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Achtzehntes Kapitel.

Da geht sie hin voll Galle und Eifersucht.
Gott sei dem armen Manne gnädig!

Die eifersüchtige Frau.

Der fürchterliche Fisch, der sich den Namen
Des Tod's erwarb.

Spenser.

Als die Brigg aus dem Hafen von Nassau ausfuhr, verließ ich das Bett; und als sie ihre Königssegel entfaltete und in See ging, setzte ich meinen Hut auf und ging in die Stadt. Die Offiziere der Besatzung luden mich freundlich zu ihrer Tafel ein, und der Obrist des Regiments erhöhte den Werth des Anerbietens dadurch, daß er mir schöne Zimmer in der Kaserne einräumte. Sogleich bezog ich die saubere und bequeme Wohnung. Ich erlangte bald meine Kräfte wieder und konnte meinen Platz am Tische einnehmen, wo ich fünfunddreißig junge Offiziere traf, welche in den Tag hinein lebten, ohne je an den andern Morgen zu denken, und überhaupt irgend einen ernsten Gedanken zu beherbergen. Es ist eine sonderbare Thatsache, daß der Mensch gegen die Erhaltung des Lebens um so gleichgültiger wird, je unsicherer dasselbe ist, und daß er selten an die Ewigkeit denkt, wo er, wie in diesem Lande, unaufhörlich den Tod vor Augen hat; aber es ist nun einmal so, und diese Regel findet in despotischen Ländern ihre strengste Anwendung. Wo das Schwert des Tyrannen die Verbindung zwischen Kopf und Schultern in einem Augenblicke aufhebt, verliert das Leben seinen Werth und der Tod seine Schrecken, und mit Gleichmuth und Gefühllosigkeit betrachtet der Bewohner eines solchen Staates seinen Henker. Es scheint, als ob das Leben, wie das Land, im Verhältnisse zu der größern Kraft der Rechte, auf denen seine Erhaltung beruht, an Werth gewänne.

Doch ich will nicht weiter abschweifen. Ob ich gleich sogar von der alltäglichen Tugend, welche mit der absoluten Ruchlosigkeit so ziemlich auf gleicher Stufe steht, noch weit entfernt war, so war ich doch nicht mehr der gedankenlose Mensch, der ich seit meinem Austritte aus der Schule gewesen. Der Umgang mit Emilien und ihr Bild in meinem Herzen, das abgesperrte Leben auf der Brigg, und meine Rettung aus der drohendsten Todesgefahr bei meinem zweiten Versuche, das Leben eines armen Matrosen zu erhalten, hatte jedes in seiner Art zu einer zeitlichen Besserung, wo nicht zum Abscheu gegen größere Laster beigetragen. Der Verweis, den mir Emilie wegen meiner betrügerischen Handlungsweise gegeben, und das verabscheuungswürdige Benehmen meines letzten Kapitäns hatten, wie ich mir schmeichelte, meine Besserung beinahe vollendet. Ich fühlte, daß ich bis jetzt schlecht gehandelt hatte, ohne die Kraft zu besitzen, gut zu handeln, vergaß aber dabei, daß ich nie den Versuch gemacht hatte. Der erklärte Atheismus Kapitän G.'s war so weit entfernt, mich einzunehmen, daß ich von diesem Augenblicke an ernster als je an die Religion dachte. Meine Verachtung gegen seinen Charakter war so groß, daß ich Alles für falsch hielt, was er sagte, und gleich dem betrunkenen spartanischen Sklaven flößte er mir den größten Abscheu vor dem Laster ein. So dachte, so urtheilte ich, ehe ich auf's Neue in Sünde und Thorheit verfiel. Ich wußte, wie hassenswerth sie ist, und wenn ich die Schranken überschritt, so bereuete ich; aber die Gewohnheit übte eine unwiderstehliche Gewalt über mich aus, und die einzige feste Stütze, an die ich mich hätte halten können, wurde unglücklicherweise von mir übersehen. Die Religion hatte ich aus guten Gründen aus meinen Gedanken verbannt. Mein System war eine Art sokratisch-heidnischer Philosophie – eine gewisse Moral, welche darauf berechnet war, einen Menschen so ziemlich erträglich durch eine ruhige Welt zu führen, aber nicht aus den Irrgängen des lange geübten Lasters herauszuwinden.

