Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel

Sie ist zwar hinter den Coulissen erzogen, aber doch tugendhaft, und wie sehr es ihr Freude machen mag, sich auf der Bühne bewundert zu sehen, so zieht sie es doch bei Weitem vor, für ein sittsames Mädchen, als für eine gute Schauspielerin zu gelten.

Gil Blas.

»Mein Vater war der Direktor dieser Schauspielergesellschaft,« begann Eugenie, »und meine Mutter eine junge Dame von achtbarer Familie. Sie hatte ihn, wie sie noch in einer Kostschule war, in der Rolle des >Rolla< kennen gelernt und liebgewonnen. Natürlich sagten sich ihre Verwandten verdientermaßen von ihr los und sie wurde Prima-Donna. Ich war die einzige Frucht dieser Verbindung und der einzige Trost meiner Mutter in ihrem Kummer, denn sie bereute bitterlich den voreiligen Schritt, den sie eingeschlagen hatte.

»Als ich fünf Jahre alt war, verlangte mein Vater, ich solle die Rolle des Cupido in der Oper Telemach übernehmen, wogegen jedoch meine Mutter die entschiedenste Einsprache that, indem sie erklärte, ich dürfe nie die Bretter betreten. Dieß gab Anlaß zu Zwistigkeiten, welche die Stimmung meines Vaters mit jedem Tage mehr und mehr vergällten und ihn veranlaßten, meine Mutter und mich noch unfreundlicher zu behandeln. Aus Furcht vor Fußstößen wich ich nie von ihrer Seite, denn auf eine ähnliche Begrüßung durfte ich zuverlässig zählen, wenn ich mich nicht unter ihrem Schutze befand. Sie verwandte alle ihre freie Zeit auf meinen Unterricht, und war auch, ungeachtet der Thorheit, deren sie sich schuldig gemacht, dieser Aufgabe vollkommen gewachsen.

»Als ich sieben Jahre alt war, starb eine Verwandte meiner Mutter, und hinterließ 15.000 Pfund, welche unter sie und ihre zwei Schwestern gleich vertheilt werden sollten; im Testamente war die Bedingung angefügt, der Antheil meiner Mutter müsse so angelegt werden, daß mein Vater keine Macht darüber habe. Sobald meine Mutter diese Kunde erhielt, verließ sie meinen Vater, der viel zu klug war, um Zeit und Geld an ihre Verfolgung zu verschwenden. Freilich wenn er eine Ahnung von einem so plötzlichen Glückswechsel gehabt hätte, würde er sich wahrscheinlich ganz anders benommen haben.

»Wir langten in London an und nahmen Besitz von dem Vermögen, das in den Fonds angelegt war. Da jedoch meine Mutter fürchtete, mein Vater könnte Kunde von ihrem Reichthume erhalten, so begab sie sich nach Frankreich, und nahm mich mit sich. Hier verbrachte ich die glücklichsten Tage meines Lebens, meine Mutter scheute in Betreff meiner Erziehung keine Mühe und keine Kosten. Sie ließ mich durch die besten Lehrer im Singen, Tanzen und in der Musik unterrichten, und da ich meine Lehrstunden gut benützte, so erregte ich bald unter den Engländerinnen Aufsehen und wurde demgemäß beachtet.

»Von Frankreich begaben wir uns nach Italien, wo wir zwei Jahre lang blieben und ich meine Ausbildung im Gesang vervollständigte. Meine arme Mutter hatte die ganze Zeit über von ihrem Kapitale gelebt, weil sie der Meinung war, es könne gar kein Ende nehmen. Endlich erkrankte sie an einem Nervenfieber und starb. Dieß geschah vor ungefähr zwölf Monaten, als ich kaum sechzehn Jahre alt war. Da sie viele Tage vor ihrem Tode fortwährend im Delirium befangen war, so konnte sie mir über mein zukünftiges Verhalten und über den Ort, wo ich Nachschüsse holen mußte, keine Weisung ertheilen. Da ich jedoch wußte, wie ihr Bankier in England hieß, so schrieb ich ihm alsbald, erhielt aber die Antwort, daß ein Ueberschuß von vierzig Pfund Alles sei, was sich noch in seinen Händen befinde.

