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Fünfzehntes Kapitel.

Prüfe ihn genau, guter Dry; schone ihn nicht, lege ihm unmögliche Fragen vor. Wir wollen ihn über's Eis führen, wir wollen ihn über's Eis führen.

Beaumont und Fletcher.

Bald nach meiner Ankunft zu Plymouth erschien eine Generalordre vom Flaggenschiffe, daß an Bord des Salvador del Mondo in Hamoaze eine Prüfung für Midshipmen in Betreff ihrer Fähigkeiten zu Lieutenantsstellen gehalten werde. Ich verlor keine Zeit, diese Nachricht meinem Vater mitzutheilen, und sagte ihm, daß ich mich völlig vorbereitet fühle und zu erscheinen gesonnen sei. Demgemäß begab sich am festgesetzten Tage des Lesers gehorsamer Diener mit vierzehn oder fünfzehn anderen jungen Aspiranten an Bord des Flaggenschiffes. Jeder trug eine ganz vorschriftmäßige und unverkennbare Nummer-Eins-Uniform und hatte einen großen Pack Logbücher unter dem Arme. Wir waren in eine kleine Segeltuchkajüte zusammengepfercht, und glichen insofern eben so vielen Schafen, welche dem Schlächter verfallen sind.

Um eilf Uhr erschienen die Kapitäne, die unsere Minos und Rhadamantus sein sollten, und wir waren sämmtlich der Meinung, daß uns der »Schnitt ihrer Auslieger« nicht sehr gefalle. Um zwölf Uhr wurde der erste Name aufgerufen. Der »verzweifelte Junge« machte den Versuch, etwas Muth zusammen zu raffen – er räusperte sich, zog seinen Hemdkragen hinauf, zupfte an seiner Halsbinde, ergriff seinen Stülphut und seine Tagebücher, und folgte kecken Schrittes dem Abgesandten in die Kapitänskajüte, wo ihn drei Herren mit strenger Miene und in Halbuniform erwarteten. Sie saßen an einem runden Tisch; unmittelbar neben dem Präsidenten war ein Schreiber; Moore's Schifffahrtskunde, die furchtbare Weisheit, lag vor ihnen, nebst einem nautischen Kalender, einer Schiefertafel, einem Stift, und Tinte und Papier. Der bebende Middy näherte sich dem Tische, und nachdem er mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung seine Tagebücher und Zeugnisse über Nüchternheit und gutes Betragen vorgelegt hatte, ward er aufgefordert, Platz zu nehmen. Die ersten Fragen waren rein theoretisch, und ob er sie gleich in der Constabelkammer oder in jeder andern Gesellschaft mit Leichtigkeit beantwortet haben würde, so war er doch hier so befangen und verwirrt, daß er gänzlich den Kopf verlor, bei der ersten Frage zitterte, bei der zweiten stierte, und weil er auf die dritte nichts zu antworten wußte, mit der Weisung »noch sechs weitere Monate in See zu gehen« entlassen wurde. Er kehrte mit einem wahren Jammergesichte zu uns zurück. In meinem Leben habe ich keinen armen Teufel so zerknirscht gesehen; ich nahm um so größeren Antheil an ihm, und da ich wußte, wie bald derselbe Schlag mich treffen könnte. Ein zweiter wurde vorgerufen und kehrte bald mit demselben Erfolge zurück. Die Schilderung, die er von dem unfreundlichen Benehmen des Jüngsten unter den examinirenden Kapitänen entwarf, mußte den Geist niederdrücken, und so unerfahrene junge Leute, wie wir waren, vollends um ihre Vernunft bringen, während doch so vieles vom Erfolge der Prüfung abhing. Doch dieser Wink gereichte mir zu großem Nutzen. Ich sah, daß die Theorie die Klippe war, an der sie gescheitert waren; in diesem Theile meines Berufes war ich mir meiner Kenntnisse bewußt und entschlossen, mich von dem jungen Kapitän nicht überrumpeln zu lassen. Aber kaum hatte ich meinen Entschluß gefaßt, kehrte ein dritter Kandidat ebenfalls re infecta zurück; und dieß war ein junger Mann, auf dessen Talente ich Alles gebaut hatte. Ich begann zu fürchten. Als aber der vierte mit lächelnder Miene zurückkam, und uns die Mittheilung machte, daß er bestanden sei, schöpfte ich wieder ein wenig Athem; aber ach! diese Stärkung war im Augenblick wieder verflogen, indem er sagte, daß einer der examinirenden Kapitäne ein Freund von seinem Vater sei. Da war also das Räthsel gelöst; denn dieser Bursche hatte mir während der kurzen Zeit unserer Bekanntschaft Proben gegeben, daß er nicht viel mehr, als ein Einfaltspinsel sei. Bei der Ausrufung meines Namens fühlte ich eine Beengung um's Herz, die ich weder in der Schlacht, noch im Sturme, noch bei jenem verzweifelten Sprung zu Spithead, der meiner theuren Eugenie zu lieb geschehen war, empfunden hatte. »Mächte der Unverschämtheit und Algebra,« sagte ich, »kommt mir zu Hülfe, oder ich bin verloren!« Augenblicklich flog die Kajütenthüre auf, die Schildwache zog sie hinter mir zu, und ich stand vor dem entsetzlichen Triumvirat. Mir war wie Daniel in der Löwengrube. Man forderte mich auf, Platz zu nehmen, und zwischen den Richtern entspann sich ein kurzes Gespräch, das ich weder hörte, noch zu hören wünschte; aber so lange es dauerte, hatte ich Zeit, meine Gegner von Kopf bis zu Fuß zu betrachten. Ich faßte Muth, denn ich glaubte dem einen von ihnen die Wage zu halten, und wenn ich einmal diesen neutralisirt hätte, die beiden Anderen ohne große Mühe »dielen« zu können.

Einer von diesen Offizieren hatte ein Gesicht wie ein bemalter Kürbis; seine Hand, wie sie so auf dem Tische lag, glich der Flosse einer Schildkröte, und seine Nägel waren so kurz abgebissen, daß sich ihre Ueberreste aus Furcht vor weiterer Verstümmelung, welche so eben der andern Hand widerfuhr, unter das Fleisch verkrochen zu haben schienen. Ich dachte bei mir selbst, wenn ich je eine »leere Wohnung zu vermiethen« sah, so ist sie in dieser Kokosnuß oder Kürbisflasche zu suchen.

