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17. Kapitel.
Der Brand in der Christnacht


In der Verwirrung entfesselter Mächte
gedeihen die Laster.

Es war im Dezember des Jahres 1531. Golden schimmerte die Abendsonne auf den spitzen Giebeldächern und dem mächtigen Portal des ehrwürdigen Doms zu Schwerin. In den Straßen war es still; der Christmarkt, der sonst Alt und Jung herauslockte, war vorüber – es war der letzte Adventsonntag, und man rüstete sich zum morgenden heiligen Christfest. Durch die bunte Malerei der hohen gotischen Kirchenfenster schimmerte es hell, und jubelnder Adventsgesang tönte durch den stillen Abend, das Kommen Gottes verkündend.

Der letzte Ton war verhallt, die Thüren öffneten sich, und draußen ward's lebendig. Ein kalter Wind trieb das leichte Gewölk vom Himmel – klar blickten Mond und Sterne herab. In warme Pelze gehüllt eilte alles heim, um am Kamin das letzte für das kommende Fest zu rüsten. Als die letzten kamen zwei Frauen aus dem Dom. Trotz der schlichten, dunklen Kleidung verriet ihr Äußeres sofort die Patrizierinnen – besonders die Jüngere, eine Jungfrau schien's zu sein, war unverkennbar die Vertreterin eines edlen Geschlechts.

Fest in ihre Pelze gehüllt, wanderten sie eilig über den festgefrorenen, verschneiten Marktplatz durch einige dunkle Gäßchen, bis sie vor einem alten Hause, schräg gegenüber dem Franziskanerkloster, anlangten. Die ältere der beiden Frauen blickte zu den hellen Fenstern empor, ein glückliches Lächeln zog über ihr frisches, hübsches Gesicht, als sie ein blondes Kinderköpfchen am Fenster gewahrte, dessen lichtes Haar das kleine Gesicht mit dem Glanz eines Engeleins umgab. Einen Augenblick später hielt sie ihr Jüngstes im Arm, umringt von einer Schar weihnachtsfröhlicher Kinder. Jedes wollte zuerst einen Kuß haben und drängte sich zur Mutter heran. Aber das Nestküken hatte gar nicht die Absicht, sein schönes, warmes Plätzchen aufzugeben und umfaßte mit den dicken Ärmchen fest den Hals der jungen Frau, die sich lachend von ihrem Liebling küssen ließ.

Ein unbeschreiblich liebliches Bild war's, und der Mann im geistlichen Kleide, der eben hereintrat, blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen und versenkte sich in sein Familienglück. Dann trat er leise von hinten heran, löste die Arme des Kleinen vom Halse seines Gemahls und nahm das Bübchen auf den Arm. »Warte, du Schelm,« rief er, »ein Nestküken darf nicht unbescheiden werden – willst du gleich die anderen heranlassen!« Das Nestküken schien durch diese Strafpredigt wenig erschüttert zu sein, unbeirrt setzte es die bei der Mutter begonnene Beschäftigung fort und drückte sein rotes Mündchen auf die Wange des Vaters.

»Guten Abend, Jungfrau Ilsabe,« sagte dieser jetzt zu dem jungen Mädchen, das seinem ältesten Töchterchen die Weihnachtsgeschichte abhörte. Sie erhob sich und reichte ihm freundlich die Hand.

»Guten Abend, Herr Magister,« antwortete sie, »wir haben im Dom nach Euch ausgeschaut, konnten Euch aber nicht erblicken, und so beschloß Euer Gemahl, daß wir ohne Euch heimgingen.«

»Sie that recht daran,« erwiderte er, »ich konnt' nicht mehr rechtzeitig zur Vesper kommen – ein armes Weib war bei mir und erzählte mir von seinen Verhältnissen, die so traurig waren, daß ich gleich mitging. Ihr müßt morgen früh einmal hinwandern, das Auge einer Frau sieht die Notstände einer Familie doch anders an, als der Mann. Maria wird morgen nicht hingehen können wegen der Zurüstungen zum Fest, – aber Ihr versprecht mir's, nicht wahr?«

»Mit Freuden,« erwiderte sie, »gebt mir nur Arbeit, so viel Ihr wollt; ich will Euch für jede dankbar sein,« fügte sie leise hinzu.