»Ich glaube, daß er mich betrog, aber was konnte ich machen? Ich ließ mich durch diese Nachricht nicht niederschlagen, sondern verkaufte alles Möbelwerk, bezahlte die kleinen Rechnungen der Gewerbs- und Handelsleute, nahm einen Platz in der Dilegence und brach mit neun Pfund in der Tasche nach London auf, wo ich ohne Unfall anlangte. In dem Gasthause, in welchem ich abgestiegen war, ersah ich aus einer Zeitung, daß eine Provinzial-Schauspieler-Gesellschaft eine erste Liebhaberin suchte. Die ursprüngliche Leidenschaft fürs Theater hatte meine Mutter nie verlassen, und während unseres Aufenthalts in Frankreich haben wir uns oft mit Aufführung von Kinder-Komödien vergnügt, in welchen ich stets eine Rolle zugetheilt erhielt.

»Da ich aller eigenen Hülfsquellen beraubt war, so erwog ich bei mir, daß ein nothdürftiger Unterhalt doch besser sei, als ein lasterhafter; ich beschloß daher, mein Glück auf den Brettern zu versuchen, bestellte eine Miethkutsche und fuhr nach dem in der Zeitungsankündigung namhaft gemachten Commissionsbureau. Ich fand einigen Trost, als ich die Entdeckung machte, daß das Ausschreiben von meinem Vater herrührte, obgleich ich fest überzeugt war, daß er mich nicht wieder erkennen würde. Der Commissionär engagirte mich, der Vertrag erhielt die Genehmigung des Direktors und ein paar Tage später erging die Weisung an mich, ich solle alsbald in einer etliche Meilen von London entlegenen Landstadt eintreffen.

»Ich langte an. Mein Vater erkannte mich nicht, was auch durchaus nicht in meinem Wunsche lag, da ich nicht lange bei der Gesellschaft zu bleiben beabsichtigte. Ich strebte nach einer Londonerbühne, fühlte aber wohl, daß es mir noch an Uebung fehlte, ohne die alle meine Anerbietungen vergeblich gewesen wären, weßhalb ich die gedachte Stelle ohne Zögerung annahm und mich mit großem Fleiße dem Studium meines neuen Berufes widmete. Mein Vater hatte aufs Neue geheirathet und mein Engagement für die Gesellschaft trug nicht dazu bei, sein eheliches Glück zu erhöhen, da meine Stiefmutter über die Maßen eifersüchtig war.

»Ich bewahrte jedoch mein Geheimniß und benahm mich so, daß kein Schatten von Argwohn auf meinen Charakter fallen konnte, denn bisher ist, Gott sei Dank, mein Ruf rein geblieben, obschon ich tausend Versuchungen ausgesetzt war, und auch von den Schauspielern ohne Unterlaß bedrängt wurde, bald die Gattin, bald die Geliebte des einen oder des andern zu werden.

»Unter denjenigen, welche mir den letzteren Vorschlag machten, befand sich auch mein ehrenwerther Herr Papa, und ich war sogar eines Tages auf dem Punkte, ihm das Geheimniß meiner Geburt zu enthüllen, da ich hierin das einzige Mittel zu sehen glaubte, mich vor seiner Zudringlichkeit zu schützen. Endlich legte sich jedoch der Himmel ins Mittel, denn er erkrankte und starb vor etwa drei Monaten, nachdem ich zuvor meinen Contrakt erneuert und meinen Gehalt bis auf anderthalb Guineen wöchentlich erhöht hatte. Ich gedenke, nach Ablauf meines gegenwärtigen Engagements, also nach etwa zwei Monaten, die Gesellschaft zu verlassen, denn ich fühle mich hier sehr unglücklich; aber dann weiß ich freilich nicht, was für die Zukunft aus mir werden soll.«

In Erwiederung ihres Vertrauens theilte ich ihr soviel von meiner Geschichte mit, als ich für räthlich erachtete. Indeß verstrickte ich mich immer tiefer und tiefer in die Netze der Liebe, so daß ich Mr. Somerville ganz vergaß. Den Brief meines Vaters beantwortete ich mit kindlicher Hochachtung.

