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14. Kapitel.
Die Tochter des Konvents


Der Schwur, den du geleistet,
Ward er dir nimmer leid,
Sprach nie dein Herz dagegen,
Du Kind im Ordenskleid?

Die Weihnachtsglocken waren verklungen. Grau in grau lag die Landstraße, milder West zog über die Gegend, und von den Bäumen fielen große Tropfen. Der Rauhreifschmuck, der so lieblich das himmlische Kind empfangen, war zertaut, warm und weich grüßte der Norden die Jahreswende.

Im Kloster der Cisterzienserinnen saß Sophie Dorothea Maltzan in ihrer Zelle und stickte ein weißseidenes Antependium. In feinem Klosterstich, mit goldenem Faden kunstvoll gearbeitet, stellte es das Agnus dei mit der Siegesfahne dar; aus den vier Ecken blickten Engelsköpfchen, die durch ein feines Gerank verbunden waren.

Der prachtvolle Kirchenschmuck war vollendet; die Nonne hatte den letzten Stich gethan und breitete die Arbeit vor sich aus, sie mit prüfendem Blick betrachtend. Kein Fehler war in dem Kunstwerk zu finden, ein sonniges Lächeln zog über das junge Gesicht, sie hüllte die Arbeit in ein Linnen und legte sie in den Schrein. Dann stand sie auf und öffnete das kleine vergitterte Fenster. Laue Luft strömte herein, wie ein Frühlingsabend so feucht und still begann das neue Jahr. Sie lehnte die weiße Stirn an die eisernen Stäbe und lauschte hinaus. Einzelne Sterne blickten vom wolkenverhangenen Himmel in den Klostergarten hinab, wo der entblätterte Rosenstrauch in stiller Treue mit dem dornigen Gezweig das Kreuzbild Gottes umschlang. Dunkel hob sich die Kirche gegen den Abendhimmel, durch die bunten Scheiben des Chors schimmerte matt das rote Licht der ewigen Lampe. Schweigend blickte sie hinaus, tiefer Friede lag auf dem süßen Gesicht unter dem Schleier, – für Sophie Dorotheas Gemütsart war das Leben im Kloster vom wohlthätigsten Einfluß. Das Leid mit seiner Unabänderlichkeit, das ihr auferlegt ward, war ihr zu einer Bürde geworden, die sie nicht mehr missen wollte, und die stille, fromme Lebensweise, die Zurückgezogenheit, die geistlichen Übungen, das alles war so verwandt mit der Stimmung ihrer Seele, daß sie Beruhigung und Trost darin fand. Sie war dankbar, daß ihr niemand ihren Schmerz nahm und sie ihn im Herzen tragen durfte; sie murrte nicht, sondern trug sanft und still das Kreuz ihrem Heiland nach. Für ihre weiche, zarte Gemütsart war diese Verordnung der Kirche Roms eine segensvolle, und die harten Kämpfe eines starken, leidenschaftlichen Herzens blieben ihr, die sich in ihrem Leid an den, der es gesandt, lehnte, erspart oder wurden ihr erleichtert.

Lange hatte sie sinnend hinausgeblickt, ein Stern nach dem andern kam hervor, der Mond trat aus den Wolken und leuchtete in die Zelle, in der die Nonne stand. Seelenvoll sahen die blauen Augen empor, dann nahm sie die Lampe von der Wand und ging durch den Kreuzgang hinab in die Klosterkirche. Sie war allein. Die Kirche war durch das rote Licht, das unter dem Bilde der Schmerzensreichen brannte, nur matt erleuchtet. Die Krippe stand noch unter dem Kreuz, und die Rose, die Sophie Dorothea am Christtag gepflückt, lag noch an ihrem Platz, aber sie war verblüht.