Der ihm zunächst sitzende Kapitän war ein kleiner, hagerer, schwarzer, trockener, verschrumpfter Bursche, mit schlauen Aeuglein und scharfer Nase. Die Midshipmen nannten ihn den »alten Chili-Essig« oder den »alten Sauerampfer«. Er war, was wir einen Preß-Driller nennen. Zwei Monate lang konnte er einen Matrosen auf der schwarzen Liste haben, wobei er ihm einen Kanonenreif zum Glätten gab, und ihm nie Zeit ließ, seine Kleider zu sticken, oder sich selbst zu putzen, wahrend er dasjenige putzen mußte, was für alle kriegerischen Zwecke besser schwarz geblieben wäre. Selten ließ er einen Mann peitschen, aber er quälte ihn in einen finstern Mißmuth hinein, indem er ihm, wie er es nannte, »den Teufel aus dem Leib trieb.« Dieser kleine Nachtmahr, der einer getrockneten Aalhaut glich, war, wie ich bald ausfindig machte, Anführer der Bande.

Der dritte Kapitän war ein hochgewachsener, schöner pomphafter Mann (er war der Jüngste von den dreien), mit einer gebietenden und hochmüthigen Miene. »Er würde seinen Mund zum Lächeln nicht geöffnet haben, und hätte Nestor selbst geschworen, der Scherz sei Lachens werth.«

So eben hatte ich meine Musterung vollendet, und mir die Eigenschaften meiner Examinatoren in rohen Umrissen gezeichnet, als ich zur Eröffnung meines Verhöres vom Präsidenten also angeredet wurde:

»Ich setze voraus, Sir, daß Sie mit der Theorie der Schifffahrt vollkommen vertraut find, sonst wären Sie nicht Hieher gekommen.«

Ich erwiederte, »daß ich die Hoffnung nähre, Sie werden dies finden, wenn es Ihnen beliebe, mich zu prüfen.«

»Ziemlich fertig mit der Antwort,« bemerkte der hochgewachsene Kapitän. »Ich wette, dieser junge Mann war Generalzeugmeister im Cockpit – wo dienten Sie Ihrer Zeit, Sir?«

Ich nannte die verschiedenen Kapitäne, unter welchen ich gedient hatte, besonders auch Lord Edward.

»Oh, das ist genug; dann müssen Sie ein tüchtiger Mann sein, wenn Sie unter Lord Edward gedient haben.«

Ich verstand die mißgünstige und sarkastische Weise, in welcher diese Worte ausgedrückt waren, und machte mich auf einen harten Strauß gefaßt, denn ich war überzeugt, daß sich dieser Mensch, der gar kein Seemann war, zu glücklich geschätzt haben würde, wenn er einen von Lord Edwards Midshipmen hätte abweisen können. Sie legten mir verschiedene Fragen vor, die ich ohne Mühe löste und ihnen zurückgab. Meine Logbücher und Zeugnisse wurden, wie es schien, mit großer Genauigkeit durchgemustert, und dann wagten sie sich an eine Frage aus der höhern Mathematik. Auch diese beantwortete ich, aber ich sah, daß es nicht gerade Kenntnisse waren, was sie suchten. Die kleine Aalhaut schien vielmehr verdrießlich, daß sie keinen Tadel an meinen Antworten finden konnte. Sie hatten eine schwierige Aufgabe aus der sphärischen Trigonometrie vor sich liegen; sie war sorgfältig ausgerechnet, und das Resultat unten genau angemerkt, aber ich durfte es natürlich nicht sehen. In Kurzem beantwortete ich ihre Frage; sie verglichen meine Arbeit mit derjenigen, welche für sie angefertigt war, und als sie fanden, daß sie nicht genau damit übereinstimmte, erklärten sie meine Rechnung für falsch. Ich ließ mich nicht aus der Fassung bringen, sah meine Arbeit noch einmal kaltblütig durch und sagte, ich könne keinen Irrthum darin entdecken und sei im Staude, es durch Inspection, Rechnung und Zeichnung zu beweisen.

»Sie haben eine sehr große Meinung von Ihrer Geschicklichkeit,« bemerkte der kleine fette Kapitän.

»Ein zweiter Euklid!« rief der Hochgewachsene. »Können Sie mir wohl auch sagen, was Pons asinorum heißt?«

»Eselsbrücke, Sir,« antwortete ich, ihm mit halb unterdrücktem Lächeln fest in's Gesicht sehend.

Jetzt wurde es mir klar, daß der kleine fette Kapitän vorher nie etwas von der Eselsbrücke gehört hatte und deshalb vermuthete, ich verhöhne den Hochgewachsenen, der sein ganzes Leben lang ein sogenannter »Hafendienstmann« gewesen, und deshalb von der Eselsbrücke zwar gehört hatte, aber nicht wußte, welcher von den Sätzen Euklids es war, und wie er auf die Schifffahrt angewendet werden konnte. Der fette Kapitän brach in ein heiseres Gelächter aus und sagte: »Ich glaube, der setzt Ihnen hart zu, lassen Sie ihn lieber in Ruhe; er könnte Sie aufs Eis führen.«

Durch diese Bemerkung seines Mitoffiziers aufgebracht, erklärte der Hochgewachsene, die letzte Frage sei nicht befriedigend beantwortet, und schwur bei Gott, er werde mein Zeugniß nicht unterschreiben, bevor dies geschehen sei.

Ich beharrte auf meiner Behauptung. Die beiden Arbeiten wurden verglichen, und man drohte mir mit Abweisung, als zum Unstern für die Prüfungskommission der Fehler in ihrer eigenen gefunden wurde. Der fette Kapitän, ein wohlmeinender Mann, lachte herzlich, die beiden andern machten verlegene, saure Gesichter.

»Genug davon, Sir,« sagte der Preß-Driller. »Stehen Sie auf und lassen Sie uns sehen, was Sie mit einem Schiffe anzufangen wissen.«

Man nahm an, ein Schiff befinde sich auf der Werfte. Es ward von Stapel gelassen, und ich mußte es als erster Lieutenant unter Segel bringen. Ich nahm es in die Docken, ließ es kupfern, setzte den Rumpf an, richtete die Maste auf, brachte es an die Ballastwerfte, nahm den eisernen Ballast und die Wassertonnen ein und staute sie; führte es zu einem Rumpf- oder Empfangschiff, tackelte es vollständig auf, setzte die Segel, nahm Kanonen, Vorräthe und Proviant ein, meldete es segelfertig, steckte das Lootsensignal auf, brachte es aus dem Hafen und hatte den Befehl, es nach andern Häfen zu führen, wobei ich die Untiefen und gefährlichen Stellen von Portsmouth, Plymouth, Falmouth, den Dünen, der Yarmouthrhede und sogar von Shetland angab.

