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10. Kapitel.
Sonnenschein und Regen


Sonnenschein und Frühlingsglanz,
Junges, frohes Lieben,
Seit die alte Erde steht,
Hat sie nichts vertrieben!
Doch mit dem Regenwetter,
Wie steht's, lieber Vetter?

In ihrem Gemach saß Frau Scholastika von Maltzan am Fenster und arbeitete an einem Hausgewand für ihren Eheherrn. Kaum sah sie auf, ernst und nachdenklich ruhten die Augen auf der Arbeit, und wenn sie sie einmal erhob, um einen neuen Faden aufzunehmen, wurden Thränenspuren sichtbar. Eine Seltenheit war's, die frische, fröhliche Hausfrau niedergedrückt und traurig zu sehen – Frau Scholastikas Thränen mußten einen besonderen, tieferen Grund haben.

Mit einem ebenso traurigen Gesicht betrat jetzt der alte Berendt das Gemach seines Weibes. Er war in den letzten Jahren stark ergraut, und das Alter fing an, ihn an den Lebensabend zu mahnen. Schweigend setzte er sich an den Tisch und stützte das Haupt in beide Hände. Endlich hub er an: »Ich habe noch einmal mit Sophie Dorothea gesprochen, aber das Kind bleibt ja bei seinem Entschluß. Mir bricht fast das Herz darüber – die einzige Tochter im Kloster, – aber es will mich ein Unrecht dünken, wenn wir sie davon zurückhalten, wo sie es so dringend begehrt. Armes Ding, warum mußte sie an den Hof. Dies sind nun die Folgen.« Er seufzte tief. »Was hilft's mir, daß ich mir heute Vorwürfe mache, – es ist nichts mehr zu ändern, und sie wird den Fürstensohn im Leben nicht vergessen. Ich sagte ihr eben, Jaspar Bülow habe bei mir um sie geworben, aber sie achtete kaum darauf und weinte nur leise vor sich hin.«

»Hast du dem Junker abgeschrieben?« fragte sein Gemahl.

»Noch nicht,« erwiderte er, »morgen muß ich's aber spätestens thun. Mir ist's leid, aber zwingen kann ich das Kind nicht.«

Sie schüttelte das Haupt.

»Nein, gewiß nicht,« antwortete sie, »Ehen werden im Himmel geschlossen, und wenn sie die Liebe zu Herzog Magnus im Herzen behält, so giebt's ein Unglück. Rührend war's mir, wie sie gestern abend zu mir kam und mir alles sagte, wie sie mich um Verzeihung bat, daß sie nicht eher gekommen. Es hätte ihr täglich auf der Seele gebrannt, aber es hätte nicht über die Lippen gewollt. Ein Unglück ist's gewesen um dies junge Lieben – eine halbaufgebrochene Knospe ist durch ein Wetter geknickt. Sophie Dorothea wird nur einmal im Leben lieben, ich kenne mein Kind! Es wird diesen Schmerz still tragen bis ins Grab. Und wenn sie heute das Kleid der frommen Frauen begehrt, so denke nicht, daß sie es je bereuen wird; sie wird ihr hoffnungsloses Lieben wie ein Kleinod auf jungfräulichem Herzen tragen, aber nach dem Beruf des Weibes wird sie sich nie wieder sehnen.

Du darfst dir keinen Vorwurf machen. Schweren Herzens hast du damals, als der Herzog um unser Kind bat, deine Pflicht gethan als ein getreuer Vasall – dies Leid hat Gott der Herr auf uns gelegt, wir hätten seinem Willen nicht ausweichen können, auch wenn Sophie Dorothea in unsrer Obhut geblieben wäre.«

Sie hatte sich erhoben und legte die Hand auf seine Schulter.

»Berendt,« sagte sie ernst, »wie oft hast du mich gemahnt, daß Gottes Wege die besten sind!«

Er faßte ihre Hand und sagte: »Ja, du hast recht, das habe ich gethan, und diese Gewißheit soll auch heute meine Stärke sein – aber bitterschwer wird der Glaube einem Menschenkinde, wenn es so gar nicht das Ziel von Gottes Willen erblickt.«

»Wir tragen das Leid zusammen, nicht wahr, Berendt?« sagte sie, tapfer ihre Thränen zurückdrängend, zu dem Gemahl. »Gott und die Heiligen verlassen uns nicht, wenn wir auf rechtem Wege bleiben, und dies ist ganz gewiß der rechte. Sie werden uns neben dem Leid auch den Sonnenschein nicht fehlen lassen, deß bin ich sicher. Sieh', wie lieblich Ilsabe aufblüht. Ich habe nur immer den einen Wunsch, daß Georg sie einmal heimführt!«

Er nickte beistimmend. »Auch mir könnte er keine Liebere bringen – fast lieb' ich sie mehr, als Sabine.«

»Sag' mir nichts auf meines Ältesten holdes Weib,« sagte sie, ihm lächelnd mit dem Finger drohend. »Sabine ist ein Schatz für Joachim und für unser ganzes Haus.«

Sie war an das Fenster getreten, um ihre Arbeit zusammenzunehmen, und blickte hinaus.

