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3. Kapitel.
Im Hause Heinrich des Friedfertigen


Mein holdes fürstliches Gemahl
Lebt tief in meinem Herzen!
Als meines Hauses Königin
Teilt es in hochgemutem Sinn
Mein Glück und meine Schmerzen.

Kälter und kälter ward's draußen, und die letzten gelben Blätter fielen von den Bäumen. Nun waren sie wieder kahl für lange Zeit, und der Wind strich schaurig durch die Wipfel, wie eine düstere Totenklage. Trauernd saßen vereinsamte Vögel in den Turmzinken der Burgen und blickten frierend in die winterlichen Lande hinaus. Nicht einmal die Sonne kam – es war, als wollte sie nichts mehr wissen von der Erde, als hielte sie ihren goldenen Strahl für zu rein, um der Welt noch länger zu leuchten, die in schnöder Verachtung und Selbstverherrlichung das helle Licht verwarf, das ihr in gnadenvoller Zeit erschienen war, als riefe sie dem Volk, das gedankenlos, das Herz von Erdenfreude trunken, den Christbaum in heiliger Nacht anzünden wollte, ohne das Weihnachtsheil zu kennen und danach zu fragen, mahnend und strafend zu: »Lösch deines Baumes Kerzen aus, du hast kein Recht am Weihnachtsjubel! Du sprichst, ich bin reich und habe gar satt und bedarf nichts, und weißt nicht, daß du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß! (Offenb. 3, 17.) Du hast kein Recht am Weihnachtslicht, ehe du nicht an der Krippe des Kindes von Bethlehem gekniet, ehe du ihm nicht huldigst als dem Schöpfer Himmels und der Erden!«

Ja, sie mußte manches mit ansehen auf Erden, was ihrem reinen, gottgeschaffenen Lichte wehe that, und so zog sie es oft vor, ihre goldenen Strahlen nach der anderen Seite hin auszusenden, wo die Englein im Paradiese spielten, und ihre Fenster, die nach der Erde hinaus führten, ein paar Tage mit dichten Nebeln zu verhängen, bis ihr das Gewissen schlug, und sie wieder unten nach dem Rechten sah. Aber eine Weihnachtsfreude wartete ihrer doch. Es war ihr in ihrer Trauer über die Sünde auf Erden ganz entgangen, daß der liebe Herrgott ganz in der Stille ein Licht angesteckt und es hochgestellt hatte, daß es aller Welt leuchte. Es war ihr entgangen, wie es manchem klugen Kopf auf Erden entgangen war, daß gewaltige, welterschütternde Dinge sich vorbereiteten, denn auch die Frau Sonne sieht nur, wenn sie die Augen öffnet. Den Menschenkindern unten war's freilich noch verborgen, als sie schon längst ihre Weihnachtsfreude daran gehabt, und es bewahrheitete sich das Wort an ihnen: »Mit sehenden Augen sehen sie nicht.« (Matth. 13, 13.)

Als der gewaltige Anfang des Reformationswerkes gemacht war, als Dr. Martin Luther seine fünfundneunzig Thesen am Vorabend des Allerheiligenfestes an die Thür des Wittenberger Gotteshauses und damit die erste klaffende Bresche in Roms Sündenbau geschlagen, ahnte keiner die weltbewegenden Folgen dieses Schrittes, und das Oberhaupt der christlichen Kirche tröstete sich und seine Gesellen: »Es sind Streitigkeiten der Brüderlein untereinander!« Ausspruch Papst Leo X. Wahrlich, ein Wort, das ihm teuer zu stehen gekommen, denn wenige Jahre später schwor ein großes Volk zu den Fahnen des verachteten Augustiners, und seine Boten trugen die reine Lehre über Deutschlands Grenzen hinaus. Ja, nach kurzer Zeit jubelte eine gewaltige Schar: »Das Wort sie sollen lassen stahn!« unberührt von Bannstrahl und Feindeshaß. Und sie haben's stehen gelassen, sie mußten es. Mit blanken Waffen und noch blankerem Wort hat Gottes Volk sein Heil verteidigt und seinen Kindern und Kindeskindern einen Schatz hinterlassen, den kein Gold der Welt aufwiegt. Es hatte den Sieg von vornherein auf seiner Seite, denn der erhöhte Herr und Meister hatte sich seiner Kirche selbst angenommen – die Pforten der Hölle durften sie nicht überwältigen und werden es nicht bis zum Ende der Zeiten. Das war das Licht, das der Adventskönig in der Winternacht des Jahres 1517 angezündet, daß es seines Volkes Herdfeuer werde, daß es ihm zur seligen, gewissen Weihnachtsfreude verhelfe. Ein Jahr des Heils ging zur Neige, ein Jahr des Heils sollte durch Gottes Gnade wiederum aufgehen, denn das Licht stand wieder auf dem Leuchter, daß alle Welt seinen Heilsrat erkenne. – – –

