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Sechzehntes Kapitel.

Seine Flammenwangen strafen
Seine glatte Zunge Lügen;
Aus den Schwachen macht er Sclaven,
Um dem Starken sich zu fügen.

Shelly

Sobald mein Vater meine Beförderung erlangt hatte, suchte er auch um eine Anstellung für mich nach, und nachdem er von der Admiralität das Versprechen ausgewirkt, wurde dieses im Widerspruche gegen tausend ihm vorangegangene und nachfolgende nur zu schnell erfüllt. Ich erhielt einen Brief von meinem Vater und mit derselben Post ein dringendes Schreiben von der Admiralität, welches mir eine Anstellung auf der Achtzehn-Kanonen-Brigg D – – – zu Portsmouth meldete und mir befahl, alsbald an Bord zu gehen und meinen Dienst anzutreten. Bald nachher fand ich, daß hier geheime Triebfedern gewirkt hatten, die ich aus Mangel an Erfahrung damals nicht gewahrte; die weisen Köpfe der beiden Papa's waren darin überein gekommen, daß eine Trennung zwischen beiden Liebenden unumgänglich nothwendig, und eine lange Zögerung für beide verderblich sei; kurz, daß von einer Vermählung keine Rede sein könne, bis ich meinen Rang erlangt haben würde.

Da der Leser ohne Zweifel mit der ganzen Sprache scheidender Liebenden vertraut ist, will ich seine Geduld nicht mit einer Wiederholung dessen prüfen, was schon zu oft wiederholt und dem Prinzen, wie dem Ackerknechte gleich bekannt ist. Ich könnte ebenso leicht auf den Gedanken kommen, des Teufels Punschbowle auf der Straße nach Portsmouth zu beschreiben, wo ich zwei Tage nach meiner Anstellung eintraf.

Ich stieg natürlich bei Herrn Billett im George ab, weil dies der Versammlungsort der Flottenaristokratie war und dem Admiralitäts-Büreau gegenüber lag. Die erste Person, welcher meine freundlichen Erkundigungen galten, war der Kapitän, den mir das Schicksal zugetheilt hatte, aber er herbergte nicht bei seinen Epaulettenbrüdern. Er wohnte nicht im George und speiste nicht in der Krone; er war nicht im Brunnen und nicht im Parade-Kaffee; auch die blauen Pfosten wußten nichts von ihm, aber im Stern am äußersten Ende von Portsmouthspitze konnte man von ihm hören. Doch auch dort wohnte er nicht; er blieb gewöhnlich an Bord. Das bedeutet nichts Gutes, dachte ich: mir gefallen die Kapitäne nicht, welche im Hafen an Bord bleiben; kein Schiff kann sich behaglich fühlen, denn man kann nicht thun, was man will, und darin besteht doch das eigentliche Leben eines Kriegsschiffes im Hafen. Ich ging in den Stern und fragte nach Kapitän G. Indessen hoffte ich nicht, ihn hier zu finden, denn seit undenklichen Zeiten ist dieses Haus der Sammelplatz der Unteroffiziere, Gehülfen und Midshipmen. Und dennoch war er hier. Ich schickte meine Karte hinauf und wurde vorgelassen. Er saß in einem kleinen Gemach und hatte ein Glas Grog, oder wenigstens die Ueberbleibsel eines solchen vor sich. Seine Füße ruhten auf dem Kamingitter, und auf dem Tische lagen verschiedene amtliche Schreiben, die er diesen Morgen erhalten hatte. Bei meinem Eintritt erhob er sich und zeigte mir einen kurzen, stämmigen Körperbau mit einer hübschen Vorlage, welche die Spanier bariga nennen. Diese Rundung wurde jedoch von einem so schönen Paar Atlasbeinen getragen, als je ein Sänftenträger in Bath führte. Sein Gesicht streifte an Schönheit, seine Züge waren regelmäßig, und auf seinen Lippen spielte ein gefälliges Lächeln, während sein Kinn mit einem tiefen Grübchen geschmückt war. Aber der merkwürdigste Theil seines Antlitzes war sein Auge; es war klein, aber durchdringend und schien das langgesuchte Disideratum einer unaufhörlichen Bewegung zu besitzen, denn es war ihm rein unmöglich, es auch nur einen Augenblick lang auf einen und denselben Gegenstand zu heften; dabei hatte er einen lauernden Ausdruck, den ich trotz meiner physiognomischen Kenntnisse nicht zu entziffern vermochte.