Das leichtsinnige und sündhafte Benehmen meiner neuen Freunde wurde eine Quelle des ernsten Nachdenkens für mich. Ich war weit entfernt, ihrem Beispiele zu folgen, und fühlte mich um einige Grade besser, als sie; aber im Dünkel meines Herzens dankte ich Gott, daß ich nicht war, wie diese Zöllner. Meine pharisäische Anmaßung verbarg mir die demüthigende Wahrheit, daß ich viel schlechter war, als sie, und sehr wenig Hoffnung zur Besserung versprach. Demuth hatte noch keine Stelle in meiner Seele gefunden, und doch war sie die einzige Grundlage, auf welcher eine religiöse Wiedergeburt – die erste Bedingung meiner Rettung, möglich war. Ich verfeinerte blos meine Lasterhaftigkeit, ohne ihr zu entsagen. Rohe Sinnlichkeit, die in Westindien so leicht zu befriedigen ist, ekelte mich an; aber ich machte mir kein Gewissen aus einem Angriffe auf die Unschuld, wobei mir die Verfolgung meiner Pläne weit mehr Freude machte, als der Genuß, dessen ich bald überdrüssig wurde, um andern Gegenständen meiner Begierde nachzujagen.

Indessen fand ich auf den Bahama-Inseln wenig Gelegenheit, meine Gewandtheit in dieser Kunst auszuüben. In Westindien gibt es eine Klasse von Frauen, die, von weißen Vätern gezeugt und von Mulattenmüttern geboren, eine Farbe haben, die der europäischen nahe kommt; viele derselben sind Brünetten, mit langem, schwarzem Haar, sehr hübschem Gesicht, schönen Augen und sehr zierlichem Wuchse. Diese Damen sind zu stolz auf das europäische Blut in ihren Adern, um eine Verbindung mit einem Manne einzugehen, dessen Stammbaum eines schwarzen Blattes verdächtigt werden könnte; in Folge dessen heirathet man sie selten aus andern Gründen, als aus Eigennutz; wenn sie durch Erbschaft ein großes Vermögen erlangen, werden sie häufig von den weißen Ansiedlern zur Ehe gesucht.

Unter solchen Umständen ziehen diese Mädchen ein Liebesverhältniß mit dem Gegenstande ihrer Wahl einer gesetzlichen Verbindung mit einem Manne von untergeordnetem Range vor, und haben sie einmal gewählt, so ist ein Treubruch ein seltener Fall bei ihnen. Ihre Zuneigung und Beständigkeit hält die Probe der Zeit und langer Trennung; sie sind freigebig bis zur Verschwendung; aber eifersüchtig und reizbar in ihrer Eifersucht bis zur Anwendung von Gift und Dolch.

Eine von diesen jungen Damen fand meine Person reizend genug, um sich mir hinzugeben, und wir standen in jenem vertrauten Verhältnisse mit einander, welches in Westindien von den Betheiligten als eine Sache der Notwendigkeit und von jedem Dritten als gleichgültig betrachtet wird. Auf diesem epikuräischen Fuße lebte ich mehrere Monate lang, bis meine chère amie unglücklicherweise in der Tochter eines hochgestellten Offiziers auf der Insel eine Nebenbuhlerin fand. Von meiner Persönlichkeit eingenommen, besaß die Schöne nicht Klugheit genug, ihre Neigung zu verbergen; meine Eitelkeit fühlte sich zu sehr geschmeichelt, um aus ihren Gefühlen für mich keinen Vortheil zu ziehen; und wie gewöhnlich nahmen die Tändeleien der Liebe meinen ganzen Morgen, bisweilen auch meinen Abend, in Gesellschaft dieser schönen Amerikanerin in Anspruch.

Scandal ist ein Gott, der überall regiert, nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Seiner Majestät Kolonien, und seine Leibdiener erwählten mich bald zur Zielscheibe ihrer Pfeile. Meine hübsche Carlotta wurde eifersüchtig; sie warf mir Unbeständigkeit vor. Ich läugnete die Beschuldigung, und ließ mir zum Beweise meiner Unschuld das Versprechen entlocken, das Haus ihrer Nebenbuhlerin nicht mehr zu betreten; aber ich trug Sorge dafür, dieses Versprechen zu umgehen und zu brechen. Vierzehn Tage lang wurde mein Hausfrieden durch Thränen oder die freigebigsten und beleidigendsten Solo's gestört, denn nach dem ersten Tage gab ich ihr keine Antwort mehr.