»Selig' Leben, Duften und Verblühen an der Krippe des Hochgelobten!« sagte sie leise, hob die welke Blume auf und drückte sie an die Lippen. Dann wanderte sie zum Turm und versah das Glöckneramt, das ihr oblag. Leise Schritte kamen die Stufen aus dem Refektorium herab, eine eisgraue, ziemlich rundliche Klosterfrau schritt langsam durch das Langschiff und blickte prüfend mit den halb blinden Augen auf die geschnitzten Kirchenstühle, ob sich kein Stäubchen darauf sehen ließe. Aber es war nichts zu finden; die Alte machte ein zufriedenes Gesicht, sie hatte es nicht anders von ihrem Liebling erwartet. Nun schlich sie leise mit ihrem Krückstock auf dem steinernen Boden weiter in den Glockenturm. Dort stand im Halbdunkel Sophie Dorotheas Gestalt im weißen Ordenskleide, den Glockenstrang in den erhobenen Händen. Die junge Nonne schien durchaus nicht verwundert über den Anblick der Alten zu sein; ruhig setzte sie ihre Arbeit fort, daß der Tochter des Konvents die Ohren gellten. Schwester Ursula wußte schon, daß Sophie Dorothea nicht eher aufhörte, als sie es für richtig hielt, ob sie ihr auch die schönsten Geschichten mitzuteilen hatte, und so setzte sie sich, sich in das Unvermeidliche fügend, auf die Stufen der Wendeltreppe.

»Wenn du wüßtest, was ich weiß, hörtest du gleich auf,« murmelte sie vor sich hin.

Schwester Ursula gehörte zu denjenigen älteren Jungfrauen, die, so geht wenigstens die Sage, eine besondere Freude darin finden, ein Säcklein voll Geschichten mit sich herumzutragen, und vor einem dankbaren, oder in Ermangelung dessen auch undankbaren Zuhörer auszukramen. Die lieben Nächsten wurden nicht gerade immer freundlich dabei behandelt, und wenn sie zur Besinnung über ihre Thaten kam, so ward es der ehrsamen Jungfrau Ursula von Below gar schwül ums Herz, und sie fand nicht eher Ruhe, bis sie es im Beichtstuhl entlastet. Das Schlimme war, daß sie an dieser Untugend erblich litt – wenigstens erzählte man sich, daß ihre Mutter und Ältermutter schon eine große Zungenfertigkeit besessen. Heute konnte die alte Ursula ihre Neuigkeit mit gutem Gewissen erzählen.

Sophie Dorothea hatte ihre Arbeit vollendet, der letzte Ton verhallte in abendlicher Stille, sie kam die Stufen herab, Schwester Ursula erhob sich, und sie schloß die schwere, eisenbeschlagene Thür hinter ihnen. Als sie durch den Kreuzgang gingen, blieb die alte Klosterfrau unter einem eisernen Kerzenhalter stehen und räusperte sich. Die Junge hatte längst gemerkt, daß sie sich etwas vom Herzen sprechen wollte und sagte mit leisem Lächeln: »Nun, Schwester Ursula, Ihr habt eine Geschichte für mich, aber,« fügte sie, schalkhaft mit dem Finger drohend, hinzu, »es darf nichts über Schwester Felicitas sein, Ihr wißt, dann hör' ich nicht wieder zu.«

Ein Schatten von Verlegenheit glitt über das gefurchte Antlitz der an alte Sünden Erinnerten, dann räusperte sie sich ein zweites Mal und antwortete: »Nein, nein, ich darf es ruhig erzählen, das heißt, unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Morgen kommt der junge Bischof von Schwerin, um der Frau Äbtissin seinen fürstlichen Gruß zu entbieten.«

Die gesprächige Alte sah nicht, wie die junge Nonne totenbleich wurde und den scheuen Blick auf die Fliesen heftete. Lebhaft fuhr sie fort: »Er soll in Geschäften kommen, hörte ich bei der Pförtnerin, in Angelegenheiten des Klosters. Das Gefolge wird wohl in der Herberge bleiben, kann's mir nicht denken, daß die Mutter Monika all dieses Mannsvolk über ihre Schwelle läßt, 's möcht ihr auch übel bekommen. Das Refektorium sollen wir schmücken und den Speisesaal, ob wohl noch so viel Grünes im Klostergarten ist?«

»Wann kommt der Bischof?« fragte Sophie Dorothea teilnahmlos.