Aber der kleine Preß-Driller und der hochgewachsene Kapitän hatten mir die Richtigkeit meines Rechnung noch nicht vergeben, und meine Prüfung dauerte fort. Sie brachten mein Schiff in jede mögliche Lage, welche die zahllosen Wechsel des Seelebens in so unendlicher Mannigfaltigkeit darbieten. Ich setzte jedes Segel vom Wolkensegel bis zum Versuchsegel, und zog sie wieder ein. Die Mäste wurden mir abgeschossen, und ich tackelte Nothmaste auf, setzte Segel an dieselben, und gewann glücklich den Hafen, als der kleine Preß-Driller mit einemmale auf eine höchst grausame Weise mein Schiff in einer schwarzen Nacht durch einen Orkan auf eine todte Leeküste warf und auf die Seite legte, um mir die Aufgabe zu stellen, mich herauszuarbeiten, wenn ich könnte. Ich erwiederte, wenn Ankergrund vorhanden sei, so werde ich ankern und meine Maßregeln ergreifen, wenn aber dieß nicht der Fall sei, könne ohne einen Umsprung des Windes oder die besondere Vermittlung der Vorsehung weder er noch sonst irgend Jemand das Schiff retten.

Dies befriedigte den alten Chili-Essig nicht. Ich sah, daß man mich »reiten« wollte, und daß das Ende von dem Allem meine Hoffnungen vernichten würde. Ich wurde gleichgültig, denn ich war der endlosen Fragen müde und gab, zum Glück für mich, wenigstens so viel der Hochgewachsene dafür hielt, eine unrichtige Antwort. Man hatte mir eine Frage vorgelegt, worüber damals auf der Flotte vieles für und wider gesprochen wurde, nämlich, ob man beim Grade-Rückwärts-Treiben das Steuer einmal oder zweimal leewärts drehen, oder im Mittelstrich halten müsse. Ich entschied für das Letztere, aber der Hochgewachsene behauptete das Erstere und nannte seine Gründe. Da ich auf bestrittenem Boden stand, gab ich nach, dankte ihm für seinen Rath und versprach, wofern mir der Fall vorkommen sollte, denselben gewiß zu befolgen: nicht als hätte ich mich überwiesen gefühlt (fand ich doch nachher, daß er Unrecht hatte), sondern um durch meine scheinbare Nachgiebigkeit seiner Eigenliebe zu schmeicheln. Ich erreichte meinen Zweck und hatte ihn gewonnen. »Er grinst entsetzlich ein gespenstisch Lächeln« und fragte die beiden andern Kapitäne, ob sie befriedigt wären. Diese Frage endete gleich dem Streich des Versteigerungshammers alle weitere Erörterung; denn bei solchen Gelegenheiten stehen die Kapitäne nie einander ab. Man sagte mir, daß mein Prüfungszeugniß unterzeichnet werde. Ich machte meine schönste Verbeugung und entfernte mich, indem ich auf meinem Rückwege nach dem »Schafpferch« darüber nachdachte, daß ich durch Verwundung ihrer Eitelkeit beinahe meine Beförderung verloren und nur durch Schmeichelei wieder Grund und Boden gewonnen hatte. Dies ist der Lauf der Welt, und von meinen frühesten Tagen an wurde mein Geist in jedem Laster durch das verderbliche Beispiel meiner Obern bestärkt und befestigt.

Weit leichter wäre mir die Prüfung außerhalb England geworden. Ich erinnere mich, daß in Westindien an einem schönen Tage ein Boot niedergelassen und mit einem jungen Midshipman (der seine Zeit noch nicht ganz ausgedient hatte und seinem Aeußern, wie seinem Alter nach, Alles, nur nicht nautische Kenntnisse verrieth) nach einem Schiff unserer Begleitung geschickt wurde. In einer Viertelstunde kehrte der Mensch mit seinem Prüfungszeugnisse zurück. Wir waren Alle erstaunt und ersuchten ihn, uns doch die Fragen zu nennen, die man ihm vorgelegt hätte. »Man legte mir gar keine Fragen vor,« antwortete er, »als wie sich meine Eltern befänden, und ob ich rothen oder weißen Wein trinken wollte. Beim Abschiede.« setzte der Einfaltspinsel hinzu, »bat mich einer der Kapitäne, wenn ich wieder nach Hause schriebe, Lord und Lady G. seine besten Empfehlungen auszurichten. Er habe einen Truthahn schlachten lassen und für mich in's Boot gelegt. Zuletzt wünschte er mir glücklichen Erfolg.«

Dieser Knabe wurde bald darauf zum Postkapitän gemacht, starb aber zum Glück für den Dienst auf seiner Ueberfahrt nach England.

Meine Prüfung war doch eine ganz andere; aber nachdem ich sie einmal überstanden hatte, freute ich mich über die Strenge meiner Examinatoren. Mein Stolz, das Schoßkind meines Herzens, war durch den Triumph meiner Talente gekitzelt, und als ich mir den Schweiß von der Stirne wischte, sprach ich von den Schwierigkeiten, den Fragen und dem Erfolg mit einem Grade von Selbstgefälligkeit, den ich bei jeder andern Person für ungemessene Eitelkeit erklärt haben würde. Die lange Dauer meiner Prüfung, auf welche anderthalb Stunden verwendet wurden, hatte die treffliche Wirkung, daß alle übrigen Midshipmen mit sehr wenig Fragen wegkamen und ihre Zeugnisse erhielten. So waren also die armen Teufel, welche die erste Begeisterung des Morgeneifers der Examinatoren abkühlen mußten, die einzigen Opfer des Tages, und unter den »Durchgefallenen« gab es weit geschicktere Leute, als viele unter denjenigen waren, die mit fliegenden Fahnen aus dem Kampfe hervorgingen.

Ein Umstand ergötzte mich höchlich: als die Kapitäne auf's Verdeck kamen, rief mich der kleine Chili-Essig vor sich und fragte mich, ob ich ein Verwandter von Herrn – – sei; ich erwiederte, er sei mein Oheim.