Eines Morgens gab wir ein kleines Sclavenmädchen ein Zeichen, ihm nach einem entlegenen Theile des Gartens zu folgen. Ich hatte diesem armen Geschöpfe zuweilen einige Beweise freundlicher Zuneigung gegeben, wofür es mich jetzt in reichem Maße belohnte. Hier und da hatte ich ihm einen Feiertag ausgewirkt und bald eine Züchtigung erspart, bald eine Kleinigkeit an Geld geschenkt. Dadurch wurde es sehr anhänglich an mich, und da es den Zorn seiner Gebieterin täglich wachsen sah, so wußte es, wie das wahrscheinlich enden würde, und wachte über meine Sicherheit, wie eine freundliche Fee.

»Nicht trinken Kaffee, Massa,« sagte das Kind, »Missy hineinwerfen Obi.«

Kaum hatte sie dieß gesagt, als sie verschwand. Ich trat in's Haus. Carlotta bereitete eben das Frühstück und hatte eine alte Frau bei sich, die sich mit etwas zu beschäftigen schien, was sie nicht gerne sehen lassen wollte. Unbefangen setzte ich mich nieder und summte ein Liedchen. Mein Gesicht hatte ich einem Spiegel und meinen Rücken Carlotten zugekehrt, so daß ich ihre Bewegungen beobachten konnte, ohne von ihr bemerkt zu werden. Sie stand am Herde, und hatte den Kaffee neben sich auf dem Tisch; die alte Frau kauerte in der Kaminecke und starrte mit ihren Triefaugen in die Asche. Carlotta schien zweifelhaft; sie drückte ihre Hände krampfhaft gegen die Stirne, ergriff den Kaffeetopf, um mir eine Tasse vollzugießen und stellte ihn wieder nieder. Die Alte murmelte etwas in ihrer Sprache; Carlotta stampft mit ihrem kleinen Fuße und schenkte ein. Sie brachte mir den Kaffee – zitterte, während sie ihn hinstellte – schien ihn ungern aus der Hand zu lassen und umklammerte die Tasse, als wollte sie dieselbe wieder wegnehmen. Die Alte brummte und murmelte etwas, von dem ich nur den Namen der vorerwähnten Nebenbuhlerin verstand. Dieß war genug. Carlotta's Augen leuchteten wie eine Flamme; sie ließ die Tasse los, ging an den Herd zurück, setzte sich und bedeckte ihr Gesicht, indem sie mich meiner letzten irdischen Mahlzeit überlassen glaubte. »Carlotta,« rief ich auf einmal heftig. Sie fuhr erschrocken auf, und das Blut flammte über Gesicht und Nacken – die Röthe schlägt sehr deutlich auf der Haut dieser Mulattinnen durch. »Carlotta,« wiederholte ich, »gestern Abend hatte ich einen Traum, und wer glaubst du, daß mir erschien? Obi! (Sie schrak bei dem Namen zusammen). Er sagte mir, ich sollte diesen Morgen keinen Kaffee trinken, sondern ihn der alten Frau geben.« Bei diesen Worten sprang die Alte in die Höhe. »Komm her, du alte Hexe,« rief ich; sie näherte sich zitternd, denn sie sah, daß sie mir nicht entrinnen konnte, und ihre Schuld entdeckt war. Ich nahm ein scharfes Messer und sagte, sie bei ihren wenigen noch übrig gebliebenen Wollenhaaren ergreifend, »Obi's Auftrag muß vollzogen werden; ich befehle es nicht, aber ich will's haben; trink' im Augenblicke diesen Kaffee.«

Der Name Obi klang der Hexe so gebieterisch in die Ohren, daß sie ihn mehr fürchtete, als mein gezücktes Messer. Es fiel ihr nicht einmal ein, um Gnade zu flehen, denn sie hielt es nach der Entdeckung für fruchtlos und glaubte, ihre Stunde sei gekommen. Eben erhob sie die Tasse an ihre welken Lippen und war im Begriff, ihr Schicksal zu erfüllen und zu trinken, als ich ihr das Gefäß aus der Hand schlug, daß es auf dem Fußboden in tausend Stücke zerbrach. Zugleich warf ich Carlotten einen furchtbaren Blick zu; sie stürzte sich zu meinen Füßen und bedeckte sie im wilden Kampfe ihrer Leidenschaften mit glühenden Küssen.

»Tödte mich, tödte mich,« rief sie, »ich habe es gethan. Obi ist groß – er hat dich gerettet. Tödte mich, und ich werde mit Freuden den Tod umarmen, nun ich dich gerettet weiß – tödte mich!«

Mit vollkommener Kaltblütigkeit hörte ich diese Ausbrüche des Wahnsinns an. Als sie wieder etwas ruhiger war, bat ich sie, aufzustehen. Sie gehorchte und stellte das Bild der Verzweiflung dar, denn sie glaubte, ich werde sie augenblicklich verlassen und in die Arme ihrer glücklicheren Nebenbuhlerin eilen, wiewohl sie meine Unschuld durch Erscheinung der Gottheit völlig erwiesen glaubte.