Er hatte mir mitgetheilt, er sei dafür besorgt gewesen, daß mein Name in die Bücher des Wachschiffs zu Spithead eingetragen würde; um jedoch noch länger an Eugenias Seite weilen zu können, bat ich ihn um Erlaubniß, nach meinem Schiffe zurückkehren zu dürfen, ohne zuvor nach Hause zu kommen, indem ich als Grund angab, ein Aufschub des Wiedersehens würde die Bitterkeit verwischen, die aus dem letzten Streite erwachsen sei. Mein Vater ließ sich dies gefallen und legte seiner Antwort einen schönen Wechsel bei; dieselbe Post brachte mir aber auch eine dringende Einladung nach D., welche Mr. Somerville an mich ergehen ließ.

Meine kleine Actrice theilte mir mit, daß die Schauspieler nach zwei Tagen in die Nähe von Portsmouth aufbrechen würden, und da ich fand, sie würden mehr als vierzehn Tage auf dem Wege sein, so entschloß ich mich, vorgenannte Einladung anzunehmen und Eugenia vorderhand zu verlassen. Ich hatte mehr als eine Woche in ihrer Gesellschaft zugebracht. Beim Scheiden machte ich ihr meine Liebeserklärung. Sie schwieg und antwortete mir nur mit einem Strom von Thränen. Ich sah, daß sie über meine Dreistigkeit nicht mißvergnügt war und verließ sie daher mit frohen Aussichten für die Zukunft.

Aber welcher Art waren die Vorgefühle, in denen ich mich erging, als ich sorglos in meiner Postchaise auf D.. zurollte? Befriedigung meines Sinnenkitzels auf Unkosten einer armen, schutzlosen Waise, für deren Zukunft aus einem Verhältnisse mit mir nur Elend erwachsen konnte! Ich sah wohl das Schändliche meiner Begierden ein und machte mir deßhalb Vorstellungen, aber der Teufel triumphirte in meinem Innern und ich tröstete mich mit dem gewöhnlichen Sprüchworte: »Wo der Teufel treibt, hilft kein Widerstreben. Damit entschlug ich mich dieses Gegenstandes, um an Emilie, deren Wohnung jetzt bereits in meinem Gesichtskreise lag, zu denken.

Ich langte zu D.. an und wurde sowohl von dem Vater, als von der Tochter freundlich bewillkommt; ich darf jedoch nicht bei diesem Besuche verweilen. Wenn ich darüber nachdenke, so möchte ich mich selbst und das ganze menschliche Geschlecht hassen! Konnte man mir Vertrauen schenken? und doch genoß ich desselben in schrankenloser Ausdehnung. War ich nicht so lasterhaft, als ein Mensch von meinem Alter nur sein konnte? und doch wähnte man in mir einen Tugendspiegel zu sehen. Verdiente ich, glücklich zu sein? und doch war ich es – glücklicher sogar, als je in meinem früheren oder späteren Leben. Ich glich der Schlange im Paradiese, obschon ich mir nicht die tückischen Absichten derselben vorzuwerfen hatte. Schönheit und Tugend vereinten sich, meine Sinnlichkeit im Zaume zu halten, und da sie keine Nahrung fand, so barg sie sich in den innersten Winkel meines Herzens.

Ein beständiger Umgang mit Emilie hätte mich der Tugend wieder gewinnen können; mit meinem Scheiden von ihr wichen jedoch alle guten Eindrücke und Entschlüsse wieder. Demungeachtet hatte aber das strahlende Bild der Tugend in meinem Innern eine heilige Flamme angefacht, welche nie wieder ganz erloschen ist. Wenn sie auch oft trübe aufzuckte, so strahlte sie doch nachher wieder mit erneuter Klarheit und führte mich oft, wie ein Leuchtthurm, durch Gefahren, in denen ich sonst zu Grunde gegangen wäre.