Er sah sie forschend an; es zuckte um den feinen Mund, eine Thräne schimmerte ihr im Auge, als sein Blick sie traf.

»Ja, es ist uns eine Wohlthat, wenn wir ein Leid zu tragen haben, anderen zu helfen, das hat schon manch einer erfahren!« sagte er, die Hand liebreich auf ihre Schulter legend, »aber ein stärkerer Trost ist und bleibt uns der, daß der Herr uns das Kreuz schickt und auflegt, und daß es uns, so wir's recht tragen, zum Leben dienen soll.«

Sie sah dankbar zu dem treuen Manne auf, dann sagte sie leise: »Das Schwerste ist mir der Gedanke, daß Georg ungläubig ist; wär' er gestorben, und ich wüßt' ihn bei Gott – nicht halb so schwer trüg' ich daran, aber so ist's ein rauher, unverständlicher Weg. Und wenn dann das heilige Christfest kommt, und der Hochgelobte uns allen das Heil schenkt, so geht mir's bange durchs Herz, warum er's nicht empfängt.« Sie blickte traurig in die verglimmende Glut im Kamin.

»Warum? wird's noch oft auf Erden heißen, mein Kind, und auf vieles werden wir erst im Himmel die Antwort finden,« erwiderte Tilenius. »Aber eins steht fest: daß der Herr zu jedem kommt und ihm sein Heil anbietet. Wer nicht selig wird, ist selbst schuld daran und deshalb dürfen wir nicht aufhören, für die zu beten, die seinem Worte widerstreben – denn noch ist Gnadenzeit.«

Sie hob die Augen zu ihm auf, sie schimmerten in Thränen. Mitleidig blickte er auf das blasse, zarte Gesicht und hielt ihre Hand fest in der seinen. Tapfer drängte sie die Thränen zurück und sagte: »Ich will's nicht wieder vergessen, daß der Herr alles that um unserer Seligkeit willen. Habt Dank für alles, und wenn Ihr mich wieder im Kleinglauben findet, so helft mir wie heute!«

Er drückte ihre Hand, und sie ging hinaus, um Frau Maria, die schon das Gemach verlassen, beim Auskleiden ihrer Lieblinge zu helfen.


Die Weihnachtssonne schien hell in die Straßen, als Ilsabe von ihrem Ausgang zurückkehrte. Ein weiter Weg war's, schwer hatte sie das kleine, armselige Haus gefunden, das in einer Reihe unansehnlicher, halb verfallener Hütten in dem schmutzigsten und ärmsten Viertel Schwerins lag. Leid und Not hatte sie angetroffen, ein todkrankes Kind in Lumpen auf Stroh, eine blasse, schwindsüchtige Frau, am Feuer stehend und eine Wassersuppe kochend – das waren die Eindrücke, die sie in der Frühe des Christtages empfangen. Seufzend hatte sie die Hütte verlassen und wanderte gedankenvoll durch die engen, verräucherten Gassen. Eben wollte sie in die hinter dem Franziskanerkloster laufende »Klostergasse« einbiegen, als ihr Blick in ein dunkles Fenster fiel. Ein häßliches, breites Angesicht schaute, gegen die Scheiben gedrückt, hinaus und verriet unverkennbar freudige Überraschung bei ihrem Anblick. Unwillkürlich fuhr sie zusammen, auch ihr schienen jene Züge, die jetzt in hämischem Vergnügen glänzten, nur zu bekannt; sie mußte sie, freilich in ganz anderer Umgebung, gesehen haben – erschrocken wanderte sie eilig weiter. Aber das häßliche Gesicht schien sie zu begleiten, sie konnte den Anblick nicht wieder los werden. Deutlicher und deutlicher trat es vor ihre Seele, ja, sie hatte es oft, sehr oft gesehen, sie hatte einst zu den Füßen dieses Mannes gebeichtet – mit heißem Widerwillen und bitterem Herzen war's geschehen – bis sie ihm das letzte Bekenntnis draußen im Walde laut ins Gesicht gesagt. Fluchend war er gegangen, ein Leid hatte er ihr nicht angethan, aber sie fürchtete trotz allem noch immer seine Rache. Bis ins Innerste erschreckt, ihren verworfenen Beichtvater hier wieder zu finden, eilte sie nach Hause. Hätte sie sich umgewandt, so wäre ihre Angst noch vermehrt worden.

