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7. Kapitel.
In Menschenhänden


Menschenhand vermag den Leib zu töten,
Zu vernichten Ehr' und Gut –
Doch die Seele bleibt in dessen Händen,
Der sie löst mit seinem Blut.

»Ich muß morgen nach Güstrow reiten, Scholastika!« sagte am Abend desselben Tages, an welchem Ignatius Kruse die Botschaft des Augustiners erhielt, Ritter Berendt Maltzan zu seinem Gemahl.

»Ich weiß nicht, weshalb die Herzöge schon wieder meines Rates bedürfen, und denke, es ist Herzog Albrechts ruheloser Geist, der wie immer irgend etwas vorhaben muß. Herzog Heinrich sitzt ruhig in Schwerin, – ob ich Herzog Albrecht dorthin begleiten soll, weiß ich nicht, – in dem Falle kann es eine Woche währen, bis ich heim komme.«

Frau Ilsabe war bleich geworden bei den letzten Worten des Ritters, aber niemand sah es im späten Halbdunkel des Sommertages.

Ganz so oft, wie in jüngeren Jahren, wo er von einer Fehde zur anderen zog, war Ritter Berendt freilich nicht abwesend, aber als Ratgeber der Herzöge mußte er doch noch oft genug um der Ehre des Herrndienstes willen Weib und Kind verlassen. Ein ruheloses Leben lag hinter ihm. Kampf und wieder Kampf war seine Arbeit, Sieg und Unterliegen, einmal sogar Gefangennahme und Flucht mit Weib und Kind sein Teil gewesen, bis die Herzöge Magnus und Heinrich von Mecklenburg, vom Kaiser beauftragt, einen friedlichen Vergleich zu stande brachten, und Berendt seine Güter wieder erhielt. Penzlin war seit 1414 zeitweise im Maltzanschen Pfandbesitz, 1479 lösten es die Herzöge von Mecklenburg, die es in früheren Zeiten besessen, wieder ein, aber im Jahre 1500 war Berendt Maltzan schon wieder im Pfandbesitz von Penzlin und erhielt 1501 die erbliche Belehnung mit Burg, Stadt und Vogtei. Dort lebte er nun als hochgeschätzter Ratgeber der Herzöge von Mecklenburg. Seine Zeit beschreibt Berendt Maltzan als eine romantische Erscheinung; in seinen Fehden sei eine auf Treu und Glauben gegründete, ehrenhafte Ritterlichkeit leuchtend hervorgetreten. Siehe Otto Julius von Maltzan, Frh. zu Wartenberg und Penzlin; – Rückblick auf 700 Jahre.

Am andern Morgen harrte des Ritters Roß und Gefolge am Burgthor. Gleich darauf trat er heraus und bot den Mannen den Morgengruß.

»Komm' bald wieder!« mahnte die Burgherrin, und die Knaben blickten bewundernd auf die ritterliche Erscheinung des Vaters.

Er schlang den Arm um sein Gemahl, küßte die weiße Stirn und sagte: »So bald ich kann, liebes Weib, kehr' ich heim. Doch du weißt, Gottesfurcht und Vasallentreue sind die ersten Ritterpflichten.« Dann wandte er sich an Ilsabe: »Lebt wohl, edle Frau, ich hoffe, ich sehe Euch rotwangiger wieder, als ich Euch verlassen muß – Ihr gefallt mir gar nicht,« sagte er scherzend.

Sie zwang sich zu einem Lächeln und reichte ihm mit herzlichem Lebewohl die Hand. Er zog sie an die Lippen, nickte seinem Weibe noch einmal zu und schwang sich in den Sattel. Die Knaben durften eine Strecke mitreiten; jubelnd saßen sie auf und riefen: »Lebt wohl, Frau Mutter, wir reiten nach Güstrow!« Sie nickte ihnen freundlich zu.

»Es wird ein heißer Tag werden,« sagte sie dann zu Frau Ilsabe, »die Sonne sticht schon jetzt wie im Hochsommer.«

»Ja,« antwortete diese, »ich hoffe, Euer Gemahl schickt die Knaben bald wieder zurück.« Darauf gingen die beiden Frauen in das Haus.

Es war Mittag geworden, als Frau Ilsabe mit ihrer Stickerei unter die Linde wanderte. Ihr Töchterlein hatte sie der großen Hitze wegen oben in ihrem Gemach gelassen, und Georg hatte sich die Ehrenwache bei der kleinen Schläferin erbeten. So wußte sie ihr Kleinod in sicheren Händen.

Sie legte die Arbeit auf den Tisch und spähte nach allen Seiten, ob jemand komme. Niemand war zu sehen, kein Laut zu hören; unten lag die staubige Landstraße einsam in der Mittagsschwüle, nur ganz in der Ferne bewegte sich eine dunkle Masse langsam vorwärts. Frau Ilsabe breitete ihre Arbeit auseinander und nahm das Buch des böhmischen Märtyrers daraus hervor. Lange betrachtete sie es, und eine Thräne nach der anderen fiel auf die vergilbten Blätter. Dann stieg sie auf die Bank und legte das Buch in einen der hohlen Äste, deren Zweige fast die Erde berührten.

