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21. Kapitel.
Ein gefoltertes Gewissen


Ein beflecktes Gewissen verursacht die Qualen der Hölle.

An einem eiskalten Nachmittag der ersten Tage des Jahres 1532 saß Georg Maltzan in seinem Studiergemach über einen dicken Folioband gebeugt, in dem er mit gespanntester Aufmerksamkeit las. Kein Mäuschen rührte sich, nur die Uhr an der Wand ging im alten Geleise, und die Glut knisterte im Kamin. Draußen fiel der Schnee in großen Flocken langsam und ruhig vom Himmel und deckte sein weißes Tuch über die Erde. Schon dunkelte es, drüben im Hause des Ratsherrn schimmerte Licht im Wohngemach, aber Georg Maltzan merkte nicht die Schatten des hereinbrechenden Abends und las und las. Es war Doktor Luthers Übersetzung des neuen Testaments.

Da klopfte es leise an der Thür, er fuhr empor wie aus tiefem Traum und öffnete. Vor ihm stand der Wirt einer Schänke, der sich zunächst mit vielen Bücklingen entschuldigte, daß er es wagte, den Herrn zu belästigen. Der Junker unterbrach den Redeschwall des Mannes und nötigte ihn in sein Gemach, wo er ihn nach seinem Begehr fragte.

»Seit einigen Tagen habe ich einen Franziskaner zur Herberge,« berichtete dieser, »ein wunderlicher Kauz, redete das verworrenste Zeug durcheinander und malte sich die ganze Hölle an die Wand, die fortwährend hinter ihm drein sei, meinte er. Schließlich blieb er ganz in seiner Kammer, und wie ich hingehe, liegt er auf seinem Lager in glühendem Fieber. Einen Arzt wollte ich ihm holen, aber nichts wissen wollte er von dergleichen, nur Euren Namen nannte er wieder und wieder und hat mich gedrängt, zu Euch zu gehen und Euch zu bitten, zu ihm zu kommen. Ich habe versucht, es ihm auszureden, weil ich den vornehmen Herrn nicht belästigen wollte, aber er hat nicht abgelassen und mir am Ende gar gedroht, ich lüde ein Unrecht auf mich, wenn ich nicht ginge, er hätte Euch etwas zu sagen, und es wäre bald aus mit ihm. Den Willen eines Sterbenden müßte ich erfüllen! Glaub's nun freilich noch lange nicht, daß der Pfaff schon so dicht vor der Himmelsthür steht,« fuhr er, vertraulicher werdend, fort, »wenn eins aus dem letzten Loch pfeift, so schaut's doch noch anders drein, aber den hält was anderes beim Kragen!« flüsterte er mit verschmitztem Lächeln. »Das Ding da drin, was so schlägt, wenn's nicht ganz richtig drin aussieht, weil man mit den zehn Geboten was versehen hat, das hat ihn gepackt, und wenn dann ein Fieber dazu kommt, dann sind die Bilder vom jüngsten Tag und vom Gericht wie von selber da. Ich habe ja keine Erfahrung in dergleichen Dingen,« schloß er salbungsvoll, »habe mein Lebtag als ein ehrbarer Mann gehandelt und gewandelt, aber man hört doch dergleichen unter den Nachbarn.«

Dieser Lobgesang auf das liebe Ich wäre noch lange fortgeführt worden, hätte nicht Georg Mantel und Barett ergriffen und den redseligen Mann aus dem Gemach gedrängt. Auf der Straße angelangt, sprudelte das Bächlein freilich von neuem, aber der Weg war nicht lang, in einer kleinen Straße hinter dem Heiligen Geisthof machten sie Halt, und der Wirt lud seinen vornehmen Gast unter wiederholten Bücklingen und Versicherungen seiner Unwürdigkeit ein, die ausgetretene Schwelle seiner verräucherten Herberge zu betreten. Einige Fischer und Fuhrknechte saßen in der Schankstube und pafften aus ihren kurzen Pfeifen den blauen Dampf in den von einer trüben Öllampe matt erleuchteten Raum, während ein flinkes Mädchen mit braunen Augen sie bediente. Verwundert blickten die Leute auf den vornehmen Gast, den der Wirt an ihnen vorüber durch einige dunkle Räume eine kleine Treppe hinaufführte. Leise öffnete er oben eine Thür – sie waren am Ziel.

Der Wirt blieb jetzt zurück, und Georg betrat die Kammer. Ein Ausruf des Erstaunens entfuhr seinen Lippen: Auf dem ärmlichen Lager lag dürftig bekleidet Florian Sylvester. Zögernd trat er näher; wie ein Märlein wollt's ihm scheinen, daß der Mann, der einst so stolz erhobenen Hauptes sein Beichtbekenntnis gehört, heute bittend zu ihm kam. Mit hochrotem Antlitz lag der Mönch auf dem Lager, von seiner Kutte und einer alten Decke, die wohl aus besseren Zeiten stammen mochte, bedeckt. Als Georg eintrat, richtete er sich auf und begrüßte den Junker.