»Carlotta,« sagte ich, »was würdest du gethan haben, wenn es dir gelungen wäre, mich zu tödten?«

»Das will ich dir zeigen,« erwiederte sie, trat an einen Kasten, nahm eine andere Tasse Kaffee, und ehe ich ihr dieselbe von den Lippen wegschleudern konnte, wie der alten Negerin, hatte das wahnsinnige Kind bereits einen kleinen Theil ihres Inhaltes verschluckt.

»Was kann ich anders thun?« sagte sie; »mein Glück ist für immer verloren.«

»Nein, Carlotta,« versetzte ich, »ich will deinen Tod nicht, ob du gleich den meinigen gewollt hast. Ich war dir treu und liebte dich bis zu dem Augenblicke dieses Versuches.«

»Willst du mir vergeben, bevor ich sterbe?« rief sie, »denn sterben muß ich, nun ich weiß, daß du mich verlassen wirst!« Mit diesen Worten warf sie sich heftig auf den Boden. Da ihr Kopf mit den Stücken der zerbrochenen Tasse in Berührung kam, verwundete sie sich und blutete so stark, daß sie ohnmächtig wurde. Die Alte war entflohen und ich allein bei Carlotten, denn die arme kleine Sophie hatte sich aus lauter Angst versteckt.

Ich hob sie vom Boden auf, setzte sie auf einen Stuhl, wusch ihr das Gesicht mit kaltem Wasser, stillte ihr das Blut und legte sie auf's Bett, wo sie zu athmen und krampfhaft zu schluchzen anfing. Wie ich an ihrer Seite saß und ihr bleiches Gesicht betrachtete, versank ich bei dem Anblicke ihres Schmerzes in trübes Nachdenken und stellte Betrachtungen über meine zahllosen Sünden und Thorheiten an.

»Wie viele Warnungen,« sagte ich, »wie viel Lehren muß ich noch erhalten, ehe ich mich bessere! Wie nahe war ich daran, unversöhnt und unvorbereitet zu meiner Rechenschaft abgerufen zu werden! Wie würde es mir ergangen sein, wenn ich in diesem Augenblicke vor meinem beleidigten Schöpfer erschienen wäre! Wenn ich die Vortheile der Erziehung auf meiner Seite und den Mangel derselben auf der ihrigen bedenke, so ist die Arme, in Vergleich mit mir, rein und unschuldig. Woher kommt all dieses Elend und die furchtbaren Folgen, die daraus entstehen konnten, als von meinem frevelhaften Spiele mit den Gefühlen eines unschuldigen Mädchens und von der Eitelkeit, die ich durch die Gewinnung ihrer Liebe schmeicheln zu müssen glaubte, während ich zugleich ein Verhältniß mit diesem unglücklichen Wesen anknüpfte, das ich ohne das geringste Bedauern abzubrechen bereit bin, um es dem Elend zu überlassen, und aller Wahrscheinlichkeit nach seine ganze Zukunft zu verbittern. Was soll ich thun? Vergeben, wie ich selbst Vergebung hoffe; die Schuld lag mehr auf meiner Seite, als auf der ihrigen.«

Ich fiel auf meine Kniee und sprach mit Inbrunst das Gebet des Herrn, indem ich einige Worte des Dankes für die unverdiente Rettung meines Lebens hinzusetzte. Dann stand ich auf und küßte ihre kalte feuchte Stirne; sie war für meine Güte empfänglich, und ihr zerrissenes Herz erleichterte sich in einer Fluth von Thränen. Mit dem flammenden Ausdrucke des Dankes und der Liebe hatte sie ihre Augen auf mich geheftet. Ich suchte sie zu beruhigen. Der Blutverlust äußerte eine gute Wirkung, und nachdem der Kampf ihrer Leidenschaften ausgetobt hatte, versank sie in einen tiefen Schlaf.