Der Mönch folgte ihr in einiger Entfernung – an der Ecke des Klosters blieb er stehen und die listigen, kleinen Augen wanderten ihr nach über den Platz, bis sie im Hause des Magister Tilenius verschwunden war.

»Also da hast du dein Plätzchen gefunden,« murmelte er zwischen den Zähnen, und ein zufriedenes Lächeln glitt über sein wohlgenährtes Gesicht, »so weiß ich doch endlich, wo ich dich zu suchen habe.«

Langsam kehrte er um und wanderte in die dunkle Hütte zurück. – – – – – – – – –

Die Lichter des Christbaums waren heruntergebrannt, nur vereinzelt schimmerten sie noch in der mächtigen Tanne, die die schweren Äste über den Tisch im Wohngemach des alten Hauses breitete.

Lauter Jubel hatte noch vor einer Stunde die weiten Räume gefüllt, jauchzender Christgesang heller Kinderstimmen hatte das himmlische Kind willkommen geheißen, und dann war ein Freuen und Danken und um den Hals fallen und Küssen angegangen, daß die Eltern ihre liebe Not hatten, um all' den kleinen dankbaren Seelen gerecht zu werden. Mit glühenden Wangen und leuchtenden Augen wurde alles immer von neuem besehen und bewundert, und die Lichter brannten dazu, und unter dem Tannengrün lag das Christkind in seiner Krippe und die himmlischen Heerscharen sangen ihr »Ehre sei Gott in der Höhe.« Aber oben am Franziskanerkloster war eine Uhr, die schlug plötzlich mit unerbittlicher Strenge zehn, und dann kam der Nachtwächter, und die Mutter erklärte, es sei allerhöchste Zeit zum Schlafengehen, nahm ihr müdes Jüngstes auf den Arm und gebot den anderen, ihr zu folgen. Es war ein schweres Losreißen, aber Gehorsam ist die erste Pflicht, – das wußten die Kinder bei aller Liebe von Vater und Mutter nur zu genau, steckte doch oben hinter dem Spiegel an der Wand ein Büschlein, das hob mahnend die dünnen Arme, wenn es nur ein schiefes Mündchen sah, und kam, wenn es not that, mit Windeseile von seinem stolzen Sitz herabspaziert, um sein Strafamt zu üben. Heute blieb es ganz still hinter seinem Spiegel und rührte sich nicht.

In der Weihnachtsstube war es leer geworden, die Kleinen schliefen, der Magister hatte sich in sein Studiergemach zurückgezogen und schrieb an dem Tisch, wo ihm einst die kleine Ilsabe gegenüber gesessen und das Wort des Lebens empfangen. Ein Viertelstündchen später trat Frau Maria mit Ilsabe noch einmal in das Weihnachtsgemach. Einige Lichter brannten noch und leuchteten geheimnisvoll durch das dunkle Gezweig. Die junge Frau trat hinter den Baum, setzte sich in der Fensternische auf eine Bank und zog Ilsabe neben sich auf dieselbe nieder.

»Komm,« sagte sie, »jetzt halten wir noch unsre kleine Nachfeier! Wie lieblich leuchtet das Licht dort über der Krippe! Weihnachten ist mir doch das liebste Fest; birgt es doch die seligste Gabe, und wenn wir den süßen Gast recht empfangen haben, so leuchtet uns sein Licht weit über die heilige Nacht hinaus, durch das ganze Leben hindurch und schenkt uns in den Nöten dieser Zeit seinen Frieden.«

Ilsabe hatte den Kopf an ihre Schulter gelehnt und antwortete leise: »Ja, das ist das Einzige, was uns hienieden ruhig macht – wo sollten wir hinfliehen in Leid und Anfechtung, wenn der Herr nicht die Arme nach uns ausbreitete.«

