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18. Kapitel.
Die Jungfrau im Franziskanerkloster


Was mahnst du mich vergang'ner Zeiten,
Vergang'ner Schuld, die lange ruht!?
Die dunkeln Augen, die nicht schlafen,
Sie reden von vergoß'nem Blut.

Wieder ging das Jahr zur Neige. Wolkenlos war der Nachthimmel, und die letzten Sterne des alten Jahres grüßten die schlafende Erde. Fest gefrorener, harter Schnee lag wie ein Leichentuch über sie hingebreitet, – wie viel verlorenes Glück, wie viel Leid und Not vergangener Monde mochte er decken!?

In der Ferne erhoben sich die Türme einer Stadt, einige Lichter blickten herüber, und ab und zu trug der Wind die feierlichen Töne des Sylvestergeläuts über die Felder.

Zwei Wandersleute kamen des Wegs, geistliche Gewandung trugen sie, die dunkle Ordenskleidung der Franziskaner schien's zu sein – das Halbdunkel des Winterabends ließ es unentschieden. Der Ältere der beiden Mönche ging voran; das Wandern schien ihm keine Schwierigkeiten zu machen, wenigstens scheute er sich nicht, sein plumpes Fußwerk in Bewegung zu halten, während sein junger Genosse sich todmüde durch den tiefen Schnee schleppte. Am liebsten hätte er wohl auf dem Stein am Wege gerastet, aber das durfte nicht sein.

Er war schon eine Strecke hinter dem Alten zurückgeblieben und konnte ihn, so sehr er sich mühte, nicht wieder einholen. Nun blieb jener stehen und wandte sich um.

»Nun, wird's bald!« schrie er mit einer harten, unmelodischen Stimme, die eher einem alten, zänkischen Dorfweibe, als dem mit der edlen Musika vertrauten Sohn eines heiligen Konvents anzugehören schien, zu dem jungen Genossen hinüber. »Wie lange soll ich hier stehen und warten?«

Dieser nahm seine letzte Kraft zusammen und wanderte, ohne ein Wort zu erwidern, hinter seinem herrischen Begleiter her. Ein zartes, feines Antlitz trug er unter der rauhen, lodenen Kutte, einem Jungfräulein hätte es angehören können, und keinen hätte es Wunder genommen, von solcher Anmut waren die Züge des Mönchs. Dunkler und dunkler ward's; ein verspätetes Vöglein kam vom Felde heim und flatterte in das warme Nest im Dornbusch am Wege. Einzelne Hagebutten hingen noch im kahlen Geäst, weiße Kapuzen hatten sie sich übergestülpt, damit sie in der Neujahrsnacht nicht erfrieren und vom alten Stamme fallen möchten. Eine einzelne Gestalt kam mit einer Laterne von der Stadt her, den beiden Wanderern entgegen. Die Botenfrau schien's bei näherer Besichtigung zu sein. Der Alte zog die Kapuze, so tief es ging, ins Gesicht und stolperte hastig vorüber, der Junge hob das Auge beim Anblick des neuen Ankömmlings in der Einsamkeit. Erstaunt blickte die alte Frau in das junge, schöne Gesicht in der Kutte – ein Zug namenlosen Schmerzes lag in diesen Augen, ein Ausdruck des Jammers, der an Verzweiflung grenzte. Mitleidig schüttelte die Alte, als sie vorüber war, den Kopf. »Der hat auch im Kloster nicht gefunden, was er gesucht,« murmelte sie vor sich hin und schleppte ihren schweren Korb weiter durch den Schnee.