Über den mecklenburgischen Landen lagen noch die Nebel des Aberglaubens. Seit den ersten wiclefitischen Bewegungen waren mehr als hundert Jahre verstrichen, aber sie hatten doch in dieser Zeit verhältnismäßig wenig gewirkt – Gottes Uhr hatte noch nicht geschlagen Nur in einzelnen Orten ward es früher Licht; in Rostock wurde schon im Jahre 1516 evangelische Lehre gepredigt. Die kirchlichen, wie die sozialen Verhältnisse lagen gänzlich danieder. Ist's doch eine alte Thatsache, welche in Kraft treten wird, so lange die Erde steht und Geschlechter kommen und gehen, daß ein Volk auf der Höhe der Kultur in seiner Blüte steht, so lange es sich auf den Glauben der Kirche gründet, so lange seine Kraft auf dem reinen Bekenntnis gründet, daß aber sein Verfall mit dem Abfall von demselben beginnt. Nun hafteten der Kirche selbst Makel an, sie ging dem sicheren Verderben entgegen, wenn Gott der Herr nicht ein Halt gebot, – wie sollte sich da ein Volk halten, wo ihm der Boden unter den Füßen wankte – nein, das Wohl und Wehe der sozialen Verhältnisse hängt immer von der Stellung eines Volkes zur Kirche ab und steigt und fällt mit der Blütezeit und dem Verfall derselben.

In Schwerin saß Herzog Heinrich V. der Friedfertige (1503–1552), ein Sohn Magnus II. und dessen Gemahlin Sophia von Pommern-Stettin, auf dem Thron, während sein Bruder Albrecht VII. der Schöne im Schloß zu Güstrow residierte. Bis zum Jahre 1519 regierten die Brüder gemeinsam, dann setzte Albrecht eine Teilung durch. Er war sehr ehrgeizig und trug sich mit hochfliegenden Plänen, Heinrich aber, der erkannte, daß fortwährende Landesteilungen Fürst und Volk schwächen, hätte seinen Plan gern hintertrieben. Da ihm dies mißlang, teilte er alle einzelnen Ämter in zwei unzusammenhängende Hälften, von welchen Herzog Albrecht die eine erhielt. Die Teilung war also bedeutungslos und im Grunde nur zeremoniell. Die einzige Folge derselben war, daß Heinrich in Schwerin und Albrecht in Güstrow residierte. Sonst blieb alles beim Alten. Albrechts ruheloser Geist machte vieles verkehrt und brachte Not und Unruhe ins Land, die Herzog Heinrich mit mildem Zepter zu glätten suchte. Er war ein weiser, friedliebender Fürst, dessen Regierung eine für Mecklenburg segensreiche war, und wurde in späteren Jahren ein eifriger Förderer und Beschützer der Reformation. Nach dem Tode seiner ersten Gemahlin, Ursula von Brandenburg, führte er im Jahre 1513 durch seine Verbindung mit der Prinzessin Helene von der Pfalz seinem Volke zum zweitenmal eine Landesmutter zu. Heinrichs einziger Sohn aus erster Ehe, Magnus, führte später im Bistum Schwerin den Krummstab; d. h. im Jahre 1516 als siebenjähriges Kind gewählt, sollte er, nach der während seiner Minderjährigkeit ihm als Bischof von Schwerin verliehenen päpstlichen Bestätigung, mit dem siebenundzwanzigsten Jahre den vollen Besitz des Bistums übernehmen, auf Verwendung seines Vaters erlangte er aber die Erlaubnis, schon mit vierundzwanzig Jahren, wiewohl ohne Bischofsweihe, die Stiftsregierung anzutreten. Vorläufig führte Heinrich die Administration des Bistums.