Frau Maria drückte ihre Hand. »Ilsabe,« sagte sie liebreich, »könnt' ich dir dein verlorenes Glück doch wiederbringen, oder könnt' ich dein Herz lenken, daß es das, was Gott ihm vielleicht schenken will, als Glück erkennt und empfängt. Kannst du denn den Mann, der seinen Heiland verleugnet, nicht vergessen? Armes Kind, in wie harte Ketten kann uns Erdenliebe schlagen.«

Ilsabe antwortete nicht, sondern weinte leise an ihrer Schulter, und Maria fuhr fort: »Als im vorigen Herbst der Bassewitz um dich warb, dacht' ich, du würdest ihm das Jawort geben – war's dir denn ganz unmöglich, Liebling? Was gäb' ich darum, dich nicht immer nur tapfer und still und in Gottes Willen zufrieden zu sehen, sondern aus tiefstem Herzen glücklich.«

Die Jungfrau hob das Haupt. »Versucht man, zu lieben?« fragte sie, und in dem Blick der dunklen Augen, im Ton ihrer Stimme lag eine Trauer, die Frau Maria die Thränen ins Auge trieb. Sie umfaßte sie fester, und Ilsabe legte das Haupt an ihre Brust und weinte sich satt.

»Vergieb mir,« sagte die junge Frau, »ich wollte dir das Herz nicht schwer machen, aber es ist mir leid um dich und um ihn, sein Werben war treu gemeint.«

Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als ein dröhnender Laut sie emporfahren ließ. »Die Sturmglocke!« rief Ilsabe, stürzte ans Fenster und riß es auf.

Dichter Qualm schlug ihr entgegen, Lärm und Getöse und die Hilferufe von Weiber- und Kinderstimmen drangen an ihr Ohr, eine aufgeregte Menschenmasse schien im Dunkeln nach einer bestimmten Richtung hinzusteuern, dabei aber unter sich uneins zu sein. Drängen und Stoßen war jedenfalls eine große Hauptsache, wie das ja bei Volksaufläufen der Fall zu sein pflegt. Scharfer Brandgeruch zog mit dem Qualm in das geöffnete Fenster. »Das Feuer muß ganz in der Nähe sein,« sagte Frau Maria, die neben ihr stehend sich hinauslehnte.

Da stieg kerzengerade, schräg gegenüber dem alten Hause, eine flammende Säule blutrot auf und beleuchtete die kleinen vergitterten Fensterscheiben des Konvents und die erschreckte Menge unten. Taghell war's auf der Gasse; feenhaft beleuchtet lag Niclots ehrwürdiger Bau auf der tief verschneiten, winterlichen Insel. Jeder Pfeiler an der alten Brücke war zu erkennen, und die Kinder vergangener Geschlechter blickten kalt in die Nacht hinaus und spiegelten das steinerne Antlitz in den rotglühenden Wassern. Jetzt öffnete sich das mächtige Thor im Portal des Schlosses, Fackelträger eilten die Marmorstufen herab, Stimmen wurden laut, ein fürstlich aufgezäumtes schwarzes Roß harrte am Eingang. Gleich darauf trat der Herzog heraus, schwang sich auf das Tier und trabte seinem kleinen Gefolge voran der Brandstätte zu. Letzteres war nicht gerade erfreut über den nächtlichen Befehl seines Herrn, dieser aber achtete wenig der schläfrigen, erfrorenen Gesichter; wo sein Volk in Not stand, da trieb es ihn hin, und wenn's nur war, um durch seine Gegenwart Ruhe und Ordnung zu erhalten. Fürst und Volk gehörten nach der Ansicht dieses Landesherrn von Gottes Gnaden in Leid und Freud' zusammen.

Als Heinrich der Friedfertige am Franziskanerkloster vorüberritt, standen die nach der Stadtseite liegenden Häuser bereits in Flammen. Ein heftiger Wind hatte sich aufgemacht und fachte die Glut an; eine rote, düstere Lohe wälzte sich, ein Bild grauenvoller Schönheit, dem Marktplatz zu. Das Erscheinen des Fürsten wurde mit Freuden begrüßt, und der heiße, schwere Kampf mit der furchtbaren Kraft des Himmels mit verstärktem Mute geführt; als träte der Feldherr eines Heeres im entscheidenden Augenblick mit mächtigem Aufruf vor sein Kriegsvolk, – so kraftvoll wirkte die Erscheinung des friedfertigen Herzogs angesichts des Todes auf Mecklenburgs Männer.