Von den Türmen Neubrandenburgs schlug es zehn Uhr, als die beiden Wanderer die Stadt erreichten. Der alte Klosterbruder hatte noch manches Mal über das langsame Wandern des jungen gescholten und hatte sich dabei nicht gescheut, Ausdrücke zu gebrauchen, deren Bekanntschaft er in den Mauern des heiligen Konvents sicher geleugnet hätte. Jetzt gebot er ihm, sich an seiner Seite zu halten, und so zogen sie durch die ehrwürdigen Thore in eine der ältesten Städte Mecklenburgs. Einen langen Weg hatten sie noch vor sich, durch breite Straßen und kleine Gäßchen und Winkel ging's, bis sie vor einem hohen, düsteren Hause anlangten, das nur spärlich von einer Laterne über dem Eingang erleuchtet war. Der Alte hob den eisernen Schläger und ließ ihn dreimal schwer gegen die Klosterpforte fallen. Schweigend harrten sie im Mondlicht. Aus den finsteren Zügen traf ein schadenfroher Blick den jungen Genossen, der, das traurige Antlitz geneigt, todmüde auf den steinernen Stufen stand. Schritte ließen sich hören, ein Schlüssel drehte sich im Schloß; gleich darauf wurde die äußere Pforte vorsichtig geöffnet, und ein Franziskaner stand mit einer Laterne vor den beiden. Als er die braune Kutte seines Klosters erkannte, öffnete er die Thür ganz und fragte nach Begehr der Reisenden.

»Kennst du den Florian aus Penzlin nicht mehr?« rief der Alte rauh und wälzte seine breite Gestalt über die Schwelle des Klosters – »bring' Euch was Gutes, he! Was machen Seine Hochwürden der Prior?«

»Ach so, Ihr seid's,« sagte nicht gerade im Tone froher Überraschung der Pförtner, indem er dem jungen Klosterbruder prüfend in das feine Gesicht sah und ihn mit einer Handbewegung einlud, hereinzutreten.

»Der Prior ist in seinem Gemach,« beantwortete er dann die Frage des Alten, »das Zipperlein plagt ihn, und er ist auch sonst nicht so recht! Ist ein schlecht' Auskommen mit ihm – aber ganz unter uns gesagt!«

»Nun,« sagte Florian, »meine Botschaft wird ihm alle Gebresten vertreiben,« – ein häßliches Grinsen huschte über sein graues Gesicht, als er den Blick dabei auf der Gestalt des jungen Mönches weilen ließ. Dieser war bleicher und bleicher geworden, verstohlen und ängstlich blickten die großen, dunklen Augen unter der Kapuze hervor und hafteten erschrocken an den schweren, eisernen Thüren und vergitterten Fenstern.

Langsam stiegen die beiden Alten vor ihm her, die steinernen Stufen hinauf, die zum Gemache des Priors führten. Der Pförtner öffnete eine Doppelthür und klopfte am Gemach seines Herrn. Bald darauf standen die beiden Ankömmlinge vor dem ergrauten Prior von St. Franziskus, Ignatius Kruse.

Es war nicht mehr die stolze Erscheinung von ehedem. Not, Zwist und Krankheit und der nagende Wurm eines gequälten Gewissens hatten dem Zweiundsechzigjährigen gar deutliche Spuren aufgedrückt, schärfer und deutlicher, als die Spur des Alters – aber ein Zug in dem gefurchten Antlitz war derselbe geblieben wie damals, als er des Oertzen zartes Weib kalten Blutes auf den Rost legte – der scheue Blick des bösen Gewissens haftete noch immer dem Antlitz an, dessen großartige Züge eine gewisse Schönheit, freilich dämonischer Art, an sich trugen. Unter einem mächtigen Wolfsfell saß der Greis am Kamin. Er hob die Augen beim Eintritt der Kommenden und streckte dem Pater die Hand entgegen.

»Nun, was bringst du mir?« fragte er, den an der Pforte stehenden Jüngling mit einem flüchtigen Blick streifend, »ein Schäflein, das im heiligen Konvent den Frieden sucht unter des treuen Hirten Stab?«

»So ist es,« sagte salbungsvoll der Mönch, »wenn das Schäflein auch heute noch einem Böcklein gleicht, in Euer Hochwürden Zucht wird es schon fromm werden. Eine besondere Freude dachte ich Euer Hochwürden zu machen« – er trat zu seinem Schützling, löste es und streifte ihm sein Klosterkleid ab und führte eine jungfräuliche Gestalt vor den Herrn des Konvents.

Ein Prior aus dem sechzehnten Jahrhundert ist wohl an seltsame Dinge gewöhnt gewesen, aber solche Verwandlung schien an Ignatius Kruses Lebenserfahrungen noch zu fehlen. Wie gebannt hing sein Blick an der wunderbaren Erscheinung, die in jungfräulicher Schönheit vor ihm stand, das dunkle Auge gesenkt in tiefer Trauer.