Leser, welche die westindischen Inseln, oder die menschliche Natur kennen, werden ohne Erstaunen vernehmen, daß ich dieses Verhältniß so lange fortsetzte, als ich mich auf dem Eilande befand. Carlotta hatte ihren Anschlag so wenig berechnet und eine Aufregung an den Tag gelegt, daß ich völlig überzeugt war, sie sei noch Neuling in dieser Art von Verbrechen, und ich könne bei einem etwaigen Rückfalle in einen Paroxysmus der Eifersucht leicht jeden weiteren Versuch auf mein Leben entdecken. Indessen hegte ich in dieser Beziehung keine Besorgniß, indem ich meine Besuche bei der jungen Dame, welche diesen Sturm herbeigeführt hatte, nach und nach einstellte, und so lange ich noch auf dem Eilande war, Carlotten nicht den entferntesten Grund mehr zu einem Verdacht gegen meine Treue gab. Ueber mein Benehmen gegen die junge Dame wurde ich streng gerichtet, denn die Aufmerksamkeiten, die ich ihr erwies, und der Vorzug, den sie mir gab, hatten Bewerber abgeschreckt, welche reine Absichten hatten und jetzt nie mehr zurückkehrten.

Auf diesen Inseln findet der Naturforscher einen reichen Lohn für seine Mühe; sie sind voll von den mannigfaltigsten Pflanzen, Vögeln, Fischen, Schalthieren und Mineralien. Auf ihnen setzte Columbus zuerst seinen Fuß an's Land, aber auf welcher derselben, vermag ich nicht mit Bestimmtheit anzugeben, wiewohl ich überzeugt bin, daß sie ihm nicht so sehr gefielen, als mir, denn er verließ sie bald wieder und steuerte nach St. Domingo.

Es ist vielleicht nicht allgemein bekannt, daß Neuprovidence die Insel war, welche der berüchtigte Seeräuber Barbanera zu seinem Aufenthaltsorte gewählt hatte; die Citadelle, welche sich auf der Höhe über der Stadt Nassau erhebt, steht neben den Trümmern der Festung, worin jener bekannte Freibeuter seine Schätze aufspeicherte. Während meines Aufenthaltes auf dieser Insel ereignete sich ein sonderbarer Vorfall, welcher ohne Zweifel mit den Abenteuern jener außerordentlichen Menschen in Verbindung stand, die unter dem Namen Bukanier bekannt sind. Arbeiter, die am Fuße des Hügels unter dem Fort gruben, entdeckten einiges Quecksilber, und bei näherer Untersuchung fand man eine bedeutende Menge von diesem Metall; offenbar hatte es zu den erbeuteten Schätzen der Piraten gehört, und war von ihnen in Kisten oder Schläuchen vergraben worden, nach deren Zerstörung die Flüssigkeit natürlich den Hügel hinabrollte.

Obgleich den Genüssen der Tafel nicht abhold, überließ ich mich doch keineswegs dem circäischen Leben, das die meisten jungen Offiziere auf den Bahamainseln führen.

Meine Erziehung, die mich weit über die gewöhnlichen Kreise der Gesellschaft der Kolonien erhob, erweckte das Bedürfniß nach einem Freunde von gleicher Geistesbildung in mir. Einen solchen fand ich in Charles – –, einem jungen Lieutenant im – – Regimente, das in Nassau stand. Je näher wir die Beschränktheit und Unwissenheit unserer Umgebung kennen lernten, desto enger schloßen wir uns an einander an. Unsere Morgenstunden brachten wir gewöhnlich in Gesellschaft der Klassiker zu, mit denen wir Beide vertraut waren, wir wiederholten unsere lateinischen Verse, stellten Fechtübungen mit einander an, und vergnügten uns zuweilen mit einer Partie Billard, wobei wir jedoch unsere Freundschaft nie durch Geldspiele in Gefahr setzten. Wenn die Hitze des Tags vorüber war, schlenderten wir umher, machten Besuche oder durchstreiften die Insel, indem wir die Kaserne so sehr als möglich vermieden, weil das Leben der Offiziere mit unsern Begriffen keineswegs übereinstimmte. Diese begannen ihr Tagwelk um Mittage mit dem Frühstück und zogen sich nach demselben in ihre verschiedenen Wohnungen zurück, um sich mit den Novellen zu unterhalten, womit die englische und französische Presse diese Inseln zum großen Verderben der Sittlichkeit überschwemmt. Diese Schriften, welche sie auf dem Bette lasen, oder neben sich hinlegten, um darüber einzuschlafen, befreiten sie von den heißesten Stunden des Tages, während die Zeit bis zur Tafel auf Besuche, Geplauder oder einen zur Beförderung der Eßlust unternommenen Ritt verwendet wurde.