Was geschehen konnte, geschah. Herzog Heinrich selbst gab bis ins kleinste seine Anordnungen, sorgte hier für einen Verletzten und trat dort zu einem Sterbenden. Die Leute aber setzten ihre ganze Kraft ein, des Feuers Herr zu werden; wäre der Wind nicht zum Sturm geworden, das Morgenrot hätte sie als Sieger geschaut. Aber immer mächtiger wuchs die Lohe, schon lag ein Stadtteil eingeäschert, und noch immer stritten sie mit dem wilden, verderbenbringenden Feinde.

Auch das Haus des Magisters Tilenius war von den Flammen ergriffen; in Eile hatte er Weib und Kind zu einem am Burgsee wohnenden Amtsbruder gerettet, dann war er zurückgeeilt, um Ilsabe, die in den unteren noch ganz unversehrten Räumen das Nötigste zusammenzuraffen geblieben war, abzuholen. Er hatte sich anfangs geweigert, sie noch dort zu lassen, aber auf ihre wiederholte Bitte und Vorstellung, daß noch keine Gefahr vorhanden sei, gab er endlich nach und ließ sie unter dem Schutze eines alten treuen Dieners und einer zuverlässigen Magd zurück, um wenigstens etwas von seinem Hab und Gut zu retten. Eilig ging er jetzt den kurzen Weg vom Hause des Freundes in sein zertrümmertes Heim zurück. Aus dem Dachstuhl schlugen schon die Flammen – besorgt blickte er hinauf und beschleunigte noch den raschen Schritt, sich Vorwürfe machend, daß er Ilsabe nicht gleich der Gefahr entzogen. Aber der untere Stock seines Hauses war noch unversehrt. Schnell durchschritt er das Wohngemach. Über den verlassenen Christgeschenken seiner Kleinen streckte die weihnachtliche Tanne beschützend die dunkeln Äste aus, als wollte sie sie vor den Flammen bewahren; wehmütig blickte er auf die Christbescherung und wanderte, sie preisgebend, in den großen Vorratsraum, wo er Ilsabe vermutete.

Wie gelähmt blieb er auf der Schwelle stehen. Ein entsetzlicher Anblick bot sich seinen Augen. Vor ihm auf dem Boden lag todesbleich sein alter, treuer Knecht, sein Haupt ruhte, aus einer tiefen Wunde blutend, im Schoße der Magd, die vergeblich das unaufhaltsam rinnende Blut zu stillen suchte. Was war hier vor sich gegangen? Sein erster Blick traf scharf prüfend ihr Antlitz – aber nein, es konnte nicht sein! Eine Hand, die eben Menschenblut vergossen, konnte unmöglich im selben Augenblick, ohne zu zucken, dies Blut zu stillen versuchen und das sterbende Haupt dessen, dem sie den Todesstoß gegeben, beim letzten Hauch im Arm halten, – einer solch' grauenhaften Stärke wäre kein Weib fähig gewesen, ohne daß das Brandmal der Lüge seine Stirn gezeichnet hätte. Der Magister warf diesen Gedanken so schnell, wie er gekommen, hinaus – einen höllischen Gast. Tief erschüttert kniete er neben dem Sterbenden nieder und nannte leise seinen Namen. Der alte Mann schlug beim Klang der geliebten Stimme die Augen auf, ein Lächeln verklärte seine Züge, und die welken Finger drückten die Hand des Magisters.

Von seinen Lippen aber kam's in abgerissenen Sätzen: »Ich hab' gethan – was ich – gekonnt, – Brigitte – auch – Jungfrau Ilsabe –.« Das Folgende war nicht mehr zu verstehen, aber beim Nennen von Ilsabes Namen ging es wie ein heißer Schmerz über das Antlitz des Alten. Eine furchtbare Angst bemächtigte sich des Magisters, er hatte die Jungfrau noch nicht gesehen – aber die bittere Not des Augenblicks ließ ihn alles zurückdrängen. Matter und matter wurden die Atemzüge. Da neigte sich die Magd über ihn und sagte mit thränenschweren Augen: »Ei du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, ich will dich über viel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude!«

Wunderbar trafen diese Worte den Magister aus dem Munde der Einfalt – nein, sie stand rein da, und das Herz that ihm weh, daß sein erster Gedanke ein Verdacht gegen die Getreue gewesen.