»Gottes Segen über Euch, daß Ihr gekommen seid, gnädiger Herr! Zur Hölle muß ich, wenn mir niemand aus der Not hilft. Mein Gott, daß ich all' die Jahre hindurch blind gewesen bin über mich und die Sünden, die ich gethan, und Unheil über Unheil stiften mußte!« Verzweifelt schlug er sich vor den Kopf und stöhnte laut. »Und nun das unschuldige Blut – was hab' ich gethan!« Heulend vergrub er das Gesicht in die Kissen. »Wenn's schon zu spät wäre!« –

»Aber so redet doch,« drängte Georg, in dessen Seele bei diesen Worten eine böse Ahnung aufstieg.

Der Alte aber krümmte sich wie ein Wurm, jetzt, wo er davorstand, seine Sünden zu beichten, und die Möglichkeit einer Strafe ihm vor Augen trat, verlor seine feige Seele das bißchen Willenskraft, das sie noch besaß – die Beichte erschien ihm schier unmöglich. Georg aber erkannte, daß dieselbe ohne ein aufrüttelndes Worte immer vom Stapel laufen würde, und so kam er, da er sah, daß hier keine Zeit zu verlieren war, dem armen Sünder zu Hilfe.

»Donnerwetter, wird's bald,« rief er, mit der Faust auf den neben ihm stehenden Tisch schlagend, »meint Ihr, ich sei gekommen, um Euer Geplärr mit anzuhören? Augenblicklich sagt mir, was Ihr auf dem Herzen habt, oder der Teufel hole Euch und Eure Beichte.«

Der Alte fuhr erschrocken zusammen, vor einem so thatkräftigen Beichtvater hatte er sein Lebtag noch nicht gestanden. Dann brachte er mit vielen Unterbrechungen, zitternd und bebend wie Espenlaub, sein Sündenbekenntnis hervor: wie er Ilsabe gehaßt, weil sie ihm von klein auf widersprochen, wie er ihr nach jenem Auftritt im Walde Rache geschworen und nun dieselbe ausgeführt und die Jungfrau in die Hände eines Mannes überliefert habe, der sie wohl kaum lebend freigeben würde. Nach dieser letzten dunklen That, die ja ohnehin durch den Mord des alten Valentin in Blut getaucht war, hatte ihn das böse Gewissen gepackt und ihm keine Ruhe gelassen, bis er sein Bekenntnis vor dem abgelegt, von dem er vielleicht noch eine Hilfe für sein unglückliches Opfer erhoffen konnte.

Mit weit geöffneten Augen hatte Georg seinem Bericht zugehört, jetzt packte er den Mönch am Arm und rief: »Wann habt Ihr sie nach Neubrandenburg gebracht?«

»In der Silvesternacht,« heulte der Alte.

»Und dann habt Ihr das Weite gesucht?«

»Ja,« antwortete er kleinlaut.

»Pfaffenpack!« entfuhr es dem Munde des Junkers, dann stürmte er, ohne noch länger das Gewinsel seines Beichtkindes mit anzuhören, aus der Thür, die Treppen hinab, in den Winterabend hinaus. Noch nie war er so im Sturmschritt durch die Straßen der alten Seestadt geeilt – nicht rechts, nicht links blickte er, nur vorwärts ging's in wilder Hast. Vor dem Hause eines Pferdehändlers machte er Halt und schlug laut mit dem Eisen gegen die verriegelte Thür. Der Besitzer öffnete ihm und lud den Junker ehrerbietig ein, hereinzukommen; aber er dankte dem Mann und bat ihn, ihm für hohen Lohn ein starkes, schnelles Roß zu leihen. Einen weiten, eiligen Ritt müsse er machen – wenn das Tier dabei drauf ginge, wolle er es ihm später vergüten. Der Händler kannte ihn und seine ganze Sippe, trug doch manch' Rößlein aus seinem Stall einen Sproß aus diesem Geschlecht, und so neigte er zustimmend das Haupt bei der Bitte des Maltzan. Bald darauf saß dieser im Sattel und ritt aus Rostocks Thoren hinaus.

Spät war's geworden; schon blitzten die Sterne am Abendhimmel, eilig wanderten verspätete Bürger durch den Schnee, um vor Thorschluß heimzukommen. Bald darauf gemahnten Sankt Peters Glocken den Schließer seines Amtes, und die Thore der Stadt Rostock schlossen sich hartherzig hinter dem Juden, dem das Recht der Nachtruhe im Weichbilde der Seestadt fehlte. Einen unausgesprochenen Fluch in der Seele kehrte ihr der Sohn Israels den Rücken, um zwölf Stunden später wieder mit tiefer Unterwürfigkeit an ihren Thoren zu klopfen.

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