Außer diesem Sohn hatte die Herzogin Ursula ihrem Gemahl zwei Töchter hinterlassen, Sophia und Ursula –, so hatte die junge Pfalzgräfin gleich Mutterpflichten zu übernehmen. Sie selbst war im Jahre 1517 im Besitz eines Sohnes, des später schwachsinnigen Philipp, und einer Tochter, Margarethe, der später noch eine zweite, Katharina, folgte. Herzog Albrecht der Schöne war sieben Jahre jünger als sein Bruder und damals noch unvermählt.

Ein dunkler Dezembermorgen war's, wenige Tage vor dem heiligen Christfest, als Herzog Heinrich in dem von ihm bewohnten Teil des Schlosses zu Schwerin in seinem Gemache saß und schrieb. Das Schweriner Schloß besaß damals folgende Teile: Das »lange Haus« nach dem Schweriner See zu, das »Zeughaus« nach dem Burgsee zu und das »Haus Heinrichs des Friedfertigen« nach dem jetzigen Schloßgarten zu. Später erweiterte es Herzog Johann Albrecht I. (1547-1576), der das Schloß durchbaute, durch den Bau des »neuen Hauses« und der Schloßkirche. Er war für seine Zeit nicht ungewandt im Schreiben, aber eine gewaltige Arbeit war's doch solch ein Schriftstück mit der Gänsefeder, und der Landesherr legte die letztere mit einem Seufzer der Erleichterung beiseite, als er seinen Namen darunter gesetzt. Die Thür öffnete sich leise, und eine junge Frau in fürstlicher Kleidung trat ein. Das zarte Gesicht mit der feinen gebogenen Nase und den klaren rehbraunen Augen umrahmte ein Häubchen von Goldbrokat mit Perlen besetzt. Ein Schleier war darüber befestigt, der über die Schultern herabfiel. Die Fürstin trug ein lichtgrünes, golddurchwirktes Seidengewand mit gebauschten und geschlitzten Ärmeln, welche breite, gelbliche Spitzen aus Brabant verzierten. Einen Kragen aus rotem Sammet mit Zobel besetzt, der sie gegen die Kälte der Flure geschützt, hatte sie zurückgeschlagen, wodurch der weiße Hals mit kostbarem Perlenschmuck sichtbar ward. Ein unbeschreiblicher Liebreiz lag in der jugendlichen Erscheinung der etwa dreiundzwanzigjährigen Landesmutter, welche jungfräuliche Anmut mit der Würde der fürstlichen Frau harmonisch vereinigte. Sie trat an den Schreibtisch und legte die mit kostbaren Ringen geschmückte Hand auf die Schulter ihres Gemahls.

Er hatte sie nicht kommen hören und sah überrascht empor. Dann führte er die zarten Finger an die Lippen.

»Euer Liebden haben mich rufen lassen,« sagte die Herzogin.

»Ja wohl,« erwiderte er, sich erhebend und seine Gemahlin zu einem breiten Polstersitz führend, »ich habe mit Euch zu reden wegen der Kinder. Ich weiß ja, mit welcher Liebe Ihr vom ersten Tage unserer Ehe an den Kindern meiner in Gott ruhenden Gemahlin begegnet seid, daß Ihr ihnen die Mutter ersetzt habt, wie es nur eine Frau vermag, die alle Tugenden eines christlichen Weibes in sich vereinigt. Ich setze deshalb das vollste Interesse, das Wohlergehen dieser Kinder betreffend, bei Euch voraus und möchte Euren Rat und Eure Zustimmung als Gattin und Mutter einholen, ehe ich meinen Plan ausführe. Sophia und Ursula wachsen zu einsam auf, Eure Tochter ist sehr viel jünger, und so bin ich auf den Gedanken gekommen, ein adelig Kind als ihre Gespielin und Genossin mit ihnen erziehen zu lassen und später vielleicht als Hoffräulein hier zu behalten, bis wir die Prinzessinnen vermählen. Wie denken Euer Liebden über diese Sache?«