»Herr Mildmay,« sagte mein Vorgesetzter, »ich schätze mich außerordentlich glücklich, Sie zu sehen, und es freut mich um so mehr, weil Sie auf meinem Schiffe angestellt sind. Wollen Sie sich setzen?«

Als ich gehorchte, wandte er sich um und rieb sich die Hände, wie wenn er eben eine Seife weggelegt hätte; dann fuhr er fort: »Ich mache es mir stets zur Regel, bei meinen Kollegen Erkundigungen über den Charakter eines Offiziers einzuziehen, der zu mir an Bord kommen soll; es ist dies eine Vorsichtsmaßregel, die ich ergreife, weil ich der Ansicht bin, daß das Sprüchwort: >ein räudiges Schaf (?).< genau auf unseren Dienst anwendbar ist. Ich will gute Offiziere und vollendete Gentlemen um mich haben. Es gibt ohne Zweifel eine Menge Offiziere, die ihren Dienst auf's Beste verrichten und sich nicht das Mindeste zu Schulden kommen lassen, aber es gibt eine gewisse Art, seine Pflicht zu thun – ein modus in rebus, den sich nur der Gentleman eigen zu machen weiß; rohe Sitten, Flüche und Schimpfreden erregen Unzufriedenheit unter der Mannschaft, entehren den Dienst und sind deßhalb im zweiten Kriegsartikel weislich verboten. Unter solchen Offizieren arbeiten die Matrosen stets nur mit Widerwillen. Ich habe mir die Freiheit genommen, einige Erkundigungen über Sie einzuziehen, und kann nur so viel sagen, daß Ihnen Alles, was ich gehört habe, zur Ehre gereicht. Ich zweifle nicht, daß wir gut zu einander passen werden, und Sie können versichert sein, daß ich mir Mühe geben werde, es Ihnen so behaglich als möglich zu machen.«

Diese ebenso verständige, als höfliche Anrede erwiederte ich durch eine entsprechende Antwort. Dann eröffnete er mir, er wolle in den nächsten Tagen unter Segel gehen; der Offizier, den ich ersetzen solle, habe seinen Wünschen nicht durchaus entsprochen, wiewohl er ihn für einen höchst würdigen jungen Mann halte; in Folge dessen habe er eine andere Anstellung für ihn gesucht und erhalten, welche er sogleich antreten müsse; aber natürlich sei es nöthig, daß ich ihn zuvor ablöse. »Deßhalb,« fuhr er fort, »halte ich es für's Beste, Sie kommen Morgen früh um neun Uhr an Bord, damit ich Ihre Anstellung verlese, und nachdem dies geschehen ist, ersuche ich Sie, sich auf einige Tage als Ihren eigenen Herrn zu betrachten, da ich vermuthe, daß Sie noch einige kleine Anordnungen zu treffen haben, bevor wir unter Segel gehen. Ich weiß,« setzte er mit einem höchst gütigen Lächeln hinzu, »daß es viele kleine Bequemlichkeiten gibt, welche sich die Offiziere wünschen, wie z. B. die Einrichtung ihrer Kajüten, die Sorge für ihren Tisch und tausend andere namenlose Dinge, welche dazu beitragen, die Zeit zu kürzen und die Einförmigkeit des Seelebens zu unterbrechen. Seit vierzig Jahren schreite ich als Knabe und Mann auf den Planken des Königs einher, ob ich es gleich noch nicht weit gebracht habe, wie Sie aus dem Range, den ich begleite, und aus dem Leben, das ich führe, ersehen können. Anstatt mit meinen Kollegen in der Krone Claret zu trinken, sitze ich hier bei einem bescheidenen Glas Grog; aber ich habe zwei Schwestern zu unterstützen, und die Erfüllung meiner Bruderpflicht macht mir mehr Freude, als die Befriedigung meines Appetits, wiewohl ich auch ein Glas Claret nicht ausschlage, wenn es nicht in abschreckender Gestalt vor mir erscheint, d. h. wenn ich nicht dafür zu bezahlen habe, weil ich es nicht aufbringen kann. Jetzt bitte ich Sie, Ihre Zeit nicht länger zu verschwenden. Sie haben ohne Zweifel eine Menge Bekannte, die Sie noch zu sprechen wünschen, und was meine Fäden betrifft, so kann ich die ein andermal spinnen, um uns eine Wache zu kürzen, wenn wir sonst keine bessere Unterhaltung finden können. Mit diesen Worten reichte er mir seine Hand und drückte die meinige herzlich. »Morgen um neun Uhr,« wiederholte er, und sehr zufrieden mit unserer Unterredung verließ ich ihn.