Bis vier Uhr Morgens heiligten sie ihre ganze Zeit dem Rauchen und Trinken, und legten sich endlich mehr oder weniger berauscht zu Bett. Um neun Uhr zwang sie die Parade zum Aufstehen. Mit brennendem Gehirn und vertrockneter Zunge stürzten sie sich in die See und wurden durch das kalte Wasser so weit erfrischt, daß sie vor der Fronte ihrer Leute aufrecht stehen konnten; nachdem diese Förmlichkeit vorüber war, legten sie sich wieder zu Bett, und erhoben sich endlich in der Stunde des Mittags zum Frühstück.

So floßen ihre Tage dahin. Kann man sich verwundern, daß unsere Inseln nachtheilig auf die Gesundheit der Europäer einwirken, wenn sie ein solches Leben in einem Klima führen, das sich an jeder Ausschweifung rächt? Die Soldaten folgten nur zu bereitwillig dem Beispiele ihrer Offiziere und wurden ebenso schnell dahin gerafft. Eines der gewöhnlichen Morgengeschäfte war die Bereitung von Gräbern für die Opfer der Nacht. Vier oder fünf solcher Behältnisse hielt man für eine mäßige Anzahl. Die Gefühllosigkeit, welcher sich die Offiziere hingaben, war so groß, daß die Nähe, ja die Gewißheit des Todes gar keinen sichtlichen Eindruck auf sie machte, gar keine Vorbereitung hervorrief, gar keinen ernsten Gedanken erweckte. Sie begleiteten die Leiche eines Mitoffiziers in militärischem Zuge zu Grabe. Die Beerdigungen wurden immer Abends vorgenommen, und oft sah ich die gedankenlosen jungen Leute Steine nach den Laternen werfen, die ihnen vorangetragen wurden, um ihnen zum Begräbnißplatze zu leuchten.

Ich hatte die Gewohnheit, früh aufzustehen, und schreibe die Erhaltung meiner Gesundheit hauptsächlich diesem Umstande zu. Mit einer Cigarre im Mund ging ich auf den Markt, um den herrlichen Tropenmorgen zu genießen. Was würde Sir William Cartis oder Sir Charles Flower gesagt haben, wenn sie die Menge üppiger Schildkröten gesehen hätten, wie sie so verführerisch auf ihrem Rücken lagen und dem epikuräischen Käufer ihre leckeren Reize enthüllten! Wohl konnte es Apicius Schatten beklagen, daß man zu seiner Zeit noch nichts von Amerika und den Schildkröten wußte. Auch Leguans, denen man die Mäuler vernäht hatte, um sich vor ihren Bissen zu schützen, sah ich im Ueberflusse; so sehr sie auch dem Alligator und seinem europäischen Diminutiv, der harmlosen Eidechse gleichen, bilden sie doch ein vortreffliches Gericht. Muskowy-Enten, Papageien, Affen, Tauben und Fische; Ananas, Pomeranzen, Granatäpfel, Citronen, Bavarina, Plantanen, Liebesapfel, Abogadabirnen (bekannter unter dem Namen Subalternbutter) und eine Menge anderer Früchte sind auf einem Markte in Neuprovidence aufgethürmt, und um einen geringen Preis zu bekommen.

Von dem menschlichen Geschlechte gab es an Käufern und Verkäufern Schwarze, Braune und Blonde; von der weißesten Haut mit lichtblauen Augen und flächsenen Haaren bis zum pechschwarzen Sohn Äthiopiens; von der lieblichsten Form aus der Werkstätte der Natur bis zur ekelhaften Schlampe, deren schlotternde Brüste, gleich umgekehrten Flaschen, am Gürtel herabhingen, oder über die Schulter geworfen waren, um einem jungen Kobold Nahrung zu geben, der auf ihrem Rücken saß, wo er den lieben langen Tag hockt, während die Mutter alle Geschäfte im Felde, im Hause, oder auf dem Markte besorgt.

Die babylonische Verwirrung war gewiß nicht größer, als das Geschnatter auf einem westindischen Markte. Das laute unaufhörliche Geplapper der jungen und alten Negerinnen (denn schwarze Damen können ebenso gut reden, als weiße); das Geschrei der Kinder, Papageien und Affen; die schwarzen Knaben und Mädchen à la Venus, mit ihren weißen Zähnen und rothen Lippen, ihrer schwarzen Haut und ihren Elephantenbeinen bildeten ein Schauspiel, das wohl der Betrachtung werth ist; und seitdem die Dampfschiffe eine so große Geschwindigkeit erreicht haben, dürfte meines Erachtens eine Fahrt nach Westindien kein unangenehmer Ausflug für die ekeln ennuyes von Frankreich und England sein. Die Schönheit und Frische des Morgens, der klare Himmel und die Fröhlichkeit der Sclaven, denen unsere kranken Philantropen das Heil zu verkündigen meinen, indem sie ihnen Unzufriedenheit einflößen, würde den Leuten, welche Muße oder Geld genug haben, um die tropischen Inseln zu besuchen, die Mühen und Kosten einer Reise reichlich ersetzen.