Als ich endlich dieses Erdenparadies verlassen mußte, erklärte ich ihr beim Scheiden, daß ich sie liebe und anbete; sie schenkte meinen Versicherungen Glauben und beglückte mich mit einer Haarlocke, die ich als Erinnerungszeichen tragen sollte. Ich hatte jetzt freilich im Sinne, der Verabredung mit meinem Vater zufolge nach meinem Schiffe zurückzukehren, aber die Versuchung, mein Glück bei der schönen unglücklichen Eugenie zu verfolgen, war zu groß, als daß ich hätte widerstehen können; wenigstens redete ich mir dies ein, und gab mir daher auch nicht die mindeste Mühe, sie zu besiegen. Allerdings zeigte ich mich pro forma an Bord des Wachschiffes und schrieb meinen Namen in die Bücher ein, um an meiner Dienstzeit nichts zu verlieren und zugleich auch meinen Vater zu täuschen; dann aber ließ ich mich von dem ersten Lieutenant, den ich von früherher kannte, beurlauben. Er erfüllte mein Gesuch um so bereitwilliger, da es auf dem Schiffe von überzähligen Midshipmen wimmelte und er deßhalb froh war, meiner und meines Koffers los zu sein.

Ich eilte nach dem Orte, wo ich Eugenie zu treffen hoffte, und fand die Gesellschaft in voller Thätigkeit. Erstere hatte bei unserem Scheiden den Wunsch ausgedrückt, daß unsere Bekanntschaft nicht wieder erneuert werden möchte, denn sie war sowohl um ihren, als um meinen Ruf besorgt und glaubte, meine Aussichten im Dienste könnten durch ein Verhältniß mit ihr nothleiden; ich war aber fest entschlossen, allen ihren Einwürfen eine Antwort entgegenzuhalten. Sobald ich an Ort und Stelle angelangt war, machte ich dem Direktor meine Aufwartung und bat ihn um Aufnahme in seine Gesellschaft.

Aus diesem Schritte erkannte Eugenie, daß meine Zuneigung zu ihr kein Hinderniß scheute und ich bereit war, ihr jedes Opfer zu bringen. Ich wurde gegen ein Salair von einer Guinee wöchentlich und weiteren sieben Schillingen, wenn ich auch als Flötenbläser Dienste thun wollte, engagirt. Diese Bereitwilligkeit verdankte ich meiner Stimme, da der Theaterunternehmer eines ersten Sängers bedurfte. Mein Talent in dieser Kunst fand viele Bewunderung, und ich unterzeichnete am selbigen Abend einen Contract für zwei Monate, worauf ich meinen Kollegen in gebührender Form vorgestellt und zu der gemeinschaftlichen Abendtafel eingeladen wurde, welche mehr Ueberfluß als Leckereien bot. Ich saß neben Eugenie, und die entschiedene Auszeichnung, welche sie mir zu Theil werden ließ, weckte die Eifersucht meiner neuen Kunstgenossen; eine flüchtige Musterung des Häufchens überzeugte mich jedoch bald, daß ich, wenn ehrliches Spiel gehandhabt wurde, entschieden das körperliche Uebergewicht behauptete. – Die Theaterzettel kündigten das Trauerspiel Romeo und Julia an. Ich sollte die Rolle des Helden übernehmen und erhielt vier Tage Zeit zur Vorbereitung. Diese ganze Frist verbrachte ich in Eugeniens Umgang, die mir zwar unzweideutige Beweise ihrer Liebe gab, aber nichtsdestoweniger durchaus keine Freiheiten erlaubte. Der Tag der Probe kam heran; mein Spiel wurde gut erfunden und von der Gesellschaft laut applaudirt. Um sechs Uhr erhob sich der Vorhang, und sechzehn Talkkerzen beleuchteten meine Person vor einem etwa hundert Personen starken Publikum. Wer nicht selbst in einer ähnlichen Lage gewesen ist, kann sich keinen Begriff von den bangen Gefühlen machen, welche einen Schauspieler bei seinem ersten Auftreten begleiten. Die Gesellschaft selber bestand, Eugenien ausgenommen, aus den verächtlichsten Personen, und das Publikum größtentheils aus Tölpeln, welche kaum lesen und schreiben konnten. Demungeachtet benahm ich mich schüchtern und führte meine Rolle schlecht durch, bis die Balkonscene herankam, in welcher ich durch die Gegenwart meiner Geliebten belebt und angefeuert wurde. In der Kunst, die Liebe darzustellen, fühlte ich mich, namentlich der Julie dieses Abends gegenüber, auf heimischem Boden. Mit einem Male ging ich ganz in den Geist des großen Dramatikers ein, und der Vorhang senkte sich unter donnerndem Beifall. Ich wurde gerufen; der Vorhang ging auf und ich wurde hervorgezerrt, um mich bei den Gewürzkrämern, Lichterziehern, Käsekäuflern und Bauern für die große Ehre, die sie mir erwiesen hatten, zu bedanken. Himmel! wie tief empfand ich diese Herabwürdigung – aber es war zu spät.