»Ich bin ganz Eurer Ansicht, mein Gemahl,« sagte die schöne Frau, »hab' ich doch selber über diesen Punkt nachgedacht und finde es sehr gut, wenn Sophia und Ursula mit einem Kinde aus einfacheren Verhältnissen erzogen werden – es schleift ab und verkleinert die eigenen Ansprüche. Wir müssen nur dafür sorgen, daß das kleine Fräulein nicht verwöhnt wird,« schloß sie lächelnd.

»Ja, das müssen wir, obgleich manches reiche Patrizierkind eine bessere Mitgift erhält, als eine Fürstentochter,« erwiderte Heinrich. »Aber ich denke, es soll uns eben die Hilfe sein, die eigenen Kinder nicht zu verwöhnen. Ich habe an das Töchterlein meines getreuen Rats, Berendt Maltzan, gedacht, welches eines Alters mit unsern Kindern sein muß, und habe ihm eben geschrieben, wollte aber den Brief nicht absenden, ehe ich Euer Liebden Meinung und Wünsche vernommen.«

Sie stand auf und schlang die Arme um den Hals des Gemahls. Die braunen Augen sahen ihn glücklich an.

»Eure Wünsche sind immer die meinen, Eure Sorgen und Lasten, Eure Freuden und Euer Glück teile ich. Seht meine Jugend nicht gering an, mein Gemahl,« fuhr sie errötend fort, »es ist mein fester Wille, die Sorgen einer Landesmutter ganz auf mich zu nehmen, und ihre Pflichten nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen. Euer Liebden verschonen mich oft mit unbequemen Dingen, die aber doch zu meinen Pflichten gehören, erlaubt mir, Euch dies auszusprechen, nicht als einen Vorwurf, sondern als die Bitte, das Weib, das Euch anvertraut ist, Eure Sorgen, soweit es dazu befähigt und berufen ist, teilen zu lassen, und sie ihm nicht aus Schonung zu verschweigen.«

Der Herzog sah lächelnd in das bittende Antlitz seines jungen Gemahls. »Habe ich das versäumt, Helena?«

Sie lehnte den Kopf an seine Schulter.

»Ihr habt in übergroßer Liebe meiner oft geschont,« sagte sie sanft, »aber nicht wahr, Ihr thut es nicht wieder? Ich bin stolz und glücklich, Herzog Heinrichs Gemahl zu sein, aber ich möchte auch dem Volke, das ihm huldigt, im vollen Sinne des Wortes Landesmutter werden.«

Er küßte ihre Stirn und sagte: »Ihr habt recht, ich will's besser machen. Nun, und wie ist's, soll Sophie Dorothea Maltzan kommen?«

»Ja,« sagte sie, »doch eins fällt mir ein! Sind die Maltzan noch getreue Anhänger der Kirche? Berendt Maltzan hat ein Mägdlein im Hause, eine Oertzen, deren Mutter wegen hussitischer Ketzerei in Penzlin auf die Folter kam – seid Ihr sicher, daß uns nichts derartiges ins Haus getragen wird?«

»Ganz sicher,« sagte der Herzog, »Berendt ist ein getreuer Katholik, ebenso sein Gemahl. Außerdem hab' ich die Ketzer nie in der Weise, wie es sonst geschieht, als Ausgeburt der Hölle betrachten können, sie sind doch auch Menschen, die den Christenglauben ihr eigen nennen wollen, und keine Heiden. Jedenfalls stelle ich es sehr in Frage, ob es recht ist, solch' blutigen Krieg gegen sie zu führen.«

»Herzog Heinrich der Friedfertige!« sagte die hohe Frau, lächelnd zu ihm aufblickend.