Da ward unten ihre ganze Aufmerksamkeit gefesselt, mit gefalteten Händen sah sie hinab.

»Berendt,« flüsterte sie endlich.

Begierig, was sie so fesseln möge, erhob er sich und trat zu ihr. Da bot sich seinen Augen ein lieblich Bild. Drüben unter der alten Linde standen Georg und Ilsabe. Er hielt das Mägdlein im Arm, ihr Haupt ruhte an seiner Brust, und er blickte ihr in die dunklen Augen. Kein Blättchen regte sich, es war, als hielten die Wipfel den Atem an, um dem süßen Geheimnis der beiden zu lauschen.

In Frau Scholastikas Augen schimmerte es feucht, leise drückte sie die Hand des Gemahls. Als die beiden dann zusammen der Burg zuschritten, grüßte es mit liebendem Blick hinab, und einige Augenblicke später führte Georg den Eltern die Braut zu.

»Vergebt mir,« sagte er nach dem ersten Jubel, »daß ich nicht, nach dem ich anlangte, zuerst zu Euch kam. Ich habe mir vorgestern bei dem Roggower das Jawort geholt und wollte heute früh, ehe ich zu Ilsabe ging, mit euch reden – da sah ich sie im Vorüberreiten unter der Linde, und es hielt mich nicht länger!« – Er sah sie glücklich an. »Wir wissen es ja beide, daß es eine lange Wartezeit giebt, aber ich konnte nicht länger – und ich denke, ihr habt nichts dawider, wenn wir ein Jahr länger den Brautring tragen.«

»Nein,« sagte Berendt, »wir sind froh, daß sie dein eigen ist. Keine liebere Tochter hättest du mir ins Haus führen können« – er nahm das Mägdlein ans Herz und küßte es.

»Ilsabe, mein Sonnenschein, Gott segne dich, Braut meines Sohnes!« sagte er tief bewegt und legte ihr die Hand aufs Haupt. Sie neigte es demütig, dann beugte sie sich über die Hände der Eltern und küßte sie.

»Wenn das Frau Ilsabe erlebt hätte,« sagte Scholastika, und die Jungfrau schlang die Arme um die Mutter des Geliebten und barg das Haupt an ihrer Brust. Sanft strich sie ihr über das dunkle Haar und küßte sie. Draußen aber rauschten die letzten, goldenen Blätter; ein Flüstern ging durch die Wipfel der Linde – sie überbrachten die Grüße einer Toten am Morgen der Liebe.

Welkes Laub lag auf Frau Ilsabes Grab, und die Blumen waren verdorrt und abgefallen nach dem Worte des Herrn, aber der Geist war zu dem gegangen, der das Leben ist – Mutterliebe stirbt nicht.


Sophie Dorothea saß in ihrem Gemach und stickte in feinem Klosterstich eine weißseidene Altardecke. Traumhaft ruhig blickten die blauen, halbgeöffneten Augen auf die Arbeit, wie ein Bild stiller Ergebung saß sie da; Frau Scholastika hatte recht, ihr Kind würde nicht ein zweites Mal lieben, nachdem sein Glück das erste Mal so jäh zerbrochen worden, die Knospe schloß sich wieder, ehe sie sich zur Blüte entfaltet hatte.

Da öffnete sich leise die Thür; sie blickte empor.

»Georg, du hier?« rief sie, sich erhebend und ein frohes Lächeln zog über ihr weißes Gesicht. Er umfaßte die Schwester und küßte ihre Stirn; dann zog er die hinter ihm stehende Ilsabe an sich und sagte: »Himmelschlüsselchen, ich habe dir etwas Wunderschönes zu erzählen, kannst du's dir wohl denken?«

Sie warf einen fragenden Blick auf die Gespielin. Ilsabe aber flog ihr um den Hals. Sophie Dorothea stürzten die Thränen aus den Augen, sie küßte die Freundin wieder und wieder, dann schlang sie beide Arme um den Hals des Bruders und rief: »Lieber, lieber Georg, wie freue ich mich, daß ihr beiden euch gefunden!«

Bewegt hielt er sie an der Brust. Es stieg ihm heiß in die Augen beim Anblick des jungen, holden Geschöpfes, das in schwesterlicher Liebe all sein Leid zu vergessen schien und sich an dem aufblühenden Glück des Bruders freute. Er strich über ihr lichtes Haar und drückte ihr Haupt an seine Brust. »Sophie Dorothea!« sagte er leise. Da schlang sie die Arme fester um ihn und weinte sich aus an seinem Herzen.