Das Ergebniß meines beständigen Verkehrs mit Eugenie läßt sich leicht denken. Ich versuche nicht, meine Schuld milder darzustellen: sie war unverantwortlich und führte ihre Strafe mit sich; aber für die arme verlorene Eugenie muß ich das Wort nehmen – ihre Tugend unterlag meinem Drängen und meiner gewinnenden Persönlichkeit. Sie fiel als ein Opfer der unglücklichen Verhältnisse, die ich heilloser Weise benützte.

Nachdem ich ein paar Monate mit ihr wie im Ehestande gelebt, hatte ich die Meinigen, meine Bestimmung und sogar Emilie vergessen. Mein Name stand noch in der Flottenliste, und obgleich daselbst Niemand etwas von mir wußte, so blieb doch meinem Vater der Umstand, daß ich von meinem Schiffe abwesend war, völlig unbekannt. Ich hatte Alles für Eugenie geopfert. Mit ihr betrat ich die Bretter, mit ihr streifte ich durch die Felder, und ihr gelobte ich in den schwülstigsten Betheurungen unverbrüchliche Treue. So oft wir auftraten, füllten wir das Haus, und einige der achtbareren Bewohner der Stadt erboten sich, uns ein Engagement auf einem Londoner Theater zu verschaffen, was wir jedoch Beide ablehnten. Was kümmerte uns alles Andere, wenn wir nur beisammen sein konnten.

Und nun, nachdem die jugendliche Gluth, welche mich hinriß, . abgekühlt ist, muß ich diesem unglücklichen Mädchen Gerechtigkeit widerfahren lassen. Sie war das natürlichste, ungekünsteltste und talentvollste Wesen, mit dem ich je zusammentraf. Sie besaß einen treffenden Witz, eine entzückende Lebhaftigkeit, einen kräftigen Geist und hing mit einer aufopfernden Liebe an mir – dem ersten und, wie ich fest glaube, einzigen Gegenstande ihrer Neigung, die erst mit ihrem Leben endigte. Obgleich sich ihre Mängel nicht rechtfertigen lassen, so fallen sie doch vorzugsweise ihrer Erziehung zur Last, weßhalb sie in einem milderen Lichte erscheinen und Mitleid verdienen. Die Tage ihrer Kindheit hatte sie unter Scenen häuslichen Zwistes, unter Zügellosigkeit und Armuth verlebt, während ihre reiferen Jahre unter der Leitung einer schwachen Mutter entschwanden, die sich 's nur angelegen sein ließ, das Gebäude ihres Geistes zu glätten, nicht zu befestigen; und eben dieses äußere Schmuckwerk diente zu weiter nichts, als den Einsturz des Ganzen zu beschleunigen und das Unglück zu vergrößern.

