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6. Kapitel.
Werke der Finsternis


So lang die finstre Macht der Hölle
Ihr flammend rotes Zepter schwingt,
So lang die Sünde herrscht auf Erden,
Ist ihre Saat mit Blut gedüngt.

Das Glöcklein des Franziskanerklosters zu Neubrandenburg hatte eben die Brüder zur Abendmahlzeit gerufen, als ein Mönch an der Pforte Einlaß begehrte. Er trug die Tracht der Augustiner Bettelmönche, die schwarze Kutte mit Kapuze und ledernem Gürtel über dem weiß-wollenen Gewande. Sein Aussehen war ein liederliches, auf den häßlichen Zügen lag ein gewöhnliches, grausames Lächeln, und die kleinen, schwarzen Augen sahen listig und vorsichtig unter den dünnen Brauen hervor. Seltsam kontrastierte die geistliche Gewandung mit diesen Zügen – der Mönch hatte etwas Teuflisches im Blick.

Der Pförtner that ihm auf, und wenige Augenblicke später stand er in einem weiten Gemach vor dem Prior des Klosters, der, bei einem Glase Wein sitzend, in einem Buch blätterte. Er schien den Mönch erwartet zu haben, denn er empfing den mit widerlicher Unterwürfigkeit vor ihn Kommenden mit den Worten: »Wahrhaftig, Benedikt, ich dachte schon, man hätte dich für ein Hexlein gehalten und in Penzlin verwahrt! Nun, was lange währt, wird gut! Sag' an, was bringst du?«

Die lauernden Augen des Augustiners sahen sich vorsichtig im Gemach um, dann trat er dicht vor den Prior hin und flüsterte grinsend: »Ob ich was bringe, hochwürdiger Herr! Eine Geschichte, wie Ihr sie nicht erwarten werdet – aber, was empfang' ich an Lohn?«

Der Prior, von seiner Unverschämtheit unangenehm berührt, wollte ihm eine zurechtweisende Antwort geben, aber er war sich wohl bewußt, daß sein eignes Auftreten, wie seine Handlungsweise in dieser Sache ihn nicht berechtigten, Achtung und Ehrerbietung zu verlangen, und so siegte, da er um jeden Preis das Erlebnis des Mönchs erfahren wollte, die Klugheit über die Ehre. Er warf ihm eine Silbermünze hin.

Der Augustiner betrachtete sie. »Das reicht nicht, Hochwürden.«

Der Prior gab ihm ein zweites Geldstück und rief ärgerlich: »Nun aber fang an, ich habe nicht lange Zeit!«

Der Mönch sah, daß er den Prior nicht reizen durfte und sagte: »Ja, ja, Hochwürden, das ist eine saubere Geschichte. Also, ich ging am Burggarten zu Penzlin vorüber, da sah ich oben unter der Linde ein junges Weib in Witwentracht sitzen, ein Kindlein neben sich in der Wiege; und wie ich mich heranschleiche und näher Hinblicke, da sitzt der Bruder Laurentius neben ihr. Ich ging also bis dicht hinter den breiten Stamm, und da hab ich denn die ganze Geschichte mit angehört. Erst sprechen sie von diesem und jenem, plötzlich aber sagt ihr der Klosterbruder, er müsse sie warnen, und erzählt ihr von Eurem Befehl und dem Kommen der Inquisitoren. Sie solle fliehen, meinte er. Dann hörte ich leises Weinen, und gleich darauf sagte sie, das ginge nicht, sie wolle ihr Unglück allein tragen, Ritter Berendt würde mit verdächtigt, wenn er ihr zur Flucht verhülfe. Die habt Ihr sicher, Hochwürden!«

Aus den Augen des Priors leuchtete teuflische Freude. »Weiter, weiter,« trieb er, und der Mönch fuhr fort: »Ja, dann hatten sie noch ein ketzerisches Gespräch, wovon ich nicht alles verstand, und schließlich fragte er sie, ob sie ein verbotenes Buch bei sich habe, und als sie es bejahte und es nannte, ich meine, es war ein Buch des Ketzers Johann Huß – da beschlossen sie, es oben in der alten Linde zu verstecken. Dann reichten sie sich die Hand, und er ging. Mir scheint, der Mönch hat der schönen Ketzerin zu tief in die Augen geblickt, woher sollte er sonst zu solchen Thorheiten kommen! Denn schön ist sie – heiliger Augustinus, so etwas sieht man nicht alle Tage!«

»Er ist, wie sie, der heiligen Inquisition verfallen,« sagte der Prior, und ein höhnisches Lächeln umspielte seine dünnen Lippen.

