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4. Kapitel.
Hoher Besuch


Vornehme Gäste im höfischen Kleid
Kommen in sammtenen Röckchen,
Zarte Gestalten in goldigem Haar,
Lichtblau die seidenen Söckchen!
Duftige Schleier flattern im Wind –
Sei mir willkommen, fürstliches Kind!

Herzog Heinrichs Gemahlin hatte ihr Versprechen, Sophie Dorothea zum Besuch nach Penzlin zu schicken, nicht vergessen, und löste, als im Sommer 1518 die Rosen blühten, ihr fürstliches Wort ein. Die hohe Frau konnte freilich nicht, wie sie gewollt, ihren Schützling selber nach Penzlin bringen, denn zu Ende des Junimonats wurde dem herzoglichen Paar ein Töchterlein geboren; aber Herzog Magnus und die beiden kleinen fürstlichen Fräulein sollten Sophie Dorothea begleiten und erst zur Taufe des neugebornen Schwesterleins wiederkommen. Die Herzogin selbst war froh, die kleinen, unruhigen Gäste für diese Zeit los zu sein, denn sie umlagerten am liebsten zu jeder Tages- und Nachtzeit die Wiege ihrer Jüngsten, und es war ein Wunder, daß die kleine Prinzessin den zahllosen Küssen ihrer Geschwister noch nicht erlegen und überhaupt noch am Leben war. So gingen sie denn nach einer letzten, sehr handgreiflichen Liebeserklärung, nachdem sie sich noch einmal auf der Schwelle umgewandt, der Mutter ihre Kußhändchen zugeworfen und versprochen hatten, zur Taufe wiederzukommen und einen ganzen Wagen voll Rosen mitzubringen. Sophie Dorothea habe gesagt, in Penzlin wüchsen so viele.

In Penzlin herrschte große Freude, als die kleinen Gäste einzogen. Alles war festlich bekränzt, und von der Burg wehte eine mächtige Flagge in den Farben des herzoglichen Hauses. Auf der Treppe stand Ritter Berendt mit seinem Gemahl, Joachim und Sabine und der kleinen Ilsabe, die im weißen Kleide und einem Rosenkranz im schwarzen Haar gar lieblich aussah.

»Sie kommen, sie kommen!« rief sie und schlug jubelnd die Händchen zusammen. »O, Vater, wie sonderbar! Herzog Magnus hat ja gar keine Krone auf! Hat er sie zu Hause gelassen oder unterwegs verloren?«

Das kleine lebhafte Geschöpf erhielt diesmal keine Antwort, denn schon hielten die Rosse der fürstlichen Kinder vor den Stufen, und Ritter Berendt stieg hinab, um Prinzeß Sophia den Steigbügel zu halten.

Sein Töchterlein blieb sitzen, bis er es aus dem Sattel hob, und fiel ihm jubelnd um den Hals.

Das war ein Begrüßen und eine Freude, und die herzoglichen Kinder fühlten sich bald wohl und heimisch unter dem gastlichen Dache des getreuen Berendt. Ilsabe und Sophie Dorothea sahen einander mit großen Augen verwundert an, keine hatte es früher von der andern gewußt, daß sie so schön sei.

»Wenn ihr beide wißt, wie ihr ausseht,« sagte Berendts »dann gebt euch einen Kuß, sagt euch guten Tag und geht ins Haus,« – und die beiden kleinen Schönheiten küßten sich lachend.

»Ich hatte ganz vergessen, wie Ilsabe aussieht,« sagte Sophie Dorothea, »deshalb mußte ich sie erst einmal ordentlich betrachten.«

Für Frau Scholastika gab's nichts Schöneres, als eine Schar fröhlicher Kinder an ihrem Tisch sitzen zu sehen und sie mit Liebe zu überschütten und ihnen auf die erfinderischste Weise das Leben schön und sonnig zu gestalten. Die kleinen fürstlichen Gäste thaten denn auch sehr bald, als wenn sie daheim wären, und genossen den Sommeraufenthalt in vollen Zügen. Herzog Heinrich und sein Gemahl hatten ihre Kinder in dieser Zeit einmal die volle Freiheit genießen lassen wollen und ihnen außer der nötigen Reisebegleitung keine weitere gestrenge Aufsicht mitgegeben. Sie kannten Frau Scholastika als eine hervorragend gute Mutter und wußten ihre Lieblinge herrlich versorgt in Penzlin – das war ja die Hauptsache, so gönnten sie's ihnen von Herzen, daß sie einmal die höfische Sitte beiseite setzen durften.

Morgens streiften sie im Walde umher, bauten sich Schlösser und Räuberhöhlen in hohlen Bäumen, oder spielten Versteck unter den mächtigen Königsfarren. Ilsabe war immer Allen voran. Es war ihr eine Wonne, mit andern Kindern spielen zu dürfen, – schade nur war's, daß Georg schon fort war, wie prachtvoll hätte er ihnen bei ihren Spielen helfen können! Nachmittags ritten sie aus oder saßen fischend am Bach, wobei das Schlußvergnügen gewöhnlich ein allgemeines Waten bildete. Es ging prachtvoll! Der künftige Bischof von Schwerin patschte, stolz mit einer Weidenrute die Wellen schlagend, voran, die Prinzessinnen hatten die seidenen Kleidchen bis zu den Knieen aufgenommen, und Ilsabe und Sophie Dorothea folgten seelenvergnügt ihrem fürstlichen Beispiel. Fünf Paar kleine, niedliche Schuhe aus Corduanleder standen am Ufer und warteten geduldig, bis sie wieder nach Hause getragen wurden. Dies Vergnügen wiederholte sich täglich mindestens zweimal, und Ilsabe erklärte Frau Scholastika, ein größeres Seifenfest am Sonnabend-Abend sei in dieser Jahreszeit nicht nötig.