In Frankreich und fast im Gluthmeere der Revolution erzogen, hatte sie Manches von den leichtfertigen Ansichten jenes Volkes eingesogen; namentlich betrachtete sie die Ehe für einen bürgerlichen Vertrag, der, wenn man ihn überhaupt eingehen wollte, je nach der Willkühr der einen oder beider Parthien wieder aufgelöst werden konnte. Diese Idee fand noch in den Beispielen von ehelicher Zwistigkeit, welche sie insbesondere in ihrer eigenen Familie erlebt hatte, eine kräftige Bestätigung. Wenn ein Paar, das sich zu lieben wähnt, durch einen unauflöslichen Knoten aneinander geknüpft wird, so fühlen Beide von Stund an das Lästige des Zwanges, der ihnen nie einfallen würde, sobald es in ihrer Macht stünde, sich wieder zu trennen; sie könnten glücklich mit einander leben, wenn nicht eben dieses Zusammenleben die Eigenschaft einer Fessel trüge.

»Wie lange du mich lieben wirst, mein lieber Frank, weiß ich nicht,« sagte Eugenie eines Tages zu mir; »wenn aber deine Zärtlichkeit einmal ein Ende nehmen sollte, so wäre es besser, wir trennten uns.«

Dies waren allerdings überspannte Ansichten; indeß lebte Eugenie lange genug, um ihren Irrthum einzusehen und die bedauerlichen Folgen desselben auf ihren Seelenfrieden zu beklagen.

Ich wurde aus meinem Wonnetraume durch einen seltsamen Umstand geweckt. Damals hielt ich ihn für ein großes Unglück, jetzt aber bin ich überzeugt, daß der Vorfall zu meinem Heile diente, denn er führte mich zu meinem Berufe zurück, ließ mich meine Pflichten erkennen und zeigte mir das Schimpfliche meiner Stellung in seiner vollen Ausdehnung. Mein Vater, der noch immer nichts von meiner Beurlaubung wußte, war in die Gegend gekommen, um einen Freund zu besuchen, und da er von dem »interessanten jungen Manne« hörte, der in der Rolle des Apollo und des Romeo so großes Aufsehen machte, so entschloß er sich, das Schauspiel zu besuchen. Ich sang eben die Arie – »Ich bitte, meine Gute,« – als meine Augen plötzlich denen meines Vaters begegneten, welche mich wie ein Gorgonenhaupt anstierten, denn wenn sein Blick mich auch nicht geradezu in Stein verwandelte, so fühlte ich mich doch in einer Weise gelähmt, daß ich hätte umsinken mögen. Mit einem Male war meine ganze Rolle vergessen; ich eilte von der Bühne fort und überließ es der Musik und dem Schauspieldirektor, sich fortzuhelfen, wie sie konnten. Mein Vater, der kaum seinen Augen traute, fühlte sich jetzt überzeugt, nachdem er Zeuge meiner Verwirrung gewesen war. Ich stürzte in das Garderobezimmer und hatte noch nicht Zeit gehabt, mein Apollonisches Gewand sammt Krone abzulegen, als mein wüthender Erzeuger hereintrat. Man denke sich das Kostüme, in welchem ich mich befand, und man wird sich vorstellen können, wie über alle Beschreibung albern ich aussah.