Das entzückende und in der That unerläßliche Vergnügen des Badens ist in diesen Ländern besonders gefährlich. In den Untiefen läuft man Gefahr, von dem Stechrochen, einer Art Plattfische mit scharfem Stachel auf der Mitte des Schwanzes, gestochen zu werden, und die Wirkung der Wunde ist von so ernster Natur, daß ich einen Menschen gesehen habe, den sie beinahe achtundvierzig Stunden lang in eine Art von Wahnsinn versetzte. Im tieferen Wasser sind die Haifische nicht nur zahlreich, sondern auch gefräßig, und ich befriedigte ihren Hunger und meine Liebe zur Aufregung häufig durch den Ankauf einer todten Kuh, oder eines gefallenen Pferdes, die ich in's Schlepptau nahm und mit einem Schiffsseile und einem großen Steine vor Anker legte, um mich sodann von meinem Boote aus mit der Anspießung der gefräßigen Teufel zu belustigen, die sich um ihre Beute schaarten. Die Leser werden mich, wie ich fürchte, einer zu großen Vorliebe für die Erzählung von Abenteuern beschuldigen, die ich mit diesen unternehmenden Meerbewohnern bestanden, aber folgenden Zufall hören sie vielleicht nicht ohne Theilnahme.

Ich streifte an einem schönen Nachmittage mit Charles zwischen den Felsenklippen im Hintergrunde der Insel umher, und wir kamen an eine Stelle, wo uns die Ruhe des Ortes und die Klarheit des Wassers zum Baden einlud. Es war nicht tief; oben auf dem Vorgebirge konnten wir überall den Grund sehen. Unter der kleinen Landspitze, welche die entgegengesetzte der Bucht bildete, bemerkten wir eine Höhle, zu der man wegen der Abschüssigkeit des Ufers nur durch Schwimmen gelangen konnte. Wir beschloßen, sie zu untersuchen. Bald hatten wir den Eingang erreicht und waren von ihrer großartigen und wilden Schönheit bezaubert. Sie erstreckte sich, wie wir fanden, weit in die Felsen hinein und enthielt verschiedene natürliche Bäder, die wir alle untersuchten und immer kälter fanden, je weiter sie sich vom Eingange der Höhle entfernten. Die Fluth hatte offenbar freien Zutritt und erneuerte das Wasser alle zwölf Stunden. Harmlos gaben wir uns lange Zeit dem Vergnügen des Bades hin, riefen Acis und Galathea, Diana und ihre Nymphen, und erschöpften den ganzen Vorrath an classischer Gelehrsamkeit, der dem Schauplatze entsprach.

Endlich erinnerte uns die scheidende Sonne, daß es Zeit war, die Höhle zu verlassen, als wir in geringer Entfernung von uns den Rücken eines ungeheuren Haifisches auf der Oberfläche des Wassers und seine ganze Länge unter dem Spiegel desselben erblickten. Starr vor Schrecken sahen wir zuerst das Ungeheuer, dann einander selbst an, indem wir nur die einzige Hoffnung hatten, er werde sich bald entfernen und eine andere Beute aufsuchen; aber gleich einer Fregatte, die einen feindlichen Hafen belagert, schwamm er hin und wieder, und es war uns, wie es im letzten Kriege bei Brest und im Texel den Franzosen und Holländern gewesen sein mochte.

Ungefähr zehn bis fünfzehn Ellen kreuzte die Schildwache vor der Höhle, und wartete nur darauf, einen von uns, wo nicht alle Beide zu verschlingen, wie wir eine Krabbe oder eine Auster verschlucken. Indessen hatten wir durchaus nicht die Absicht, uns dem Feinde auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Vergebens sahen wir uns nach allen Seiten um Rettung um. Der Felsenüberhang war unersteiglich; die Fluth schwoll an, und die Sonne berührte den klaren blauen Rand des Horizontes.