Ich ging in meinen Gasthof zurück und pries mich glücklich, bei meiner ersten Anstellung einen so redlichen, biedern, freimüthigen britischen Helden und Kapitän gefunden zu haben. Vor allem bestellte ich mein Mittagessen im George und streifte dann in der Stadt umher, um meine Einkäufe zu besorgen und einige Artikel für den Seedienst zu bestellen. Ich traf einige meiner früheren Tischgenossen; sie wünschten mir zu meiner Beförderung Glück, und meinten, ich müsse ihnen einen Schmaus geben, um mein Patent einzuweihen, was ich gern bewilligte; der Tag wurde festgesetzt und die Mahlzeit bei Herrn Billet bestellt.

Nachdem ich allein gespeist hatte, schrieb ich meiner geliebten Emilie einen langen Brief, und unter dem Beistande einer Flasche Wein gelang es mir, ein ziemlich warmes und zärtliches Dokument abzufassen, welches ich siegelte, küßte und auf die Post sandte. Hierauf baute ich Schlösser in die Luft, bis die Zeit zum Schlafengehen heranrückte; in jedem derselben war Emilie die alleinige Gebieterin. Ich ging zu Bett und »that einen gesunden Schlaf.« Am andern Morgen um sieben Uhr war ich bereits mit einer funkelnagelneuen Uniform aufgeputzt, und eine ungeheure Epaulette paradirte auf meiner rechten Schulter. Nach eingenommenem Frühstück verließ ich meinen Gasthof und hielt mich für einen so schönen Burschen, als je einer mit einer Degenkoppel umgürtet war. Leichten und kühnen Fußes schritt ich Highstreet hinunter.

»Boot, Euer Gnaden?« rief ein Dutzend Stimmen auf einmal, als ich New-Sallyport erreichte; aber ich hatte beschlossen, daß Pointstreet eben sowohl mit meinem Anblicke beglückt werden sollte, als Highstreet. Ich beobachtete ein tiefes, geheimnißvolles Schweigen, und die Kahnführer folgten mir nach Point, wie ebenso viele Saugfische einem Hay. Unterwegs wurden mir zwei oder drei Anerbietungen zu freiwilligem Dienste unter mir gemacht, aber die Leute waren nicht vom rechten Schlag, weßhalb ich sie von mir wies.

»Boot nach Spithead, Euer Gnaden?« fragte ein ergrauter Schiffmann.

»Ja, das will ich!« rief ich, und sprang in den Kahn. Wir stießen ab.

»Zu welchem Schiffe, Ihr Gnaden?« fragte der Mann.

»Zu der Brigg D ...«

»So, dahin wollen Sie? Gehören Sie vielleicht zu diesem Schiffe?«

»Ja,« erwiederte ich.

Der Kahnführer seufzte, setzte sein Ruder ein und wir sprachen kein Wort mehr, bis wir an's Schiff kamen. Ich bedauerte sein Schweigen nicht; denn es war mir von jeher lieber, mich mit meinen Gedanken zu beschäftigen, als mit ungebildeten Leuten zu reden. Die Brigg war ein sehr schönes Fahrzeug; sie führte achtzehn Kanonen und saß auf dem Wasser, wie eine Ente. Ich sah den Strafwimpel aufgezogen: ein ungewöhnlicher Anblick zu Spithead; es muß ein schweres Verbrechen, vielleicht Diebstahl oder Meuterei vorgekommen sein. Die Leute sahen, daß ich ein Offizier war, und gestatteten mir die Anfahrt. Ich bezahlte den Kahnführer und entließ ihn. Als ich an der Schiffswand hinanklimmte, sah ich einen armen Teufel »nach den Sitten und Gebräuchen der Eingeborenen« am Gitter ausgestreckt, während Kapitän, Offiziere und Mannschaft als Zeugen der athletischen Gewandtheit eines Bootsmannsgehülfen umherstanden, der nach den ebenmäßigen, gleichlaufenden und tiefen Spuren seiner Katze auf dem weißen Rücken und Schulterblatte vollkommen Meister seines Geschäfts schien. Dies alles überraschte mich nicht, denn ich war daran gewöhnt; aber nach der Rede, die ich am vorhergehenden Tage vom Kapitän gehört hatte, überraschte mich die Sprache, die ich jetzt vernehmen mußte, und die eine unmittelbare Verletzung des zweiten Kriegsartikels war.