»Bleib' bei uns,« sagte er endlich, sanft ihr Haupt emporhebend, »wir wollen dich hegen und pflegen, Ilsabe ist nun dein Schwesterlein, und die Eltern sind glücklich, wenn du bleibst. Sie werden jetzt alt, und bald sind sie ganz allein!«

»Ja, bleib' bei uns,« bat auch die Braut, die, sich an sie schmiegend, ihre Bitten mit der des Verlobten vereinte.

Aber Sophie Dorothea bat, ihre Thränen trocknend: »Macht mir das Herz nicht schwer, es ist besser so, daß ich gehe. Der Hochgelobte hat mir den Weg gezeigt, und es ist das Beste, wenn ich bei den frommen Frauen bleibe. Im Kloster werde ich den Frieden finden im Dienst der lieben Heiligen.«

Ilsabe blickte sie traurig an. »Laßt mich jetzt allein,« fuhr sie fort, »ich möchte mich wieder sammeln und ruhig werden, bis es zum Essen läutet, damit ich die Eltern an diesem Tage nicht durch ein traurig Gesicht betrübe.«

Sie drückten ihr die Hand und gingen.

Draußen sagte Ilsabe zu dem Verlobten: »Georg, ich muß dir etwas sagen, vergieb, daß ich es nicht gleich heute früh gethan, als ich dir das Jawort gab, aber das Glück kam so rasch über mich,« setzte sie errötend hinzu.

»Und was sollte das sein, Geliebte?« unterbrach er sie, die kleine Hand an die Lippen drückend. »Was hast du auf dem Herzen?«

»Georg,« sagte sie und barg zitternd das Haupt an seiner Brust – »ich bin eine Anhängerin der neuen Lehre!«

Er hielt sie einen Augenblick still im Arm, dann beugte er sich zu ihr nieder, hob ihr Haupt empor und sagte: »Und was ängstigt dich dabei, mein Lieb'? Denkst du, das ändere etwas an meiner Liebe zu dir? Die neue Lehre nimmt jetzt sehr überhand, ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll, die Kirche ist so voll Spaltungen, der Glaube so wahnumfangen und durch den Klerus nicht gehoben, sondern verlästert, daß man oft denken könnte, es sei nichts mehr damit!«

Sie sah angstvoll zu ihm empor, er aber schloß ihr mit heißen Küssen den Mund und flüsterte: »Unsere Liebe hat uns Gott geschenkt, er wird sie uns erhalten, – und ob du dich zur neuen Lehre bekennst, so glauben wir doch an denselben Vater im Himmel!«

»Und an denselben Heiland, durch dessen Blut wir selig werden, und an seinen heiligen Geist, der uns erleuchtet, nicht wahr?« sagte sie, fragend zu ihm aufblickend.

Wieder preßte er statt der Antwort seine Lippen auf den zarten Mund der Jungfrau.

»Mein bist du!« flüsterte er in leidenschaftlicher Liebe, hob sie empor und trug sie in den stillen Garten hinab. Unter der alten Linde ließ er sie auf die Bank nieder, kniete neben ihr hin und legte sein Haupt an ihre Brust. Sie hielt dem Thun des Geliebten still, wie im Traum glitt die Hand mit dem goldenen Brautring durch sein blondes Haar.

»Mein bist du!« klang es in ihrer Seele wieder, mit seliger Gewalt war's über sie gekommen, der sie nicht widerstehen konnte. Verwachsen war sie mit dem Manne, der zu ihren Füßen kniete, und in ihrem Herzen klang es jubelnd: Liebe ist stark wie der Tod, daß auch viele Wasser nicht können die Liebe auslöschen! Sie bezwang ein Gefühl leisen Bangens, das in ihrer Seele über das Bekenntnis des Geliebten aufsteigen wollte – hatte Gott der Herr ihr doch dieses Glück beschert – so hatte Georg selbst gesprochen – sie durfte, nein, sie konnte und wollte nicht an seinem Glauben zweifeln.

Fester und fester drückte er sie an sich. Keines von ihnen beiden sprach ein Wort. Im seligsten Geben und Empfangen waren sie eins geworden, sie in zarter, bräutlicher Hingebung an den Geliebten, er im Gefühl ihres Besitzes und des Bewußtseins der tiefen, starken Liebe des Mannes, die nicht nur des errungenen Kleinods sich freut, sondern ihre ganze beeinflussende, kräftigende und besiegende Fülle auf sie, die sich ihm zu eigen giebt, wirken läßt.

In der Burg läutete die Mittagsglocke. Er stand auf und hob sie empor. Sie umschlang seinen Hals und legte sich schweigend an seine Brust.

»Ilsabe,« sagte er leise.

Da hob sie das Haupt empor und sah ihn mit voller Liebe an. Sein Blick ruhte auf ihr, dann beugte er sich zu ihr nieder und küßte sie. Die dunklen Augen aber sahen empor und versenkten sich in die klaren, blauen des Geliebten, während sie still das Glück von seinen Lippen trank.

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