In den Blättern der alten Linde flüsterte es geheimnisvoll, ein Rauschen ging durch die Kronen der Tausendjährigen, als wollten sie das Vermächtnis des Glaubenszeugen grüßen und versprächen, treue Wacht darüber zu halten. Frau Ilsabe blickte hinauf in die gewaltigen Gipfel, wie der Schildträger einer vergangenen Zeit erschien ihr der ehrwürdige Stamm, der die riesenhaften Zweige, aus denen immer wieder das junge Volk duftiger Blüten empor sproß, machtvoll ausstreckte. Was mochte alles an diesen Zweigen vorüber gezogen sein im Wechsel der Zeiten – Erdenglück und Leid, Haß und Liebe, Kampf und Sünde, Blutvergießen und Verzweiflung. Aber hoch darüber hatte Gottes Sonne geleuchtet, in jedem Lenz, wenn der Winter ausgeschneit, hatten ihre warmen Strahlen die junge Blüte wach geküßt, als ein Zeichen, daß seine Gnade noch aufgehe über der sündenmorschen Erde, daß seine Barmherzigkeit noch kein Ende habe.

Frau Ilsabe nahm ihre Arbeit zur Hand, aber sie hatte nicht lange Ruhe zum Sticken und wanderte in das Haus zurück. Ihr Töchterlein schlief noch, und der kleine Georg saß am Fenster, das eine weite, malerische Aussicht auf blühende Lande bot.

»Wenn Ilsabe sich rührt, bin ich gleich bei ihr, aber sie schläft jetzt, und ich habe alle Fliegen hinausgetrieben. Nun gebe ich acht, daß sie nicht wiederkommen,« sagte das Kind und hob das blonde Köpfchen zu der Edelfrau empor.

»Ja, ich weiß, daß du ein getreuer Wächter bist!« sagte sie, mit der Hand über seine Locken streichend und hinausblickend. Aber was war denn das? Zitternd lehnte sie sich an die Wand, die Sinne wollten ihr schwinden. Unten im Burghof stand der Franziskanerprior mit zwei Dominikanermönchen. –

»Du,« sagte der Kleine, »eben als du unten warst, kam ein Mann, wie Bruder Laurentius, aber er war es nicht, sein Kleid war nur so ähnlich gemacht – der war einen Augenblick hier und sagte, ich solle einmal aus dem Fenster sehen, es kämen Ritter den Weg herauf – ich konnte aber keine erblicken. Als ich mich dann umsah, war er fort! Du,« schloß er flüsternd, »ich mag ihn aber nicht leiden, er hat so böse Augen.«

»Geh hinab, mein Liebling,« sagte sie zu dem Knaben, »deine Mutter erwartet dich!« Und der Kleine schlüpfte, nachdem er noch einmal leise das schwarze Haar seiner Schutzbefohlenen geküßt, aus dem Gemach.

»Sag' ihm, daß er nicht wiederkommt,« sagte er, sein Lockenköpfchen noch einmal in die Thür steckend, »es ist mir so bange vor ihm.«

Sie nickte ihm zu wie im Traum, und das Kind lief hinab in das Wohngemach seiner Mutter. Frau Ilsabe aber preßte die Hände aufs Herz; es war ihr, als müßt' es stille stehen. Was ging hier vor sich? Sie hatte es oft gehört, daß die Inquisition Hinterthüren habe, die ihr zu allen Zeiten offen stünden, daß sie einen Schatz von Mitteln besäße, ihre Opfer einzufangen, Mittel, die das Tageslicht scheuten, im Finsteren aber mit dem entsprechenden Erfolg angewandt wurden. Unwillkürlich eilte sie nach ihrer Truhe, sie hatte den Schlüssel stecken lassen, nachdem sie das Buch herausgenommen – er war verschwunden. Wie gelähmt blieb sie stehen. Es war ihr klar, sonnenklar, daß sie in großer Gefahr stand, daß sie keinen Schritt mehr thun konnte, um sich zu retten – und schon hörte sie Tritte auf dem Gange vor ihrem Gemach – einen Augenblick später standen die Diener der Inquisition vor ihr. Frau Scholastika hatte sie hinaufbegleitet; bleich, mit stummer, angstvoller Frage blickte sie auf Ilsabe.

»Verzeiht, edle Frau, daß wir Euch beunruhigen müssen,« sagte der Ältere der Dominikaner, ein hochgewachsener, vornehm aussehender Mönch mit feingeschnittener Adlernase und scharfen, klugen Augen. »Der Verdacht der Ketzerei ist auf Euch gefallen, und wir sind gezwungen, in jedem Fall unsere Pflicht als Inquisitoren zu thun. Ihr gestattet die Untersuchung,« schloß er mit höflicher Bestimmtheit.