»Besser als der Kriegerische,« antwortete ihr Gemahl, »übrigens stehen wir in einer ernsten Wartezeit. Kirche und Volksleben bedürfen dringend einer Reform, und wer weiß, ob Gott nicht aus dem Verachteten und Verfolgten sein Werkzeug erkoren hat – ich für mein Teil erlaube mir noch kein richtendes Urteil über den kühnen Augustiner in Wittenberg, denn darin hat er recht, daß sich viel Menschliches und Verkehrtes in die Kirche eingeschlichen hat. Jedenfalls ist es ein Mann von großer Bedeutung, der so unerschrocken einer Macht, wie der der römischen Kirche, gegenübertritt und seine Ansicht verteidigt.«

Sie blickte ernst hinaus über die winterlichen Seen und sagte wie in Gedanken: »Wer weiß, ob nicht unsere Kinder und Kindeskinder unter diesen Fahnen streiten! Wenn sie uns nur Gottes liebes, heiliges Wort rein und unverfälscht bringen, so sollen sie gesegnet sein!«


Wenige Wochen später, an einem hellen Januar-Nachmittage, kam ein kleiner Zug berittener Mannen, mit dem Weinstock in den Wappenschilden durch Schwerins Thor und schlug den Weg nach dem Schlosse ein. Zur Rechten des vornehmen Führers ritt auf einem edlen Zelter ein Mägdlein von etwa acht Jahren. Es trug ein langes, blausammetenes Reitkleid und einen großen Pelzkragen darüber. Vom Hute wehten helle gelbe und blaue Straußenfedern. Auch am Saum des Gewandes war eine goldgelbe Verzierung angebracht – das kleine Fräulein trug die Farben seines Hauses. Nun waren sie im Schloßhof angelangt, die winterliche Abendsonne vergoldete die beschneiten Dächer und Türme des alten Fürstenhauses, und das Kind blickte staunend empor.

»Sind wir nun da, Vater?« fragte es.

»Ja, wir sind da,« antwortete Berendt Maltzan und hob sein Töchterlein aus dem Sattel.

Da öffnete sich oben im Hause Heinrichs des Friedfertigen ein Fenster, und ein liebliches Frauenantlitz grüßte freundlich hernieder, ein dunkles und ein blondes Kinderköpfchen zur Seite.

Der Ritter verneigte sich ehrerbietig vor der hohen Frau, und die kleine Sophie Dorothea machte ihre allerschönste Verbeugung, die sie daheim bei der Mutter gelernt. Die Herzogin nickte dem Kinde freundlich zu, und die beiden kleinen fürstlichen Fräulein So wurden in damaliger Zeit die noch unvermählten Prinzessinnen genannt. winkten mit den Händchen der Gespielin Willkommen entgegen. Dann nahm der alte Berendt sein Töchterlein bei der Hand und führte es die Treppen hinauf. Ein Diener, der sie geleitete, öffnete ihnen zwei Gemächer, in denen sie die Reisekleider ablegten. Bald darauf trat der Ritter in seidener Hoftracht in Sophie Dorotheas Gemach, der eine Zofe beim Ankleiden behilflich gewesen. Wie ein Bild aus vergangener Zeit, vom Pinsel alter Meister anmutig geschaffen, erschien ihm sein Töchterlein in dem langen, weißen, mit Spitzen verzierten Seidengewand, das goldblonde Lockenhaar in Ringeln über die zarten Schultern herabhängend. Er hätte Sophie Dorothea am liebsten gleich wieder mit heimgenommen, aber andererseits regte sich auch der väterliche Stolz beim Anblick des schönen Kindes, welches sein Fürst so vor den übrigen Töchtern des Landes auszeichnete.

»Donnerwetter, Himmelschlüsselchen!« rief der alte Recke, auf der Schwelle stehen bleibend. Zum Glück behielt er den Nachsatz für sich, weil es ihm noch rechtzeitig einfiel, daß es doch schade sei, wenn Sophie Dorothea eitel würde; denn das war ja gerade das Anziehende an dem Kinde, daß es nichts von seiner Schönheit ahnte. Er nahm es auf den Arm, küßte es und sagte, den kleinen Fuß im weißseidenen Strümpfchen und Atlasschuh in seine breite Rechte nehmend: »Drücken dich die neuen Schuhe nicht, Liebling?«

»Nein, Vater, dann hätte ich sie wieder ausgezogen!« entgegnete sie ruhig.