»Gott helfe mir, Sir! das ist ja mein vertrautester Freund. Warum sagten Sie mir's nicht, daß Sie sein Neffe wären?«

Ich antwortete mit erkünstelter Demuth, die sehr viel mit Unverschämtheit gemein hatte, »ich hätte es nicht auf seiner Stirne lesen können, daß er meinen Oheim kenne, und wenn ich es auch gewußt hätte, so würde ich zu viel Zartgefühl gehabt haben, um die Sache in einem solchen Augenblicke zu erwähnen, da es nicht nur einen Mangel an Vertrauen auf meine Fähigkeiten verrathen, sondern auch den Verdacht, als wollte ich ihn durch eine solche Mittheilung vom strengen Pfade der Pflicht verlocken, erweckt haben würde, und deßhalb als persönliche Beleidigung hätte aufgenommen werden können.«

»Das ist Alles sehr schön und wahr; aber wenn Sie einen ältern Kopf auf Ihren Schultern tragen und etwas bekannter mit unserm Dienste sind, so werden Sie wenigstens eben so viel auf Verbindungen, als auf Verdienste vertrauen lernen; und glauben Sie nur sicher, daß Sie um so besser fahren, wenn Sie ausfindig machen können, daß Sie ein Geschwisterkind des alten Katers der Admiralität sind. Dem sei jedoch, wie ihm wolle, es ist jetzt Alles vorüber; aber richten Sie Ihrem Oheim meine Empfehlungen aus und sagen Sie ihm, Sie hätten Ihre Prüfung auf eine Weise bestanden, die Ihnen sehr viel Ehre mache.«

Mit diesen Worten berührte er seinen Hut vor der Sergeantenwache und glitt an der Wand hinunter in sein Gig. Während er das Schiff verließ, sagte ich bei mir selbst: »Verdammt sei dein Affengesicht, du kleiner kaffeebrauner Schurke – dir danke ich es nicht, wenn ich bestanden bin: dein Vater war vermuthlich Hosenflicker beim Kellermeister des ersten Lords der Admiralität, oder du theiltest deine Muttermilch mit einem Lordkammerherrn, sonst wärest du nie Befehlshaber der – – geworden.«

Stolz über den Erfolg des Tages warf ich mich Abends in die Mail und erreichte bei Zeiten meine väterliche Wohnung. Mein Empfang war zärtlich und liebreich, aber der Tod hatte während meiner letzten Abwesenheit eine reiche Ernte in unserer Familie gehalten. Mein älterer Bruder und zwei Schwestern waren nach einander zu meiner armen Mutter in den Himmel abgerufen worden, und Alles, was meinem Vater zu seinem Trost noch übrig geblieben, war eine jüngere Schwester und ich. Ich muß gestehen, daß mich mein Vater mit großer Bewegung empfing; sein Gram über den Verlust seiner Kinder, die Gefahren, die ich bestanden hatte, so wie die authentischen Zeugnisse über mein gutes Betragen waren mehr als hinreichend, um alle meine früheren Irrthümer in den Strom der Vergessenheit zu versenken. Er schien, und ich zweifle nicht im Mindesten, er war zärtlicher und stolzer auf mich, als je.

Was meine eigenen Gefühle betrifft, so will ich keinen Versuch machen, sie zu verschleiern. Ich bedauerte allerdings den Tod meiner nächsten Verwandten, aber zu der Zeit, als ich die Nachricht davon erhielt, war ich mitten im thätigsten Dienste begriffen. Indem war ich mit dem Tod in allen seinen Gestalten vertraut geworden, und der Trauerfall machte einen so geringen Eindruck auf meinen Geist, daß ich den Faden meiner Erzählung nicht unterbrechen mochte, um von demselben zu reden. Ich schäme mich über einen solchen Mangel an Gefühl; aber dieses Beispiel in meinem eigenen Leben gibt mir die Ueberzeugung, daß unsere Gefühle im Verhältnisse mit der Vergrößerung des uns umgebenden Elendes abgestumpft werden: daß ein Vater, der in Zeiten des Friedens und der häuslichen Ruhe über den Verlust eines Kindes beinahe verzweifeln würde, umringt von Krieg, Pest oder Hungersnoth, zehn seiner Kinder mit verhältnißmäßiger Gleichgültigkeit dahin sterben sehen könnte.

Meine Gefühle, die in dieser Beziehung nie sehr reizbar gewesen, waren durch den Gang meines Lebens völlig abgestumpft. Jene freundlichen Erinnerungen, welche mir in einer ruhigen Umgebung einige Thränen zu ihrem Gedächtniß ausgepreßt haben würden, waren jetzt durch die Verwüstung, Zügellosigkeit und Zerstreuung des Krieges verschlungen und aufgezehrt; und soll ich hinzusetzen, daß ich mich leicht mit meinem Verluste aussöhnte, der meinen weltlichen Vortheil so sehr beförderte? Meinen ältesten Bruder hatte ich, wie ich gestehen muß, von Kindheit an mit Eifersucht und Widerwillen betrachtet, und durch das Benehmen meiner Eltern waren diese Gefühle auf eine gewissermaßen unkluge, und zum Theil unüberlegte Weise befestigt worden. In allen Fällen, wo es sich um Vorrang und Auszeichnung handelte, hatte Tom den Vorzug, weil er das älteste war. Dies dünkte mir hart genug, aber wenn er um Pfingsten oder Weihnachten neue Kleider bekam, und seine alten zu meinem Gebrauche zugerichtet wurden, so muß ich redlich bekennen, daß ich ihn zum Teufel wünschte. In ökonomischer Rücksicht mochte dies vielleicht unvermeidlich sein; aber es erzeugte einen Haß gegen ihn in meiner Brust, der mich in meinem kleinen, tückischen Herzen oft Entschuldigungen für Kain's Brudermord finden ließ.

Tom war gewiß ein sogenannter »guter Knabe«; er beschmutzte seine Kleider nie, wie ich, der ich stets als ein Wildfang betrachtet wurde, für den Alles gut genug war. Aber wenn ich meinen Bruder mit neuen Kleidern herausgeputzt, und mich wie eine Vogelscheuche mit seinen alten Lappen bedeckt sah, so berufe ich mich auf jedes ehrliebende Gemüth, ob es in der menschlichen Natur lag, andere Gefühle zu nähren, als ich, ohne die Denkungsart eines Engels zu besitzen, auf welche ich nie Anspruch machte, und ich bekenne es aufrichtig, daß ich nicht den fünfzigsten Theil der Thränen über Tom's Tod weinte, welche ich über seine schmutzigen Hosen geweint hatte, die ich anzulegen gezwungen wurde.