Flüche und Verwünschungen strömten mit einer Geläufigkeit über seine Lippen, an welcher sich die vollendetste Dame der Halle nicht zu schämen gehabt hätte.

»Bootsmannsgehülfe,« brüllte der Kapitän, »thut Eure Schuldigkeit, oder bei Gott ich lasse Euch binden und vier Dutzend aufmessen. Verfluchter Hurensohn, man sollte glauben, Ihr wedelt Fliegen von einer schlafenden Venus, statt einen Halunken zu züchtigen, der ein Fell hat, wie ein Büffelochse, Gott verdamme ihn – thut Eure Pflicht, Bursche, verflucht sei Eure Seele.«

Während dieser zierlichen Anrede hatte der unglückliche Verbrecher vier Dutzend furchtbarer Hiebe erhalten, welche der Geschützmeister laut herzählte und dem Kapitän angab. »Ein anderer Bootsmannsgehülfe!« rief er. Mit einem flehenden Blicke drehte der Gepeinigte seinen Kopf über die Schultern, aber es war vergeblich. Ich beobachtete das Gesicht des Kapitäns, und jenen besonderen Ausdruck, den ich bei unserem ersten Zusammentreffen nicht zu entziffern vermocht hatte, konnte ich jetzt deutlich lesen. Es war teuflische Grausamkeit und Lust an der Marter seiner Mitmenschen. Er schien an der gehässigen Operation, die wir mit ansehen mußten, ein entsetzliches Vergnügen zu finden. Der zweite Bootsmannsgehülfe erschien mit einer frischen Katze und versetzte dem Gefangenen einen Streich über den Rücken, der mir das Blut erstarren machte.

»Eins,« rief der Geschützmeister, mit dem Zählen begriffen.

»Eins!« brüllte der Kapitän; »nennt ihr das eins? nicht ein Viertel ist's. Der Bursche taugt zu nichts, als zu einem Fliegenwehrer an einer Fleischbude! Zum Teufel mit Euch, verdammtes Milchgesicht; heißt das eine Katze führen, wenn Ihr ihm nur den Staub von dem Rücken wischet? Wo ist der Bootsmann?«

»Hier,« rief ein vierschrötiger, riesenhafter, linkhändiger Bursche mit einem großen blauen Uniformsrocke und einem einfachen Ankerknopfe, der mit dem Hut in der Linken vortrat, indem er sich mit der Rechten das Haar aus der Stirne strich. Ich betrachtete diesen Mann, als er sich umwandte, und zog den Schluß, daß sein Schneider mit einer Probe seiner Kunst bedroht worden wäre, wenn er ihn im Tuche verkürzt hätte, denn seine Rockschöße waren außerordentlich breit und endeten in eine geneigte Ebene, indem die vorderen Ecken weit niederer waren, als der hintere Theil des Rockes; die Knöpfe an der Taille waren beinahe eine Pistolenschußweite von einander entfernt.

»Gebt dem Burschen ein Dutzend, sagte Kapitän G., »und wenn Ihr ihn begünstiget, so stecke ich Euch ein und lasse Euch keinen Branntwein verabreichen.«

Der zweite Theil der Drohung brachte bei Herrn Pipes eine größere Wirkung hervor, als der erste. Er schalte sich, wie die Boxer sagen, d. h. er legte seinen ungeheuren Rock ab, zog eine rothe Weste aus, welche für einen Ochsen auf dem Smiethfeldmarkte Raum genug gehabt hätte, knöpfte dann eine schwarzseidene Halsbinde los und zeigte eine Kehle, die, wie bei einer Ziege mit langen braunen Haaren, so dick wie Packfäden bedeckt war. Hierauf stülpte er seine Hemdärmel über die Ellbogen und zeigte einen Arm, wie der farnesische Herkules, den ohne Zweifel meine sämmtlichen Leser am Fuße der Treppe von Somersethouse gesehen haben, wenn sie bei der Ausstellung zugegen gewesen sind.

