen her,« sagte ich; »Frauen, die hier von Nutzen sein können; sagt ihnen, sie sollen Salzgeist, Eau de Cologne und alles Mögliche herbeibringen. Lauf, Holzkopf, Esel, was stehst du hier und gaffst mich an?«

Der Bursche starrte mir in's Gesicht und richtete seine Blicke von mir auf die vermeintlichen Leichen, die er ohne Zweifel für Opfer meiner Mordgier ansah; und entweder war er vom Donner gerührt, oder zweifelte er, ob er das Recht hätte, mir zu gehorchen – kurz er steckte den Kopf in's Zimmer und blieb mit dem Körper vor der Thüre, als wäre er in den Bock gespannt. Ich sah, daß er eine Erklärung verlangte, und rief: »Ich bin Herr Frank! >>willst du mir gehorchen, oder soll ich dir dieses Geschirr an den Kopf werfen?« dabei schwang ich eine von den Porzellanvasen.

Hätte ich wirklich Neigung gehabt, den Burschen zu werfen, so würde ich ihn verfehlt haben, denn er stürzte fort, wie ein verwundeter Braunfisch, und rannte zu meinem Vater in die Bibliothek: »O Sir – gute Neuigkeiten– böse Neuigkeiten – gute Neuigkeiten –«

»Welche Neuigkeiten, Tölpel?« rief mein Vater hastig vom Stuhle aufspringend.

»O Sir, ich weiß nicht, Sir; aber ich glaube, Sir, Herr Frank ist wieder lebendig, und beide Damen ist todt.«

Mein armer Vater, dessen wankende Gesundheit sich noch nicht von dem Schlage erholt hatte, welchen ihn mein vermeintlicher Tod beigebracht, lehnte sich zitternd über seinen Tisch, um sich mit beiden Händen festzuhalten, und ließ sich den Bericht von seinem Diener wiederholen. Halbweinend gehorchte der Bursche; mein Vater errieth leicht den Stand der Dinge und kam heraus. Ich hätte in seine Arme fliegen mögen, aber die meinigen waren zu sehr in Anspruch genommen. Auf der einen Seite hielt ich meine süße Emilie umschlungen und auf der anderen lag meine Schwester bewußtlos in meinem Arme; denn Clara's Geliebter war nicht bei der Hand, und sie hatte sich noch nicht von ihrer Ohnmacht erholt.

Jetzt war die ganze Mannschaft auf dem Verdeck. Alles war in Bewegung, und jedes lebendige Geschöpf im Hause, selbst der Hund, hatte sich in das Gastzimmer verfügt. Die Mägde, welche mich gekannt hatten, weinten und schluchzten kläglich, und die später angenommenen leisteten ihnen aus Mitgefühl Gesellschaft. Der Kutscher, der Bediente, der Reitknecht, Alle heulten und gafften. Der Eine brachte Wasser, der Andere ein Becken, und der Pinsel von Bedienten ein Ding, das ich gar nicht nennen darf; in seiner Eile hatte er das erste Geräthe ergriffen, das ihm von Nutzen schien; ich lobte seinen Eifer, winkte ihm aber zum Rückzug. Zum Unglück für ihn bemerkte die Hausmagd den Streich, den ihm seine Geistesabwesenheit gespielt hatte; sie riß ihm das geheimnißvolle Gefäß mit der Linken aus der Hand und barg es unter ihrer Schürze, während sie dem armen Burschen mit der Rechten einen Backenstreich versetzte, der mich an den Schlag erinnerte, womit der Wallfisch bei Bermuda unser Boot zertrümmert hatte. »Dummkopf,« rief sie, »das braucht Niemand.«

»In diesem Backenstreich steckt eine Ehe,« sagte ich; und die Folgezeit bewies, daß ich recht hatte – sie wurden am nächsten Sonntage in der Kirche aufgeboten.