»Eigentlich ist es ganz verkehrt, daß du den Zug immer anführst, Magnus,« sagte Prinzessin Sophia eines Tages, als die Wasserfreuden beginnen sollten, »ich bin doch die älteste; heute will ich König sein!«

Herzog Magnus machte ein sehr überlegenes Gesicht und sagte: »Das ist ganz einerlei, ich bin der Bischof von Schwerin, und du bist nur ein Mädchen!«

Nur ein Mädchen – das kam bei jeder Gelegenheit, Prinzeß Sophia wurde rot bis unter die Haarwurzeln. Diese Nichtachtung – es war wirklich empörend, aber so waren die Jungens alle – ohne Ausnahme. Sie biß sich auf die Lippen und schwieg; nach einer Weile wandte sie sich wieder um und sagte gnädig: »Ich will dir etwas sagen, Magnus, wenn du das thust, kannst du meinetwegen König sein. Hast du noch das Kuchenherz, das Ritter Joachim dir neulich in Penzlin kaufte?«

»Das Kuchenherz – meinst du das mit dem roten Zucker, wo »Ich liebe dich« daraufsteht? ich habe es nur einmal angebissen. Was willst du damit?« sagte der kleine Bischof.

»Ich wollte dich fragen, ob du es mir geben wolltest, dann verkaufe ich dir meine Erstgeburt. Jakob und Esau habend's auch gethan, hat mir die Mutter erzählt. Weißt du, Magnus, für mich ist es ja einerlei, es war ja nur wegen des Königseins, aber für dich ist es ja sehr wichtig, weil du der Bischof von Schwerin bist!«

Der kleine Herzog war sich nicht ganz klar über diese Wichtigkeit, es schwebte vor seinem geistigen Auge nur eine Art Heiligenschein um das Erstgeburtsrecht, und eine Bevorzugung lag doch jedenfalls in seinem Besitz, so griff er denn zu und schloß den Handel ab.

»Sophia ist doch zu dumm,« sagte er zu seinem jüngeren Schwesterlein Ursula, »sie hat mir ihre Erstgeburt für das Kuchenherz verkauft. Natürlich habe ich es gleich gethan. Sie ist jedenfalls eine große Naschkatze – seine Erstgeburt für ein altes Kuchenherz wegzugeben I« schloß er weise.

»Ich bin aber auch' nur ein Mädchen und mag es nicht hören, wenn du immer sagst, wir seien dumm.«

»O, dich meine ich nicht mit, und Sophie Dorothea und Ilsabe auch nicht,« sagte er, den Arm um das Schwesterchen legend.

Oben in ihrem Gemach aber saß Prinzessin Sophia und schmauste sehr vergnügt ihr Kuchenherz. Ringsherum aß sie zuerst, dann blieb »Ich liebe dich« in der Mitte stehen; es sah prachtvoll süß aus und sollte der Lebenshappen sein. An wen der Bäcker nur gedacht hatte, als er das »Ich liebe dich« von Zucker machte – das hätte sie gar zu gern gewußt.

Wie im Fluge vergingen die Wochen auf der Burg. Penzlin, und die goldenen Tage der Freiheit und des Landlebens zogen nur zu rasch vorüber. Nun winkte das Tauffest des Schwesterleins, – Ritter Berendt und sein Gemahl waren dazu geladen, und Ilsabe durfte auch mitkommen – so kamen die herzoglichen Kinder leichter über den Abschied von dem geliebten Penzlin hinweg. Sophie Dorothea wurde das Scheiden besonders schwer, denn am Abend vor dem Aufbruch war der alte Andreas gestorben. Sie und Ilsabe waren noch kurz vorher bei ihm gewesen, und das kleine Mädchen konnte es gar nicht fassen, daß sie den alten Mann auf Erden nicht wieder sehen sollte.

Beim Sonnenaufgang ritten sie aus; als sie am Wärterhäuslein vorüber kamen, sagte sie zu Ilsabe: »Nun ist Andreas im Himmel!«

»Ja,« antwortete das Kind, »er hat den Herrn Jesus darum gebeten, dann kommt man immer gleich hinein.«

Sophie Dorothea blickte sie fragend an; sie faßte diese bestimmt ausgesprochenen Worte Ilsabes nicht in ihrer ganzen Tragweite, aber sie fühlte, daß sie eine besondere Bedeutung haben mußten. Herzog Magnus ritt neben ihr, so mochte sie Ilsabe nicht nach dem tieferen Sinn derselben fragen und schwieg. Sie würde ja bald mit ihr allein sein, dann wollte sie es nachholen. Die Herzogin hatte Ilsabe für eine Zeitlang nach Schwerin eingeladen, und sie war voller Freude. Zu Weihnachten ging Sophie Dorothea dann wieder nach Penzlin für mehrere Wochen, und im Sommer übers Jahr wollten die herzoglichen Kinder ihren Besuch wiederholen.

»Mit Sack und Pack komme ich wieder!« hatte der Bischof von Schwerin erklärt, – »prachtvolle Aussichten!«

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