Dieser hoffnungsvolle Ausleger der Kriegsartikel ergriff seine Katze, deren Stiel zwei Fuß lang, sieben Viertelfuß dick, und mit rothem Wollenzeug überzogen war. Die furchtbare Waffe hat neun Schwänze, von denen jeder drei Fuß maß und die Stärke der Schnüre hatte, womit die Federn eines Reisewagens umwickelt sind. Herr Pipes, dessen scientivische Kenntnisse in diesem Theile seines Berufes ihm ohne Zweifel die Stelle eines Bootsmanns verschafft hatten, kraft welcher er jetzt als Rächer der Gesetze seines Vaterlandes dastand, handhabte seine Katze wie ein Adept. Er betrachtete sie von oben bis unten, kämmte ihre Schwänze mit seinen zarten Fingern, streckte sein linkes Bein vor – denn er war eben sowohl linkbeinig, als linkhändig – maß seine Entfernung mit dem geübten Auge eines Ingenieurs, hob seine Katze mit der Linken hoch in der Luft, während er mit der Rechten noch die Enden der Schwänze hielt, als wollte er ihre Ungeduld zeigen, gab seinem Arme und Körper einen Schwung, der einen Dreiviertelskreis beschrieb, und versetzte dem unglücklichen Verbrecher einen furchtbaren Hieb auf den Rücken. Diese Probe schien den gefühlvollen Kapitän zu befriedigen; er beantwortete den fragenden Blick des sentimentalen Bootsmannes mit einem Winke des Beifalles. Der Arme verlor durch die Gewalt des Streiches den Athem, und da die Katzenschwänze jetzt von einer anderen Richtung fielen, als bei den ersten vier Dutzend, zerschnitten sie das Fleisch in Rauten, so daß bei jedem Streiche das Blut hervorspritzte.

Um die Gefühle meiner Leser zu schonen, unterlasse ich es, den Zustand des Unglücklichen zu schildern; sogar nach einem so langen Zeitraume schaudere ich noch und klage bitter über die peinliche Notwendigkeit, in die ich mich oft versetzt sah, eine ähnliche Strafe zu verhängen; aber ich hoffe und vertraue, daß es nie ohne Ursache oder zur bloßen Schaustellung willkürlicher Gewalt geschah.

Nachdem das letzte Dutzend aufgezählt war, meldete der Geschützmeister die Gesammtsumme »fünf Dutzend.«

»Fünf Dutzend!« wiederholte Kapitän G..; »es ist genug – bindet ihn los und nun, Sir,« sprach er zu dem Ohnmächtigen, »hoffe ich, werdet Ihr Euch das zur Warnung dienen lassen, daß Ihr nicht mehr auf mein Hinterdeck spuckt, wenn Ihr wieder Euern bestialischen Mund reinigen wollet.«

»Himmel,« dachte ich, »das Alles, weil er auf das Hinterdeck spuckte? Und zwar von demselben Moralisten, der gestern nichts von Schwüren und Verwünschungen wissen wollte, und in den letzten zehn Minuten mehr Gotteslästerungen ausstieß, als ich in den letzten zehn Wochen gehört habe?«

Des Kapitäns Augen waren noch nicht auf mich gefallen – seine Unterhaltung nahm ihn zu sehr in Anspruch. Als der Gefangene losgebunden war, befahl er, die Mannschaft hinunterzupfeifen, d. h. mit andern Worten, zu ihren gewöhnlichen Beschäftigungen zu entlassen. In diesem Augenblicke trat ich zu ihm und berührte meinen Hut.

»Ah, Sie sind angekommen? Pfeift sie wieder zusammen; die ganze Mannschaft auf's Hinterdeck.«

Meine Bestallung wurde verlesen, und aus Ehrfurcht vor dem Souverän, in dessen Namen sie ausgestellt war, waren alle Köpfe entblöst. Durch diese feierliche Einsetzung war ich zum zweiten Lieutenant der Schaluppe erhoben. Ohne mich weiter eines Wortes oder Blickes zu würdigen, gab der Kapitän den Befehl zur Bemannung seines Gigs, um an's Land zu gehen. Er stellte mich keinem der Offiziere vor, ob es ihm gleich schon die gewöhnliche Höflichkeit geboten haben würde; indessen wurde diese Versäumniß von dem ersten Lieutenant eingebracht, welcher mich in die Constabelkammer einlud, um mich bei meinen neuen Tischgenossen einzuführen. Wir überließen das Hinterdeck dem Tiger zum Auf- und Abschreiten.