»So – und wärst in Söckchen zu Hof gegangen?« scherzte er.

Sophie Dorothea schüttelte die Locken und sagte ernsthaft: »Nein, Vater, ich hätte meine Lederschuhe angezogen!«

»So,« lächelte Berendt, »das ist brav! Nun komm' und vergiß mir nicht den Handkuß, und daß du ›Fürstliche Gnaden‹ sagen mußt.«

Gleich darauf standen die beiden vor dem herzoglichen Paare, welches den alten, treuen Rat und sein Kind herzlich empfing. Die Herzogin war ganz entzückt von dem Mägdlein, und Herzog Heinrich ließ es auf seinen Knieen schaukeln. Die fürstlichen Kinder aber hatten sich bald an die neue Gefährtin gewöhnt und spielten mit ihr, als wären sie alte, gute Freunde. Der kleine Herzog Magnus entführte als Räuber Sophie Dorothea auf seine Burg und hielt sie daselbst in Ketten in einem dunklen Kerker von Teppichen und Möbeln gefangen, bis die beiden Prinzessinnen ein reiches Lösegeld an Konfekt brachten, welches sich nach dem Friedensschluß die beiden feindlichen Parteien aber brüderlich teilten.

Am Abend kam der Abschied von Ritter Berendt, der beiden sehr schwer wurde. Der Rat konnte sich nicht trennen von seinem einzigen Töchterlein, welches heiße Abschiedsthränen an seinem Halse weinte.

»Sophie Dorothea kommt bald nach Penzlin zum Besuch,« tröstete die Herzogin in ihrer anmutigen Weise Vater E und Kind. »Nicht wahr, Liebling, wenn es Sommer ist, reitest du hin?«

»Darf ich das?« schluchzte sie.

»Ja, gewiß, mein Herz, das darfst du,« erwiderte die hohe Frau, »wir bringen dich dann hin!«

»Das wird aber schön, Himmelschlüsselchen,« sagte Ritter Berendt, der Fürstin einen dankbaren Blick zuwerfend, »das will ich der Mutter und Ilsabe erzählen!«

»Ja, bitte,« lächelte sie.

»Und nun lebe wohl,« fuhr er fort, »und sei ein gutes, gehorsames Kind, damit wir uns über dich freuen können. Vergiß auch dein Gebet nicht!« fügte er hinzu, küßte sein Kind mehrmals und setzte es auf den Boden. Dann verneigte er sich tief vor der Herzogin, die ihm die Hand zum Kusse reichte und ihm in herzlichen Worten für das Opfer, das er brachte, dankte. Er wollte nichts davon wissen und sagte, er sei viel mehr in der Schuld seines allergnädigsten Herrn, dies sei nur eine geringe Probe mecklenburgischer Vasallentreue. Sie schüttelte lächelnd das schöne Haupt und entließ den Ritter mit freundlichen Grüßen an sein Gemahl.

Er ging, sich bei dem Herzog zu melden, und eine Weile später sah man ihn in blanker Rüstung mit seinem Gefolge den Schloßhof verlassen.

Noch einmal wanderten seine Augen hinüber zu dem Hause Heinrichs des Friedfertigen, gleich darauf grüßte er ritterlich hinauf – oben am Fenster stand die Herzogin und ließ ein kleines, weißgekleidetes Mädchen herabsehen. Die goldenen Locken wehten im Abendwinde und die Kinderhände winkten dem Davonreitenden Lebewohl zu, bis der letzte der Penzliner Mannen verschwunden war.


Einsam war's auf der Burg Penzlin, seit Sophie Dorothea fortgezogen, und die stillen Tage winterlichen Landlebens machten sich doppelt fühlbar.

Frau Scholastikas Rädchen schnurrte wie sonst abends im Kreise der Mägde, aber der frische, fröhliche Ton war aus der Spinnstube gewichen, seit das Mägdlein mit den blonden Haaren gegangen und sein Platz leer geblieben war.