Was meine Schwestern betrifft, so kannte ich sie zu wenig, um mich viel um sie zu bekümmern; wir waren während der Ferienzeit bei einander, und nachdem wir uns einen Monat lang herumgezankt hatten, trennten wir uns ohne Bedauern. Als ich zur See ging, verschwanden sie ganz aus meinem Gedächtniß, und ich schloß daraus, daß mein Herz nichts dabei verlor; als ich aber erfuhr, daß mir der Tod zwei derselben auf immer geraubt hatte, fühlte ich den unwiderruflichen Verlust. Ich warf mir Kaltsinn und Vernachlässigung vor, und übertrug die Liebe, die ich ihnen versagt hatte, nun in dreifachem Maße auf meine überlebende Schwester. Ehe ich sie bei meiner Rückkehr gesehen hatte, strömte die Fluth der brüderlichen Liebe mit unwiderstehlicher Gewalt auf mich ein. Alles, was ich für die andern hätte thun sollen, vereinigte sich nun in ihr und gewann eine solche Stärke, daß ich mich selbst davon überrascht fühlte.

Der Leser dürfte wohl erstaunt sein, wenn nach meinem Besuche im väterlichen Hause meine erste Nachforschung in London nicht der armen Eugenie gegolten hätte, welche ich, und welche mich unter so ganz besondern und Theilnahme erweckenden Umständen verlassen hatte. Indessen kann ich keine großen Ansprüche auf Gewissenhaftigkeit machen, wenn ich diese Pflicht erfüllte. Ohne Zeitverlust ging ich zu ihrem Agenten, aber Alles, was ich durch meine dringendsten Bitten erlangen konnte, war die Mittheilung, daß sie sich wohl befinde, und daß ich jede nicht alles Maß überschreitende Summe bei ihm beziehen könne, daß aber ihr Aufenthaltsort bis auf Weiteres für mich ein Geheimniß bleiben müsse.

Da es meinem Vater nicht an Einfluß fehlte, und sich meine Ansprüche auf gute Zeugnisse gründeten, erhielt ich ungefähr vierzehn Tage nach meiner Ankunft in London meine Bestallung als Lieutenant bei Seiner Majestät Flotte; aber weil ich noch keinem Schiffe zugetheilt war, beschloß ich, mein Otium cum dignitate zu genießen und mich für den beschwerlichen Feldzug, den ich kürzlich in Nordamerika gemacht hatte, einigermaßen zu entschädigen. Der Gedanke, daß ich nun etwas sei, entzückte mich. Konnte ich doch jetzt im schlimmsten Falle unabhängig von meinem Vater leben; und nie werde ich es vergessen, daß mir diese Anstellung weit mehr wirkliches Vergnügen machte, als eine der beiden Beförderungen, die mich noch erwarteten. Nicht sobald hatte ich meinen Bestallungsbrief erhalten, als ich meine Gedanken auf meine Emilie richtete; zwei Tage darauf theilte ich meinem Vater meinen Entschluß mit, meinen Besuch in – – Hall zu machen.

Er war gerade sehr guter Laune; nach einem trefflichen Mittagessen, das wir tête-à-tête eingenommen hatten, saßen wir bei unserer Flasche Claret. Ich hatte ihm durch die Erzählung einiger meiner letzten Abenteuer sehr viel Unterhaltung gewährt. Bei der Schilderung meiner Gefahr während des Orkans schauderte er; aber meine Querzüge in Quebeck und auf der Prinz-Eduards-Insel erheiterten ihn so sehr, daß er sich vor Lachen die Seiten halten mußte. Jetzt sprach ich von Miß Somerville, und er bemerkte, daß sie sich ohne Zweifel sehr glücklich schätzen würde, mich zu sehen; sie sei jetzt zu einer vollendeten Jungfrau herangewachsen und die Zierde der Grafschaft.

Mein Herz pochte bei dieser Nachricht, aber trotz der Wonne, die mich entzückte, nahm ich sie mit anscheinendem Kaltsinne hin. »Sie kann,« sagte ich, in den Zähnen stochernd und im Spiegel eines kleinen, elfenbeinernen Etui's meinen Mund betrachtend – »zu einem hübschen Mädchen herangewachsen sein; sie versprach dies schon, als ich sie das letzte Mal sah, aber seitdem die Blattern durch die Impfung bekämpft worden sind, gibt es viele hübsche Frauenzimmer. Zudem haben die Mädchen schon deßwegen mehr Aussicht auf eine schöne Gestalt, weil sie frische Luft schöpfen dürfen, und nicht mehr den ganzen Tag auf ihren Stuhl fest gebannt sind, um ihre schönen Näschen unter die Zuchtruthe einer französischen Gouvernante auf eine französische Grammatik niederzubeugen.«

Warum ich mir so viel Mühe gab, den wahren Zustand meines Herzens vor dem besten der Väter zu verbergen, weiß ich nicht, es müßte denn die Gewohnheit gewesen sein, die mir den Betrug weit näher legte, als die Aufrichtigkeit; wenigstens konnte mir die Neigung zu diesem schönen und tugendhaften Wesen über nichts anderes das Blut in die Wangen treiben, als über meine Verdorbenheit, die mich des Besitzes einer solchen Vortrefflichkeit unwürdig machte. Mein Vater verrieth den Mißmuth getäuschter Erwartung in seiner Miene. Ich erfuhr nachher, daß seit meines Bruders Tode eine Vermählung mit Emilien zwischen ihm und Herrn Somerville besprochen und festgesetzt worden war, und daß sie nur so lange verschoben werden sollte, bis ich den Kapitänsrang erlangt haben würde; indessen war dabei vorausgesetzt, daß wir beide damit übereinstimmten.

»Ich glaubte, du hegtest in dieser Beziehung tiefere Gefühle?«

»Tiefere Gefühle, Sir?« wiederholte ich mit der Miene des Erstaunens. »Ich hege zwar die größte Achtung vor Miß Somerville, aber ich hoffe, daß kleine Aufmerksamkeiten von meiner Seite nicht als Beweise von Liebe ausgelegt wurden. Ich habe ihr nicht mehr Aufmerksamkeit erzeigt, als jedem schönen Mädchen, das ich kennen lernte.« (Dies war richtig, nur zu richtig.)