Der erste Lieutenant war von mittlerer Statur, einer angemessenen Größe für eine Kriegsschaluppe und einem hageren Körperbau. Sein Alter mochte gegen vierzig Jahre betragen. Er hatte nur Ein Auge, und dieses eine Auge war so seltsam in seiner Art, als die beiden Augen des Kapitäns; aber im Gegensatze gegen die letzteren lag ein unendlicher Schatz von Humor darin, und wenn er es rasch bewegte, was fast unaufhörlich geschah, war es beinahe sprechend! nie sah ich drei solche Augen in zwei solchen Köpfen. Ein lauerndes Lächeln spielte in den Zügen des Lieutenants, als ich ihm mittheilte, der Kapitän habe gewünscht, daß ich an Bord komme, um meine Bestallung verlesen zu lassen, und mir dann zwei bis drei Tage freigegeben, um mich für die Seereise einzurichten.

»Nun,« sagte er, »es wird gut sein, wenn Sie jetzt zu ihm gehen und ihn fragen; aber Sie werden einen sonderbaren Kauz in ihm finden.«

Ich ging hinauf. »Haben Sie etwas dagegen, Sir, wenn ich an's Land gehe?«

»An's Land, Sir!« belferte er; »und wer Teufels soll den Dienst verrichten, wenn Sie an's Land gehen? An's Land, he? Ich wollte, es gäb' gar kein Land, und dann straf' Gott den Hund, der nicht schwimmen könnte! Nein, Sir; Sie haben Land genug gehabt. Der Dienst geht zum Teufel, Sir! Eine Rotte Buben mit Lieutenantspatenten, ehe sie die Ammenstube hätten verlassen sollen! Nein, Sir, Sie bleiben an Bord, oder ich will verdammt sein, wenn ich Sie nicht wie eine Eierschale zerbreche, bevor noch diese schöne neue Epaulette ihren Glanz verloren hat! Nein, nein, bei Gott; nicht mehr Katzen hier, als der Mäusefang erfordert. Sie bleiben an Bord und verrichten ihren Dienst. Jedermann thut seinen Dienst hier, und ich will den Hundsfott sehen, der ihn nicht verrichtet!«

Ob ich gleich einigermaßen auf diese seine Rede vorbereitet war, hatte doch mein Geist noch Raum genug, um eine große Verwunderung über diesen plötzlichen Temperaturwechsel in sich aufzunehmen. Ich erwiederte, daß er mir gestern Urlaub versprochen, und daß ich im Vertrauen auf dieses Versprechen meine sämmtlichen Habseligkeiten auf dem Lande zurückgelassen habe, also keineswegs dazu vorbereitet sei, in See zu gehen.

»Ich versprach Ihnen Urlaub, sagen Sie? Nun, es ist möglich; aber es geschah blos, um Sie an Bord zu locken. Ich kenne euere Schliche, ihr verdammten jungen Bursche; wenn ihr an's Land geht, hat man euch gesehen. Nein, nein, >den Teufel halte, wer ihn hält; er wird ihn nicht zum zweiten Mal fangen< – Sie hätten sich vor drei Tagen nicht blicken lassen, wenn ich die Pille nicht überzuckert hätte. Nun ich Sie habe, will ich Sie auch halten; Gott verdamme meine Augen!«

Ich wiederholte meine Bitte um die Erlaubniß, an's Land zu gehen, aber ohne sich herabzulassen, mir weitere Gründe anzugeben, erwiederte er:

»Ich will Sie lieber verdammt wissen, Sir! Und merken Sie sich's, ich dulde keinen Widerspruch. Nichts macht mir mehr Vergnügen, als meine Offiziere in allen vernünftigen Dingen zu verpflichten; aber nie dulde ich eine Gegenrede.«

»Du bist gewiß der Hölle entlaufen,« dachte ich bei mir selbst, »und es ist mir unbegreiflich, wie das Reich der Finsterniß ohne dich regiert werden kann. Du hättest einen der sinnreichsten Quälgeister für die Verdammten abgegeben. Domitian würde dich zu seinem Admiral und deinen Bootsmann zu seinem Flottenkapitän gemacht haben.«

Während ich diese Betrachtungen anstellte, ging ich ein paarmal auf dem Verdeck auf und ab, und dachte darüber nach, was wohl hier zu machen sei, denn ich wußte, »daß der König niemals Unrecht thun kann.« Da kam der Offizier, an dessen Stelle ich getreten war, durch die Hauptlucke herauf, berührte ehrfurchtsvoll seinen Hut vor dem Kapitän und fragte, ob er an's Land gehen dürfe.