»Kommt Sophie Dorothea nicht bald wieder?« fragte die kleine Ilsabe, und die Burgherrin zerdrückte eine Thräne, wenn sie ihr wieder und immer wieder antworten mußte: »Noch nicht, mein Liebling!«

Dann seufzte das kleine Mädchen und wunderte sich immer von neuem, daß die Gespielin gegangen. Warum sie es gethan, sie fragte nicht mehr danach, sie wußte, es war nicht anders gegangen, und die Mutter hatte es nicht gern, wenn man danach fragte. Bliebe nur Georg daheim, aber der wollte in nächster Zeit die Universität Rostock beziehen; verdenken konnte sie es ihm ja nicht, daß er mehr von der Welt sehen und hören wollte, er mußte ja auch etwas lernen, Georg war ja so furchtbar klug! »Wenn ich sehr viel gelernt habe und alles weiß, was ich wissen will,« hatte er gesagt, »dann komme ich wieder und hole dich!«

Sie hatte ihn mit großen Augen angesehen und ihn nicht ganz verstanden; aber allmählich ging ihr der Sinn seiner Worte auf.

»Wohin soll ich denn mitkommen, wenn du wiederkehrst?« fragte sie.

»Auf meine Burg, und dann bleibst du immer bei mir, wie Sabine bei Joachim.«

»Was bin ich dann? doch nicht deine Frau?«

»Doch, das bist du dann! Hast du keine Lust dazu?«

»Doch – aber –«

»Was – aber?«

»Ich kann es nicht aushalten, Georg, wenn ich sieben Jungens hüten soll!«

»Sieben Jungens hüten?« fragte er erstaunt.

»Ja – der alte Andreas hat sich auch einmal verheiratet und da hat er sieben Jungens gekriegt. Das wird mir wirklich zu viel,« sagte das kleine, zarte Geschöpf. »Es ist schon immer so laut, wenn Liesel und Marie aus Penzlin kommen, ich habe dann immer gleich Kopfweh, und das sind doch nur zwei Mädchen. Ich kann es wirklich nicht aushalten, wenn ich sieben Jungens hüten soll, könntest du es nicht dem lieben Gott sagen, daß es mir zu viel wird, damit er uns weniger schenkt – vielleicht ein kleines Mädchen?« sagte sie ängstlich zu ihm aufschauend.

Georg hatte seine kleine Zukünftige auf den Arm genommen.

»Nein, Ilsabe, das geht nicht, dem lieben Gott kann man keine Vorschriften machen. Es ist ja aber noch gar nicht gesagt, daß du immer solch' kleines zartes Püppchen bleibst, und daß wir sieben Jungens bekommen, ist auch noch ganz ungewiß. Daraufhin kannst du es immer wagen, meine Frau zu werden. Sieh', Vater und Mutter haben ja auch nur drei Kinder! Du kannst es ruhig thun, Liebling!«

»Sind Vater und Mutter verheiratet?«

»Ja.«

»O, dann ist es ja gar nicht schlimm – aber mehr wie drei Jungens will ich nicht haben, du doch auch nicht?«

»Das muß ich mir erst überlegen.«

»Ach, Georg,« seufzte sie, »ich möchte ja so furchtbar gern deine Frau werden, wenn es nur nicht mit den sieben Jungens wäre! Aber ich glaube doch, es geht, denn wenn Vater und Mutter nur drei haben, so bekommen wir auch nicht mehr. Sag' mal, Georg,« fuhr sie dann fort, »wie ist es eigentlich, wenn man sich verheiratet? Muß ich dich fragen, ob du mein Mann sein willst?«

»Nein, Ilsabe, das ist nicht nötig, die Männer fragen immer die Frauen.«

»Warum denn?«

»Weil das immer so gewesen ist.«

»Wenn ich dich aber doch frage?«

»Dann nehme ich dich nicht!«

»Aber Georg!«

»Nein, mein kleines Fräulein, daraus wird nichts; ein Jungfräulein muß hübsch warten, bis der Freiersmann kommt. Denn dem Manne gebührt das Regiment im Hause.«

»Muß ich denn immer alles thun, was du willst?«

»Ja, natürlich!«

»Aber Georg, das kann ich doch nicht!«

»Das mußt du aber.«

»Dann werde ich nicht deine Frau!« rief sie entrüstet.

»Dann muß ich mir wohl eine andere suchen,« war seine ruhige Entgegnung.