»Gut, gut,« sagte mein Vater, »es war ein Mißverständniß von mir.«

Damit ließen wir das Gespräch über diesen Gegenstand fallen.

Es ergab sich, daß Herr Somerville und mein Vater, nach geschehener Anordnung und nach meinem Abgang auf die amerikanische Station, eine Unterredung mit einander gehabt hatten, worin Herr Somerville meinem Vater eröffnete, daß ihm seine Tochter, auf seine Frage nach unserm Verhältnis, aufrichtig gestanden habe, ich sei ihr nicht gleichgültig, wobei sie mit hohem Erröthen hinzugesetzt, ich habe mir eine Haarlocke von ihr ausgebeten und erhalten. Dies sagte Herr Somerville meinem Vater im Vertrauen, und dieser hatte also kein Recht, es mir mitzutheilen; doch erklärt sich sein Erstaunen über meine scheinbare Gleichgültigkeit hinlänglich daraus, denn die beiden würdigen Väter hatten sich natürlich zum Schlusse berechtigt geglaubt, daß wir mit einer Vermählung einverstanden seien.

Bestürzt und verwirrt über meine Aeußerung, wußte mein Vater nicht, wessen Wahrhaftigkeit er bezweifeln sollte; aber er hatte Herzensgüte genug, um meiner Zweideutigkeit ein Mißverständniß zu Grunde zu legen, weil er mich nicht gerne für denselben flatterhaften und leichtsinnigen Menschen hielt, der ich früher gewesen war; und er glaubte es seiner Ehre schuldig zu sein, Herrn Somerville den Inhalt unseres Gespräches mitzutheilen. Nicht sobald hatte dieser sein Schreiben erhalten, als er es Emilien einhändigte – eine sehr empfehlende Art von Avantcourier für einen Liebhaber nach einer Abwesenheit von drei vollen Jahren.

Voll glühender Sehnsucht, das holde Mädchen zu sehen, zu welcher sich mein Herz mit einer weit innigeren Zuneigung hingezogen fühlte, als ich je geahnet hatte, kam ich in der Halle an. Ich sprang aus dem Gefährt und flog in das Unterhaltungszimmer, wo sie gewöhnlich ihren Morgen zubrachte. Damals stand ich in meinem zweiundzwanzigsten Jahre; meine Gestalt war entschieden schön zu nennen, mein Gesicht von der Art, wie es die meisten Weiber bewundern, meine persönlichen Vortheile hatte ich durch die äußerste Sorgfalt, die ich auf meine Kleider verwandte, erhöht; meine Sitten hatte der Umgang mit den schönen Arkadierinnen ungemein verfeinert, und ich hatte von dem rohen Wesen eines Seemannes gerade nur so viel, daß es der Rinde des Portweins glich, welche ihm die angenehme Blume gibt; meine Züge waren eben so offen und redlich, als mein Herz voll Trug und Tücke.

Emilie erhob sich mit großer Aufregung und im Augenblicke hatte ich sie mit meinen Armen umschlungen; allein die Bewegung war von ihrer Seite keine freiwillige, sondern ging einzig und allein von mir aus. Sie suchte sich mir zu entziehen, und nur für einen Augenblick schien sie die verhängnißvolle Mittheilung vergessen zu haben, die sie erst vor zwei Stunden von ihrem Vater erhalten hatte. Weil sie es nicht verhindern konnte, gestattete sie mir, sie an's Herz zu drücken, indessen hatte sie ihre Geistesgegenwart bald wieder gewonnen, und sich sanft aus meinen Armen wendend, machte sie ihren Gefühlen in einer heiligen Fluth von Thränen Luft.

Ich dachte im Augenblicke nicht an das Gespräch mit meinem Vater, und noch entfernter lag mir die Vermuthung, daß Emilie damit bekannt gemacht worden sei; deßhalb muß ich gestehen, daß mich dieser Empfang nicht wenig überraschte. Meine Liebkosungen wurden zurückgestoßen, als kämen sie von einer Person, die durchaus nicht berechtigt wäre, sich eine solche Freiheit herauszunehmen. Sie nannte mich sogar nicht mehr Frank, sondern Herr Mildmay.

»Was soll das alles bedeuten, meine theuerste Emilie?« fragte ich. »Wie soll ich mir das nach einer so langen Abwesenheit erklären?

Was kann ich gethan haben, um eine so große Veränderung in Ihren Gesinnungen hervorzubringen. Ist dies der Lohn der Liebe und Beständigkeit – habe ich dieses theure Unterpfand Ihrer Zuneigung deshalb in Sturm und Schlacht auf dem Herzen getragen, um bei meiner Rückkehr, wie ein Elender, verstoßen zu werden?«

Ich fühlte, daß ich das größte Recht hatte, mich mit meiner Beständigkeit zu brüsten, denn meine Tändeleien in Halifax und Quebeck waren mit dieser Erklärung durchaus nicht unverträglich. Das schöne Geschlecht wird über diese Behauptung staunen, aber sie ist nichts desto weniger wahr. Emilie war mir, was dem Holländer sein bester Anker – er ließ ihn zu Hause, um ihn nicht zu verlieren; in den verschiedenen Häfen bediente er sich anderer Anker, welche seinem Zwecke so ziemlich entsprachen; aber diesen, seinen besten Schatz, wandte er nur in dem Nieudeep an, nachdem er allen Gefahren und allem Triebsande entfernter Küsten entgangen war. Dies war Emilie mir. An sie dachte ich, als ich im Rachen des Haifisches war; an sie dachte ich, als ich im Orkane das Takelwerk erstieg; an sie dachte ich, als mich die Prüfungskapitäne bis zum Wahnsinne quälten; Alles, Alles, was ich an Ruhm gewinnen konnte, war für sie. Warum aber verläugnete ich sie, gleich einem Verräther? Ich vermag mir keinen andern Grund zu denken, als jene endlose Liebe zu Trug und Heuchelei, welche mit mir groß geworden war.