Man wandte eine Menge Riechsalz, kaltes Wasser und verbrannte Federn an, rieb den jungen Damen die Schläfe, öffnete ihnen die Halskrausen und Schnürleibchen und erzielte endlich den erwünschten Erfolg. Alle Hände und Zungen waren in Bewegung, und diese Mittel erschlossen mir die Augen der bezaubernden Emilie. Sie warfen ihre Strahlen auf mich und großen Freude und Heiterkeit über das Antlitz der Schöpfung, wie die Sonne, die nach einem Orkan aus dem Schooße des atlantischen Meeres emportaucht, um die Bewohner der Antillen zu erquicken. Nach einer halben Stunde war Alles in Ordnung; die Kanonen waren untergebracht, – wir schlugen zum Rückzug.« Die dienstbaren Geister entfernten sich; ich wurde der Mittelpunkt des Gemäldes. Emilie hielt meine Rechte, mein Vater meine Linke, und meine theure Clara hing an meinem Halse. So schnell es Schluchzen und Weinen zuließen, wurden Fragen gestellt und beantwortet. Die Zwischenzeit wurde mit den süßesten Küssen von den rosigen Lippen ausgefüllt, und in einer halben Stunde war ich für alle Leiden entschädigt, die ich seit dem verhängnißvollen Augenblicke erfahren hatte, wo ich von England aus mit der teuflischen Brigg nach Barbados unter Segel ging.

Ich muß gestehen, es war höchst unrecht von mir, das Haus gleichsam im Sturm zu nehmen, während ich doch wußte, daß man um mich trauerte; aber ich vergaß es, daß andere Naturen nicht der gleichen Aufregung bedurften, wie die meinige. Ich bat um Verzeihung und ward geküßt und wieder geküßt und der Verzeihung gewürdigt. Es lohnte sich der Mühe zu beleidigen, um von solchen Lippen, Augen und Grübchen Verzeihung zu erhalten. Doch ich fürchte, dieser Gedanke ist aus irgend einem prosaischen oder poetischen Werk entlehnt; wenn das der Fall ist, muß mir der Leser, so wie der Verfasser verzeihen, indem ich den Letzteren sein Eigenthum wieder zurückstelle, da ich es nach einmaligem Gebrauche nicht mehr benütze.

Ich gab meine Erzählung mit so viel Bescheidenheit und Kürze, als es Zeit und Umstände erlaubten. Der Kutscher wurde auf einem der besten Wagenpferde als Eilbote zu Herrn Somerville geschickt, und die Postkutsche mit Briefen an alle Freunde und Bekannte der Familie beladen.

Nach Beendigung dieser Geschäfte zogen sich Alle zurück, um sich zur Tafel anzukleiden. Wie groß war der Wechsel, welchen eine Stunde in diesem Hause der Trauer hervorgebracht hatte, das Plötzlich in ein Haus der Freude verwandelt worden war! Ach, wie oft ist dieses Gemälde im menschlichen Leben umgekehrt! Die Damen erschienen bald wieder in fleckenlosem Weiß, dem Sinnbilde ihrer reinen Herzen. Mein Vater hatte seine schwarze Kleidung abgelegt, und die Bedienten trugen ihre gewöhnliche Livree, welche sehr glänzend war.

Das Essen war angesagt, und mein Vater führte Emilie zu Tisch; ich folgte meiner Schwester. Emilie warf einen Blick über die Schulter und sagte: »Frank, sei nicht eifersüchtig.«

Mein Vater lachte, und ich gelobte Rache für diesen satyrischen Hieb.

»Du kennst die Strafe für dieses Vergehen,« bemerkte ich, »und sollst sie bezahlen.«

»Ich bin so glücklich, behaupten zu können, daß ich dazu eben so fähig als bereitwillig bin,« erwiederte sie.

