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8. Kapitel.
Ein Geständnis


Schwer ist's, das tiefste Geheimnis der Seele enthüllen!
Selbst wenn die Pflicht es erzwingt, bleibt es ein eiserner Kampf.

In einem Turmgemach des Schweriner Schlosses saß Sophie Dorothea Maltzan am Fenster und blickte träumerisch hinaus über die weißen Wasser. Lauer West kam herüber und spielte mit den Sommerrosen am Turm und dem Goldhaar des Mädchens, dessen zarte Schönheit durch das Trauergewand noch gehoben war. Sie hatte die Hände auf den Knieen gefaltet; es war ihr, als dürfe die Sonne nicht mehr scheinen, die strahlende Schönheit des Sommers störte sie in ihrem Schmerz. Eine Thräne nach der andern rann über die blassen Wangen – tiefer und tiefer versenkte sie sich in ihr Leid.

Sophie Dorothea hatte viel verloren; sie hatte an der fürstlichen Frau, die man gestern zu Grabe getragen, eine treue, mütterliche Freundin gehabt, die dem jungen Hoffräulein mit Rat und That zur Seite stand. Wie jäh und plötzlich war alles gekommen – sie konnte es kaum fassen, daß Frau Helena drüben im Dom den Schlaf schlief, aus dem man auf Erden nicht wieder erwacht. Ihre Gedanken wanderten zurück, die großen Ereignisse der letzten Tage hatten sich so gewaltsam gedrängt, und doch hatte das Mägdlein noch mehr erlebt als alle übrigen – ein Zittern ging durch den zarten Körper – »Magnus,« flüsterten ihre Lippen. Eine Flut von Gedanken und rasch wechselnden Gefühlen des seligsten Glückes und der bittersten Vorwürfe stürmte auf sie ein, sie stritten miteinander in ihrer Seele – und die letzteren trugen immer wieder den Sieg davon.

O, warum hatte sie so tief in die Augen des Herzogsohnes geblickt! Warum hatte sie diese Liebe nicht mit aller Gewalt zurückgedrängt!? Das Herz schlug ihr laut, wenn sie daran dachte, wie sie halb bewußtlos vor Glück ihr Haupt an seine Brust gelegt und seinen Kuß auf Stirn und Lippen gefühlt. Ja, warum, warum hatte sie es geduldet – nun war es zu spät, und ihr Gewissen forderte laut Rechenschaft darüber. Sie machte sich die bittersten Vorwürfe; es lag sonnenklar vor ihr, daß bei dem vorliegenden Unterschied der Stände eine Vereinigung unmöglich war; und ob sie jedem andern Verhältnis ermöglicht worden wäre – die Tochter des Vasallen durfte nicht den Thron ihres Landesherrn teilen. Und die allergrößte Unmöglichkeit entstand ja durch die Bestimmung des Herzogs zum Bischof – war Sophie Dorothea im Traum einhergegangen, daß sie erst heute sah, wie hoffnungslos ihre junge Liebe war? O – sie hatte es ja alles gewußt, aber wo fragt ein junges Herz nach Vernunftgründen und Standesunterschieden, wenn die Liebe bei ihm anklopft? Wie ein welkes, weißes Röslein lehnte sie im Fenster – was sollte aus ihr werden? Fort mußte sie – aber wie? Ihren Vater hatte sie noch kaum gesehen. Er hatte Ehrenwache bei der Leiche der Herzogin gehabt, seine übrige Zeit hatte Herzog Heinrich in Anspruch genommen – aber heute würde er zu ihr kommen, hatte er gesagt, dann mußte sie es ihm sagen, daß sie hier nicht bleiben durfte. Ein glühendes Rot stieg bei dem Gedanken in das weiße Gesicht – ihr jungfräuliches Gefühl sträubte sich, das Geheimnis ihrer Seele preiszugeben.

Da pochte es; ein Diener meldete dem Hoffräulein den Rat Maltzan, und gleich darauf lag Sophie Dorothea in den Armen ihres Vaters. Besorgt sah er in das blasse, verweinte Gesicht seines Lieblings; er wußte, wie viel sein Kind an der fürstlichen Frau verloren; hatte er doch selbst die schöne, tugendreiche Landesherrin hoch verehrt und trauerte mit seinem Fürsten aufs tiefste um sie. Sophie Dorotheas Aussehen wunderte ihn daher nicht, aber er sorgte sich um sein zartes Töchterlein.

Lange hatten sie beisammen gesessen und der teuren Entschlafenen gedacht. Dann fragte Sophie Dorothea nach allem daheim, und der Ritter erstattete ihr getreulich Bericht. Da lehnte sie plötzlich zitternd ihr Köpfchen an seine Schulter und fragte: »Vater, willst du mich mitnehmen? Ich kann hier nicht länger bleiben!«

Berendt Maltzan suchte sie zu beruhigen, erschien ihm ihr Wunsch doch eine Folge des ersten, heißen Schmerzes um Frau Helena zu sein. Aber Sophie Dorothea wollte sich nicht trösten lassen.