»Eine besondere Freude dachte ich Euer Hochwürden zu machen,« begann der Mönch von neuem. »Vor Euch steht die Tochter jener Frau, die Ihr vor Jahren in Penzlin der heiligen Inquisition überliefertet. Ein arm verirrt' Schaf ist auch diese Jungfrau, Ilsabe von Oertzen, eine Anhängerin der Lehre des Ketzers zu Wittenberg. Ich habe gethan, was ich konnte – umsonst – so mußte ich schärfere Maßregeln ergreifen und überantworte sie dem Manne, dessen Urteil noch nie ein ungerechtes oder unweises gewesen.«

Stumm und still hatte die Jungfrau seinem Bericht gelauscht, jetzt öffnete sie die dunklen Augen und blickte dem verworfenen Kleriker voll ins Antlitz.

»Dazu also raubtet Ihr mich, um mich dem Mörder meiner Mutter zu überliefern,« rief sie, hoch aufgerichtet, mit bebenden Lippen – »wahrlich, solch' eine Rache hätte ich selbst einem Florian Sylvester nicht zugetraut! Aber sündigt nur weiter und taucht Eure Hände in Blut und richtet und verurteilt, soviel Ihr wollt – heute mögt Ihr das Schwert in Händen halten, aber einst müßt Ihr vor einen treten, der entwindet es Euch, wie einen Stecken.

Vielleicht kann ich Euch morgen nicht mehr warnen, aber heute thue ich es und sage Euch noch einmal im Namen Gottes, des Allerhöchsten: Kehrt um und thut Buße, so lange es Zeit ist! Kehrt um, kehrt um! vielleicht steht Ihr morgen an dem Schandpfahl, an den Ihr mich heute treiben wollt – Gott läßt sich nicht spotten – hütet Euch, Florian Sylvester!«

Wie eine Prophetin des alten Bundes stand sie vor den Männern der Kirche, die großen, dunklen Augen fest auf den gerichtet, vor dem sie einst gebeichtet. Wie ein zweischneidig Schwert fielen ihre Worte auf ihn nieder – und sie trafen. Aber dem unglücklichen Manne fehlte die sittliche Kraft, sich emporzuraffen aus dem Schlamm der Sünde, es fehlte ihm die Kraft und der Mut, vor einem Manne, mit dem er Hand in Hand gearbeitet, und der die Macht und die Schlechtigkeit besaß, ihn zu stürzen, wenn er von ihm abfiel, zu bekennen, daß er gesündigt und immer wieder gesündigt; und endlich war seine Seele von Haß gegen Ilsabe erfüllt, er konnte es nicht ertragen, daß ein Weib sich ihm, seinem Beichtvater, widersetzte und ihm, ohne mit einer Wimper zu zucken, grauenvolle Wahrheiten ins Angesicht sagte, doppelt grauenvoll, weil sie im Grunde seiner Seele als Wahrheiten standen, die sich nicht auslöschen lassen wollten, denn das einzige Mittel, das sie ausgelöscht haben würde, hatte er verachtet und mit Füßen getreten. Er hatte sie unterbrechen wollen, aber kein Wort wollte über seine Lippen, – mit gläsernen Augen starrte er sie an, dann stürzte er mit den Worten, »sie ist vom Teufel besessen!« aus dem Gemach, die Treppen hinab, aus der Klosterpforte hinaus in die Winternacht. Wie ein Wahnsinniger stürmte er vorwärts, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Kaum wagte er, sich umzusehen, war's ihm doch, als käm' die ganze Hölle hinter ihm drein. »Unschuldig Blut vergossen!« donnerte es an seinem Gewissen, und das Bild des alten, sterbenden Valentin trat vor das Auge seines Geistes. »Unschuldig Blut! auch sie, die du Ignatius Kruse überliefertest – du bist's, der sie hinmordet!« rief eine andere Stimme in seinem Gewissen und ein höllisches Gelächter schien hinter ihm drein über die weißen Felder zu ziehen – »unschuldig Blut schreiend zum Himmel! Gott läßt sich nicht spotten! Hüte dich, Florian Sylvester!«

Vom Turm des Franziskanerklosters schlug es Mitternacht, zwölf laute, dröhnende Schläge rief die alte Uhr in die Totenstille der Jahreswende hinaus – aber Gottes Uhr hatte doch noch mächtiger geschlagen.

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