Bevor wir uns zur Tafel setzten, sprach mein Vater mit ungewöhnlich feierlichem und ergreifendem Tone das Gebet. Diese wesentliche Andachtsübung, die so häufig vernachlässigt wird, lockte Thränen in Aller Augen. Emilie sank auf ihren Stuhl, bedeckte das Gesicht mit ihrem Taschentuch und erleichterte ihr volles Herz durch einen Strom von Thränen. Clara that deßgleichen. Mein Vater drückte mir die Hand und sprach:

»Unser heutiges Mahl, Frank, ist ein ganz anderes, als das gestrige. Wie wenig wußten wir von dem Glück, das uns aufbehalten war!«

Die jungen Damen trockneten sich die Augen; aber mit der Eßlust war es vorüber: vergebens suchte Emilie ein Stück von einer kleinen Forelle zu bemeistern. Ich goß Jedem ein Glas Wein ein und sagte: »Kommt! wir Seeleute sagen, Getränke sind immer leichter wegzustauen, als trockener Mundvorrath; laßt uns auf unser gegenseitiges Wohl trinken, dann werden wir besser fortkommen.«

Mein Rath wurde befolgt und der Zweck erreicht. Unsere Mahlzeit war heiter, aber diese Heiterkeit durch die Erinnerung an die kummervolle Vergangenheit und durch ein tiefes Gefühl für die große Barmherzigkeit des Himmels gedämpft und geregelt.

Wär' der Himmel jeden Tag wie heute,
Wär' er nichts als Seligkeit und Freude.

Leser, ich weiß, du hast mich lange für einen eiteln Menschen – für einen leichtsinnigen, ausschweifenden Don Juan gehalten, der zum Gebet bereit ist, wenn er in Gefahr schwebt, und zur Sünde, wenn die Gefahr vorüber ist; aber da ich dir stets die Wahrheit gesagt habe, selbst wenn meine Ehre und mein Ruf auf dem Spiele waren, so hoffe ich, wirst du mir auch jetzt glauben, wenn ich ein Wort zu meinen Gunsten rede. Ich erkläre feierlich, daß ich Gott in meinem Innern für meine Befreiung und glückliche Rückkehr Dank wußte; und dieses Gefühl drohte mein Herz zu sprengen, wiewohl ich sonst nicht zu den weichen Naturen gehörte. Ich unterdrückte es aus falscher Scham, denn ich war zu stolz, das, was ich Schwäche nannte, vor den Bengeln von Bedienten zur Schau zu tragen. Wären wir für uns gewesen, so wäre ich vor dem Gott auf die Knie niedergefallen, der so oft von mir beleidigt wurde – der mich zweimal aus dem Rachen des Haifisches errettete – der mich aus dem Abgrunde des Meeres hervorzog, als mich bereits die Schatten des Todes bedeckten – der mich vor Gift und Schiffbruch bewahrte, und den Felsen von Trinidad unschädlich machte – der endlich den Hund voranschickte, um mich vor einem entsetzlichen Tode zu schützen.

Dieß war nur ein kleiner Theil von der Reihe der Erbarmungen, die mir Gott erwiesen hatte; aber es war gerade der neueste, und hatte folglich den tiefsten Eindruck in meinem Gedächtnisse zurückgelassen. Ich würde selbst einen Theil von Emiliens beifälligem Lächeln, das einen so großen Werth für mich hatte, für die Möglichkeit hingegeben haben, meinem gepreßten Herzen durch eine Fluth von Thränen und ein feierliches und andächtiges Dankgebet Lust zu machen; doch ich fühlte das Bedürfnis und ich hoffe, daß mir dieses Gefühl zur Gerechtigkeit gerechnet werden wird. Zum ersten Male in meinem Leben war meine Liebe zu Gott mit einer reinen und irdischen Liebe zu meiner Verlobten und meiner Familie vermischt.