»Um die Mittagsstunde; aber Kind, was ist dir, du schauerst ja wie im Fieber, hast du im Glockenturm gefroren?«

»Nein,« sagte die Jungfrau und raffte sich auf, »mir fehlt nichts. Epheu und Juniperus sind im Garten die Menge,« fuhr sie dann, die an sie gestellte Frage beantwortend, fort, »aber wir müssen eilen, kaum werden wir fertig, ohne die Nacht zu Hilfe zu nehmen.«

Sprach's und öffnete die in den Garten führende Pforte. Die alte Nonne folgte ihr, den Vorrat zu besichtigen, dann kehrte sie in das Kloster zurück, indem sie ihrer Gefährtin zurief: »Ich werde dir drei der Schwestern zur Hilfe schicken, Sophie Dorothea, für meine alten, gichtigen Knochen taugt die feuchte Nachtluft nicht, eure jungen Glieder werden ihr eher standhalten. Morgen sollst du des Pförtneramts warten, läßt Mutter Monika dir sagen, Richardis ist am Fieber erkrankt!« Damit humpelte sie in das Haus, leichten Herzens, daß dieses Mal kein Druck auf ihrem Gewissen lastete und doch die Geschichte von der Seele herunter war.

Als sie gegangen, war's mit Sophie Dorotheas Fassung zu Ende. Krampfhaft schluchzend ließ sie die Zweige, die sie eben gepflückt, zur Erde fallen und lehnte sich zitternd an die kalte, steinerne Mauer, von der sie geglaubt, sie würde sie vor allen Unruhen und Kämpfen draußen in der Welt schützen. Wie anders war's gekommen! Über die Schwelle des Klosters, die sonst nur die Füße der Nonnen berührten, trat der Mann, bei dessen Namen ihr das Herz zum Zerspringen schlug. Ahnungslos, sie hier zu finden, würde er kommen, vor dessen Liebe sie geflüchtet war – welch ein Wiedersehen! Sie preßte die Hände gegen die Brust und rang gewaltsam nach Fassung.

Da öffnete sich die Klosterpforte, und drei weiße Gestalten traten aus dem hellen Kreuzgang in den Winterabend hinaus. Der Mond war hinter die Wolken getreten, so sahen sie nicht, wie bleich und verweint ihre Gefährtin war. Rasch ging's ans Werk, und in einer halben Stunde trugen sie zwei große Körbe mit Tannengrün, Epheu und Stechpalmen in das Refektorium, wo mehrere ältere Nonnen saßen, um die wichtige Arbeit zu beaufsichtigen.

Sophie Dorothea war die fleißigste von allen, und bald schmückten die Schwestern die Wände mit grünen Gewinden. Glühendes Rot lag auf dem weißen Gesicht; sie achtete es nicht, daß die Stechpalmen ihre zarten Finger verwundeten, und senkte, als die Äbtissin kam und ihr die Wangen streichelte, befangen den leuchtenden Blick.

Mitternacht war vorüber, als die Lichter im Kloster zu Ivenack erloschen, und der Mond seinen silbernen Strahl in die hohen, gewölbten Räume sandte, die dunklen Kränze an den Wänden beleuchtend. Ein düstres traumhaftes Bild war's. Die tiefen Schatten der mächtigen steinernen Säulen schienen ein Geheimnis verbergen zu wollen, das in der Stille des Klosters zum Leben erwacht war, und von den Wänden blickten, als rüsteten sie sich zum Totenfest, die grauen Gestalten abgeschiedener Klosterfrauen aus den eichenen Rahmen herab. Durch das winterliche Laub ging ein Rauschen, trauernd barg die Stechpalme die rote Frucht unterm dunkeln Blatt, und die Tannen flüsterten von junger, zum Tode verwundeter Liebe, die sterbend das Bild des Geliebten schmückt.

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