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13. Kapitel.
Die Weihnachtsrose


Am Grabe der Priorissa,
Am ersten heiligen Christ,
Da habe ich gefunden,
Was nimmer mein Herz vergißt.

Tief in des Dornbusch' Zweigen,
Am Steine kalt und hart,
Mitten im kalten Winter
Erblüht ein Röslein zart.

Ich aber falte die Hände
Über dem Weihnachtsschnee –
Sei tausendmal willkommen,
Du Röslein aus der Höh'.

Weihnacht war's. Die Sonne war aufgegangen und grüßte mit goldenem Licht den Tag der Geburt des Hochgelobten. Schimmernd eilten ihre Strahlen über die winterliche Erde und legten ihren diamantenen Glanz über die Bäume und Büsche im Rauhreifschmuck. Kein Lüftchen regte sich. Wald und Flur hoben sich in strahlender Schönheit vom blauen Himmel ab und neigten leise die zarten Zweige im Festgewande. Tiefes Schweigen herrschte rings in der Morgenfrühe, die Natur bereitete sich, dem Kinde zu huldigen, das auch sie vom Dienst der Vergänglichkeit freigemacht.

Durch die klare Winterluft tönte der helle Ruf eines Glöckleins – im Kloster der Cisterzienserinnen zu Ivenack läutete es zur Christmette.

Der letzte Ton war verhallt, die Nonne, die das Glöckneramt verrichtet, trat aus der alten Klosterkirche hinaus in den Schnee. Eine zarte, liebliche Erscheinung war's, deren Antlitz im weißen Klosterkleide noch einen Schatten bleicher erschien, tiefer Ernst auf den jungen Zügen, in den großen Augen sanfte Trauer. Sie schauerte in der kalten Luft und wanderte langsam durch den kleinen Garten, der sich, von einer steinernen Mauer umgeben, bis dicht an den Ivenacker See erstreckte. Die Hand über die Augen gelegt, blickte sie in die strahlende Helle, dann wanderte sie weiter, bis die Mauer eine Biegung machte. Unter epheu-umschlungenem Steinkreuz schlummerte dort die erste Priorissa von Ivenack. Jahre und Zeiten waren verrauscht, seit man die Klosterfrau zur Ruh' getragen, Lenz und Winter hatten, wie so oft schon die stille Stätte besucht, nun ging wieder der Glanz der Christnacht darüber auf und vergoldete das Zeichen der Verheißung und des Glaubens. Ein Rosenbusch stand zu Füßen des Grabes und streckte die kahlen Zweige mit den letzten Blättern und halb verschneiten, roten Früchten in die frische Morgenluft. Die Jungfrau bog die Zweige auseinander, da blickte ihr, als hätte sie junges Leben geahnt, eine halbgeöffnete, weiße Rosenknospe aus dem Schnee entgegen. Die Thränen traten ihr in die Augen – eine blühende Rose mitten im Winter! Sie bückte sich und löste das Gezweig – als hätte sie ein Christgeschenk empfangen, war ihr ums Herz – und pflückte sie.

Vom Turm rief es zum Glöckneramt; die Tochter des Konvents faltete die Hände am Grabe der Ältermutter, dann wanderte sie der Kapelle zu. Als sie am Hochaltar vorüber kam, trat sie still hinzu. Unter dem Kreuz stand die Krippe, darin lag in Windeln das himmlische Kind. Die junge Nonne kniete nieder und zeichnete sich mit dem heiligen Kreuz, dann legte sie die Rosenknospe auf die Krippe des Erlösers und versenkte sich still in den Anblick des Weihnachtswunders. – – – –

Der letzte Ton vom Turm war verhallt. Oben auf dem Chor an der Orgel saß die Glöcknerin und intonierte leise und feierlich einen alten Christgesang. Da öffnete sich die Klosterpforte und die Schar der Nonnen kam in das Gotteshaus herab, – zarte Gestalten, auf den Wangen das blühende Rot der ersten Jugend, alte, gebeugte, die friedlichen Züge von Furchen und Runzeln des Lebensabends gezeichnet; voran die Äbtissin, eine hohe, schlanke Frauengestalt aus altem Geschlecht.

Lieblich tönte der Gesang der Nonnen durch die stille Abtei, als kämen die Engelein und sängen dem himmlischen Kinde das Wiegenlied. Durch die bunten Kirchenfenster blickte die Sonne und legte ihr helles Licht schimmernd über Altar, wo die Krippe stand. –

Die Nonnen waren gegangen, die Jungfrau, die die Orgel gespielt, kam die Stufen herab. Noch einmal trat sie zum Altar, warmes, goldenes Licht flutete ihr entgegen; sie kniete nieder und neigte das Haupt im Gebet. Als sie sich erhob, fiel ihr Blick auf die Blume, die sie an der Krippe niedergelegt – helles Leuchten zog über ihr zartes Antlitz – die Weihnachtsrose war aufgeblüht! –

Draußen am Kirchlein vorüber zog ein Wandersmann, der sang sein Christlied unter den glitzernden Bäumen. Festlich klangt durch die winterlichen Lande:

»Es ist ein Ros' entsprungen
Aus einer Wurzel zart,
Davon die Alten sungen,
Von Jesse kam die Art,
Und hat ein Röslein bracht' –
Mitten im kalten Winter,
Wohl zu der halben Nacht!«

Ein Mönch hatte es der Sage nach in der Frühe des Christtages gedichtet.

Lauschend stand die Jungfrau am Altar.

»Mitten im kalten Winter,« jubelte es herüber.

Noch einmal beugte sie sich über die Krippe, dann wanderte sie langsam die steinernen Stufen hinauf in ihre Zelle, das Lied von der Weihnachtsrose im Herzen.

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