Nachdem das Tafeltuch bereits entfernt war, blieben die Damen noch eine Zeitlang sitzen, und lauschten den Schilderungen der Gefahren, denen ich mit so genauer Noth entkam. Als ich von meinem Versuche sprach, den Armen zu retten, der von der Brigg über Bord gefallen war – wie ich ihn beim Kragen nahm, und von ihm in die Tiefe gezogen wurde, bis die See über meinem Haupte dunkelte – vermochte es Emilie nicht länger auszuhalten; sie sprang von ihrem Sitze auf, fiel auf ihr Knie, barg ihr liebliches Gesicht im Schoße meiner Schwester und rief mit leidenschaftlichem Tone: »O erzähle uns nichts mehr, mein theuerster Frank, erzähle uns nichts mehr – ich kann es nicht ertragen – nein, ich kann es nicht ertragen.«

Wir sammelten uns um sie und führten sie in das Gesellschaftszimmer, wo wir uns mit fröhlicheren und leichteren Anekdoten unterhielten. Emilie setzte sich an's Pianoforte und versuchte sich mit einem Gesang, aber es wollte nicht gehen: ein heiteres Lied konnte sie nicht singen, und ein trauriges überwältigte ihre Empfindungen. Um zwölf Uhr zogen wir uns auf unsere Zimmer zurück, und ehe ich einschlief, weihte ich einige Minuten dem Gebet und den Gelübden der Besserung, die ich im vollen Ernste zu halten gesonnen war. Am andern Morgen erschien Herr Somerville zum Frühstück. Dieß war eine neue Prüfung für die Gefühle der armen Emilie. Sie warf sich ihrem Vater in die Arme und schluchzte laut. Herr Somerville drückte meine Rechte voll Wärme mit seinen beiden Händen und äußerte den sehnlichsten Wunsch, die Erzählung meiner außerordentlichen Abenteuer zu vernehmen, von denen ich ihm sofort einen kurzen Abriß gab. Ich benützte die Gelegenheit, die uns Clara vor dem Frühstücke zu verschaffen wußte, mit Emilien tête-à-tête zuzubringen, um von unserer beabsichtigten Verbindung zu reden, und da ich keine andere Hindernisse fand, als die gewöhnlichen Einwendungen »des Mädchenstolzes und der spröden Scham«, die bei dem schönen Geschlechte so natürlich, so anziehend und so liebenswürdig sind, beschloß ich, über diesen Gegenstand mit den Graubärten zu sprechen.

Ich mußte Emilien an die Gefahren erinnern, denen ich mit so genauer Noth entronnen war, bis sie endlich ihre Zustimmung gab. Sobald sich die Damen aus dem Speisesaal entfernt hatten, bat ich meinen Vater, ihre Gesundheit meinem vollem Glase auszubringen; und nachdem ich meinen Römer mit der ganzen Gluth der schrankenlosesten Liebe geleert hatte, legte ich ihnen die große Frage vor. Die beiden Väter sahen einander an, und Herr Somerville sprach:

»Sie scheinen in großer Eile zu sein, Frank.«

»In keiner größern, Sir, als der Gegenstand verdient,« antwortete ich. Er verbeugte sich, und mein Vater sagte:

»Ich könnte nicht behaupten, daß ich der Vermählung meinen vollen Beifall schenken würde, bevor du Kommandeur bist: wenigstens bist du nicht dein eigener Herr, so lange du es nicht so weit gebracht hast.«

»O, wenn ich mich bis dahin gedulden soll, Sir,« erwiederte ich dem guten alten Herrn, »so kann ich noch lange warten; kein Mensch ist sein eigener Herr auf unserer Flotte, oder in unserem Vaterlande überhaupt. Dem Kapitän befiehlt der Admiral, dem Admiral die Admiralität, der Admiralität der geheime Rath, dem geheimen Rath das Parlament, dem Parlament das Volk, und dem Volk die Buchdrucker und ihre Preßbengel.