Des Alten Augen aber schien bei ihren Worten neues Leben zu entströmen, mit leuchtendem Blick schaute er sie an; doch dann war's zu Ende mit der irdischen Kraft – ein letztes Mal drückte er dankbar die Hand seines Herrn, die sterbenden Augen richteten sich mit verklärtem Ausdruck nach oben, als schauten sie den Heiland zur Rechten Gottes, dann schlossen sie sich für immer auf Erden, und die fromme Magd, die ihm im letzten Stündlein beigestanden, hielt eine arme, kalte Leiche im Arm.

Staub zum Staube! mit erschütternder Wahrheit trat's an die beiden Lebenden heran. Hier knieten sie bei dem stillen Toten, während das Dach über ihnen in Flammen stand. Mit unerbittlicher Strenge trat die Zeit vor sie hin, die rücksichtslos ihr fliegend' Rad dahin eilen läßt, unbekümmert um die Toten, die die Lebenden mit fortreißt, bis er, der auch der Zeit Meister ist, ihr einen Halt gebietet und sie vergehen heißt in der großen Ewigkeit.

Laurentius drückte seinem alten Diener die Augen zu, hielt ein kurzes, stilles Gebet, hob die Leiche auf und trug sie aus dem brennenden Hause – verbrennen lassen mit Wissen und Willen konnte er sie nicht. Auf der Thürschwelle blieb er stehen und wandte sich zu der ihm folgenden Brigitte: »Wo ist Jungfrau Ilsabe?«

Ein donnerndes Getöse verhinderte ihre Antwort. Krachend stürzte die Decke des oberen Stockwerkes ein, brennende Balken flogen durch die leeren Fensterhöhlen auf die Gasse hinab. Taghelles Licht strömte aus der offenen Thür; ein ergreifend Bild umschloß der verwitterte gotische Bogen, der von versengtem Epheugerank umkränzt, noch fest stand und bis zum letzten Augenblick die unter ihn Tretenden vor fallendem Gebälk schützte. Unter dem Thor stand, von der Glut der Flammen beleuchtet, Laurentius Tilenius, die Leiche des treuen Knechtes im Arm. Das Haupt im weißen Haar lag an seiner Brust, mit aller Gewalt hielten die starken, sehnigen Arme des Mannes die steife, starre Gestalt; das mächtige Auge aber blickte mit suchender Unruhe hinaus in die Nacht voll Elend und wirrer, namenloser Not – die Gedanken dessen, der den Toten heraustrug, waren bei den Lebenden.

Jetzt schien das Heraustreten ohne unmittelbare Lebensgefahr, er stürmte, so schnell er mit seiner Last konnte, in die Nacht hinaus und eilte, in der Hoffnung, Ilsabe dort zu finden, dem Hause seines Freundes zu. Hinter ihm drein stürzte die junge Magd.

»Herr Magister – da ist sie nicht – barmherziger Gott, hilf mir, – Jungfrau Ilsabe ist geraubt! Ein Mönch kam und stritt mit uns, den Valentin hat er erschlagen, als er für uns eintrat, und dann riß er Jungfrau Ilsabe mit fort, – gerungen hat sie mit ihm bis aufs Blut, aber er warf sie zu Boden, und dann hat er sie gefesselt und geknebelt und hinausgestoßen. Hätt' ich ihr helfen können! Aber er warf mich nieder und schlug mich aufs Haupt, und als ich zu mir kam, waren sie fort, und der Valentin lag vor mir in seinem Blut.«

In abgerissenen Sätzen war's von ihren Lippen gekommen – nun umklammerte sie die Kniee ihres Herrn und flehte: »Laßt mich sie suchen, Herr Magister, laßt mich gehen!«

Sprachlos hatte Tilenius ihren Bericht angehört. »Ist das alles, weißt du nichts weiter, kein Wort, das zwischen ihnen fiel?« stieß er hastig hervor.