»In die Hölle können Sie gehen und verdammt sein, Sir,« versetzte der Kapitän, der die Rohheit der Sprache haßte; »Sie sind nicht im Stande, einem Bären das Fressen zu bringen; Sie verdienen das Salz an Ihre Suppe nicht, und je schneller Sie fortkommen, desto eher wird das Schiff rein! Glotzen Sie mich nicht so an, wie der Ochse das Thor! Machen Sie, daß Sie fortkommen, und packen Sie Ihre Lumpen zusammen, oder ich will Ihnen den Weg erleichtern!« Mit diesen Worten erhob er seinen Fuß, als wollte er ihm einen Tritt versetzen.

Der junge Offizier, ein sanfter, gebildeter und muthiger Jüngling, that, wie ihm befohlen war. Mein Erstaunen kannte keine Gränzen. Ich war gewohnt, mit Leuten von Bildung umzugehen. Wenn ich auch von Preß-Drillern, Schiffsdespoten und Fluchmäulern von Kapitänen gehört hatte, sah ich jetzt doch Alles übertroffen, was ich mir je vorstellen konnte, und glaubte, dieß sei weit mehr, als irgend ein Offizier von Ehre dulden könnte. Empört über das Benehmen des Kapitäns, und fest entschlossen, mich nicht auf diese Weise behandeln zu lassen, trat ich wieder vor ihn und bat um Erlaubniß, an's Land zu gehen.

»Sie haben Ihre Antwort erhalten, Sir.«

»Ja, Sir, ich habe sie erhalten,« erwiederte ich, »und zwar in einer Sprache, die ich nie zuvor auf Seiner Majestät Hinterdeck vernommen habe; als Offizier und als Mann von Bildung bin ich an Bord dieses Schiffes gekommen, und als solcher will ich behandelt sein.«

»Meuterei, bei Gott!« brüllte der Kapitän, »pochen auf ihr neues Patent, ehe die Tinte trocken ist.«

»Sie mögen's nennen, wie Sie wollen, Sir,« erwiederte ich; »aber ich werde einen Brief an den Hafenadmiral schreiben, worin ich ihm die Verhältnisse auseinandersetze und um Urlaub nachsuche; und Sie werde ich bemühen, diesen Brief zu befördern.«

»Ich will verdammt sein, wenn ich's thue,« versetzte er.

»In diesem Falle, Sir,« erwiederte ich, »werde ich das Schreiben, dessen Beförderung Sie in Gegenwart aller Offiziere und der ganzen Schiffsmannschaft verweigert haben, unmittelbar befördern und Sie nicht bemühen.«

Der letzte Pfeil schien dieselbe Wirkung auf ihn hervorzubringen, wie der letzte Ringschlag auf einen unterliegenden Boxer; er verlor die Fassung, murmelte etwas vor sich hin, und ging die Schiffstreppe hinunter in seine Kajüte.

Der erste Lieutenant trat zu mir und wünschte mir Glück zu meinem Siege. »Sie haben den Bären gebändigt und geknebelt,« sagte er; »schon lange vermißte ich einen Beistand, wie Sie. Wilson, der uns jetzt verläßt, ist der beste Mensch, der je gelebt hat; aber obgleich vor dem Feinde tapfer, wie ein Löwe, läßt er sich von diesem eingefleischten Teufel in's Bockshorn jagen.«

Unsere Unterhaltung wurde durch eine Botschaft vom Kapitän unterbrochen, welcher mich in seiner Kajüte zu sprechen wünschte. Ich ging hinab. Er empfing mich mit dem wohlwollenden Lächeln unseres ersten Zusammentreffens.

»Herr Mildmay,« sprach er, »ich nehme stets einen etwas rauhen Ton gegen meine Offiziere an, wenn sie zum ersten Male an Bord kommen (»auch wenn sie zum letzten Male an Bord sind,« setzte ich in Gedanken hinzu), nicht nur, um ihnen zu beweisen, daß ich Kapitän auf meinem Schiffe bin und es sein will, sondern auch um der Mannschaft ein Beispiel zu geben, die mit ihrem Loose zufriedener ist und bereitwilliger gehorcht, wenn sie sieht, was die Offiziere zu dulden haben; aber, wie ich Ihnen früher gesagt habe, ist meine erste Sorge, es meinen Offizieren so bequem als möglich zu machen – von Herzen gern erlaube ich Ihnen, an's Land zu gehen, und Sie haben vierundzwanzig Stunden Urlaub, um Ihre Bedürfnisse herbeischaffen zu lassen.«

Ich gab keine Antwort, berührte meinen Hut und verließ die Kajüte; denn ich fühlte eine solche Verachtung gegen den Menschen, daß ich aus Furcht, über die Schranken zu treten, nicht sprechen durfte.