»Ich bewundere deine logische Kette von Ursachen und Wirkungen,« bemerkte mein Vater; »aber dem sei, wie ihm wolle, wir müssen in die Spitzenfabrik Charing-Croß gehen, um uns zu erkundigen, ob wir nicht ein paar Epauletten für deine Schultern finden können. Wenn wir einmal sehen, daß du deine eigene Kriegsschaluppe befehligst, so werde ich und, wie ich überzeugt bin, auch mein Freund Somerville es für ein großes Glück halten, wenn wir auch noch sehen, wie du seine Tochter, das schönste und wackerste Mädchen in der Grafschaft – – befehligst.«

Kein Beweisgrund war stark genug, um die beiden alten Herren zu vermögen, auch nur einen Zoll breit von dieser Conditio sine qua non abzugehen. Man kam dahin mit einander überein, daß man sich sofort wegen Beförderung an die Admiralität wenden wolle, und wenn dieser ersehnte Zweck erzielt wäre, sollte Emilie während des Honigmondes über meine Person verfügen.

Dieß Alles machte der Klugheit der beiden Alten sehr viel Ehre, entsprach aber keineswegs den Ansichten eines glühenden Liebhabers von einundzwanzig Jahren; denn, wenn ich gleich wußte, daß mein Vater einen sehr bedeutenden Einfluß auf der Admiralität hatte, so wußte ich auf der andern Seite auch, daß erst vor kurzer Zeit die sehr zweckmäßige Anordnung getroffen worden war, daß kein Lieutenant mehr den Rang eines Kapitäns erlangen sollte, bevor er von seiner ersten Bestallung an zwei Jahre auf der See gedient hätte, und daß gleicher Weise auch kein Kommandeur befördert werden sollte, bevor er ein Jahr lang in dieser Eigenschaft Dienste gethan. Dieß war ohne Zweifel sehr nützlich für den Dienst, aber ich hatte noch nicht den hinreichenden amor patriae gewonnen, die öffentliche Wohlfahrt meiner persönlichen vorzuziehen, und wünschte die Anordnung sammt ihren Urhebern in die Höhle von Neu-Providence, und zwar gerade zur Zeit der Springfluth.

Ich berufe mich auf das Urtheil der Damen, ob es nicht höchst grausam war, nach allen meinen Mühseligkeiten und allen Proben meiner Beständigkeit mit einer solchen Entschuldigung hinausgeschoben zu werden. Die Antwort der Admiralität war insofern günstig, als sie mir die Zusicherung gab, daß ich nach Ablauf meiner Dienstzeit, an der damals noch zwei Monate fehlten, befördert werden sollte. Ich wurde einem Schiffe zugetheilt, das zu Woolwich seine Ausrüstung betrieb; ehe es segelfertig war, mußte meine Zeit um sein, und ich sollte meine Bestallung als Kommandeur erhalten. Dies war nicht das Mittel, seine Ausrüstung zu beschleunigen, insoweit sie von mir abhing; allein es war nun einmal nicht anders; und weil das Schiff zu Woolwich lag, und die Wohnung meiner Schönen nicht gar zu weit entfernt war. suchte ich meine Zeit einstweilen zwischen den Pflichten der Liebe und den Pflichten des Krieges, zwischen dem Gehorsam gegen meinen Kapitän und dem Gehorsam gegen die Gebieterin meines Herzens zu theilen, und ich hatte das ausgezeichnete Glück, Beide zu befriedigen, denn mein Kapitän bekümmerte sich nichts um das Schiff oder seine Ausrüstung.

Bevor ich an Bord ging, machte ich noch einen Angriff auf die Unbeugsamkeit meines Vaters. Ich stellte ihm vor, ich hätte Herkules-Arbeiten verrichtet, und sagte ihm, wenn ich wieder auf eine entfernte Station abginge, könnte mich irgend eine junge Dame, die ich treffen würde, mit einem Becher Gift aus der Welt schicken, oder durch irgend einen unseligen Zauber die magische Kette zerreißen, die mich an Emilie fesselte.