»Jungfrau Ilsabe schrie auf beim Anblick des Mönchs,« erwiderte sie, »Pater Florian nannte sie ihn, mein' ich.«

Der Magister erbleichte. »Dacht ich's doch,« murmelte er. »Unglückseliger, ist das deine Rache!«

Er legte die Leiche des Alten auf die Stufen vor seines Amtsbruders Haus.

»So Gott will, kehr' ich in Bälde zurück, Brigitte. Aber sag' deiner Herrin, sie sollt sich nicht ängstigen, wenn es spät würde. Dem Herrn Magister Rupertus sag', ich ließ' ihn bitten, die Leiche bis morgen in seinem Hause aufnehmen zu wollen.«

Sie sah ihn noch einmal bittend an: »Herr Magister!«

Er unterbrach sie: »Nein, mein Kind, es ist besser, du bleibst. Ein Mägdlein kann in solchen Fällen wenig ausrichten. Zu dem steht die Altstadt noch in Brand, und viel rohes Volk und Gesindel läuft auf den Gassen umher.«

Sie neigte den Kopf und zerdrückte eine Thräne zwischen den braunen Wimpern, dann küßte sie ehrerbietig die dargebotene Hand ihres Herrn.

»Leb' wohl, Brigitte,« sagte er herzlich zu der treuen Magd, »Gott behüt' euch allesamt,« dann ging er den Weg, den er gekommen, in die brennende Stadt zurück.


Die Sonne stand hoch am Himmel, als er zu seinem Weibe in das trauliche Gemach trat, das die Freunde ihnen überwiesen. Bleich und verstörten Angesichts stand er auf der Schwelle – er kam allein. Müde setzte er sich neben die Getreue auf den breiten Fenstersitz und barg laut stöhnend das Antlitz in den Händen.

»Herr Gott, – wie soll das enden?« rang sich's von seinen Lippen.

Die entsetzlichsten Bilder waren in dieser Nacht an seiner Seele vorübergeeilt, er kannte den übel berüchtigten Mönch, der nicht zum erstenmal mit kaltem Blut ein Verbrechen verübte – vielleicht war Ilsabe gar nicht mehr unter den Lebenden. Wie ein Fieberschauer kam's über den starken Mann, als er zu seinem Weibe sagte: »Ich wollte nur einmal dein liebes Antlitz sehen und wissen, wie's dir und den Kindern geht – aber es läßt mir keine Ruhe, ich muß wieder fort. Bis jetzt schwebt noch das tiefste Dunkel über der Sache, die durch den Brand entstandene Verwirrung erschwert jede Nachforschung. Sie scheinen das Feuer ja zu dämpfen – aber eine furchtbare Verheerung erlitt unsre arme Stadt, die ganze Altstadt ist ein Schutthaufen und gerade die Ärmsten sind zu Obdachlosen und Bettlern geworden.«

Sie schlang die Arme um den Hals des Gemahls und bat, ihn durch Thränen anblickend: »Nicht wahr, du verlierst den Mut nicht, Laurentius? es ist doch einer da, der aller Not ein Ende macht, er wird dir auch helfen, Ilsabe zu finden! Er hat noch nie ein Gotteskind verlassen – das hab' ich von dir gelernt, Geliebter,« setzte sie leise hinzu.

Einen Augenblick weilte sein Blick auf dem lieblichen Antlitz, dann küßte er sie und sagte: »Hab' Dank für dein Mahnen, du Liebe, Getreue, wohl bedarf ich dessen, und dein Wort soll meinen Kleinglauben beschämen. Ja, er lebt noch, der alte, barmherzige Gott – das sei meine Leuchte auf dunklem Wege!«

Noch einmal drückte er die Lippen auf die reine Stirn, dann eilte er über den verschneiten Schloßplatz dem Franziskanerkloster zu.

Vom Dom herüber klangen die vollen Töne der Glocken, der erste heilige Christtag war's – fast hatte er es vergessen in all dem Leid, daß man den Tag der Geburt des Hochgelobten feierte.

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