Mein Vater fragte mich strenge, wie lange ich mich schon mit dieser ehrenvollen Beschäftigung abgebe. Auf dies hatte ich mich gefaßt gemacht, weßhalb ich ohne Anstand antwortete: »Erst zwei oder drei Tage: ich habe Portsmouth verlassen, um einen kleinen Ausflug zu machen, und amüsire mich ganz vortrefflich.«

»Ja wohl vortrefflich, junger Mensch!« rief mein Vater. »Darf ich aber nun auch fragen, ohne eine Lüge befürchten zu müssen, wie lange dieser Ausflug, wie du es nennst, noch dauern soll?«

»Bis morgen geht mein Urlaub zu Ende,« entgegnete ich, »und dann muß ich zu meinem Schiffe zurückkehren.«

»Du erlaubst mir doch, daß ich mir die Ehre gebe, dir Gesellschaft zu leisten?« erwiederte mein Vater. »Ich muß wohl deinen Kapitän bitten, daß er dir fürderhin in Betreff der Zeit und der Entfernung deiner Ausflüge einigen Zwang auferlege.« Dann fügte er in zornigerem Tone bei:

»Ich muß mich deiner schämen, denn der Sohn eines Mannes von Stande ist doch wohl nicht in der Lage, aus der Gesellschaft landstreicherischer Komödianten und liederlicher Weibspersonen Nutzen zu ziehen. Deinen letzten Briefen aus Portsmouth zufolge glaubte ich dich ganz anders beschäftigt.«

Auf diesen sehr vernünftigen, väterlichen Vorwurf antwortete ich mit ganz gesetztem und unschuldigem Gesichte (denn ich hatte meine ganze Geistesgegenwart wieder gewonnen): »Ich glaube nicht, daß ich etwas Schlimmes thue, wenn ich dem Beispiele der meisten Flottenoffiziere folge, die sich zu einer oder der anderen Zeit etwas Aehnliches erlauben (beiläufig bemerkt eine viel zu allgemeine Behauptung). Wir führen oft an Bord unserer Schiffe Schauspiele auf, und da hatte ich mir einige Uebung verschaffen wollen.

»So übe dich mit deinesgleichen,« versetzte mein Vater, »nicht aber mit Spitzbuben und Gassendirnen.«

Ich fühlte, daß er mit dem letzteren Ausdrucke Eugenie bezeichnen wollte, und gerieth darüber in hohe Entrüstung; zum Glück behielt ich jedoch meinen Zorn an Bord, denn ich fühlte das Bewußtsein meiner Schuld, und ließ daher meinen Vater fortfeuern, ohne einen einzigen Schuß zu erwiedern. Er beschloß seine Vorlesung damit, daß er mir befahl, am nächsten Morgen um zehn Uhr zu ihm zu kommen, und entfernte sich dann, damit ich meinen Anzug wechseln und wieder zu Troste kommen möge. Ich brauche nicht beizufügen, daß ich an selbigem Abend nicht wieder auf die Bretter zurückkehrte, sondern es dem Direktor überließ, nach Gutdünken mit der Zuhörerschaft seinen Frieden zu machen.

Eugenie war auf die Mittheilung von dem Vorfalle dieses Abends ganz untröstlich. Um sie zu beruhigen, erbot ich mich, meiner Familie zu entsagen, meinen Beruf aufzugeben und bei ihr zu bleiben. Bei diesem Vorschlage faßte sie sich jedoch plötzlich.

»Frank,« sagte sie, »es ist ganz gut, daß es so gekommen ist; wir Beide haben Unrecht. Ich fühle, daß ich zu glücklich war, und verschloß meine Augen gegen die Gefahr, der ich nicht in's Angesicht zu sehen wagte. Dein Vater ist ein verständiger Mann, der nichts weiter will, als dich vom unausbleiblichen Untergange retten. Was mich betrifft, so könnte er mich nur verachten, wenn er von unserem Verhältnisse Kunde erhielte. Er sieht seinen Sohn in der Gesellschaft von wandernden Schauspielern und hat daher die Verpflichtung, deine Fesseln zu zerreißen, gleichviel, welche Mittel er dabei in Anwendung bringen muß. Dir ist eine ehrenvolle Laufbahn vorgezeichnet, und ich will nie dem gerechten Ehrgeize deines Vaters oder deinem Glücke als Hinderniß im Wege stehen. Freilich hoffte ich eine schönere Zukunft, aber die Liebe hatte meine Augen geblendet, und jetzt ist mir die Binde abgenommen. Wenn mich auch dein Vater nicht achten kann, so soll er doch wenigstens die Seelenstärke der unglücklichen Eugenie bewundern. Ich habe dich zärtlich geliebt, mein theuerster Frank, und werde nie einen Anderen wieder lieben; aber wir müssen scheiden – nur der Himmel weiß, auf wie lange. Ich bin bereit, deinem Rufe und deiner Ehre jedes Opfer zu bringen – der einzige Beweis, den ich dir von meiner gränzenlosen Liebe geben kann.«