Diese dichterische Bildersprache hatte keinen bessern Erfolg, als meine prosaischen Reden. Ich wandte mich an Emilien selbst. »Du kannst gewiß nicht so hartherzig sein,« sagte ich, »als unsere unerbittlichen Eltern!. Du wirst gewiß bei dieser Gelegenheit für mich sprechen! Wirf nur einen Blick der Mißbilligung aus deinen himmlischen blauen Augen auf meinen Vater, und so wahr ich lebe, er wird die Flagge streichen.«

Aber der schelmische Mund erwiederte mit einem Lächeln, zu welchem ihm ohne Zweifel die Weisung vom Hauptquartiere aus zugekommen war, sie könne sich nicht mit dem Gedanken befreunden, ihren Namen in der Morning-Post als Braut eines Lieutenants zu lesen. »Was ist heutzutage ein Lieutenant?« sagte sie. »Nichts. Als ich zu Fareham auf Besuch war, ging ich bisweilen nach Portsmouth, um die Werfte und die Schiffe zu betrachten; da traf ich denn auch euren großen Freund, den langen Admiral, den ihr, glaube ich, Sir Sturmbrand Windmacher nennt, als er die armen Lieutenants, wie der Hund seine Schafe, vor sich hertrieb; einer von ihnen folgte ihm überall auf den Fersen nach, wie ein Livreebedienter, der den Laufbuben macht, und ein anderer war wie ein Bullenbeißer vor der Thüre seines Geschäftszimmers angekettet und wurde nie losgelassen, als wenn der Admiral mit seiner Familie ausging, wo er dann mit der Gouvernantin den Nachtrab bildete. Nein, Frank, ich werde mich mit all' meinen Reizen Keinem auf Gnade und Ungnade übergeben, der nicht wenigstens Kapitän ist und ein paar goldene Epauletten auf seinen Schultern trägt.«

»Sehr wohl,« erwiederte ich, mit einer ordentlichen Dosis Selbstgefälligkeit in den Spiegel sehend; »wenn es dir beliebt, dein Glück auf die Versprechungen eines ersten Lords der Admiralität und auf ein paar Epauletten zu bauen, so kann ich nichts weiter sagen. Für den Geschmack der Frauen haben wir keinen Maßstab; es gibt Damen, welche Goldborten und Runzeln der Jugend und Schönheit vorziehen – und es bleibt mir nichts anderes übrig, als sie zu bedauern.«

»Frank,« bemerkte Emilie, »du mußt bekennen, daß du eitel genug bist, um wenigstens Admiral zu sein.«

»Die Admirale sind dir für diese Artigkeit sehr verpflichtet,« versetzte ich. »Ich hege das Vertrauen, daß ich die Flagge nicht entehren würde, ich möchte sie zu führen bekommen, wann ich wollte; aber um dir die Wahrheit zu gestehen, liebe Emilie, so kann ich nicht gerade sagen, daß ich der Beförderung zu dieser Rangstufe mit großer Sehnsucht entgegensehe. Drei Sterne auf jeder Schulter, und drei Reihen goldener Borden an den Aufschlägen sind in meinen Augen kein Ersatz für abgezehrte Beine, einen gekrümmten Rücken und einen Kirchhofhusten, wobei man noch obendrein von allen Schönen des Landes verlacht und bemitleidet wird.«

»Es thut mir leid um dich, mein Held,« sprach die junge Dame, »aber du mußt dich darein schicken.«

»Nun, wenn ich muß, so muß ich,« erwiederte ich; »aber einstweilen gib mir einen Kuß.«

»Ich bat um einen, und nahm ihrer hundert; auch würde ich noch hundert genommen haben, aber der verdammte Kellermeister unterbrach mich und übergab mir einen Dienstbrief, der nichts mehr und nichts weniger von mir verlangte, als ich solle mich ungesäumt an Bord meines Schiffes verfügen. Sic transit gloria mundi.