Bald darauf verließ der Kapitän das Schiff und sagte dem ersten Lieutenant, ich hätte Erlaubniß, an's Land zu gehen. Ich hatte jetzt Zeit und Muße, mit meinen Leidensgefährten Bekanntschaft zu machen, und nichts erweckt mehr Vertraulichkeit, als gemeinschaftliches Elend. Meine Widersetzlichkeit gegen das rohe Benehmen unsers gemeinsamen Zuchtmeisters hatte ihnen gefallen; sie sagten mir, welch' ein Tyrann und Schandfleck für den Dienst er sei, und bedauerten es unendlich, daß ihm der Befehl eines so schönen Schiffes, oder überhaupt irgend eines Schiffes, mit Ausnahme eines Deportations-Fahrzeuges, anvertraut werde. Was sie von ihm erzählten, grenzte an's Unglaubliche, und nur die gegründete Ueberzeugung, daß ein Offizier, welcher seinen Kapitän vor ein Kriegsgericht zieht, für immer in's schwarze Register kommt und, wie die Erfahrung lehrt, nie mehr eine Beförderung zu hoffen hat, konnte diesen Menschen vor der so reich verdienten Strafe schützen; kein Offizier, sagten sie, sei länger als drei Wochen im Schiffe geblieben, und sie hätten alle um Versetzung nachgesucht.

Bei meinem Berichte über die Vorfälle, die ich auf diesem Schiffe erlebte, muß ich zur Rechtfertigung der Kapitäne und Commandeure von Seiner Majestät Flotte bemerken, daß dieser Fall einzig in seiner Art war. Ein Charakter, wie der des Kapitän G.., war damals eine seltene Erscheinung in der Flotte, und wird aus Gründen die ich später anführen werde, in Zukunft eine noch seltenere sei. Der erste Lieutenant sagte zu mir, daß ich sehr weise gehandelt habe, mich gleich anfangs der ungebührlichen Ausübung seiner Macht zu widersetzen; denn er sei nicht nur ein Tyrann und Großsprecher, sondern auch eine Memme, und werde sich wohl hüten, mich wieder anzugreifen. »Aber nehmen Sie sich in Acht,« fuhr er fort, »er wird Ihnen nie vergeben, und wenn er am süßesten thut, so haben Sie seine Tücke am Meisten zu fürchten. Er wird Sie in Sicherheit einschläfern und, wenn er Sie irgendwie fassen kann, vor ein Kriegsgericht stellen. Sie thun am besten, sogleich an's Land zu gehen, Ihre sämmtlichen Geschäfte in Ordnung zu bringen, und wo möglich noch vor Ablauf der Frist wieder an Bord zu kommen. Nur Ihre Drohung, an den Hafenadmiral zu schreiben, hat Ihnen den Urlaub ausgewirkt, ihm haben Sie nicht dafür zu danken; wenn er es wagen würde, hätte er Sie an Bord behalten. Ich habe das Schiff noch nie verlassen, seit ich es zum erstenmal betreten, und nie ist ein Tag vergangen, an dem ich nicht einen Auftritt erlebt hätte, wie Sie ihn diesen Morgen mit angesehen haben. Dessenungeachtet,« fuhr er fort, »wenn nur seine Grausamkeit gegen die Matrosen nicht wäre – er ist der unterhaltendste Lügner, den ich je gehört habe. Ich fühle oft mehr Neigung, über ihn zu lachen, als zu zürnen; er hat eine reiche Ader an Witz und Laune, welche sich durch sein ganzes Wesen zieht und ihn nie verläßt. Selbst seine Tücke hat etwas Drolliges, und wenn wir nicht von ihm loskommen können, so müssen wir das Beste aus ihm machen, was möglich ist.«

Ich ging an's Land, holte meine Kleider und übrigen Bedürfnisse und war des andern Morgens vor acht Uhr wieder an Bord. </leer>


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