»Zuletzt,« schloß der Bettelmönch, »bat sie ihn noch, ihr ein Wort aus der heiligen Schrift ins Deutsche zu übersetzen und aufzuschreiben, und er versprach es. Das ist alles, Hochwürden!«

»Das ist alles!« rief der Prior. »Wenn du mir weiter nichts brächtest, als dies letzte, es wäre genug, sie beide zu verdammen. Welch eine Ketzerei! Kein Laie hat die Schrift anzurühren, und sie empfängt aus der Hand eines Mönchs ein in die deutsche Sprache übersetztes, aufgeschriebenes Wort! Ich weiß genug, und brauche deine Dienste nicht länger, Benedikt. Hier – damit du schweigst« – er warf ihm noch eine Münze hin. »Und eines noch! Wenn du morgen an der Burg Penzlin vorüberkommst, sorge dafür, daß Frau Ilsabes Buch um zwei Uhr nachmittags nicht in der Linde, sondern in ihrem Gemach in der Truhe liegt. Aber gieb acht, daß dich niemand sieht; finde ich es im Hause nicht, so liegt es auf dem bewußten Platz. In vier Wochen, wenn du wieder vorüberkommst, kannst du vorfragen, ob ich Arbeit für dich habe!«

Der Mönch küßte mit kriechender Unterwürfigkeit den Saum seines Gewandes und entfernte sich in gebückter Haltung leise aus dem Gemach.

Als er gegangen, rieb sich der Prior die Hände.

»Die Beiden hätt' ich – warte Frau Ilsabe – auf den Knieen sollst du mir dein stolzes Gesicht abbitten und meine Macht fühlen! Und du, Laurentius, was ersinne ich für dich, Elender!« Er schüttelte die Faust – »du sollst Ignatius Kruse kennen lernen.«

Er schritt im Gemach auf und ab.

»Kämen sie doch morgen, denn ich muß ja auf alle Fälle hinüber,« murmelte er. »Übrigens, den Benedikt muß ich mir doch warm halten, der Alte ist gewandt und klug, er muß in meinen Diensten bleiben, denn entlasse ich ihn, so schweigt er nicht, und man könnt' es doch übel vermerken, daß der verworfene und schlecht berüchtigte Mönch mein Bote ist. Im Kloster werden sie schon hellhörig – wenn die Bande nicht schweigt, so muß sie eben Schwefel riechen. Holz zu Scheiterhaufen giebt's ja noch, und der Inquisition thu' ich einen Dienst!«

Er sah mißtrauisch auf die Thür, sein Auge hatte einen ruhelosen, flackernden Blick, als sähe er sie vorüberziehen, die Gestalten derer, an deren Qualen sich sein Auge geweidet, die auf sein Wort gerichtet waren. Ja, er hatte seine Hand in Blut getaucht, in das Blut derer, die den Namen des Herrn an ihren Stirnen trugen – aber nicht in dem Sinne des Pharisäers, der vor Zeiten, zu den Füßen Gamaliels sitzend, als ein Eiferer um Gottes Reich, Männer und Frauen gebunden gen Jerusalem führte – solche Regungen waren in der Seele eines Ignatius Kruse erstorben. Er diente einem Götzen, der hieß Ich, und böse Lust und Grausamkeit waren die Altäre, auf denen ihm geopfert ward. Ignatius Kruse hatte sein Herz nie bezwungen und Gottes Geist abgewiesen, so oft er an seine Thür klopfte. War er schon ganz verhärtet? War sein Ohr taub geworden für die bittende Stimme seines Herrn, für die drohende, mahnende: »Was verfolgst du mich?« Hatte ihn nie auf dem Wege nach Damaskus ein Licht umleuchtet, heller als die Sonne, ein Licht, das seine Seele arm und nackend hinstellte vor das Flammenauge des lebendigen Gottes? Ja, es hatte ihm geleuchtet, aber er war kein Saulus gewesen. Wieder und immer wieder hatte, wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt, das Wort des ersten Märtyrers, der unter den Steinwürfen seiner Feinde schrie: »Herr, behalte ihnen diese Sünde nicht,« sein Herz getroffen, er hatte das Ende derer geschaut, die ihr Leben nicht geliebt bis an den Tod, aber er war ihrem Glauben nicht nachgefolgt. Wieder und wieder hatte er Gotteskinder heimgehen sehen, in den Flammen stehend, oder auf der Folter liegend, das Angesicht leuchtend, wie das eines Engels, das sterbende Auge glaubensvoll hinaufgerichtet auf den, der dem treuen Knecht mit der Krone des Lebens entgegenkam. Durchs Herz war's ihm gegangen – aber er hatte die Zähne darüber zusammengebissen – er hatte nicht gewollt. –

Finsterer: Blicks starrte er hinab m den Klosterhof. Drüben lagen die düsteren Gefängnisse, wo die Bekenner der neuen Lehre in Ketten schmachteten, während die Henkersknechte den Rost heizten oder das Holz zum Scheiterhaufen herantrugen. Über die Schwelle des Gemachs aber sah er einen treten, dessen Angesicht war heller als die Sonne, und sein Kleid, weißer als Schnee, der streckte die Hand aus wider den Mann, der ihn verfolgte und mahnte den Verlorenen zur Umkehr.

Aber er wollte nicht – das Herz unter dem Gewande der Liebe und Barmherzigkeit war starr und hart wie Stein.

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