Sie neigte schweigend das Haupt, und sie gingen ans Werk. Es war nichts im Gemach zu finden, bis sie an die Truhe kamen.

»Wo ist der Schlüssel?« rief Ignatius Kruse.

»Ich habe ihn nicht,« antwortete Ilsabe. »Vor einer Stunde steckte er noch, und als ich heimkam, war er verschwunden.«

»Brecht die Truhe auf,« befahl ruhig der Inquisitor.

Ein Brecheisen ward geholt und dieselbe geöffnet. Da lag, als hätte sie es eben gelesen und wieder verwahrt, das Buch des böhmischen Märtyrers.

Satanische Freude glänzte in den Augen des Franziskanerpriors, der Inquisitor aber legte das Buch vor die Edelfrau mit den Worten: »Was habt Ihr auf diese Anklage zu erwidern?«

»Es ist mein Eigentum,« sagte sie leise, ohne das bleiche Gesicht empor zu heben.

Der Mann mußte eine andere Antwort erwartet haben, fast schien's, als käme eine Regung des Mitleids über ihn beim Anblick des jungen Weibes im Witwenschleier, und er fragte weiter: »Aber es liegt als toter Besitz in Eurer Truhe – Ihr kennt seinen Inhalt nicht – habt Ihr es geerbt?«

»Ich habe es geerbt, aber es ist mir kein toter Besitz geblieben, ich habe täglich darin gelesen,« antwortete sie.

»So,« sagte er, »also Ihr habt das Gift eingesogen!? Was haltet Ihr von dem Buch?«

Da richtete sich die zarte Gestalt hoch auf, und die leuchtenden Augen fest auf ihre Richter geheftet, antwortete sie: »Es ist das Bekenntnis eines Mannes, dessen Angesicht ich mich freue, im Himmel zu sehen, und wenn ich auch nicht dastehen werde, wo der große Märtyrer seinen Ehrenplatz gefunden, so werde ich ihm doch danken können, daß er mir geholfen hat, den Weg zu dem zu finden, der den Bettler zu den Königskindern an seine Tafel setzt.«

Wie eine Siegerin stand sie vor ihnen, nicht wie ein armes, gerichtetes Weib, das man zum Scheiterhaufen führt.

Einen Augenblick herrschte tiefe Stille im Gemach, man hörte nur das Atemholen des schlafenden Kindes und das Singen der Vögel draußen.

»Wir wissen genug,« sagte der Inquisitor endlich, »aber wir wollen eine mildere Strafe über Euch verhängen, wenn Ihr widerrufen und Buße thun wollt! Denkt an die Schmach, an Euer altes Geschlecht, an Euer Kind!«

Sie zitterte und erbleichte, aber als stünde einer hinter ihr, der all ihre Sünde, all ihr Leid und ihre Schwachheit kannte und sie stärken wollte, klang es durch ihre Seele: »Fürchte dich nicht, du bist mein!« Ja, sie wußte es, daß sie in seinem Arm und Schoß lag, und daß derselbe, der sie bis in den Tod geliebt, auch das verwaiste Kindlein an seinem Herzen heimwärts tragen werde, und antwortete, wenn auch mit zuckenden Lippen: »Nein, ich widerrufe nicht!«

»So bringen wir sie vielleicht unten dazu,« sagte der Inquisitor zu den übrigen. »Bindet ihr die Hände.«

Da fiel die Burgherrin den Männern zu Füßen und flehte um Erbarmen. Aber der Dominikaner antwortete kühl: »Verschwendet Eure Worte nicht, edle Frau. Wer für einen Ketzer bittet, lenkt leicht den gleichen Verdacht auf sich,« fügte er mit scharfem Hohn hinzu.

Sie schwieg, verzweifelt die Hände ringend.

Da sagte Frau Ilsabe: »Seid ruhig, und grämt Euch nicht um mich, ich stehe mit Leib und Seele in Gottes Hand. Aber wenn Ihr mich lieb habt, betet für mich, daß mein Herz festbleibt, und sorgt für mein Töchterlein!«

Thränen erstickten ihre Stimme, sie beugte sich über die Wiege, um von ihrem Kinde Abschied zu nehmen – da riß eine harte Faust sie fort. Ignatius Kruse fesselte ihr die Hände und drängte die Unglückliche hinaus.

Gleich darauf öffneten sich die dunklen Thore des Gefängnisses, und der Schließer verneigte sich ehrerbietig, als die Inquisitoren mit ihrem Opfer über die Schwelle traten. Noch einmal strömte, als die drei Männer den öden Raum verließen, das helle, goldene Licht des Sommertages voll herein, dann fiel die schwere, eiserne Thür dröhnend zu, der Schlüssel drehte sich geräuschvoll im Schloß, und die arme, Gefangene war ausgeschlossen von Allem, ausgenommen von der Barmherzigkeit Gottes.

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