Madame Staël hat die Liebe eine Episode im Leben des Mannes genannt, und sie hat in dieser Beziehung Recht. Es gibt im Leben eben so viele Episoden, als in Novellen und Romanen, aber wenn sie auch unsere Aufmerksamkeit auf einige Zeit zerstreuen oder vom Hauptgegenstand ablenken, so zerreißen sie doch den eigentlichen Faden der Geschichte nicht. Man muß zwischen Leidenschaft und Liebe unterscheiden. Für Eugenien fühlte ich Leidenschaft, für Emilie Liebe; denn ob ich gleich durch meine eigenen Ueberredungskünste und flehentlichen Bitten Eugeniens Gewissenszweifel überwältigt hatte; ob es gleich blos ihre Liebe war, was ihr nicht erlaubte, mir nichts, gar nichts, nicht einmal das Opfer ihrer selbst zu versagen, so war sie doch in den Augen der Gesellschaft gefallen, und demjenigen, was nicht mehr für rein anerkannt wurde, konnte ich keine reine und heilige Liebe weihen. Ich war undankbar genug, mich auf diese Weise dem herzlosen Urtheile der Welt anzuschmiegen. Emilie war im Heiligthume der Sittsamkeit und besaß alle Talente und eben so große, wo nicht größere Reize, die zudem noch von Rang und Verbindungen geschützt waren. Sie war eine Blume, welche sicher auf dem Stengel der Tugend blühte, und schon der Versuch, sie pflücken zu wollen, wäre Gotteslästerung gewesen, ja, er hätte an Wahnsinn gekränzt, da ihm durchaus alle Hoffnung auf Erfolg mangelte. Jedes meiner Gefühle, das sich an Emilien knüpfte, war rein, und zwar schon aus Selbstsucht. Um keine Welt hätte ich sie beleidigen mögen, weil ich durch Zerstörung ihres Seelenfriedens meinen eigenen für immer verscheucht hätte. Wenn ich an unsere endliche Verbindung dachte, erröthete ich über meine innere Werthlosigkeit, und sehnte mich nach dem Tage, wo ich durch Reue und Besserung würdig gemacht würde, sie zum Altare zu führen.

Ich hatte keine Zeit, diese Betrachtungen weiter zu verfolgen. Emilie hörte die Berufung auf meine Liebe und Beständigkeit, erhob sich auf die würdevollste Weise von ihrem Sitze und redete mich in der gebieterischen Sprache der beleidigten Unschuld und des Bewußtseins der Tugend also an:

»Ich hoffe, Sir, daß ich zu redlich bin, um Sie oder irgend Jemand täuschen zu wollen; auch habe ich nichts gethan, dessen ich mich zu schämen hätte. Welche Gründe ich immer auch haben mag, mein falsch angewendetes Vertrauen zu bereuen, so will ich doch kein Geheimniß aus der Ursache machen, die mich jetzt nöthigt, meine Meinung von Ihnen zu ändern: Sie werden sie in diesem Papiere klar auseinandergesetzt finden.« Mit diesen Worten reichte sie mir einen Brief, den mein Vater an Herrn Somerville geschrieben hatte.

Im Augenblicke war das Geheimniß enthüllt, und der Beweis meiner Schuld flammte mir, wie der Pulverblitz einer Muskete, in die Augen. Schuldig und durch das klarste Zeugniß überwiesen, blieb mir nichts übrig, als mich an ihre Gnade zu wenden; aber während ich noch unentschlossen dastand und nicht wußte, was ich thun sollte, trat Herr Somerville ein und bewillkommte mich mit freundlicher, aber kalter Gastfreiheit. Emiliens Thränen und meines Vaters Brief in ihrer Hand, sagten ihm, daß ein Eclaircissement Statt gefunden hatte oder bevorstand. In dieser Lage wäre Aufrichtigkeit und ein redliches Geständniß, daß ich meine Leidenschaft nur aus falscher Scham meinem Vater verborgen hätte, ohne Zweifel meine erste Zuflucht gewesen; aber mein höchst zuverlässiger Freund, der Teufel, lieh mir seinen Beistand und sprach von Betrug oder Verlängerung der Kette, an die er mich schon so lang gefesselt hielt, indem er sich alle Mühe gab, auch nicht ein einziges Glied derselben ausbrechen zu lassen; und zum Glücke für mich entsprach dieser Plan damals meinen Zwecken besser, als Aufrichtigkeit.

»Ich muß bekennen, Sir,« begann ich, »daß der Schein gegen mich spricht. Ich habe nur die einzige Hoffnung, daß Sie mir ein geduldiges Ohr schenken, während ich Ihnen den Thatbestand auseinander setze. Erlauben Sie mir vorerst die Bemerkung, daß meines Vaters Folgerungen durch das Gespräch, welches zwischen uns Statt hatte, kaum begründet sind; und wenn Sie vor allem bedenken wollen, daß dieses Gespräch aus der Eröffnung meines Wunsches und meiner Absicht hervorging, Sie zu besuchen, und Ihrer Tochter das während meiner langen Abwesenheit mit so großer Sorgfalt bewahrte Andenken zu zeigen, so müssen Sie zwar auf den Gedanken kommen, daß in meinem Betragen eine schwer zu erklärende Ungleichheit liegt; aber ich hege das Vertrauen, daß im Hintergrunde aller dieser Irrgänge und Labyrinthe Wahrheit und Beständigkeit gefunden werden wird. Sie lachen wahrscheinlich über mich, aber die Lobsprüche meines Vaters, die er so verschwenderisch über Miß Somerville aussprach, machten meine Eifersucht rege, und weil ich nicht voraussetzte, daß er von meiner Neigung wisse, stieg die Besorgniß in mir auf, als könnte er selbst Absichten auf sie haben. Er ist Wittwer, erfreut sich einer guten Gesundheit und ist noch nicht sehr bei Jahren; es schien mir, als warte er nur auf meine Bewunderung, seine Wahl zu rechtfertigen und mir und meiner Schwester eine Stiefmutter zuzuführen. Ich stand zwischen der Liebe der Miß Somerville und der Achtung vor meinem Vater, und wußte kaum, wie ich mich benehmen sollte. Mit Beschämung gestehe ich es, daß ich einen Augenblick eifersüchtig auf meinen Vater war, aber von der irrigen Voraussetzung seiner Neigung zu dem einzigen Gegenstände meiner Bewunderung gepeinigt, konnte ich mich nicht entschließen, eine Erklärung herbeizuführen, in welcher ich den Grund einer Erneuerung unserer Mißverständnisse und das unüberwindlichste Hinderniß einer künftigen Versöhnung fürchtete. Dieser Gedanke brannte in meinem Gehirn und trieb die ermatteten Postpferde zur größten Eile an. Wenn Sie die Postillone fragen wollen, so werden sie Ihnen sagen, daß ich auf dem ganzen Wege von der Stadt mit einem spanischen Dollar an das Wagenfenster schlug, um sie anzuspornen. Ich fürchtete, mein Vater möchte mir den Vorsprung abgewinnen, und die geschäftige Einbildungskraft malte ihn meinem erhitzten Gehirn immer in der Stellung, wie er zu den Füßen meiner geliebten Emilie lag. Verdammen Sie mich deshalb nicht zu streng, gönnen Sie mir vielmehr jenes nachsichtige Urtheil, welches Sie damals über mich fassten, als ich das hohe Glück genoß, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