Ich erwiederte diese Worte mit einer Umarmung; dann verbrachten wir einen großen Theil der Nacht mit Vorbereitungen für meine Abreise und trafen Verabredungen wegen eines künftigen Briefwechsels oder eines möglichen Wiedersehens. Der Abschied fand am andern Morgen früh statt, und mit schwerem, ich hätte fast gesagt, gebrochenem Herzen erschien ich vor meinem Vater. Vermutlich war er von meiner Liebe unterrichtet, und da er meine ungestüme Leidenschaftlichkeit kannte, so suchte er sie klüglicherweise zu beschwichtigen. Er nahm mich sehr freundlich auf, berührte den Vorgang des letzten Abends gar nicht, und wir standen bald wieder auf einem innigen Fuße.

In meiner Trennung von Eugenie erwahrte sich das französische Sprüchwort: » Ce n'est que la première pas qui coûte.« Mein Herz wurde leichter und leichter, je mehr sich die Entfernung zwischen uns vergrößerte. Um meinen Geist noch mehr von dem unglücklichen Gegenstande abzuwenden, sprach er von Familienangelegenheiten, von meinem Bruder und meinen Schwestern, bis er zuletzt Emiliens und Mr. Somervilles gedachte. Damit berührte er die rechte Saite. Der Rückblick auf Emilie fachte die erglimmende Asche der Tugend auf's Neue an, und der Gedanke an die reine, herrliche Gebieterin von D.. verdrängte für eine Weile das Bild der unglücklichen Eugenie. Ich sagte zu meinem Vater, ich wolle ihm die feierliche Versicherung geben, ihm oder mir nie wieder Schande zu machen, wenn er mir verspreche, gegen Mr. Somerville und seine Tochter von meiner kürzlichen Thorheit zu schweigen. »Das verspreche ich ohne Bedenken,« versetzte mein Vater, »und um so lieber, da ich in dieser deiner Bitte den nachdrücklichsten Beweis erkenne, wie sehr du deine Verirrung einsiehst.«

Dieses Gespräch fand auf unserem Wege nach Portsmouth statt und wir waren kaum an letzterem Orte angelangt, als mein Vater mich im Gasthof zum Georg zurückließ, um den Hafenadmiral aufzusuchen, mit dem er bekannt war. Das Ergebniß dieses Besuches lief darauf hinaus, daß ich ehestens unter einem »scharfen Kapitän« wieder in See gehen sollte.

Ein Mann, auf den das gedachte Prädikat paßte, war eben im Begriffe, nach der Baskischen Rhede auszufahren, und nahm mich auf des Admirals ausdrücklichen Wunsch als Supernumerar an Bord, da die Stellen auf seinem Schiffe sämmtlich besetzt waren. Mein Vater, der jetzt ein wachsames Auge auf meine Sprünge hatte, blieb, bis er mich an Bord sah, und erst jetzt verabschiedete er sich von mir in der Hoffnung, daß ich nunmehr gut aufgehoben sei. Ich fand auch bald, daß ich unter Embargo lag, denn ich konnte unter keinen Umständen Urlaub bekommen.

Freilich hatte ich dieses ziemlich vorausgesehen, indeß standen mir immer noch meine eigenen Hülfsquellen zu Gebot. Ich hatte nun gelernt, über Kleinigkeiten zu lachen und machte mir wenig aus diesem entschiedenen Schritte, den mein ehrenwerther Papa einzuschlagen für gut fand.


 << zurück weiter >>