Ich schob meinen Verdruß mit so viel sang froid in die Tasche, als ich aufbieten konnte, verscheuchte die lange Weile und tröstete mich für die Leiden der Vergangenheit mit so viel Genüssen, als sich in den kleinen Zeitraum zusammendrängen ließen, der mir noch vergönnt war. Glücklicher Weise war der erste Lieutenant der Fregatte, was wir einen harten Offizier nennen; er ging nie an's Land, weil er wenig Freunde und noch weniger Geld hatte. Seinen Sold bezog er jedesmal am Tage des Verfalls, und reichte damit bis zum nächsten Zahltage; und weil ich fand, daß er eine spanische Cigarre und ein correktes Glas Cognac-Grog liebte – denn er trank nie im Uebermaß – machte ich ihm ein Kistchen solcher Cigarren und ein Dutzend Cognac-Flaschen zum Geschenk, um ihn in den Stand zu setzen, meine nächtliche Abwesenheit mit christlicher Fassung zu tragen.

Sobald des Tages Last und Hitze vorüber war, sagte gewöhnlich der gutmüthige Lieutenant:

»Kommen Sie, Herr Mildmay, ich weiß, wie's bei den Verliebten ist; war auch einmal verliebt, wiewohl seither schon viele Jahre dahingeschwunden sind, und ich bin überzeugt, daß ich mich bei Ihrer Polly (so nannte er Emilie) in Gunst setze, wenn ich Sie in ihre Arme schicke. Dort ist die Yolle für Sie; senden Sie das Boot zurück, sobald sie gelandet haben, und kommen Sie morgen früh um neun Uhr wieder, um die Midshipmen und die Arbeiter im Dockenhofe zu treffen.«

Dies war mir höchst erwünscht. Gewöhnlich kam ich in Somerville's einstweiliger Wohnung zu Blackheath an, wenn die Glocke das Zeichen zum Ankleiden gab, und traf jedesmal eine angenehme Tischgesellschaft. Mein Vater und Clara waren ebenfalls Gäste des Hauses. Mit Herrn Somerville's gütiger Erlaubniß führte ich auch Talbot ein, den ich als einen Mann von vollendeter Weltbildung, von klarem Verstand, guter Erziehung und vornehmen Verbindungen unter der Aristokratie des Landes mit Stolz meinen Freund nannte. Meiner Schwester stellte ich ihn besonders vor und legte in Emiliens Ohr, wo ich wußte, daß es nicht lange bleiben würde, mit flüsternder Stimme das Geheimniß nieder, daß er die unerläßliche Bedingung der zwei Epaulette besitze; »deßhalb bitte ich dich,« setzte ich hinzu, »traue dich nicht zu sehr in seine Nähe, er könnte dich sonst durch Ueberfall nehmen, wie den Vollblut-Yankee.«

Talbot wußte, daß Emilie verlobt war, und bewies ihr nur die gewöhnlichen Aufmerksamkeiten, welche die Höflichkeit erfordert. Gegen Clara benahm er sich ganz anders; die Anziehungskraft, die sie von Natur hatte, wurde in seinen Augen durch die Freundschaft bedeutend erhöht, welche wir seit meiner denkwürdigen Schwimmübung zu Spithead mit einander unterhielten. (Von jener Zeit an nannte er mich scherzweise Leander.)

Doch bevor ich mit diesem Theile meiner Geschichte fortfahre, muß ich den Leser bitten, eine Minute lang anzuhalten, während ich eine Schilderung von meiner lieben kleinen Schwester Clara zu entwerfen suche. Sie hatte eine sehr weiße Haut, ein schönes, kleines, ovales, ebenmäßiges Gesicht, funkelnde, sprechende, schwarze Augen, schöne Zähne, kirschrothe Lippen, und ein schwarzes, üppiges Haar, das in Locken jeder Größe über Gesicht und Nacken herabfloß; Arme und Brustbild hätten einem Phidias und Praxiteles zum Muster dienen können; der Wuchs war schlank und Hände und Füße klein und schön. Ich hatte schon oft gedacht, daß es äußerst Schade wäre, wenn ein so liebliches Wesen nicht mit einer eben so guten Probe unseres Geschlechtes vermählt würde, und schon lange war mir mein Freund Talbot als derjenige Mann erschienen, der am besten dazu geeignet sein dürfte, diese hübsche, kleine, sichere, schnell segelnde, gut getakelte Schmacke zu führen.