Die letzte Aeußerung erinnerte auf eine zarte Weise an den Auftritt im Gasthofe und an die Umstände, unter denen ich ihnen zuerst vorgestellt wurde. Die Rechtfertigung war nicht übel, es fehlte ihr nur eine einfache Eigenschaft, um vortrefflich zu sein: die Wahrheit. Aber da die Richter schon zum Voraus zu Gunsten des Gefangenen gestimmt waren, wurde ich freigesprochen und ermahnt, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Die Versöhnung entlockte meiner geliebten Emilie noch einige weitere Thränen, und bald darauf schlüpfte sie aus dem Zimmer, um sich von ihrer Aufwallung zu erholen. Als ich mit Herrn Somerville allein war, theilte er mir die harmlose Verschwörung mit, welche zu einer Verbindung zwischen seiner Tochter und mir angezettelt worden war. Wie wahr ist es, daß ein Mißverständniß zwischen den Liebenden die Erneuerung der Liebe ist! Ich küßte die schöne weiße Hand, die mir Emilie reichte, mit um so größerem Entzücken, weil ich gefürchtet hatte, sie für immer zu verlieren. Niemand freut sich der Genüsse eines sicheren Hafens, als wer von Stürmen umhergeworfen wurde und in Gefahr schwebte, Schiffbruch zu leiden.

Dieser Mittag und Abend gehörten zu den glücklichsten, deren ich mich erinnern kann. Nur kurze Zeit saßen wir bei unserem Weine, denn ich zog es vor, der Gebieterin meines Herzens in das kleine Besuchzimmer zu folgen, wo Thee und Kaffee zubereitet wurden, und wo sich die musikalischen Instrumente befanden. Emilie spielte und sang, und ich begleitete sie. Alle Uhren im ganzen Hause, glaubte ich, gingen wenigstens um drei Stunden vor, denn ehe ich daran dachte, schlug es zwölf Uhr, und man gab das Zeichen zum Rückzug.

Nicht sobald hatte ich mein Haupt niedergelegt, als ich mich wegen meiner Doppelzüngigkeit zu einer strengen Rechenschaft zog; denn man mag sagen, was man will, das Gewissen ist, ich weiß nicht, wie es kommt, ein höchst schwer zu befriedigender Gläubiger. Einer Schneidersrechnung kann man durch die Ueberfahrt über den Kanal entgehen, aber die Mahnungen des Gewissens verfolgen uns bis zu den Antipoden und lassen sich nicht abweisen. Ich führte die Vorfälle des Tages an meinem Geiste vorüber und bedachte, daß ich auf dem Punkte gestanden hatte, durch eine eben so unnöthige, als unverantwortliche Lüge und Doppelzüngigkeit meine Emilie zu verlieren. Früher oder später mußte diese Seite meines Charakters offenbar werden, und Schmach und Strafe mich in das tiefste Verderben stürzen. Der Erfolg, den ich bis jetzt errungen hatte, kam in Vergleich mit der Gefahr, in welcher ich schwebte, dieses liebenswürdige Mädchen und die Achtung ihres Vaters zu verlieren, gar nicht in Anschlag, deßhalb gelobte ich mir um ihretwillen, dieses höllische System für immer aufzugeben. Ich erwähne dies um so ausdrücklicher, als es das erste gesunde Symptom von Besserung war, welches ich entdeckt hatte; und das ich, wenigstens in so weit es Gewohnheit und Beruf gestattete, so lange als möglich festzuhalten suchte. Ich vergaß damals, daß Aufrichtigkeit nothwendig Tugend erforderte; wenn wir nicht schlecht handeln, haben wir keinen Grund etwas zu verheimlichen.

Herr Somerville erklärte meinem Vater mein Betragen in einem Briefe, und dieser bemerkte in seinem Antwortschreiben, ich müsse wenigstens wahnsinnig geworden sein. Dagegen hatte ich nichts einzuwenden, indem ich die Worte Shakspeare's anführte – »Der Rasende, der Liebende, der Dichter u.s.w.« Wenn ich mich nur einmal herausgewunden hatte, bekümmerte ich mich wenig darum, was man von meinem Verstande dachte.

Die Tage auf dem Landsitze flogen, wie alle Tage glücklicher Liebenden, mit rascher Eile dahin. Je öfter ich Emilie sah, desto fester schmiedete sie meine Ketten. Ich war ihr Sclave; aber was das Beste dabei – ich bekehrte mich zur Tugend, weil sie tugendhaft war, und weil ich wußte, daß ich ihr, um ihren Besitz zu erlangen, so ähnlich werden mußte, als es mein verdorbenes Herz und meine ungeregelten Gewohnheiten gestatteten. Mit Scham und Zerknirschung blickte ich auf meine Vergangenheit zurück. Wenn ich das holde, liebenswürdige Wesen Sonntags in die Kirche begleitete und voll Andacht vor ihrem Schöpfer knieen sah, erschien sie mir wie ein Engel, und ich glaubte mich durch ihre Nähe in den Himmel versetzt. Durch ihr Beispiel und ihre Gegenwart schienen alle meine Gedanken und Empfindungen verändert und veredelt, und die Funken der Religion, die so lange unter der Asche weltlicher Verderbniß und Ungläubigkeit begraben waren, glimmten auf's Neue. Ich rief mir meine geliebte Mutter und die Bibel wieder in's Gedächtniß, und wäre mir gestattet gewesen, länger unter der Obhut meiner Erzieherin zu weilen, so zweifle ich nicht, daß ich die Reinheit meines Herzens, wie meiner Sitten, wieder gewonnen haben würde. Dem Laster und der Thorheit hätte ich Lebewohl gesagt, weil sie mit Emilien nicht unter demselben Dache wohnen konnten; und Bibel und Religion hätte ich liebgewonnen, weil sie von ihr geliebt wurden: aber mein unglückliches Schicksal führte mich auf eine andere Bahn.


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