»Ich muß fort, Vater,« schluchzte sie leidenschaftlich, »ob ich noch so gern bliebe – es muß sein, nimm mich mit!«

Und als er dann forschte und fragte und ihr sanft und liebreich zuredete, sich ihm anzuvertrauen, da legte sie das Haupt an seine breite Brust, und das Geheimnis ihrer Seele kam leise von den Kinderlippen. Er streichelte den blonden Scheitel seines Himmelschlüsselchens, und in den Augen des alten Kriegsmannes schimmerte es feucht, als er sich zu ihr niederbeugte und ihre Stirn küssend sagte: »Morgen nehme ich dich mit nach Penzlin, mein Kind!«

Sie blickte ihn durch ihre Thränen dankbar an und küßte die Hand des Vaters. Bald darauf erhob sich Maltzan und ging, sich bei dem Herzog melden zu lassen. Es ward ihm schwer, ohne den wahren Grund zu nennen, in diesem Augenblick um die Entlassung seines Kindes aus dem Hofdienst zu bitten und nur die Gründe vorzuführen, die ihn sonst vielleicht zu diesem Schritt bewogen haben würden: Sophie Dorotheas zarte Gesundheit und das Leben an einem Hofe, dem die Fürstin fehlte.

Herzog Heinrich war ein zu edeldenkender, großherziger Mann, um seinem getreuen Rat diese Bitte abschlagen zu können, aber er willigte schweren Herzens ein unter dem Vorbehalt, daß Sophie Dorothea in Zukunft recht oft als Gast in Schwerin weilen müsse. Berendt ging dankbaren Herzens, ein Stein war ihm von der Seele, seit er das Wort seines Herrn hatte, und doch das Geheimnis seines Kindes bewahrt geblieben war.

Am andern Morgen brachen sie auf. Die Sonne war eben aufgegangen, als Ritter Berendt sein Töchterlein die Treppen hinabgeleitete. Das Mägdlein hatte am Abend vorher von Herzog Heinrich und den fürstlichen Fräulein Abschied genommen. Herzog Magnus hatte sie nicht mehr gesehen, Berendt hatte es so einzurichten gewußt, daß Sophie Dorothea nicht mehr an der Abendtafel teilnahm und der frühen Abreise halber bald zur Ruhe ging. Herzog Magnus aber, den sein Vater in einer eiligen Angelegenheit des Bistums eine Tagereise machen lassen mußte, kam spät heim und erhielt die Nachricht von dem Fortgange des Hoffräuleins erst, als alles bereits in tiefstem Schlummer lag.

Als die Morgensonne hell und freundlich das Haus Heinrichs des Friedfertigen vergoldete und unten im Schloßhof das lichte Haar des Mägdleins im Trauerschleier küßte, stand oben am offenen Bogenfenster eine hohe Gestalt im geistlichen Kleide. Wie gebannt hingen die großen dunkeln Augen des jungen Bischofs an der jungfräulichen Erscheinung; er hatte hinabgewollt, aber die Unmöglichkeit der Erfüllung seines Herzenswunsches war ihm in diesem Augenblick klar geworden, und er war schweren Herzens oben geblieben, um der Geliebten den letzten Abschied zu ersparen. Ihm selbst war dabei zu Mut, als sollte sein Herz brechen, aber der Gedanke, ihr das Leid zu erleichtern, siegte über die heiße Sehnsucht seiner Seele, die die Hoffnung auf frohere Zeiten nicht aufgeben wollte.

Immer noch lehnte er im Fenster; jetzt traten sie zu den Rossen, und Herzog Magnus sah, wie ein junger Ritter, Jaspar Heinrich von Bülow, der Jungfrau den Steigbügel hielt. Sie neigte dankend das Haupt, Ritter Berendt saß auf und grüßte, sein Roß spornend, den Ritter.

Da hob sie das Haupt, ein letzter, trauriger Blick streifte den stolzen Bau Heinrichs des Friedfertigen, und die blauen Augen ruhten einen Augenblick auf den Fenstern des jungen Bischofs.

Sophie Dorothea! schrie es in seiner Seele – aber er zog sich in die tiefe Nische zurück, sie sollte sein Leid nicht mitansehen – es war genug, daß er einmal ihren Frieden gestört hatte.

Jetzt trabten die Rosse davon – er beugte sich leise vor und sah, wie sie mit den Thränen rang. Jaspar Heinrich von Bülow verneigte sich ehrerbietig, und der kleine Zug verschwand im Portal. Bis der letzte der Mannen mit dem Weinstock im Schilde um die Ecke gebogen, hatte Herzog Magnus den Davonreitenden nachgeschaut; nun preßte er die Hände vors Gesicht und sank in die Kniee.

Aus einem eichenen, kostbar geschnitzten Schrein blickte die Mutter Gottes in jungfräulicher Schönheit hernieder. Aber er wandte ihr den Rücken, unberührt hing der Rosenkranz an der Wand. Ernst blickten die Augen der Schmerzensreichen herab, als ahnte sie, daß er nie wiederkehren würde.

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Vom Turm der Schloßkapelle schlug es sieben – der Bischof von Schwerin lag noch immer auf den Knieen und kämpfte den Kampf um Erdenglück und evangelische Freiheit.

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