Unglücklicher Weise hatte Clara bei all' ihren Reizen einen Fehler, und zwar, wie es mir vorkam, einen höchst bedenklichen: sie mochte keinen Seemann leiden. Die Soldaten fanden Gnade vor ihren Augen. Clara's Vorurtheile waren nicht leicht zu überwinden; was einmal Wurzel gefaßt hatte, wuchs empor und trieb Blüthen. Sie war der Meinung, die Seeleute haben keine Erziehung und denken zu viel an sich selbst oder an ihre Schiffe, kurz, sie seien eben so rauh und ungehobelt, als in sich selbst verliebt.

Bei so hartnäckigen und tiefgewurzelten Vorurtheilen gegen unsern ganzen Stand war es höchst verdienstlich von Talbot, sie zu überwinden; aber da ihre Liebe zur Landmacht mehr dem Ganzen als dem Einzelnen galt, so hatte Talbot ein freies Schlachtfeld. Er eröffnete seinen Operationsplan damit, daß er sie zu Tische führte und sich mit bescheidener Zuversicht an ihre Seite setzte. Aber er war mit ihrer schwachen Seite so genau bekannt, daß er unseres unglücklichen Elementes nicht mit einer Sylbe gedachte; ja er wußte sie mit allen Arten von Gegenständen, die er ihrem Geschmacke am angemessensten fand, so sehr in Anspruch zu nehmen, daß sie endlich zu dem Geständnisse genöthigt war, er dürfte denn doch eine Ausnahme von der Regel bilden, und ich nahm mir die Freiheit, mich der Hoffnung hinzugeben, eine zweite Ausnahme zu begründen.

Eines Tages nannte mich Talbot bei Tisch Leander, und erregte dadurch augenblicklich die Aufmerksamkeit der Damen. Sie verlangten eine Erklärung; wir wichen derselben aus und brachten einen andern Gegenstand zur Sprache. Allein Emilie reihte gewisse unvollkommene Berichte, die ihr durch die Güte einiger Hausfreunde zu Ohren gekommen waren, an einander, und bildete sich daraus die Traumgestalt einer Nebenbuhlerin. Am folgenden Morgen nahm sie mich so scharf in's Verhör über diesen Gegenstand, daß ich mich aus Furcht, die Sache möchte von anderer Seite erörtert werden, zur Beichte genöthigt sah.

Ich erzählte ihr die ganze Geschichte meiner Bekanntschaft mit Eugenien, und sagte ihr von unserer letzten Zusammenkunft und ihrem geheimnißvollen Verschwinden. Ja, ich verschwieg ihr sogar den Umstand nicht, daß sie mir Geld angeboten hatte, aber von der Wahrscheinlichkeit, daß sie Mutter sei, glaubte ich nichts erwähnen zu müssen. »Es sind jetzt fünfthalb Jahre verstrichen,« sagte ich, »seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, und da sie mein Verhältniß zu dir kennt, so ist es höchst unwahrscheinlich, daß wir uns jemals wieder sehen. Auf jeden Fall werde ich sie nie aufsuchen, und sollte mich ihr der Zufall in den Weg führen, so hege ich das Vertrauen zu mir, daß ich mich als Mann von Ehre benehmen werde.«

Ich hielt es nicht für nothwendig, sie mit dem Kugelregen bekannt zu machen, den mir Talbot nachgeschickt hatte, denn ich fürchtete, ihm dadurch in der Meinung Emiliens und Clara's zu schaden. Als ich meine Erzählung geschlossen hatte, seufzte Emilie, und ihr Antlitz umschattete sich mit einer düstern Wolke. Ich fragte sie, ob sie mir vergeben hätte.

»Bedingungsweise,« erwiederte sie, »wie du zu den Meuterern gesagt hast.«


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