»Hast du die dann auch so lieb, wie niemand auf der Welt?«

»Ja, das habe ich.«

Das kleine Mädchen hatte die Lippen fest auf einander gepreßt und starrte auf die Erde. Plötzlich schlang es laut aufschluchzend die Arme um seinen Hals und rief: »Lieber Georg, bitte, sag' es nicht wieder. Ich will ja alles thun, was du willst, und will dich jeden Morgen fragen, was ich dir kochen soll, nur bitte, heirate mich!«

Georg ließ sich denn auch herab, zu erklären, er wolle sich die Sache noch einmal gründlich überlegen. Jedenfalls müsse Ilsabe ihm aber jede Woche einmal Klöße kochen und immer eingemachten Ingwer Eine in damaliger Zeit beliebte Näscherei. für ihn bereit haben. Sie versprach alles mit größter Bereitwilligkeit, dann rutschte sie in fliegender Eile von den Armen ihres künftigen, gestrengen Eheherrn herab und lief zu dem alten Andreas hinüber, um ihm von ihrem Glück zu erzählen.

»Weißt du, Andreas,« schloß sie ihren Bericht, »sieben Jungens bekommen wir auf keinen Fall, ich sage es dem lieben Heiland heute abend, daß es mir zu viel wird, und du sagst ja immer, er erhört uns, wenn wir zu ihm beten!«

»Ja, wenn es sein Wille ist!«

»O, es ist ganz sicher sein Wille, denn sonst kann ich ja nicht Georg seine Frau werden. Nicht wahr, Andreas, es ist doch sein Wille?«

»Es ist möglich,« sagte der Alte. »Geh' jetzt nur zu Bett, Ilsabe, es ist noch lange Zeit bis dahin –,« und das kleine Mädchen ging zu Bett und träumte von einem großen Hochzeitskuchen und einem Myrtenkranz und Schleier – aber die sieben Jungens waren vorläufig noch nicht da – die angehende Burgherrin legte sich mit einem Seufzer der Erleichterung auf die andre Seite und schlief, bis die Morgensonne ins Fenster schien. – – – – – – –

Bald darauf war Georg gegangen, und es ward noch einsamer auf der Burg Penzlin. In dichten Flocken rieselte der Schnee gleichmäßig vom Himmel, und die kleine Ilsabe blickte seufzend hinauf. Wie viele Betten hatte Frau Holle nur? Waren denn die Englein noch immer nicht fertig mit dem Schütteln der Kissen?

Am meisten litt der alte Berendt unter dem Trennungsschmerz. Es half ihm nichts, daß er sich hundertmal sagte, er habe seine Pflicht als ein getreuer Vasall gethan, die Lücke war dadurch nicht ausgefüllt, sein Himmelschlüsselchen war fort, all sein Sonnenschein mit dem Kinde dahin. Sein Weib hatte ihn flehentlich gebeten, dem Herzog seine Bitte abzuschlagen, aber der Ritter war fest geblieben – ein leuchtend hervortretender Zug in Berendt Maltzans Charakter war die Vasallentreue. Zuerst kam der liebe Herrgott und die Heiligen, sein Fürst und Lehnsherr, das Vaterland und die eigene Mannesehre und dann zuletzt, wenn dies alles sein Recht erhalten, kamen die Wünsche, Sorgen und Freuden, die manch' ein anderer allem anderen vorangestellt haben würde – aber Berendt Maltzan wußte zu genau, was man von einem echten Ritter verlangt, ja, er wußte noch mehr, denn er kannte die Pflichten eines Christen und trug nicht umsonst das heilige Zeichen seines frommen wendischen Ahnherrn im Schilde. Er wußte, daß er eine Rebe an jenem Weinstock sein müsse, um selig zu werden, und sein ganzer Wille war bei seinem Glauben beteiligt. Er übersetzte sein Bekenntnis in die That, er war ein lebendiger Christ, ein Ritter von Gottes Gnaden, und über seinem Leben stand leuchtend die Devise, die seitdem schon so manchem seiner Nachkommen zum mahnenden und stärkenden Wahlspruch geworden: »Wach und treu.«

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