Als Anführer behauptete ich etwas von Ichthyologie zu verstehen, und sagte meinem Gefährten, der Fisch könne eben so wohl hören, als sehen; je weniger wir also sprechen, desto besser sei es, und je bälder wir aus seinem Gesichtskreise uns zurückziehen, desto bälder werde er sich entfernen. Dies war die einzige Aussicht auf Rettung und eine höchst entfernte; denn der Andrang der Fluth würde es ihm bald möglich gemacht haben, in die Höhle einzudringen und zuzugreifen, da er mit der Oertlichkeit völlig bekannt schien und folglich wußte, daß wir uns auf keinem anderen Wege zurückziehen konnten, als auf dem wir gekommen waren. Wir begaben uns aus seiner Sehweite in den Hintergrund, und ich weiß nicht, ob ich je eine peinlichere Viertelstunde zugebracht habe. Ein Prozeß im Kanzleigerichte, oder sogar eine Frühlingskur in Newgate wäre Seligkeit gegen die Gefühle gewesen, die mir das Blut starren machte, als die Schatten der Nacht die Mündung unserer Höhle zu umdämmen begannen und das höllische Ungeheuer gleich einer Strompolizei vor der Thüre Wache hielt. Endlich sah ich den Rücken des Haifisches nicht mehr über dem Wasser. Ich bedeutete Charles durch ein Zeichen, daß wir coûte qui coûte schwimmen müßten; denn die Fluth nöthigte uns zum Ausfluge, weil sonst die Hinrichtung im Hause erfolgen mußte. Sorgfältig hatten wir jedes Wort vermieden, und schweigend drückten wir uns die Hände, als wir in's Wasser glitten. Wir empfahlen uns der Vorsehung (was ich für meinen Theil selten vergaß, wenn ich mich in drohender Gefahr befand), und griffen wacker aus. Ich muß bekennen, daß ich mich der Vernichtung nie gewisser glaubte; ich hatte selbst damals, als ich im Blute des armen Matrosen schwamm, noch mehr Hoffnung gehabt, weil die Haifische dort etwas zu ihrer Beschäftigung hatten, hier aber nur von uns in Anspruch genommen wurden und wir also den Vortheil ihrer ungetheilten Aufmerksamkeit genoßen. Mein Entsetzen war unbeschreiblich. Ich kann bisweilen in leichtfertigem Tone von dem Vorfalle schreiben, oder reden, aber so oft ich ihn meinem Geiste zurückrufe, zittere ich bei der bloßen Erinnerung an das furchtbare Schicksal, welches unvermeidlich schien. Mein Gefährte war in der Schwimmkunst nicht so erfahren als ich, und blieb einige Fuß hinter mir zurück, als ich ihn auf einmal einen schwachen Schrei ausstoßen hörte. Ich war überzeugt, der Hai hätte ihn ergriffen, und wandte mich um, aber es war nicht also: sein Zurückbleiben hatte seine Angst gesteigert und ihn veranlaßt, meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ich kehrte zu ihm zurück, schob ihn in die Höhe und sprach ihm Muth ein. Ohne meinen Beistand wäre er sicher gesunken. Meine Hülfe gab ihm neues Leben, wir erreichten wohlbehalten das sandige Gestade und waren unserem Feinde entwischt; wie ich vermuthet hatte, mußte er seinen Posten verlassen haben, als er nichts mehr von uns sah und hörte.

Auf der terra firma angekommen, lagen wir einige Minuten lang nach Athem ringend auf dem Sande, bevor wir eines Wortes mächtig waren. Welche Gedanken mein Gefährte hegte, weiß ich nicht; mein Herz war mit Dank gegen Gott erfüllt und erneuerte seine Gelübde der Besserung; und ich habe allen Grund zur Annahme, daß Charles, wenn er auch einer Sinnesänderung nicht so sehr bedurfte, als ich, in seinen Gefühlen völlig mit mir übereinstimmte. Wir wiederholten dieses Vergnügen später nie mehr, und ob wir gleich häufig von unserem Entrinnen sprachen und über unseren Schrecken spotteten, nahm doch unsere Unterhaltung bei dieser Veranlassung stets eine ernste Wendung; auch hege ich die gegründete Ueberzeugung, daß das Abenteuer uns Beiden sehr zum Frommen gereichte.

Ich war jetzt ein halbes Jahr auf diesen Inseln. Meine Gesundheit war vollkommen wieder hergestellt und ich sehnte mich nach aktivem Dienste. Die glänzenden Thaten unseres Contre-Admirals zu Washington riefen den Wunsch in mir hervor, die Ehre und den Ruhm meiner Waffenbrüder an der Küste von Nord-Amerika zu theilen, aber mein feindliches Schicksal schlug mich nach einer ganz entgegengesetzten Richtung.


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